Das Altpapier am 2. Juli 2019 Prioritäten setzen

Die dpa feiert ihren 70. Geburtstag. Nachrichtenagenturen sind für den Journalismus, was die Tonleute beim Film sind: Sie fallen nur auf, wenn sie ausfallen. Das Pro-und-Contra-Format ist "formaljournalistischer Kitsch“. Und Diskussionen über die Ausrichtung von “hart aber fair“. Ein Altpapier von Klaus Raab.

“Eine Institution der deutschen Medienlandschaft“ (Bayerischer Rundfunk), die “das Grundrauschen für die meisten Nachrichtenagenturen in diesem Land“ liefere (Deutschlandfunk), hat am Montag in Berlin ihren 70. Geburtstag gefeiert. Es gab amüsante Veranstaltungspunkte wie einen Vortrag “unfreiwillig komischer“ dpa-Überschriften und -Leadsätze (“Beim Urnengang ist auf Senioren schon immer Verlass“). Und der Bundespräsident ist auch da gewesen beim Festakt der Deutschen Presse-Agentur und sagte, mit freundlichen Grüßen an beide Gruppen, dass Politiker keine Journalisten sein wollen sollten und Journalisten keine Politiker.

Der Evangelische Pressedienst und die Katholische Nachrichtenagentur – beide medienaffiner als etwa AP, AFP und Reuters, die weitgehend den Mantel des Schweigens über die Veranstaltung und ihren Anlass hüllten – ließen sich da nicht lumpen und berichteten. Sie zitierten sogar schon 22 bzw. 8 Minuten vor dem dpa-Basisdienst aus Frank-Walter Steinmeiers Rede, der demnach auch sinngemäß sagte, die dpa sei für die Demokratie usw. gesehen alles in allem echt ziemlich alright. faz.net war selbst da – und so gibt es dort auch ein paar Zitate, die sonst niemand hat. In die Überschrift geschafft hat es Steinmeiers Roberthabeckismus, “das minütliche Absetzen von Tweets habe die Qualität der Politik nicht gesteigert“.

Bei der dpa selbst war die Sensibilität für die eigene Festveranstaltung aber sicher noch etwas höher als bei allen anderen. In der Nacht zum Montag um 3.30 Uhr informierte sie unter dem Titel “Das bringt der Tag“ aktualisiert und kompakt über die bevorstehenden Ereignisse. Hier die Überschriften der zehn erstgenannten im Countdown von “mittlere Relevanz“ bis “Event des Tages“:

10. “Eröffnung von Trainingszentrum gegen Hackerangriffen auf Stromnetze“

9. “Bahn legt Vorschläge für neue Bahntrasse im Inntal vor“

8. “Ölkartell Opec berät über Verlängerung der Produktionslimits“

7. “Bundesagentur veröffentlicht Juni-Arbeitslosenzahlen“

6. “Kramp-Karrenbauer besucht Israel – Erste Reise außerhalb Europas“

5. “Jahrestag der Rückgabe an China: Neue Proteste in Hongkong“

4. “Nach Eurofighter-Absturz: Geschwader in Laage nimmt Flüge wieder auf“

3. “Rot-Grün-Rot will Koalitionsvertrag für Bremen vorstellen“

2. “Bewerbungsfrist für SPD-Parteivorsitz beginnt“

und, bum-schaka-laka, auf Platz 1: “Deutsche Presse-Agentur feiert 70-jähriges Bestehen.“

Man muss die Prioritäten nun mal setzen, wie sie fallen.

Es wäre allerdings kleinkariert, zu fordern, dass man sich zu einem runden Geburtstag nicht mal ein bisschen selbst feiert. Wann denn sonst? Zumal Nachrichtenagenturen für den Journalismus ohnehin das sind, was die Tonleute beim Film sind: Sie fallen nur dann wirklich auf, wenn sie etwas schlecht lösen oder mal ganz ausfallen; den Ruhm kriegen immer die anderen ab. Was nicht wirklich fair ist. Also, wir hoffen, der Schaumwein hat gemundet! Und vor allem, dass er halbwegs kostspielig sein durfte.

Die schönste Gratulation in Form eines großen Vertrauensbeweises kam allerdings vom Mediendienst Meedia. Die dpa verschickte am Montag um 15.08 Uhr unter dpa-Kürzel in aller Bescheidenheit eine gekürzte Pressemitteilung in eigener Sache, derzufolge sie “deutlich“ wachse. Die war dann auch, ohne Änderung, Meedias Montagsnachmittags-Aufmacher. Wenn das keine Liebe ist – was dann?

Der Aufreger des Montags: “hart aber fair“

Der größere Aufreger des Montags in den Social Media war freilich ein anderer. Bei Frank Plasbergs “hart aber fair“ war der AfD-Politiker Uwe Junge, der schon vorab sehr freundlich von tagesspiegel.de lächelte, zu Gast, um dort im Nachgang zur Ermordung Walter Lübckes auf die Sendungsfrage “Wie gefährlich ist rechter Hass?“ gleich im Eingangsstatement mal mit einem gepflegten “Schlimm – aber der Linksextremismus!“ zu antworten.

