Das Altpapier am 12. September 2019 Sendeplatz mit Signalwirkung

12. September 2019, 12:24 Uhr

Das Auslandsjournal "Weltspiegel" könnte seinen prominenten Sendeplatz bald an die "Sportschau" verlieren – gegen die Pläne der ARD regt sich Protest. Dabei geht es nicht nur um eine Sendezeitverschiebung von 50 Minuten, sondern um den Auftrag und die Werte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Außerdem: Kritik an der Verdachtsberichterstattung der Bild-Zeitung im Fall Metzelder – und eine Verteidigung. Ein Altpapier von Kathrin Hollmer.

Statt des "Weltspiegels" könnte sonntagabends vor der "Tagesschau" in Zukunft die "Sportschau" laufen. Ab April, nach dem Ende der "Lindenstraße", würde das Auslandsjournal um 18.30 Uhr statt um 19.20 Uhr laufen, so die Überlegungen bei der ARD. Die einzige Auslandssendung im Ersten und damit Politik- und Kulturberichte aus der ganzen Welt würden ihren zurecht prominenten Sendeplatz an die Sportsendung verlieren. Dem BR-Intendanten Ulrich Wilhelm zufolge ist noch nichts entschieden, trotzdem gibt es Widerstand gegen die Pläne. Zwei Protestschreiben der "Weltspiegel"-Redaktionen, unterstützt von mehr als hundert Auslandskorrespondenten der ARD und Journalisten der öffentlich-rechtlichen Sender, wurden an die Intendanten der ARD-Anstalten und an ARD-Programmdirektor Volker Herres und ARD-Chefredakteur Rainald Becker übergeben.

DWDL hat die Protestschreiben im Wortlaut veröffentlicht. Darin heißt es:

"Wir, die Weltspiegel-Redaktionen, sind gegen diese Marginalisierung unserer Sendung. (...) In der aufgewühlten aktuellen Diskussion um die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den Kern seines Auftrags und seine Gebührenakzeptanz ist dies aus unserer Sicht eine schwere Hypothek und damit eine falsche Entscheidung."

In den Schreiben sind auch Argumente gegen den Tausch der Sendeplätze gesammelt:

"- Der Sendeplatz von 19.20 Uhr bis zur Tagesschau ist bei unseren Zuschauern bekannt und eingeführt
- Ein früherer Sendeplatz würde weniger Zuschauer erreichen, weil ein Informations-interessiertes Publikum erst später am Vorabend einschaltet. 
- In Zeiten, in denen wir uns und unseren Auftrag rechtfertigen müssen, wäre es ein schlimmes Signal, wenn eine Verschiebung dazu führen würde, dass die wichtigste Auslandssendung der ARD ihren attraktiven Sendeplatz verliert. Der inhaltlichen Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wäre solch eine Entscheidung sehr abträglich.
- Sportrechte, die den Weltspiegel verdrängen sollen, sind zweifelsfrei sehr attraktiv, können aber immer nur für eine begrenzte Zeit erworben werden und sind derzeit noch nicht erworben!"

Bei der Neusortierung des Sonntagabend-Programms waren sich die Fernsehdirektoren auch noch recht einig wie Hans-Jürgen Jakobs im Handelsblatt schreibt:

"Bei den Fernsehdirektoren war Herres jüngst mit seiner Mechanik durchgedrungen. Widerspruch soll vor allem von WDR-Mann Jörg Schönenborn gekommen sein, ein letzter Kämpfer für alte Standards und Werte in diesem Kreis. Abstimmung: acht zu eins."

Die Pläne der ARD bedeuten nicht nur, dass man eine Sendung um 50 Minuten verschiebt und damit potenziell Zuschauer und Aufmerksamkeit verliert. Es geht um den Auftrag und die Werte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Jakobs schreibt dazu:

 "Mit voller Wucht bricht damit in der ARD der Streit darüber aus, was zum Markenkern gehört und was dem Kampf um Quote gegen die Konkurrenz geopfert werden kann. Der Qualitätsjournalismus wehrt sich gegen seine Degradierung, auch das ist eine Botschaft dieses Streits."

Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist es, "der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen" – anders als im privaten Rundfunk unabhängig von Quoten und Werbeeinnahmen. Da ist in der Vergangenheit schon viel aufgebrochen, nicht zu Gunsten von Bildung und Information. Hans Hoff schreibt dazu auf der SZ-Medienseite:

"Der Sendeplatz kurz vor der Tagesschau um 20 Uhr ist ein Premiumplatz im deutschen Fernsehprogramm. Während der Woche belegt das Erste diese Zeit mit vielerlei Schnipselshows, die lukrative Werbespots anlocken sollen. Nur am Sonntag, an dem keine Werbung im Ersten erlaubt ist, läuft eine Sendung im besseren Sinne: das Auslandsjournal Weltspiegel."

