Das Altpapier am 05. August 2019 Es muss spekuliert werden

Der Einstieg des Finanzinvestors KKR bei Axel Springer ist fix. Ob das gut für den Konzern ist, ist die eine Frage. Ob er gut ist für den Journalismus, eine andere. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Axel-Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner hat in einem Kommentar in der Welt am Sonntag (Abo) am Wochenende “einen historischen Fehler“ in der Geschichte des Hauses eingeräumt. Gemeint war, dass man von 1989 an die DDR nicht mehr, wie zuvor, in Anführungszeichen gesetzt habe.

Auch interessant ist aber, wo ansonsten in der Welt-Berichterstattung überall einmal keine Anführungszeichen genutzt wurden. Nicht gesetzt wurden Gänsefüßchen zum Beispiel in der Überschrift über einem Text der WamS von 2008 über den Finanzinvestors Kohlberg, Kravis und Roberts (KKR). Er war Die Mutter aller Heuschrecken überschrieben.

Das von Franz Müntefering 2005 aufgebrachte Heuschrecken-Bild für KKR findet sich noch öfter auf den Seiten der Welt-Medien, etwa in “Heuschrecken mit Tradition“, “Mutter aller Heuschrecken geht an die Börse“, “Heuschrecken retten Autoteile Unger“ oder in “Fußball-Fans, keine Angst vor Heuschrecken!“. Egal wie das Private-Equity-Unternehmen in einem Artikel wegkam, die negativ konnotierte “Heuschrecke“ war mit KKR lange Zeit auch in Welt-Texten so verwachsen wie Mehdorn mit dem Bahnchef.

Irgendwie ist den Springer-Redaktionen aber mittlerweile die eigentlich gar nicht wirklich zum Haus passende Heuschrecken-Metapher abhanden gekommen. Nicht erst in der Eigenberichterstattung über den Einstieg KKRs bei Springer, in diesem Rahmen aber ganz konsequent, ist vom “Finanzinvestor“ KKR die Rede.

Eine Journalistenschrecke aber ist KKR schon immer noch. Springers Betriebsrat jedenfalls traut der ganzen angestrebten Partnerschaft offensichtlich nicht so recht: Man begrüße zwar, hieß es dieser Tage in der FAZ,

“grundsätzlich die bekundeten Absichten, wonach KKR unter anderem strategisch investieren, die journalistische Unabhängigkeit wahren und die 'Welt‘-Gruppe fortführen will. Die Betriebsräte konstatieren aber, das sei eine 'Momentaufnahme’. Denn in der Übernahmeofferte steht: 'Es ist möglich, dass die Bieterin ihre in dieser Angebotsunterlage geäußerten Absichten und Einschätzungen nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage ändert.‘“

KKR hat sein Ziel erreicht

Wie steht es aber überhaupt um den Springer-Plan, sich KKR ins Boot zu holen? Am Freitagabend lief die Frist aus, bis zu der KKR mindestens 20 Prozent der Springer-Aktien übernehmen wollte. "Wird die Schwelle von 20 Prozent (…) nicht erreicht, wäre das Geschäft geplatzt. Nicht nur Friede Springer und Mathias Döpfner wären dann blamiert." Schrieb Medienwirtschaftsfachmann Caspar Busse für die Süddeutsche Zeitung am Freitag. Um am Samstag dann auf Basis neuer Zahlen zu ergänzen, der Einstieg des New Yorker Finanzinvestors bei Springer “ist eine der größten und aufsehenerregendsten Übernahmen einer deutschen Medienfirma.“ Ist. Nicht wäre.

Offiziell Vollzug gemeldet wurde aber erst am Montagmorgen, und damit ist auch eine seltsame Horse-race-Berichterstattung beendet. Nachdem auf dem Weg zur 20-Prozent-Hürde im Lauf des Julis horse-race-artig die Zahlen 0,054 Prozent, 6,68 Prozent, 12,31 Prozent und 15,45 Prozent durchgegeben worden waren, war zuletzt von 19,2 Prozent die Rede.

Für wen wäre der Deal gut?

Die erlösende Vollzugsmitteilung lief um 7.52 Uhr über die Agenturen. Wobei, ist die Mitteilung wirklich erlösend? Und für wen? Markus Wiegand, Chefredakteur von kress pro, fragt: “Für wen lohnt sich der Springer-KKR-Deal?“ Er meint, “dass der Vorstand wohl auf jeden Fall zu den Nutznießern zählen würde“.

