Das Altpapier am 02. August 2019 Zweierlei Maaß

Hans-Georg Maaßen kritisiert gern die Medien, die seiner Meinung nach Fakten zurückhalten – und verbreitet in einem Interview mit der Rheinischen Post selbst Lügen. Die Deutsche Welle trennte sich nach Vorwürfen sexueller Belästigung und Vergewaltigung von einem "Starmoderator“ – die Strukturen, die #MeToo möglich machen, bestehen indes weiter. Ein Altpapier von Kathrin Hollmer.

Vergangene Woche näherte sich die FAS bereits dem "Phänomen" Hans-Georg Maaßen (siehe Altpapier dazu), in dieser Woche kommt er selbst an unterschiedlichen Stellen sehr präsent zu Wort. Der ehemalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz und seit Februar Mitglied der Werte-Union, des ultrakonservativen Flügels von CDU und CSU, provoziert regelmäßig mit Kritik an der seiner Meinung nach falschen Migrationspolitik (Im Mai sagte er bei einer Veranstaltung in Baden-Württemberg: "Ich bin vor 30 Jahren nicht der CDU beigetreten, damit heute 1,8 Millionen Araber nach Deutschland kommen.") und Medienkritik in AfD-Manier: Im Juli verglich er die NZZ in einem Tweet mit Westfernsehen und verlinkte auf einen Artikel mit der Überschrift: "In deutschen Städten sieht die Mehrheitsgesellschaft ihrem Ende entgegen“. Auf Twitter benutzte er das rechtspopulistische Portal "Journalistenwatch“ als Quelle (und löschte den Tweet hinterher). (Siehe auch Altpapierkorb hier)

Gestern machte ein Interview mit ihm die Runde, das die Rheinische Post online veröffentlichte. "Sozial und eher links – so sehe ich mich“ lautet der Titel. Keine Pointe. Die erste Frage, die ihm Michael Bröcker und Henning Rasche stellten, verheißt, dass das angekündigte Streitgespräch auch wirklich eins wird:

"Herr Maaßen, wie rechts sind Sie?“

Nach einer Zwischenfrage antwortet Maaßen:

"Menschen, die mich näher kennen, halten mich für sozial und damit für eher links – und für einen Realisten. So sehe ich mich auch.“

Und das ist nicht das Erstaunlichste an diesem Interview, das Maaßen nach nicht mal einer Viertelstunde abbrechen will und dann doch zu Ende führt. Auch nicht, dass er erneut die Medien kritisiert, über "bestimmte Ereignisse nicht oder – vorsichtig formuliert – zurückhaltend“ zu berichten. Er bezieht sich auf eine Gruppe junger Flüchtlinge, die im Dezember 2018 in Amberg willkürlich Passanten angegriffen haben. "Es kann nicht sein, dass der Vorfall in Amberg tagelang in deutschen Medien nicht auftauchte“, sagt Maaßen. Die Interviewer können das – es wird nebenbei auf beiden Seiten gegoogelt – widerlegen und werfen die berechtigte Frage nach der überregionalen Bedeutung der Tat auf. In dem Zusammenhang erwähnt Maaßen auch den vom Kreml finanzierten Fernsehsender "Russia Today“ (eigentlich RT). Er sagt:

"Ich habe zur Kenntnis genommen, dass die 'Neue Zürcher Zeitung‘ und 'Russia Today Deutsch‘ die ersten waren, die darüber prominent berichtet haben.“

Unterhaltsam sind auch die Anmerkungen, die die Interviewer einstreuen, denn, so heißt es im Vorspann, Maaßen habe die Autorisierung, die Möglichkeit, das Interview vor Veröffentlichungen zu sichten, um Missverständnisse auszuschließen, genutzt, "um Teile des Gesprächs neu zu formulieren und ganze Komplexe zu streichen – wie den Teil, wo er das Interview vorzeitig abbrechen wollte.“ Auch habe er nachträglich andere Begriffe eingefügt und Zusammenhänge hergestellt.

Das Erstaunlichste aber an diesem Interview ist, wie Maaßen erst die Medien kritisiert, weil sie seiner Meinung nach Fakten verschweigen und dann schamlos Lügen weiterverbreitet – Stichwort Hetzjagden, der Begriff, der Maaßen am Ende sein Amt kostete. Nach den Ausschreitungen im August 2018 in Chemnitz sagte er in einem Interview mit der Bild-Zeitung, dem Verfassungsschutz würden keine belastbaren Informationen darüber vorliegen, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben. Dabei gibt es Videos davon (die er auch angezweifelt hat). Er bleibt auch immer noch dabei:

"Es ist nie falsch, die Wahrheit zu sagen, auch wenn es einen das Amt kostet“,

sagt er im Interview, und kurz darauf:

