Das Altpapier am 13. September 2019 Quotenfixierung par excellence
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13. September 2019, 14:03 Uhr
Der Europäische Gerichtshof trägt das deutsche Leistungsschutzrecht zu Grabe und das ZDF gräbt einer wichtigen Pressekonferenz eine Grube. Sieht so aus, als hätten die Quoten nicht mehr gestimmt. Ein Altpapier mit Trauerflor von Nora Frerichmann.
Hier ruht die Hoffnung der Zeitungsverleger, geboren am 1. August 2013, nach langer Krankheit gestorben am 12. September 2019. So oder so ähnlich könnte eine Todesanzeige für das deutsche Leistungsschutzrecht aussehen, das gestern endgültig vom Europäischen Gerichtshof beerdigt wurde. Erahnbar war das Ableben schon länger, denn schon Ende 2018 hatte der Generalanwalt des EuGH dem Gericht nahegelegt, das LSR nicht für rechtmäßig zu erklären (siehe Altpapier).
Kurzer Rückblick: Die Verwertungsgesellschaft VG Media hatte ursprünglich vor dem Landgericht Berlin auf Schadensersatz gegen Google geklagt, weil sie Gebühren für die Anzeige von Artikel-Snippets bei Google News verlangte, Google aber nicht zahlen wollte. Nach der Entscheidung des EuGH ist das aber gar nicht anwendbar, weil es sich bei dem Leistungsschutzrecht um eine technische Vorschrift handelt, die der EU-Kommission vorher von der Bundesregierung hätte vorgelegt werden müssen. U.a. bei FAZ.net oder Spiegel Online gibt’s mehr Details zu lesen, z.B. auch über die Rolle der Bundesregierung, die es (O-Ton Michael Hanfeld) "versaubeutelt" hat.
"Gefahr einer späteren Blamage"
Welche Summen die Verlage (bzw. die VG Media, die sich in der Sache für ihre Belange einsetzt) von Google sehen wollten, fass Kurt Sagatz beim Tagesspiegel zusammen:
"Für die Zeit von August 2013 bis Ende 2018 hat VG Media von Google rückwirkend 1,24 Milliarden Euro verlangt. Die Forderungen für die Jahre 2019 bis 2024 sind gestaffelt und liegen zwischen 3,44 Milliarden und 8,5 Milliarden Euro zum Ende dieser Laufzeit. Google weigert sich jedoch zur Zahlung für die Snippet-Verwendung und argumentiert, die Verlage profitierten durch die Verlinkung der Nachrichtentexte, weil so zusätzliche Nutzer auf die Webseiten gelangten und zu höheren Werbeerlösen beitragen."
Die Bilanz, die sich aber nun daraus ergibt, ist bitter. Christoph Sterz hat sich für Deutschlandfunks "@mediasres" die Zahlen aus den Berichten der VG Media angesehen. Daraus ergebe sich,
"dass die Verwaltungskosten für dieses Leistungsschutzrecht insgesamt zwischen 2014 und 2018 so um die 11,6 Millionen Euro betragen (…) und die Einnahmen, die durch dieses Leistungsschutzrecht erzielt wurden belaufen sich insgesamt auf 820.000 Euro, knapp."
Bei Golem erläutert Friedhelm Greis:
"Den deutschen Verlagen, die das Leistungsschutzrecht mit Hilfe der VG Media und zahlreichen Gerichtsverfahren durchzusetzen versuchen, droht der komplette Verlust ihrer Prozess- und Anwaltskosten. Diese dürften sich bereits auf rund zehn Millionen Euro summieren. Im Jahresbericht 2017 der VG Media hieß es daher: 'Im denkbar schlechtesten Fall wären die Aufwendungen der Vergangenheit fruchtlos. (...) Die VG Media hat gegenüber Aufsichtsrat und Rechteinhabern auf die Notwendigkeit von Vorkehrungen für den Fall des Eintritts eines solchen Szenarios hingewiesen.'"
Ob sich die Verlage an die Bundesregierung wenden und sie für die Verluste haftbar machen, ist eine weitere spannende Frage. Aussicht auf Erfolg hätte das wohl, denn auf "die Gefahr einer späteren Blamage" wurde das Justizministerium in einem Schreiben aus dem Büro des Kulturstaatsbeauftragten (ebenfalls unter dem Golem-Link oben als PDF zu finden) hingewiesen.