Zwar kann man sich heute rund um die Uhr über alles online informieren, aber diese Informationen einzuordnen wird zunehmend zur Herausforderung. Darum sind ausgeruhte Magazine wie der "Weltspiegel" umso wichtiger. Hoff zitiert dazu den früheren WDR-Intendanten Fritz Pleitgen:

"In einer Welt, in der mit Lügen, gefälschten oder frisierten Informationen Politik gemacht wird, brauchen die Bürgerinnen und Bürger mehr denn je eine kompetente, verlässliche Auslandsberichterstattung."

Protest gegen die Programmänderung gibt es auch auf Twitter, von Zuschauern, Journalisten und Politikern. Kommende Woche bei der Hauptversammlung ARD-Intendantinnen und -Intendanten Thema werden die Pläne sein.

Dass das Programm der Öffentlich-Rechtlichen günstiger und gefälliger werden soll – wie bei den angekündigten Einsparungen beim RBB-Kulturradio (siehe Altpapier) oder dem geplanten Umbau des Kultursenders hr2 zur Klassikwelle (Altpapiere) – ist eine gefährliche Tendenz. Im Handelsblatt wird zum Thema "Weltspiegel" ein "früherer Hierarch" zitiert – was auch zu den Plänen beim RBB und beim HR passt: "Hoffentlich kommen die noch einmal zur Vernunft."

Kritik an der Kritik

Die Berichterstattung der Bild-Zeitung über die Ermittlungen wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornographischer Inhalte gegen den ehemaligen Fußball-Nationalspieler Christoph Metzelder (siehe Altpapier hier und hier) wird von Anfang an kontrovers diskutiert, auch weil es die Bild ist, die als erstes berichtet hat.

Auf der Medienseite der FAZ fasst Sebastian Eder die Reaktionen zusammen:

"Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki nannte die Berichterstattung 'unverschämt', dem 'bildblog' zog es 'die Schuhe aus', und die Plattform 'Vice' schrieb: 'Der Fall Metzelder zeigt, wie sehr die 'Bild' auf den Rechtsstaat scheißt.' Dabei berichtet auch 'Vice' gerne auf Grundlage der Regeln, die bei uns für Verdachtsberichterstattung gelten."

Der Artikel von Eder trägt die Überschrift "Warum die Kritiker der 'Bild'-Zeitung falsch liegen". Denn vorher, so Eder, habe die Zeitung der Staatsanwaltschaft das belastende Material, das sie von einer Zeugin zugespielt bekommen haben, der Polizei übergeben und abgewartet "für wie stichhaltig Ermittler diese hielten." Das ist freilich kein Vorgehen, das besonderes Lob verdient, sondern das einzig legitime und angemessene.

Jetzt kann man natürlich darüber streiten, wie man die Berichterstattung inhaltlich findet. Darüber, ob bei einem Verdacht bereits berichtet werden soll, auch, aber nicht nur, wenn es um einen ehemaligen Fußballnationalspieler geht.

Eder bringt als Beispiel eine Spiegel-Titelgeschichte vom Februar über die Vorwürfe gegen den Berliner Clanchef Arafat Abou-Chaker, der – damals mutmaßlich – die Kinder seines früheren Geschäftspartners Bushido entführen (lassen) wollte. Abou-Chaker wurde damals verhaftet, wegen – bis heute – fehlender Beweise wurde er wieder freigelassen.

Eder schreibt:

"Wer die Regeln für Verdachtsberichterstattung ändern will, dem sollte klar sein: Wenn, dann muss man sie für alle ändern. Auch für Arafat Abou-Chaker. Als der auf dem 'Spiegel'-Titel gezeigt wurde, war von Kubicki nichts zu hören."

Zum Thema Verdachtsberichterstattung im Fall Metzelder gibt es bei Zapp ein Interview mit dem Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und eins mit Christian Schertz, Anwalt für Persönlichkeitsrechte. Auch Moritz Tschermak vom BILDblog kommt dabei zu Wort.


Altpapierkorb (Max Zirngast, Juan Moreno, MDR, Esra Karakayas "Blackrock Talk", Netzpolitik.org):

+++ Am Mittwoch ist der österreichische Journalist und Aktivist Max Zirngast, der in der Türkei wegen Terrorismusunterstützung angeklagt war, überraschend freigesprochen worden. Zirngast wolle in der Türkei weiter "politisch-publizistisch" arbeiten, schreibt Ralf Leonhard in der Taz.