"Es gab sehr viele Menschen, die nicht verstanden haben, dass ein Beamter entlassen worden ist, weil er die Wahrheit sagte.“

Einen ähnlichen Ton schlägt er in dem Portrait an, das der Tagesspiegel gestern veröffentlichte. "Ich werde als Symbol wahrgenommen“, sagt er darin. "Die Leute sehen, dass ich es teuer bezahlt habe, meine Meinung zu sagen.“

Maria Fiedler und Frank Jansen ordnen Maaßens Märtyrer-Attitüde ein:

 "Maaßen sieht sich in erster Linie als Mann, der Probleme anspricht - im Gegensatz zu vielen anderen in seiner Partei. Er kultiviert den Mythos vom Geheimdienstchef, der es gewagt hat, zu widersprechen - und der dann gehen musste. Seine Entlassung ist sein politisches Kapital.“

... allerdings zeigen sie auch, wie Maaßens "Fans“ das populistische "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“-Denkmuster übernehmen. Über einen Auftritt im Düsseldorfer Stadtteil Garath, zu dem sie ihn begleitet haben, schreiben sie:

 "'Ich möchte ihn im Original hören‘, sagt ein Mann, Rentner sei einst als Industriekaufmann tätig gewesen. Er könne nicht davon ausgehen, dass das, was die Medien über Maaßen schreiben, 'die komplette Geschichte ist.‘“

Maaßens neuer Lieblingsausdruck, zumindest im Interview mit der Rheinischen Post, ist übrigens: Ressentiments schüren. Er sagt, ziemlich dicht hintereinander:

"Was Ressentiments schürt, ist die Tatsache, dass wir nahezu täglich Übergriffe von jungen Asylsuchenden auf Menschen in Deutschland haben. Dass Tageszeitungen so etwas oft nur unter ‚Vermischtes‘ bringen, und dass das politisch nicht thematisiert wird. Dass die Wurzel des Problems nicht angesprochen wird, das schürt Ressentiments.“

(...)

"Ich bin überzeugt, dass es Ressentiments schürt, wenn Journalisten so etwas auf den hinteren Seiten verstecken oder gar nicht berichten.“

(...)

"Ich sehe mich durch die Allensbach-Umfrage bestätigt, dass viele Deutsche finden, man dürfe nicht mehr alles sagen. Das schürt die Ressentiments.“

(...)

"... die Medien schüren Ressentiments, wenn sie solche Nachrichten verschweigen oder weglassen.“

Muss wohl in einem Briefing gestanden haben, wie das Lieblingswort "analysieren“ der CSU nach der Bayernwahl im vergangenen Herbst. Oder es gab einen Werte-Unions-internen Framing-Workshop. Nur weil man etwas wiederholt, wird es nicht wahrer.

#MeToo bei der Deutschen Welle

Bereits im September 2018 berichteten unter anderem die FAZ (online aber auf November datiert), die Frankfurter Rundschau und die Süddeutsche Zeitung (jeweils nicht online) über den Vorwurf sexueller Belästigung gegen einen Mitarbeiter der Deutschen Welle (DW). In kleinen Meldungen wird erwähnt, dass die Beschuldigung als glaubwürdig eingestuft sei und man sich von dem Mitarbeiter getrennt habe. Damals fand die Meldung aber keine weitere mediale Beachtung.

Die aktuelle Zeit (€) widmet den Vorwürfen gegen diesen und andere Mitarbeiter des DW nun eine ganze Seite. Politik-Redakteur Mohamed Amjahid schlüsselt auf, wie der "Starmoderator“ Yosri F., gegen den auch ein Vergewaltigungsvorwurf vorliegt, die in Schweden lebende ägyptische Netzaktivistin Dalia Hamouda 2016 nach Berlin in F.s Wohnung lockte und belästigte. Amjahid hat Gutachten, Protokolle und Chats ausgewertet, die das untermauern. 2018 hat Hamouda das Erlebte auf Facebook öffentlich gemacht. Eine hausinterne Kampagne hat dazu geführt, dass die Redaktion den Vorwürfen nachgeht. Die Zeit zitiert ein Statement der Deutschen Welle:

"Seit Beginn der Aufklärungskampagne zum Thema '#metoo‘ in der DW Anfang 2018 sind der Geschäftsleitung drei Fälle bekannt geworden. In einem Fall hat sich die anonym vorgebrachte Anschuldigung nicht bestätigt.“

Die gute Nachricht: #MeToo (siehe Altpapiere) hat also das Bewusstsein für Machtmissbrauch nachhaltig geschärft.

Die schlechte: Die Strukturen, die das ermöglichen, bestehen weiter.

In der Zeit wird eine Gutachterin zitiert, die eine "Art 'Parallelstruktur‘“ in der Redaktion beobachtet.