Eine Schwester des hiesigen Leistungsschutzrechts weilt allerdings noch unter den Lebenden: In dem unter heftigen Diskussionen verabschiedeten EU-Urheberrecht (viel, viel Lesestoff gibt’s dazu im Altpapier-Archiv) ist ja ebenfalls ein Leistungsschutzrecht enthalten. Damit steht auch die Frage, ob Google News als Konsequenz nicht vielleicht komplett abgeschafft wird, weiterhin im Raum, pardon, im Netz.
Nichts Neues aus dem Fernsehrat
Anderes steht nicht mehr im Netz: Die PK nach der Sitzung des ZDF-Fernsehrats. Bei der dritten des Jahres soll heute laut Tagesordnung u.a. der Jahresabschluss für 2018 genehmigt, über das "ZDF in der digitalen Welt" diskutiert, Stand und Entwicklung des sogenannten Telemedienangebots (also der Onlineaktivitäten) sinniert und Programmbeschwerden besprochen werden. Was dabei rumkommt, wird allerdings nicht mehr bei einer Pressekonferenz mitgeteilt und auch die Einladung, die normalerweise vom ZDF an interessierte Redaktionen und Journalist*innen geschickt wurde, blieb diesmal aus.
Ähm, quo vadis Transparenz? Die Frage kann man da bei einer Anstalt des öffentlichen Rechts schon mal stellen. Der Fernsehrat, der sich ja immer gern als Anwalt des Zuschauers oder halt der Zuschauerin bezeichnet, will nun also noch weniger für seine Mandant*innen nachvollziehbar sein?
Im März hatte es nach der Sitzung noch eine Stellungnahme von Intendant Thomas Bellut und der Fernsehratsvorsitzenden Marlehn Thieme gegeben und auch für 2018 findet sich für jeden der vier Sitzungstermine eine Aufzeichnung der anschließenden PK im ZDF-Archiv. Warum gibt’s das also jetzt nicht mehr?
Es scheint nicht daran zu liegen, dass ein Praktikant in der Öffentlichkeitsarbeit vergessen hat, die Einladung rauszuschicken oder an den Rednerpulten die Farbe abblättert. Der Medienjournalist Daniel Bouhs hat beim ZDF nachgefragt (Link zu Twitter) und folgende Antwort bekommen:
"In den letzten Jahren hat die journalistische Nachfrage nach dem Angebot 'Fernsehrats-Pressekonferenz' leider immer mehr abgenommen. (…) Der Aufwand stand damit in keinem Verhältnis mehr zur Nachfrage und Nutzung."
Böse formuliert: Die Quoten haben halt nicht mehr gestimmt, deshalb wird das Format gestrichen. Whaaaat? Dass für Transparenz-Maßnahmen ähnliche Regeln zu gelten scheinen, wie für das TV-Programm, macht stutzig und ist vor allem in Zeiten, in denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk sowieso unter Legitimationsdruck steht und sich in der Erfüllung seines gesetzlich festgelegten Auftrags beweisen muss ein Ding ohne Worte.
Zwar bleiben die Sitzungen grundsätzlich öffentlich (anders als bisher beim MDR, bei dem der Rundfunkrat erst am 23. September zum ersten Mal öffentlich tagt und bei dem unser Altpapier ja hier erscheint). Aber die kleine Gruppe an Fachjournalist*innen, die sich überhaupt für die Vorgänge im Fernsehrat interessiert, hat in Zeiten von Arbeitsverdichtung und Aktualitätsdruck womöglich nicht immer Zeit, jedes Mal zum Lerchenberg zu juckeln.
Es stellen sich also drei Fragen: 1. Was soll das? 2. Was soll das? Und 3. Müssen wir uns jetzt vollends auf den Twitter-Feed von Leonhard Dobusch verlassen? Hochachtung für die Arbeit des Kollegen, der sich mit der Reihe "Neues aus dem Fernsehrat" für mehr Transparenz bei dem Gremium einsetzt. Aber darauf kann sich das ZDF nicht ausruhen.
Neben der nun beerdigten PK gibt’s, wie schon erwähnt, auch noch das Problem, dass die Sitzungen in der analogen Welt zwar öffentlich sind, in der digitalen allerdings nicht:
"Es gibt keinen Livestream, was ironisch ist, wenn man bedenkt, dass man am Lerchenberg ist, wo es wirklich quasi an allem mangelt, nur nicht an Fernsehkameras",
sagte Dobusch vor einigen Wochen bei Deutschlandfunk Nova "Eine Stunde was mit Medien". Woran hakt’s also?
