Das Altpapier am 23. August 2019 Plausible Absurditäten

FPÖ-Mann Strache agiert wie ein wandelndes Oxymoron – und kommt damit teilweise sogar in Redaktionen durch. Das Interesse am Fall linksunten.indymedia ist nach zwei Jahren sehr überschaubar. Dabei geht es auch um Grundlagen der Pressefreiheit. Youtube-Frösche frotzeln über Medienhysterien. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Da kann man noch so strampeln. Wenn jemand zwar immer wieder behauptet, legal zu handeln, dann aber mit dem Gedanken spielt, Unternehmen willkürlich Staatsaufträge zu entziehen, über Umwege Parteispenden einzusammeln und die Presse lenken zu wollen, dann liegt die Plausibilität etwa auf dem Level einer Telenovela. Ähnlich scheint aktuell die Taktik von Österreichs ehemaligem Vize-Kanzler und Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auszusehen.

Rund um die gestrige Veröffentlichung des Buches "Die Ibiza-Affäre – Innenansichten eines Skandals", in dem die beiden SZ-Investigativreporter und Namensvetter Frederik Obermaier und Bastian Obermayer einige Hintergründe des vieldiskutierten Ibiza-Videos (siehe Altpapier) darlegen, werden die Ereignisse aus dem vergangenen Mai und dem Juli 2017 aktuell wieder weiter oben auf die Nachrichtenagenda gespült. Altpapier-Kollege Klaus Raab hat Straches Ansinnen in dem Video hier zusammengefasst. Kurz zur Erinnerung: Strache musste nach der Veröffentlichung zurücktreten und auch die türkis-blaue Regierung unter Sebastian Kurz zerbrach.

Strache selbst scheint die Veröffentlichung der Hintergründe zur Recherche – aus dem Video wurden ja nur sieben Minuten online gestellt – nun auf Biegen und Brechen in einer Art Rehabilitierung umdeuten zu wollen (siehe z.B. Standard und FAZ €). Obermaier findet im Gespräch mit dem ARD-Hörfunk-Korrespondenten in Wien, Srdjan Govedarica, für den Versuch einen passenden Vergleich:

"Wenn man einen Banküberfall plant und die ganze Zeit aber betont, dass muss rechtskonform und legal ablaufen, da merkt jeder – das funktioniert so nicht."

Gefühle vs. Fakten

Ebenso wie so ein legaler Banküberfall ist Straches Spin eine ziemlich scharfsinnige Dummheit, oder um mit einem dritten Oxymoron zu werfen, eine plausible Abstrusität. Plausibel und scharfsinnig, weil er mit Gefühlen gegen Fakten vorgeht. Dummheit und Abstrusität, weil er mit Gefühlen gegen Fakten vorgeht. Aber dazu später mehr.

Jedenfalls versucht der FPÖ-Politiker mit allen Mitteln, seine politische Karriere aus der gröbsten Jauche zu ziehen und sich mit simplem Weglassen von Fakten und dem erneuten Betonen der Opferrolle reinwaschen zu wollen. Das scheint teilweise sogar zu funktionieren. Der österreichische Kurier nahm Straches Spin teilweise auf und schrieb gestern über die Nacht auf Ibiza:

"Auf Illegales lässt sich der Ex-FPÖ-Chef nicht ein, auch nicht auf Gegenleistungen für etwaige Parteispenden."

Womit wir wieder mal ein Lehrbeispiel hätten, warum Politiker:innen-Statements nicht zu unkritisch übernommen werden sollten. Umgesetzt wurde von den Plänen aus der Nacht im Juli 2017 zwar nichts. Aber Strache lässt die belastenden Teile des Buches einfach weg. Bei Twitter erinnert Obermayer:

"Er bot an der Strabag Staatsaufträge wegzunehmen & der Russin zu geben. Ist das... legal? Normal?",

Strache hatte schon bei der Veröffentlichung des Videos im Mai versucht, seine Aussagen als "b’soffene G’schicht" abzutun und zu relativieren. Bei Deutschlandfunks "@mediasres" ordnet Obermayer ein:

"Im Endeffekt hat er damit suggeriert, das war doch alles gar nicht ernst gemeint. Das nehme ich natürlich zur Kenntnis, das haben wir auch so wiedergegeben, aber ich traue dieser Version nicht wirklich, weil wir auch wissen, dass es nach dem Treffen auf Ibiza noch mindestens zwei Nachtreffen gab, wo Herr Gudenus dann den männlichen Begleiter dieser vermeintlichen Oligarchennichte noch mal getroffen hat, wo dann die Gespräche von Ibiza wieder fortgeführt wurden."

