Das Altpapier am 19. August 2019 Polternde Nachtigall
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25 Jahre nach Stefan Raab hat nun auch Luke Mockridge dessen Idee. Talkshows stehen vor dem Ende der Sommerpause mal wieder in der Kritik. Und warum Hans-Georg Maaßen lieber makro- als mikrobloggen sollte. Ein Altpapier von Klaus Raab.
Wenn der Ausstoß von Texten das entscheidende Kriterium für Relevanz ist, dann gab es am Wochenende, medienjournalistisch gesehen, wohl nichts Wichtigeres als einen Auftritt von Luke Mockridge im ZDF-“Fernsehgarten“ (ab 1:09:00 in der Mediathek oder bei Youtube).
Mockridge ist ein vergleichsweise junger Comedian mit eigener Sat.1-Show. Der “Fernsehgarten“ ist eine Unterhaltungsshow, die in vielerlei Hinsicht älter ist als er. Mockridge hat bei einem Live-Auftritt am Sonntag das Publikum beleidigt, Witze erzählt, die vor Monaten schon in Kinderzeitschriften standen, und Tierlaute und Furzgeräusche gemacht. Ungefähr so mag sich jemand, der weder zu Mockridges noch zur “Fernsehgarten“-Kernzielgruppe gehört, einen Auftritt des Comedians dort vorstellen. Dass der Sache im Anschluss in aller Breite hinterhergeklappert wurde – etwa von den Internetauftritten von DWDL, turi2, Tagesspiegel, t-online oder Welt (kleine Auswahl) –, deutet aber darauf hin, dass hier etwas nicht normgerecht ablief. Nach wenigen Minuten unterbrach Moderatorin Andrea Kiewel jedenfalls Mockridge, woraufhin das Schauspiel abrupt endete.
Es schießen nun Spekulationen ins Kraut. Hatten Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf ihre Finger im Spiel? Steckt eine Wette dahinter? Bild will etwa herausgefunden haben, dass der Auftritt, hoppla!, geplant war (“Hat Luke Mockridge von der Hand abgelesen?“). Und die WAZ hört eine Nachtigall eher poltern als trapsen: “Erst vor rund zwei Monaten hatte Sat.1 eine neue Show mit Mockridge angekündigt: 'Luke! Die Greatnightshow‘ soll demnach 'die größte, beste und früheste Late-Night-Show aller Zeiten’ werden und am 13. September starten.“
Dass man in irgendeiner Unterhaltungsshow noch einmal von den Ereignissen hören wird, ist tatsächlich wohl keine abwegige Spekulation. Interessanter allerdings ist eine andere Frage: Wie unoriginell kann man eigentlich sein? Auf welchen Hund ist das junge Unterhaltungsfernsehen gekommen, wenn es den “Fernsehgarten“ nutzen muss, um der eigenen Zielgruppe piefigerweise zu versichern, dass sie weniger piefig ist als dessen Publikum?
Dass Stefan Raab auf ähnliche Art die ZDF-“Hitparade“ vorführte, ist geschlagene 25 Jahre her. Demnächst dürfte dann schon gerne wieder mal jemand ein paar Ideen haben.
Andererseits: Dass man im ZDF-“Fernsehgarten“ live und ungeprobt jeden Mist in die Kamera sagen kann, ist eigentlich auch wieder kein ganz schlechtes Zeichen. Ein “thematischer und personeller Sprung ins Ungewisse“ scheint da jedenfalls möglich zu sein.