"An der Furcht vor Öffentlichkeit. Zwar nennt sich der Fernsehrat 'Anwalt des Zuschauers', direkten Kontakt zu seinen, naja, Mandantinnen und Mandanten scheute er aber stets",
kritisiert Boris Rosenkranz bei Übermedien und gibt dort einen guten Überblick über die zähen Babyschrittchen, die der Fernsehrat in den vergangenen Jahren hin zu mehr Transparenz gehen musste. Auch das ZDF-Quoten-Argument, die Fernsehratssitzung interessiere eh keinen, lässt er nicht gelten:
"Mag sein. Sitzungen des Fernsehrats sind ja auch nicht vergnügungssteuerpflichtig. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass der 'Anwalt des Zuschauers' seine Arbeit transparenter gestaltet, damit die Beitragszahler*innen bewerten können, was er so macht – und wenn es nur wenige sind, weil sich nur wenige wirklich dafür interessieren. Egal. Es sollte mindestens mal ermöglicht werden."
(Wer zum Thema Fernsehrat noch etwas mehr Hintergrund braucht: Übermedien hatte nach der neuen Zusammensetzung des Gremiums 2016 zusammengeschrieben, wie es grundsätzlich zusammengesetzt ist und funktioniert und was nochmal diese Freundeskreise darin sind.)
Altpapierkorb (Selfie in der "Tagesschau", Feuerlöscher bei ARD und ZDF, Yücel, Mockridge)
+++ Jan Hofer hat ein Selfie in der "Tagesschau" gemacht und alle drehen durch (FAZ: "Das hat es in über sechzig Jahren 'Tagesschau' nicht gegeben."; NOZ via dpa: "Millionen Zuschauer trauten am Donnerstagabend ihren Augen nicht."). Ist das die neue Digitalstrategie der ARD? Die Redaktion ist jedenfalls stolz wie Bolle auf ihren Insta-Account.
+++ ProSieben plant laut dem österreichischen Standard einen Nachrichtensender für Deutschland. Österreich sei mit dem Launch von Plus 24 eine Art "Testmarkt", sagt ProSiebenSat.1-Chef Max Conze. Dass der Konzern N24 abgestoßen hat ist mittlerweile schon wieder neun Jahre her.
+++ Kein Schadensersatz für Deniz Yücel. Ein Gericht in Istanbul habe die Klage des Journalisten wegen seiner einjährigen Haft erneut abgewiesen, berichtet FAZ.net bzw. die dpa. Yücels Anwalt will weiterziehen, vor’s Verfassungsgericht.
+++ Auf Malta führt die Journalistin Caroline Muscat die Arbeit der ermordeten Daphne Caruana Galizia weiter. Von den Reportern ohne Grenzen wurde sie für ihr neu gegründetes Onlineportal nun mit dem Press Freedom Award in der Kategorie Unabhängigkeit ausgezeichnet. In der Süddeutschen wird sie von Verena Mayer porträtiert.
+++ Die anderen Gewinner*innen des Pressefreiheits-Awards sind hier zu finden und arbeiten in Saudi-Arabien und Vietnam.
+++ Wie junge Führungskräfte um digitale Innovationen bei ARD und ZDF ringen beschreibt Ulrike Simon bei Horizont. Juliane Leopold sagt in dem lesenswerten Artikel etwa: "'Manchmal habe ich das Gefühl, das ganze Haus brennt lichterloh und immer noch sitzen alle am Küchentisch und überlegen, wer den Feuerlöscher bezahlt.' Sie ist mit solchen Äußerungen vielen sicherlich zu direkt, zu undiplomatisch, zu unfreundlich, zu ungeduldig, das weiß sie wohl:'‚Ich will das Haus aber retten. Es ist mir wichtig. Und deswegen lasse ich manchmal Zeit für Diplomatie vermissen.'"
+++ Luke Mockridge hat bei seinem irritierenden Auftritt im Fernsehgarten Witze von Kindern erzählt, berichtet unter anderem der Kölner Stadtanzeiger via dpa. Das Hamburger Abendblatt hat ein Interview mit dem Comedian veröffentlicht (auch dpa).
+++ Die EU mahnt bessere Bedingungen für Pressefreiheit in den Balkanstaaten an (Standard).
Neues Altpapier gibt’s wieder am Montag.
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