"Die Gutachterin beschreibt in einem weiteren Protokoll eine 'berufliche Degradierung‘ der Betroffenen, die weniger Dienst-Schichten und redaktionelle Verantwortung zugeteilt bekommen haben soll. Die Mitarbeiterin sei dadurch 'im hohen Maße psychisch belastet‘. F. wird als 'Galionsfigur‘ und als 'mächtig‘ beschrieben. Er habe im Sender 'freie Hand‘ gehabt, notiert die Gutachterin nach Gesprächen mit DW-Mitarbeitern.“

Bei der DW, schreibt Amjahid, seien einige der mutmaßlich betroffenen Frauen "auf ihre Arbeitsstelle angewiesen, weil sie keine deutsche Staatsbürgerschaft haben und sie ohne Stelle keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen.“

Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk fasst Mohamed Amjahid zusammen:

"In dem Fall waren auch mehrere betroffene Frauen tatsächlich in sehr verletzbaren Situationen und so auch mehr oder weniger ausgeliefert.“


Altpapierkorb (Glenn Greenwald, Marie Sophie Hingst, Medienstaatsvertrag und Journalistenwatch)

+++ Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro hat dem US-amerikanischen Journalisten Glenn Greenwald indirekt, aber unmissverständlich mit Gefängnis gedroht, berichtet Südamerika-Korrepondent Jürgen Vogt in der taz. Bereits im April hat Greenwald auf seiner Enthüllungsplattform The Intercept über illegale Absprachen zwischen dem Bundesrichter und dem Leiter der Staatsanwaltschaft berichtet.

+++ Übermedien portraitiert Roger Köppel, von 2004 bis 2006 Chefredakteur der "Welt“, der in seiner Heimat Schweiz für die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) für den Ständerat kandidiert. Gleichzeitig ist er im Journalismus aktiv, was die Angelegenheit, vorsichtig ausgedrückt, heikel macht: "Mit seinem eigenen Blatt, der 'Weltwoche‘, die er als Chefredakteur und Herausgeber immer weiter nach rechts gerückt hat, begleitet er seinen Wahlkampf inhaltlich und logistisch“, schreibt Holger Pauler.

+++ In der Jüdischen Allgemeinen argumentiert Ingo Way gegen Schuldzuweisungen nach dem Tod von Marie Sophie Hingst. "Soll nun über Lügner und Hochstapler, die sich eine Holocaust‐Biografie anmaßen, nicht mehr berichtet werden?“, schreibt er. "Das wäre das Ende jeder Kritik. Eine solche Forderung gleicht moralischer Erpressung.“

+++ Auf Leidmedien.de erzählt die kleinwüchsige Schauspielerin Christine Urspruch (bekannt unter anderem als Rechtsmedizinerin im Münsteraner Tatort und Hauptfigur in der Serie Dr. Klein) von Vorurteilen und Fortschritt in der Filmbranche.

+++ Bis zum 9. August können die Länder Stellung zum zweiten Entwurf des Medienstaatsvertrages beziehen, den die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz Anfang Juli vorgelegt hat. Prof. Dr. Wolfgang Schulz, Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung bzw. Hans-Bredow-Instituts (HBI) kritisiert im Interview mit Medienpolitik, dass auch in der überarbeiteten Version immer noch zu viele Punkte unklar sind.

+++ Die Prinzessinnenreporter haben einen offenen Brief an die norwegische Kulturministerin Trine Skei Grande veröffentlicht. Bernt H. Lund, ehemaliger Gefangener in Sachsenhausen, Harald Sunde, Leiter eines Informationszentrums für Jugendliche, und Asbjørn Svarstad, Fremdenführer in der Gedenkstätte Sachsenhausen verurteilen in dem Brief, dass ein antisemitischer Sketch des Satire-Show "Satiriks“ im Norwegischen Rundfunk erst nach fast zwei Wochen und externen Druck  entfernt worden ist.

+++ Vor knapp zwei Wochen hat das rechte Portal "Journalistenwatch“ seinen Status als gemeinnütziger Verein verloren (siehe Altpapier), dazu ein kleiner Nachtrag: Im "Freitag“ von vergangener Woche stellt Benjamin Knödler die sehr berechtigte Frage, warum das Medium diesen Status überhaupt je hatte.

+++ Altpapier-Kollege Christian Bartels stellt in seiner Kolumne auf Evangelisch.de ein großangelegtes Wissenschaftsprojekt vor, das sich mit dem historischen bis zeitgeistigen deutschen Wortschatz auseinandersetzt – interessante Erkenntnisse könnte das auch beim Thema Framing bringen.

Neues Altpapier gibt es am Montag. Schönes Wochenende!