Neurowissenschaften Darm-Hirn-Kreislauf steuert unser Verlangen nach Zucker
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15. April 2020, 17:00 Uhr
Mögen Sie Zucker einfach lieber als Süßstoff? Dann könnte der Darm da eine entscheidende Rolle spielen und nicht die "richtige" Süße von "echtem" Zucker. Denn ein Kreislauf zwischen unserem Gehirn und dem Darm bestimmt offenbar unsere Vorliebe für Zucker. Und er könnte auch unser großes Verlangen nach Zucker erklären, fanden Forschende aus den USA jetzt heraus.
Von Keksen über Gewürze bis hin zu hippen Kaffee-Trends: Ein bisschen mehr Zucker im Produkt kann uns nach fast allem verlangen lassen. Das wissen die meisten Lebensmittelhersteller. Aber wie ist dieses wenig rationale Verlangen zu erklären? Allein mit der Süße des Zuckers jedenfalls nicht, ist sich ein Forschungsteam des Howard Hughes Medical Institute aus den USA sicher. Ihre Forschung zeige nämlich, dass das "magische Molekül" Zucker einen direkten Rückkanal ins Gehirn hat. Die Untersuchung ist im renommierten Fachmagazin Nature erschienen.
Der direkte Zucker-Draht ins Gehirn
Natürlich spricht der Zucker - wie auch alle anderen süß schmeckenden Dinge - spezielle Geschmacksrezeptoren auf der Zunge an. Doch er hat zusätzlich offenbar noch einen viel direkteren Draht in unser Gehirn: Ausgehend vom Darm wird ein völlig separater neurologischer Weg eingeschaltet, berichten die Forschenden um den Neurowissenschaftler Charles Zuker von der Columbia University.
Das Prinzip ist der Untersuchung zufolge recht simpel: Gelangen Zuckermoleküle bei der Verdauung in den Darm, sendet dieser Signale ins Gehirn, die nach mehr verlangen. Und dieser Signalweg sei ziemlich exklusiv, denn er reagiere ausschließlich auf Zuckermoleküle und nicht auf Imitate wie künstliche Süßstoffe. Das habe das Team in Experimenten mit Mäusen zeigen können.
Die Sache mit der Süße
Ganz neu ist es nicht, dass Zucker eine einzigartige Kontrolle über unser Gehirn ausüben kann, schreiben die Forschenden. Eine Studie aus dem Jahr 2008 habe etwa gezeigt, dass Mäuse, die gar keine Süße schmecken könnten, trotzdem Zucker bevorzugten. Doch die Entdeckung des neuen Zuckersensors dürfte erklären, warum Zucker so besonders ist, erklärt Neurowissenschaftler Zuker. Diese Erkenntnis eröffne neue Wege, wie wir unseren unersättlichen Appetit darauf künftig regulieren könnten.
Wir müssen die Konzepte von Süßem und Zucker trennen. Süß ist 'mögen' - Zucker ist 'wollen'. Diese neue Arbeit enthüllt die neuronale Basis für die Zuckervorliebe.
Unter dem Begriff Zucker wird eine Reihe von Substanzen zusammengefasst, die unserem Körper als Brennstoff dienen. Wenn wir sie essen, wird das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert, was dafür sorgt, dass wir uns wohlfühlen. Doch das könne in einer Welt, in der es raffinierten Zucker im Überfluss gibt, schnell zum Problem werden, schreiben die Forschenden - der Körper könne regelrecht "Amok laufen". Habe die durchschnittliche jährliche Zuckeraufnahme eines US-Amerikaners im späten 19. Jahrhundert bei weniger als rund 4,5 Kilogramm gelegen, seien es heute mehr als 45 Kilogramm im Jahr. Das habe auch zu zahlreichen Gesundheitsproblemen beigetragen wie etwa der Ausbreitung von Adipositas und Typ-2-Diabetes.
Schmeckt gleich, beeinflusst unterschiedlich
In seiner früheren Arbeit konnte Neurowissenschaftler Zuker bereits zeigen, dass Zucker und künstliche Süßsstoffe dasselbe "Geschmackserfassungssystem" einschalten: Im Mund aktivieren die Moleküle die Rezeptoren für die Geschmacksrichtung süß und lösen dadurch Signale aus, die zu dem Teil des Gehirns gesendet werden, der für Verarbeitung von Süße zuständig ist.