Sein Kollege Obermaier sieht in Straches Verhalten (der Abkehr von unliebsamen Fakten und der Hinwendung zu Gefühlen wie Wut gegen angebliche Ungerechtigkeit durch die Berichterstattung über das Video und Mitleid mit ihm als vermeintlichem "Opfer") Parallelen zu Trump:

"Die FPÖ und Herr Strache sind für ihre Hardliner-Anhängerschaft ein Gefühl. Dann werden diese Fakten, was zum Beispiel auf Ibiza passiert ist, ausgeblendet. Etwas Ähnliches sehen wir auch in den Vereinigten Staaten, wo wir einen Präsidenten haben, der fast täglich lügt und trotzdem große Chancen hat, wiedergewählt zu werden. Ich glaube, das muss man zur Kenntnis nehmen, darf sich davon aber nicht verunsichern lassen. Für uns als Journalisten heißt das, dass wir weiterhin objektiv und tiefgründig recherchieren und die Bevölkerung informieren werden. Was dann die Wählerinnen und Wähler für politische Schlüsse daraus ziehen, das liegt nicht mehr in unserer Hand." (nochmal ARD Wien)

Wer noch tiefer einsteigen möchte: Lesenswert ist zu dem Thema auch die Chronologie der Ibiza-Enthüllungen, die Obermaier und Obermayer für den Standard zusammengestellt haben. Darin zeigen sich die Journalisten nicht nur als die routinierten Investigativ-Reporter, sondern sprechen auch über durch Nervenflattern bedingten Anstiege von Süßigkeiten-Konsum, die diverse Male überprüften Zweifel und die Alarmbereitschaft angesichts verschiedener Cyberangriffe auf die SZ.

Linksunten.indymedia

Anders als bei dem Ibiza-Video ist die mediale Aufmerksamkeit für unser nächstes Thema aktuell eher in Nischen vorhanden. Vor fast genau zwei Jahren wurde das Forum linksunten.indymedia verboten (siehe Altpapier). Wie schon kurz im Altpapierkorb angeschnitten wurden nun elf Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Verbot des Forums eingestellt. Bei Übermedien blickt Andrej Reisin auf die Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre. Er wundert sich über das recht überschaubare Interesse an den neusten Entwicklungen des Falls:

"Mittlerweile hat das Interesse am Verbot merklich nachgelassen, obwohl die Begründung angesichts der Einstellung des §129-Verfahrens auf immer dünnerem Eis steht. Über diese Einstellung haben bislang fast nur linke Medien wie die 'taz' und das 'Neue Deutschland' berichtet."

Auch die Kontext Wochenzeitung berichtete. Was es mit der etwas floskeligen Formulierung des dünnen Eises auf sich hat, erklärt die Anwältin Kristin Pietrzyk im taz-Interview. Sie klagt beim Bundesverwaltungsgericht gegen das Verbot:

"Es ist unstrittig, dass einige der Beiträge sich für deren Verfasser:innen im strafrechtlich relevanten Bereich bewegt haben. Aber die Frage ist: Wie groß war dieser Anteil an der Gesamtheit aller Beiträge? Das hat das Innenministerium gar nicht ausgewertet. Es hat einfach 90 Beiträge ausgedruckt, die es für problematisch hält. Um problematische Beiträge zu sperren gibt es aber ein von der EU vorgeschriebenes Vorgehen nach dem Telemediengesetz."

Nun wurde linksunten allerdings als Verein verboten und nicht als Online-Zeitung eingestuft. Bei diesem Vorgehen ist das Telemediengesetz erstmal außen vor. Laut Reisin ist das problematisch:

"Wenn der Staat Publikationen verbieten kann, ohne die eigentlich gebotene verfassungsrechtliche Abwägung überhaupt vorzunehmen, dann ist der Schritt zu einer staatlichen Zensur durch die Hintertür nicht mehr weit. Wenn jede Webseite über ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Betreiber zum 'Verein' erklärt und verboten werden kann, dann nützt die Pressefreiheit im Zweifelsfall nicht mehr viel."

Linksunten ist nicht der einzige Fall, in dem nichtredaktionelle Beiträge im Zusammenhang mit der Pressefreiheit betrachtet werden. Auch bei der Verhaftung von Julian Assange nach sieben Jahren Asyl in der ecuadorianischen Botschaft drehte sich die Diskussion darum, ob mit einer Bestrafung des Wikileaks-Gründers nicht ein gefährlicher Präzedenzfall für Journalist:innen geschaffen würde. Assange wurde von Redaktionen für seine ungefilterten Veröffentlichungen kritisiert, bei denen auch Details über kaum Beteiligte an die Öffentlichkeit gelangten, bei denen der Datenschutz das öffentliche Interesse überwog. Bei linksunten bewegten sich vor allem Anleitungen zum Bau von Brandsätzen oder Bekenner:innenschreiben nach Straftaten im strafrechtlich relevanten Bereich.

