Menschen in einem Büro
Stephan (Gründer von Inclusive Gaming), Daniel, Marion und Konstantin, in bester Laune. Bildrechte: MDR/Konstantin Henß

Neue Podcast-Folge + Bonus-Interviews Das "Öhrchen" im Spieleparadies: Hör mal, wer da zockt

19. Dezember 2024, 05:00 Uhr

Begleitet Daniel, Marion und Konstantin auf ihrem neusten Abenteuer: Wir wollen herausfinden, wie Blinde und Sehbehinderte Computerspiele spielen können. Wir unterhalten uns mit Leuten, die bereits existierende Spiele barrierefrei modifizieren und schauen uns an, wie man Spiele schon von der ersten Idee an barrierefrei denken kann. Dazu gibt es tolle Interviews mit den Leuten, die wir unterwegs kennenlernen durften.

Das Öhrchen ist wieder einmal unterwegs, um euch mit einer neuen Podcastfolge zu versorgen. Daniel, Marion und ich sind seit langer Zeit begeisterte Gamer. In der Freizeit die Möglichkeit haben, in fremde Welten einzutauchen, sie zu entdecken und zu erkunden: Das ist es, was Videospiele für uns ausmacht. Die allermeisten mir bekannten Spiele leben allerdings von audiovisuellen Eindrücken und gestochen scharfer Grafik. Da kam bei uns automatisch die Frage auf, wie Spielen eigentlich für blinde und sehbehinderte Menschen funktioniert. Welche Spiele gibt es, die man nur mittels seines Gehörs spielen kann?

Hier können Sie sich zwei aktuelle Podcasts anhören

Öhrchen Podcast Gaming 21 min
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21 min

Wo finde ich Spiele, die mir Spaß machen könnten, und wie sind deren Zugänglichkeitsoptionen? Wir sprechen mit Experten und stellen Initiativen für barrierefreies Gaming vor.

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Do 02.01.2025 12:00Uhr 20:57 min

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eine stilisierte Collage aus einem Gamepad, der Seitenansicht eines binauralen Mikrofons mit Silikonohren und dem Schriftzug Gaming 63 min
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Rein auditive Spiele bleiben die Seltenheit

Eine kurze Googe-Suche später ist klar: Besonders viele Spiele für blinde und sehbehinderte Menschen gibt es nicht. Wenn, dann sind es meist Audio- und textbasierte Spiele. Große AAA-Titel bleiben ihnen in ihrer Gänze meist vorenthalten. Gewisse Optionen für mehr Barrierefreiheit sind oft verhanden, eine komplette Spielbarkeit ist jedoch eher selten. Dennoch tut sich etwas in der Spielebranche. Einige Entwickler bieten zum Beispiel extra Modi für Farbenfehlsichtigkeiten oder Vergrößerungslupen an. Außerdem gibt es immer häufiger die Möglichkeit, sich alles im Spiel vorlesen zu lassen – sogenanntes Text-to-Speech. Einige Software-Riesen, wie zum Beispiel Microsoft, hat für seine Spielekonsole Xbox zudem Richtlinien erarbeitet, wie sie Barrierefreiheit bei den jeweiligen Xbox-Entwicklerteams voranbringen wollen. Neben Empfehlungen, welche Funktionen Spiele brauchen, damit sie für blinde und sehbehinderte Menschen zugänglich sind, wird hier auch festgehalten, wie Spielerinnen und Spieler den jeweiligen Entwicklern Feedback zu diesen Funktionen geben können.

Ein reger Austausch zwischen Entwicklern und Blinden nützt beiden Seiten. Denn oft kann sich ein sehender Mensch nicht vorstellen, was es braucht, um das Spiel blind wirklich erlebbar zu machen. Das wissen auch Kai Sandleben und Ulf Dornheck Busscher. Die zwei haben es sich nämlich zur Aufgabe gemacht, den Spieleklassiker schlechthin barrierefrei zu gestalten.