+++ In der Zeit gibt es ein großes Interview mit Juan Moreno (), der vergangenes Jahr die Fälschungen von Claas Relotius (siehe Altpapiere) aufdeckte. Stephan Lebert und Yassin Musharbash haben mit ihm über den Hype um den "jungen Starreporter" ("Ein Chefredakteur hat gesagt: Claas Relotius ist die Zukunft des Spiegels.") und die personellen Konsequenzen beim Spiegel gesprochen.

+++ Apropos Veränderungen bei den Öffentlich-Rechtlichen. Auf der FAZ-Medienseite schreibt Helmut Hartung über die einseitige Berichterstattung über Ostdeutschland und die Bedeutung des MDR und seiner Intendantin Karola Wille: "Unter Willes Leitung wurde umgeschichtet. Das Unterhaltungsangebot wurde um die Hälfte reduziert und gleichzeitig das Informationsangebot aus den drei Ländern erweitert. Der Anteil an Information im MDR-Fernsehen beträgt heute mehr als sechzig Prozent."

+++ Kaum Menschen mit formal niedriger Bildung und wenig junge Menschen erreichen die öffentlich-rechtlichen Online-Angebote, hat eine Studie des Reuters Institut für Journalismusforschung an der Universität Oxford ergeben. Woran das liegen könnte, versucht der künftige "ARD-Aktuell"-Chef Marcus Bornheim im Deutschlandfunk zu erklären.

+++ Nach der Kritik von Ungarns Botschafter Péter Györkös an dem ZDF-Dokudrama "Stunden der Entscheidung - Angela Merkel und die Flüchtlinge" verteidigt ZDF-Intendant Bellut, den Film, schreibt Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite.

+++ Vice‘ i-D hat mit Esra Karakaya von der Online-Talkshow "Blackrock Talk" (siehe Altpapier hier und hier) gesprochen und die Journalistin unter anderem gefragt, warum sie ausgerechnet eine Talkshow mache, keinen Podcast oder sonst ein hippes Format. Ihre Antwort: "Ich will, dass Menschen gesehen werden. Es ist ein Unterschied, ob ich eine Show habe, in der mich Menschen mit meiner Kopfbedeckung und vielen anderen Menschen einfach sehen oder ob ich einen Podcast mache und erstmal erkläre: 'Hey, ich bin Esra und trage aus religiösen Gründen eine Kopfbedeckung.'"

+++ Ralf Kabelka, Neo-Magazin-Royale-Sprecher und -Autor sowie Sidekick von Jan Böhmermann, verlässt die Sendung, wohl für die heute-Show, berichtet Spiegel Online.

+++ Dort gibt es auch ein Interview mit Netzpolitik.org-Gründer Markus Beckedahl zum 15. Geburtstag des Blogs. "Ursprünglich wollte ich gar kein journalistisches Medium gründen, ich bin da mit der Zeit reingerutscht", sagt Beckedahl, und weiter:

"Wir sind als Blogger gestartet und mit der Zeit journalistischer geworden. Während viele Journalisten jetzt anfangen, sich die technische Expertise zu holen, kommen wir umgekehrt von der technischen Seite und haben uns den Journalismus angeeignet."

+++ Im Dezember erscheint Joko Winterscheidts "Personality-Magazin" "JWD" (Joko Winterscheidts Druckerzeugnis) zum letzten Mal. "Auf dem Titel der ersten Ausgabe hatte das Magazin noch provokant gefragt: 'Würden Sie diesem Mann ein Magazin abkaufen?' Wahrscheinlich war im Laufe der Zeit dann doch zu häufig ein 'Nein' die Antwort", schreibt Kathrin Müller-Lancé auf der SZ-Medienseite. Allein im "JWD"-Verlag erscheinen "Barbara" (Schöneberger), "Guido" (Maria Kretschmer), "Boa" (teng) und "Eckart von Hirschhausen".

+++ Das Philosophie-Magazin dagegen kommt heute runderneuert an den Kiosk, schreibt Markus Ehrenberg im Tagesspiegel. Es schwanke "zwischen 'Fokus'-Häppchen-Journalismus (Zitat-Blasen, großformatige Bilder, dem Online-Format 'Sokratischer Impuls', indem die Redaktion Denkanstöße zu aktuellen Themen aufs Smartphone liefert) und tiefenentspannter Lektüre, die es woanders am Kiosk nicht allzu häufig gibt (...)."

Neues Altpapier gibt’s am Freitag.

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