Nun ist Wikileaks natürlich grundsätzlich nicht mit linksunten auf eine Stufe zu stellen. Die Gefahr eines Präzedenzfalls sieht Pietrzyk dennoch:

"Wenn das Bundesverwaltungsgericht das Verbot für rechtmäßig befindet, kann es auch andere treffen. Den Betreibern von Open-Posting-Plattformen wird sich die Frage stellen: Wie stark müssen wir moderieren, um nicht verboten zu werden? Was darf dann noch ein Blog, was darf eine nicht renommierte Onlinezeitung, was darf ein Forum? Das öffnet Tür und Tor für Zensur. Wenn man Pressefreiheit als Säule unserer Demokratie versteht – da wird ganz schön dran gesägt."

Und Reisin appelliert:

"Und Medien, die ihre Angebote auch in Zukunft von Art. 5 GG geschützt wissen wollen, sollten sich dafür interessieren."


Altpapierkorb (Frotzelnde Space Frogs, Spiegel zur SPD-Telefonkonferenz, hr2 Kultur, Trumps Eskalationen)

+++ Rezo-Update 3.0: Die Space Frogs spießen die hyperventilierende Medienbranche auf. Nach Rezos comedyhafter Medienkritik (Link zum Altpapier) bzw. Bildzeitungs-Kritik auf ihrem Kanal haben die Youtuber ein neues Video veröffentlicht. "Das was da passiert ist, ist ein bisschen maximal peinlich", finden sie mit Blick auf die Reaktionen der "Altmedien" und des DJV.

+++ Bei Twitter entschuldigt sich der SZ-Journalist Nico Fried bei den Kolleg:innen vom Spiegel. Er habe die Berichterstattung über die Telefonkonferenz, bei der Olaf Scholz als Kandidat für die SPD-Spitze festgelegt worden sein soll (siehe Altpapier gestern), "nicht in die Nähe der Praktiken von Claas Relotius" rücken wollen. "Ich habe aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass eine Formulierung in dem Text teilweise so verstanden wurde. Das bedauere ich."

+++ Zu dem geplanten Umbau von hr2 zur Klassikwelle hat die FAZ wieder einiges im Angebot. Jochen Hieber blickt auf verschiedene Szenarien und Denkfehler in der Argumentation der Rundfunkanstalt: "Die Produktion von Wortbeiträgen ist teuer, aber sie wird nicht preiswerter, wenn man nur fürs Internet produziert. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Der Doppelnutzen für das lineare Radio und die digitalen Plattformen erhöht die Kosten minimal, vervielfacht aber die Reichweite. So leistete hr2-Kultur seinen Beitrag zur vielbeschworenen Trimedialität des Rundfunks, zur Synthese aus Fernsehen, Radio und Internet. Was Krupp und Sommer ins Werk setzen, ist ein Rückschritt: Sie geben der Bimedialität aus Fernsehen und Internet den Vorrang, indem sie das lineare Kulturradio zur durchhörbaren Abspielstation degradieren." Lesenswert ist auch das konfrontativ geführte Interview von FAZ-Medienmann Michael Hanfeld mit hr-Hörfunkchef Heinz-Dieter Sommer (Blendle).

+++ Über Trumps Strategien der Eskalation denkt Sascha Lobo in seiner SpOn-Kolumne nach: "Zweieinhalb Jahre ist der US-Präsident im Amt, und noch immer haben weder redaktionelle Medien noch die sozialmediale Öffentlichkeit ein Mittel gefunden gegen Trumps Strategie der ständigen Eskalation. Wir fallen alle zusammen immer und immer wieder herein, die Politik, die Medien und Sie, das Publikum. Und ich auch." Er problematisiert, dass auch er selbst sich durch die Abstrusitäten des Präsidenten teilweise auch unterhalten fühlt.

+++ Der Standard und der Tagesspiegel berichten auf Basis von Agenturmaterial über Trumps neuen Medienliebling, den Nachrichtensender OAAN. FOX scheint nicht mehr sehr hoch in der Gunst des US-Präsidenten zu stehen.

+++ Britische Medien verstehen Merkel falsch, berichtet Cathrin Kahlweit bei der Süddeutschen: "‘Deutschland gibt Johnson 30 Tage, um No Deal zu verhindern‘, titelte die Times. Merkel legt eine 'Deadline fest', so der Guardian. Merkel stelle einen 'neuen Deal' in Aussicht, befand der Telegraph. Das allerdings ist barer Unsinn und zeigt die Sprachverwirrung, die in vielen politischen Fragen zwischen London und dem Kontinent herrscht." Sie dröselt auch auf, was die CDU-Politikerin eigentlich gesagt hat.

+++ Im Amazonas-Gebiet brennt es. Der ARD-Faktenfinder entlarvt falsche Fakten und alte Bilder, die teilweise auch von Umweltorganisationen eingesetzt wurden.

+++ Correctiv will eine Umweltredaktion aufbauen und sich "mit den wichtigsten Fragen des Klimawandels beschäftigen, mit seinen Folgen und unseren Möglichkeiten zu handeln. Journalismus muss konstruktiv sein."

Neues Altpapier gibt’s wieder am Montag.

Anm. der Red.: Die Kommentarfunktion steht derzeit aufgrund eines technisches Umbaus leider nicht zur Verfügung.