Die “Erstarrung“ der Talkshows
Womit wir elegant zur Talkshow-Kritik von Oliver Weber überleiten. Der fordert von den Fernsehdiskussionsrunden genau das: dass sie einen thematischen und personellen “Sprung ins Ungewisse“ wagen. Pünktlich zur neuen Talksaison erscheint ein Buch des Autors, den man angesichts des subtilen Titels – “Talkshows hassen“ – wohl als Skeptiker bezeichnen kann. Im Tagesspiegel schickt er sich an, die von ihm beobachtete “Erstarrung“ der TV-Diskussionen in Routinen u.ä. zu erklären. Beispiel: “Wenn politische Talkshows hauptsächlich das zum Thema erklären, was in diesem Moment am meisten Aufmerksamkeit erheischt, fällt es außerdem leicht, die monothematische populistische Agitation mit der Monothematik der Fernsehredaktionen zu koppeln.“
Was das Positive angeht – da beschränkt er sich in diesem Text aufs Hoffen:
“Es ist daher zu hoffen, dass irgendwann eine Show startet, die mit einem anspruchsvollen Konzept überrascht, ganz neue Gäste rekrutiert, sich ernsthafte Gedanken über die Themenagenda leistet, die strenge Rollenlogik aufweicht und Meinungsbildung als offenen und unsicheren Prozess begreift.“
Ich würde eigentlich eher davon ausgehen, dass die schon häufig ins Feld geführte Klage über zu starre Rollenverteilungen und Formatvorgaben mit mehr Formatierung gekontert wird. Ganz wie in der alten “Simpsons“-Folge, in der das Baby in ein Bällebad gesteckt wird. Es versinkt komplett darin, bis es neben anderen unten an der Scheibe klebt. “Die Kinder sehen unglücklich aus“, sagt eine Angestellte. Da hat ihre Kollegin die Idee: “Mehr Bälle!“ Aber man weiß nie.
Talktechnisch geht im Fernsehen ja doch immer noch mehr als im Showbereich.
Ganz neu, zum Beispiel, ab Ende September: “Seriös – das Serienquartett“, eine Art “Literarisches Quartett“ über gute Fernsehserien, wie etwa DWDL oder die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichten, die schreibt: “Dass die Sendung nur auf dem Spartensender One läuft, muss man gar nicht kritisieren; vielleicht schauen die Programmchefs des Ersten ja trotzdem mal rein.“
Twittern mit Maaßen
Was ist sonst noch geschehen? Wochenenden sind immer wieder einmal die Schlussstrichtage für Themen der Vorwoche. Und wenn nachrichtlich nichts allzu Weltbewegendes passiert, werden dann gerne mal verstärkt Fernseh- und neuerdings auch Podcastrezensionen veröffentlicht. Solch ein Wochenende war das zurückliegende: Das medienjournalistische Newsaufkommen war jedenfalls eher gering.
Wer aber verlässlich im Randbereich der Medienbeobachter herumschwirrt, ist Hans-Georg Maaßen.
netzpolitik.org hat vergangene Woche eine Datenanalyse der 100 Accounts, “die von Maaßen-Followern am meisten retweetet werden“, veröffentlicht. Was auch hier – knapp, aber doch – auf Kritik stieß (Altpapierkorb vom Freitag). Nun schreibt netzpolitik.org: “Seit Veröffentlichung des Artikels zum Twitterverhalten der Followerschaft von Hans-Georg Maaßen gibt es anhaltende Kritik“ – und verteidigt die vorgelegte Datenanalyse: “Natürlich bedeutet nicht jeder Retweet Zustimmung, es kann sich in Einzelfällen auch um kritische Auseinandersetzung handeln. In kommunikationswissenschaftlichen Untersuchungen wird dennoch häufig auf dieses Kriterium zurückgegriffen, denn in der großen Anzahl bedeuten Retweets eben doch Nähe.“
Und Maaßen selbst hat der Welt am Sonntag (Abo) ein Interview gegeben, in dem er über sein Twitterverhalten sagt:
“Meine Tweets sind sorgfältig vorbereitet. Für mich ist ein Tweet so etwas wie eine Presseerklärung. Da sollte man schon zweimal darüber nachdenken, bevor man auf 'Senden‘ drückt. Das schließt aber nicht aus, dass der Inhalt durch die Kürze manchmal missverstanden werden kann. Das ist der Nachteil von Twitter.“
Womöglich gäbe es weniger Missverständnisse, wenn alle, die mikrobloggen, makrobloggen würden. Aber es ist gerade wohl nicht die Zeit für derart wilde Utopien.