Es wäre sinn- und uferlos, hier Tweets zum Thema abzubilden. Um eine Stimme des Ärgers herauszugreifen, bietet sich die von Samira El Ouassil an, die am Montag bei Übermedien (Abo) schrieb:

“Während vor zwei Wochen ein Politiker von einem Rechtsterroristen erschossen wurde, lässt man einen Rechtspopulisten der AfD in 'Hart aber fair‘ zum Thema 'Rechter Hass‘ zu Wort kommen. Nur um auch wirklich jede Seite abzubilden.“

Wobei ihr Text im Kern von Größerem handelt, nämlich von “falscher Ausgewogenheit“ am Beispiel der Sea-Watch-Diskussion (Altpapier vom Montag), wie sie zum Beispiel bei Zeit Online angezettelt wurde (“Auch Lebensretter müssen sich Kritik gefallen lassen“):

“Der Satz suggeriert: Auch etwas unbestreitbar Richtiges zu tun, kann falsch sein. Das ist Skalpell-Journalismus, differenzieren um der Differenzierung Willen, pragmatisch, klinisch, ein Einstieg wie operiert in einem sterilen Raum ohne Moral. Das Zerstörerische daran: Er delegitimiert einen ethisch universell richtigen Akt, Leben retten, um im Namen journalistischer Ausgewogenheit legalistische und politische Implikationen abzuhandeln.“

Pro und Contra Seenotrettung, schreibt sie – und Sie finden mich hier wackeldackelmäßig nickend –, “ist formaljournalistischer Kitsch. Wir sind doch schon längst weiter, es sollte, es muss berichterstatterisch, um das Wie gehen. (…) Wir brauchen mehr Wie im Journalismus.“

Das freilich könnte man auch auf die “hart aber fair“-Diskussion münzen, die auch die Social-Media-Experten der Zuschauerredaktion des “Ersten“ so wuschig machte, dass sie sich gestern eine Abstimmungsproblem-Kachel oben ans Twitterprofil heftete: Ich bin nicht überzeugt davon, dass es um die Frage geht, ob man einen AfD-Mann zu rechtem Hass zu Wort kommen lässt. Es geht auch hier um das Wie. Dass aber “hart aber fair“ mit seinen regelmäßig nach Quoten- und Krawallgesichtspunkten zusammengestellten Runden für viele nicht die überzeugendste Adresse zu sein scheint, wenn es um Wie-Journalismus in diesem Sinne geht – diese Kritik wird sich die Redaktion gefallen lassen müssen.

Altpapierkorb (Krone und Strache-Affäre, DFB-Autorisierungspraxis, Bundeswehr, Internet-Briefmarke, MDR, Nachrufe auf Lisa Martinek)

+++ Die sogenannte Ibiza- oder Strache-Affäre (siehe etwa dieses Altpapier) führt bei der Wiener Kronen Zeitung zu einem “bemerkenswerten personellen Umbruch“, schreibt die SZ. Richard Schmitt, der Online-Chefredakteur, “verliert seinen Posten“. Das ist der Mann, den Österrreichs ehemaliger Vizekanzler Heinz-Christian Strache von seiner Kritik, alle Journalisten seien “Huren“, ausgenommen hat. “(U)nter Schmitts Führung berichtete Krone.at verlässlich meinungsstark und bisweilen hetzerisch Themen über Ausländer, Flüchtlinge und den Islam – meist versehen mit einem Dreh, der FPÖ-Leuten genehm gewesen sein dürfte“, schreibt Oliver Das Gupta.

+++ Die Fußball-WM läuft noch, aber das deutsche Team ist raus. Medial gibt es immerhin noch Nachwirkungen: Hat der DFB “ein Problem mit kritischer Berichterstattung, wenn es um die Emanzipation seiner Frauen-Nationalmannschaft geht“?, fragt der journalist. Anlass ist ein Interview mit Spielerin Alexandra Popp, das in der Autorisierung “von 'Wir wollen echte Augenhöhe und Gleichbehandlung‘ auf 'Wäre schön, wenn wir etwas mehr Aufmerksamkeit bekommen könnten‘ heruntergepegelt“ worden sei. Interessant auch das in dem Zusammenhang erwähnte Interview der FAZ mit Torfrau Almuth Schult: Diese Zeitung “habe einen 'gewaltigen‘ Eingriff bei der Autorisierung des Interviews beklagt. Erst als man den kompletten Verzicht auf einen Abdruck in den Raum stellte, sei das Interview freigegeben worden, heißt es.“

+++ Vor einem knappen Jahr hat die Bundeswehr ziemlich viel Wind darum gemacht, dass sie nicht in Uniform PR bei der re:publica machen durfte (Altpapier). Der Deutsche Rat für Public Relations hat sie im Juni nun gemahnt: “Die Armee soll künftig auf irreführende Kommunikation verzichten, Sachverhalte nicht skandalisieren und notwendige Korrekturen in der Social Media-Kommunikation in angemessen kurzer Frist vornehmen.“

+++ In Österreich gibt es eine Blockchain-Briefmarke – okay. Warum aber gibt es dann in Deutschland “eigentlich keine Briefmarke, die das Internet würdigt?“, fragt Dirk von Gehlen in seinem Blog.

+++ Der MDR, home of the Altpapier, “hat im Ge­schäftsjahr 2018 etwa 29 Millionen Euro Verlust gemacht“, meldet die FAZ via epd.

+++ Die Schauspielerin Lisa Martinek ist, wie gestern auch hier schon kurz notiert, überraschend gestorben. Die Süddeutsche ruft ihr nun nach: “Alles sah danach aus, als erspiele sich Martinek gerade einen Platz in den vorderen Reihen. Viel Theater hatte sie gespielt, auch im Münchner Tatort war sie schon zu sehen. Für ihre Arbeit hatte sie oft Beachtung gefunden, manches Mal kamen sogar Nominierungen hinzu, für den Deutschen Filmpreis und für den Fernsehpreis.“ Und Die Welt schreibt: “Eigentlich ist das ein Widerspruch: geringer Wiedererkennungswert und 'Star‘ eines Films. Im Fall Martineks hat sich dieser Widerspruch aber einmal zu ihren Gunsten ausgewirkt: Auf Grund ihrer Wandlungsfähigkeit ließ sie sich unterschiedlichst besetzen.“

Neues Altpapier kommt am Mittwoch.