Allein, so Wiegand:

“Für wen sich der Springer-KKR-Deal langfristig lohnt, hängt vor allem davon ab, wie Springer sich wirtschaftlich entwickelt. In der Branche wird vermutet, dass Springer im digitalen Geschäft und insbesondere bei den Rubrikenmärkten aggressiv expandieren wird. Vergleichsweise wenig beachtet worden ist bisher, dass die angestrebte Riesenrendite von Investor KKR auch ein großes Risiko des Scheiterns in sich trägt.“

In der Tat ist der Aspekt bislang zumindest nicht übermäßig beleuchtet worden.

Dass speziell die Welt-Gruppe, “die als defizitär gilt“ (FAZ im oben schon verlinkten Text), im Fokus der Menschen mit den Taschenrechnern stehen dürfte, ist zwar durch die Presse gegangen (Altpapier). Und auch der Betriebsrat hat Misstrauen und seine Sorgen etwa vor einer Zerschlagung und betriebsbedingten Kündigungen formuliert, wie oben zitiert. In eine Abwehrhaltung, wie man sie seinerzeit etwa vom Betriebsrat des Berliner Verlags kannte, der die Renditepläne von Investor David Montgomery stets bekämpft hat, geht er aber bislang nicht. Offiziell steht der Springer-Betriebsrat dem Übernahmeangebot KKRs laut FAZ “neutral“ gegenüber.

Immerhin sei der Springer-Vorstand zu einer internen Mitteilung mit dem Titel “Warum die Gerüchte zur 'Welt‘ falsch sind“ bewegt worden:

“Darin erläutert Döpfner, die Ausstiegsoption komme in Wirklichkeit faktisch einer Bestandsgarantie gleich. Sein Argument: Es gelte, weiter kostenbewusst zu arbeiten, und unter diesen Voraussetzungen sei ein 'Ergebniskorridor‘ definiert worden – der aber sei sehr großzügig ausgelegt. Zahlen nennt Döpfner indes nicht.“

Wohin die Springer-KKR-Verbindung etwa für die Welt-Gruppe führt, darüber kann also bis auf Weiteres nur spekuliert werden. Wenn man aber auch nicht seriös in die Zukunft schauen kann – ein Blick ins Archiv geht immer. In einem Debattentext der Welt hieß es 2012 einmal: “Sind Private-Equity-Unternehmen skrupellose Finanzhaie? Oder eine Art moderne Alchimisten, die marode Unternehmen effizienter machen?“ Man tendierte damals zu Zweiterem (“‚Heuschrecken’ sind besser als ihr Ruf“). Allerdings hieß es auch:

“Viele Arbeitnehmer bekommen es dennoch mit der Angst zu tun, wenn ihre Firma von einem Finanzinvestor übernommen wird, da die neuen Eigentümer in der Regel zunächst einmal Arbeitsplätze abbauen. 'Private-Equity-Fonds bewirken in ihren Beteiligungsunternehmen eine Machtverschiebung zugunsten der Eigentümer‘, sagt Alexandra Krieger von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.“

Und als die “Heuschrecke“ (Bild) KKR beim Fußballverein Hertha BSC einstieg, zitierte Springers großbuchstabigstes Blatt 2014 von allen möglichen Experten einen, der warnte: “Gelingt es Hertha, dauerhaft international mitzuspielen, geht der Deal für KKR auf. Gelingt es nicht, wird der Ton deutlich rauer. Hertha ist zum Erfolg verdammt – mehr als je zuvor.“

Das gilt, so unterschiedlich die Fälle gelagert sein mögen, mutmaßlich auch für die journalistischen Teile Springers: Die Redaktionen müssen liefern, und zwar ökonomische Ergebnisse. Ob das gut ist für den Konzern, ist die eine Frage. Ob es gut ist für den Journalismus, ist aber eine andere.