Altpapierkorb (Fußball-Dokus, Greta-Thunberg-Berichterstattung, Springer-Enkel-Anteile)
+++ Fußball: Dazn und Amazon Prime (Altpapierkorb vom Freitag) begleiten den Bundesligastart mit Fußballdokus, die allerdings alle einen Mangel zu haben scheinen: Sie spielen auf überkontrolliertem Terrain. Die SZ bespricht sie in der Samstags- und Montagsausgabe. Wobei Dazns “The Making of“ in dieser Hinsicht besser wegkommt (“Nun sind natürlich keine kritischen Töne zu erwarten, wenn Cristiano Ronaldo über Cristiano Ronaldo spricht, und natürlich ist auch The Making of eine weitere Erzählung seiner Heldengeschichte. Die Serie ist aber nicht überzeichnet“…) als Amazons “Inside Borussia Dortmund“ (“Auch wenn BVB-Kapitän Reus von der Überwindung spricht, Kameras in das 'Heiligtum Kabine’ zu lassen. Fürchten, dass von dort Konflikte den Weg in die Doku finden könnten, musste niemand: 'Die Verantwortlichen hätten schon einen Riegel vorgeschoben‘, sagte Torwart Bürki bei der Premiere zu Sport 1“.)
+++ “Thunbergs Segeltörn nach New York verursacht mindestens sechs Flüge über den Atlantik. Würde sie fliegen, wäre die Reise klimafreundlicher“, schrieb die taz online am Donnerstag. In der folgenden, etwas irritierenden User-Diskussion – die taz kritisch über Greta!? – hat sich auch Autor Jost Maurin zu Wort gemeldet: “Auch die taz hat in den vergangenen Tagen mehrmals über Gretas Reise in die USA geschrieben. Auch bei uns stand, dass die Fahrt selbst emissionsfrei sei. Aber das ist eben nur die halbe Wahrheit. Heute habe ich die andere Hälfte erfahren, weil ich nachgefragt habe. Darauf bin ich gekommen, da ein Leser unter einem unserer Artikel darauf hingewiesen hatte, wie die Wartung von Yachten nach so einem Törn abläuft. Es ist dann meine journalistische Pflicht, diese andere Hälfte der Wahrheit nachzuliefern.“
+++ Die Springer-Enkel Ariane Melanie und Axel Sven Springer verkaufen im Zug der KKR-Übernahme (Altpapier) Teile ihrer Beteiligung an den Investor (Meldung etwa bei Horizont).
+++ Der SWR teilt mit: Die SWR-Mediathek ist von heute an in die ARD-Mediathek integriert. Ist das jetzt diese… Supermediathek (Altpapier vom Freitag)?
+++ Die Existenz bzw. vermeintliche Nichtexistenz von Meinungsfreiheit ist ein derzeit wiederkehrendes Kolumnen- und Kommentarthema. Aktuell aus gegebenem Anlass etwa u.a. bei Spiegel Online und in der FAS (“ Ein populärer Irrtum unserer Zeit ist die Annahme, dass Meinungsfreiheit einhergehe mit einem Recht auf Deutungshoheit“).
+++ Der “Tatort“, aufgemerkt!, ist unrealistisch (Zeit Online).
+++ Mittelgut kommt die ARD-Berichterstattung über den Großen Zapfenstreich zum Abschied von Ursula von der Leyen als Verteidigungsministerin an. Die FAZ am Wochenende: “Berichterstatter ist Oliver Köhr, an seiner Seite ein etwas maulfauler Oberstleutnant, der dem militärisch völlig unerfahrenen ARD-Mann über die Klippen helfen sollte. Köhr quasselt den Abschied zu, als wolle er auf keinen Fall auch nur für ein Sekündchen Besinnung zustande kommen lassen.“ Übermedien hat’s auch gesehen.
Neues Altpapier gibt es am Dienstag.