Doch während Zucker und Süßstoff also beim Schmecken genau gleich funktionieren, beeinflusst Zucker das menschliche Verhalten auf eine Weise, wie es künstlicher Süßstoff nicht kann, erläutern die Forschenden in ihrer Studie. Sie führten ein Experiment mit Zucker und dem Süßstoff Acesulfam K an Mäusen durch. Acesulfam K wird häufig in Zero-Getränken oder Light-Produkten verwendet. Für den Versuch versetzte das Team Wasser mit Süßstoff und mit Zucker, anschließend wurden den Tieren beide Flaschen zum Trinken angeboten. Das Ergebnis: Zunächst tranken die Mäuse von beiden süßen Flüssigkeiten, innerhalb von zwei Tagen wechselten sie allerdings fast ausschließlich zum Zuckerwasser, schreiben die Fachleute.
Wir haben daraus geschlossen, dass diese unstillbare Motivation, die das Tier für den Verzehr von Zucker anstelle von Süße hat, eine neuronale Grundlage haben könnte.
Der Zuckerkreislauf
Um dieser Vermutung auf den Grund zu gehen, hat sich das Team um Zuker die Gehirne der Mäuse ganz genau angeschaut und ihre Gehirnaktivität visualisiert, wenn die Tiere Zucker, künstlichen Süßstoff und Wasser tranken. Dabei identifizierten sie erstmals eine Gehirnregion, die ausschließlich auf Zucker reagiert: den kaudalen Kern des Solitärtrakts (cNST). Es sei ein Teil des Hirnstamms, habe nichts mit der Verarbeitung von Geschmack zu tun, sondern sei eine Art Drehscheibe für Informationen über den Zustand des Körpers.
Und in genau diese Hirnregion hat der Darm also offenbar eine direkte Verbindung, wenn es um Zucker geht, so die Forschenden. Denn dort lösten Sensormoleküle ein Signal aus, das über den sogenannten Vagusnerv übertragen werde und eine direkte Informationsleitung vom Darm zum Gehirn liefere - ein Darm-Gehirn-Kreislauf. Dieser Kreislauf bevorzuge eine Form von Zucker: Glukose und ähnliche Moleküle. Künstliche Süßstoffe würden dagegen ignoriert. Dasselbe gelte auch für einige andere Arten von Zucker, wie etwa die Fructose, die in Obst vorkommt.
Aber woher kommt die besondere Vorliebe des Körpers für Zucker? Wahrscheinlich liegt es daran, dass die Glukose ein wichtiger Energielieferant ist, so die Forschenden. Zuvor hätten sie spekuliert, dass es am Energiegehalt oder den Kalorien liegen könnte, die den künstlichen Alternativen fehlten. Die Studie zeigte jedoch, dass das nicht stimmen kann, da auch kalorienfreie aber glukoseartige Moleküle den Darm-Gehirn-Kreislauf aktivieren konnten.
Suche nach neuen Strategien
Zuker und sein Team wollen jetzt noch besser verstehen, wie sich die starke Vorliebe des Gehirns für Zucker entwickelt. Deshalb wollen sie jetzt die Zusammenhänge zwischen dem Darm-Gehirn-Zuckerkreislauf und anderen Gehirnsystemen, die für Belohnung, Ernährung und Emotionen zuständig sind, untersuchen.
Der Neurowissenschaftler forscht zwar an Mäusen, ist aber davon überzeugt, dass beim Menschen im Wesentlichen derselbe Mechanismus existiert und die Ergebnisse übertragbar seien. "Das Aufdecken dieses Kreislaufs hilft zu erklären, wie Zucker unser Gehirn direkt beeinflusst, um den Verbrauch zu steigern", sagt er.
Die Studie enthüllt auch neue potenzielle Ziele und Möglichkeiten für Strategien, um unseren unersättlichen Appetit auf Zucker einzudämmen.
(kie)
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