Altpapierkorb (Diskussion über Hingst-Text, Herkunftsnennung, Werbung in Podcasts)

+++ War es richtig vom Spiegel, über die Bloggerin Marie Sophie Hingst und ihre erfundene Familiengeschichte zu berichten (siehe mehrere Altpapiere der vergangenen Woche – 1, 2, 3)? Der Autor, Martin Doerry, hat sich im Spiegel nun selbst zu den Vorwürfen geäußert, die ihm nach Hingsts Tod etwa von einem irischen Journalisten gemacht wurden, der schrieb, er selbst habe Hingst nach der Spiegel-Veröffentlichung in einer katastrophalen psychischen Verfassung vorgefunden – und sich daraufhin entschlossen, keinen Artikel zu bringen. faz.net fasst zusammen: “Doerry gibt jedoch an, Hingst habe vor der Publikation des Artikels 'selbstbewusst und konzentriert‘ reagiert. Sie sei kämpferisch und entschlossen gewesen. 'Wir haben zwar dieselbe Person getroffen, aber in zwei völlig unterschiedlichen Lebenssituationen.‘“

Die Publizistin Lea Rosh, Vorsitzende des Förderkreises “Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, kritisiert derweil im Tagesspiegel:“Obwohl die Mutter von Hingst ihn im Telefonat vorher explizit darauf hinwies, ‚erwähnte er Sophies Krankheit mit keinem Wort. Das hätte seine Geschichte von der Hochstaplerin, der Lügnerin und Quasi-Verbrecherin schließlich kaputt gemacht’, schrieb Rosh dem Tagesspiegel. So sei die Geschichte rund und gelungen gewesen, eine richtige ‚Spiegel‘-Geschichte eben.“

Die Publizistin Carolin Emcke hat in der SZ
eine abwägende Kolumne geschrieben: “Auch ich hätte geschrieben über die Täuschungen, weil wir das den Angehörigen der Opfer der Schoah schuldig sind. Und gleichzeitig wünschte ich wie alle anderen, es hätte verhindert werden können, dass ein junger Mensch aus dem Leben geht.“

+++ Was die zuletzt wieder stark diskutierte Frage “Muss die Presse die Herkunft eines Täters nennen?“ betrifft, kann ich Nora Frerichmanns im Altpapier gemachten Vorschlag, “von Fall zu Fall eine selbstbewusste, redaktionelle Entscheidung zu treffen und diese an offensichtlicher Stelle zu kommunizieren“, einiges abgewinnen. Die Debatte ist aber natürlich nicht vorbei. Eine Studie von Medienforschern aus Hamburg und Leipzig (“Kriminalität in Deutschland im Spiegel von Pressemitteilungen der Alternative für Deutschland (AfD)“) über die Verzerrungstaktik der AfD, die etwa faz.net aufgreift, schließt hier an: “Während die AfD das Bild zulasten ausländischer Straftäter verzerre, werfe sie Medien gleichzeitig vor, Ausländerkriminalität zu unterschlagen, so die Medienforscher. Die Wissenschaftler kommen zum umgekehrten Schluss: 'Die größte Lücke liegt in der Wahrnehmung deutscher Tatverdächtiger.‘“

+++ Und das katholische Domradio interviewte Andreas Püttmann, der sagt: “(E)s wird so getan, als hätte die Herkunft eine erklärende Bedeutung für die Art der Tat“.

+++ Der Tagesspiegel diskutiert derweil, wann man einen Tatverdächtigen oder einen Täter einen mutmaßlichen nennen soll.

+++ Stefan Winterbauer lobt bei Meedia, wie “schlau“ Malcom Gladwell im Podcast “Revisionist History“ (“ganz generell super hörenswert“) Werbung mache (“sensationell“): “Immer wieder findet und erfindet Gladwell kleine Geschichten zu den beworbenen Produkten und Dienstleistungen und präsentiert diese in seinem Podcast mit einer gewissen ironischen Distanz. Das ist Werbung für denkende Menschen.“ In der Podcast-Folge “Rock’s Taxonomy“ (z.B. bei Spotify, Minute 12:20 beim Stichwort “I wanna talk to you about quilts“) habe ich eines der von Winterbauer erwähnten Beispiele gefunden. Dass Podcasts in Deutschland der nächste Kandidat für eine Werbekennzeichnungsdiskussion (Altpapier vom Dezember 2018) sein könnten, deutet sich hier freilich auch an.

+++ Freundlicher Schmunzellektürehinweis: Michael Brake beschäftigt sich für Übermedien in einer Glosse mit den kicker-Bundesliga-Vorschauheften.

Frisches Altpapier kommt am Dienstag.