World of Warcraft für Blinde

Daniel hat zwar vor vielen Jahren bereits erste Erfahrungen mit World of Warcraft (WoW) gemacht, viel hängengeblieben ist dabei seiner eigenen Aussage nach allerdings nicht. Doch das ist nicht weiter schlimm. Denn die Erweiterung "SKU", ermöglicht Blinden und Sehbehinderten den Zugang zum Spiel. Kai ist einer der Nutzer der ersten Stunde. Er erzählt, dass er vor seiner Erblindung viel World of Warcraft gespielt hat. Dort habe er später auch seine Frau getroffen, mit der er mittlerweile ein Kind hat. Er wollte mit seinem Sohn gern gemeinsam Spiele spielen. Am Anfang sei das auch alles noch irgendwie möglich gewesen, doch irgendwann sei der Reiz da gewesen, seinem Jungen das Spiel zu zeigen, welches ihm selbst für eine Weile so viel bedeutet hatte.

Spielszene im Schnee in einem Computergame
Auf den ersten Blick unterscheidets ich das WoW mit SKU nicht von einer "normalen" Version. Denn die meisten Unterschiede sind lediglich hörbar. Bildrechte: MDR SACHSEN/Konstantin Henß

Laut Kai war das Spiel zum damaligen Zeitpunkt leider kaum barrierefrei. In einem WoW-Forum lernte er zufällig Ulf kennen, ein Programmierer, Perfektionist und Zocker aus Leidenschaft.

Mehrere tausend Stunden Arbeit

Richtig gelesen. Kai Sandleben und Ulf Dornheck Busscher haben mehrere tausend Stunden damit verbrachtet, World of Warcraft (in der Classic Version) für blinde und sehbehinderte Menschen zugänglich zu machen. Jeden Dialog, jede Wegmarke, jeden Text, egal ob von einem Gegenstand oder einer Aufgabe (auch Quest genannt), haben sie vertont. Mittlerweile hat sich eine relativ große Community gebildet, die den beiden auch dabei hilft.

Jede Person, die einmal WoW gespielt hat und weiß, wie groß die Spielwelt ist, wird nachvollziehen können, wie viel Arbeit in diesem Projekt steckt. Entstanden ist eine unfassbar große Datenbank, die laut den beiden Entwicklern aktuell nur die Classic Era Version des Spiels beinhaltet. Die Barrierefreiheit für die Erweiterung der Classic Version um das Addon Cataclysm, bei der sich unter anderem die Karte verändert, sei bereits in Arbeit.

Mann in einem 3D-Brillen Spielechat 44 min
Bildrechte: MDR SACHSEN/Konstantin Henß

Zurück zu Daniel und seinen ersten Versuchen, mit seinem Charakter in WoW laufen zu lernen. Zu Beginn fiel es ihm etwas schwer, die gradgenaue Ortung, wo sich sein Charakter befindet, in die korrekte Bewegung umzusetzen. Mal dreht er sich zu schnell, mal läuft er am Ziel vorbei. Aber mit Kais Hilfe lernt er schnell, die verschiedenen Geräusche des Addons zu deuten und sich Stück für Stück hineinzufinden. Und so lehrt er den ersten Gegnern, die er für eine Aufgabe um ein bisschen Beute erleichtern soll, schnell das Fürchten. Auch wenn es zu Beginn für Daniel anstrengend war, sich in ungewohnter Weise in einem Spiel zurechtzufinden, hat er schon nach kurzer Zeit Blut geleckt.

Spieler beim zocken vor dem PC
Daniels erste Versuche im WoW mit Addon laufen ganz gut. Bildrechte: MDR SACHSEN/Konstantin Henß

Nachdem wir nun wissen, wie viel Herzblut und Freizeit eine Reihe von Spieleliebhabern investiert haben, um ein bereits existierendes Spiel wie World of Warcraft für blinde und sehbehinderte Menschen erlebbar zu machen, wollen wir auch noch die andere Seite kennenlernen: Wie denkt, plant, konzipiert und entwickelt man ein Spiel, welches von Beginn an für Blinde und Sehbehinderte mitgedacht wird. Wie entwickelt man ein Spiel, mit dem alle Spaß haben? Dafür reisen wir, mal wieder, ins schöne Leipzig. Denn dort hat sich seit ein paar Jahren ein kleines Team von Leuten zusammengefunden, um genau das zu tun.

Barrierefreies Spielen, made in Leipzig

Von außen sieht das Gebäude in der Nähe der Nikolaikirche total unscheinbar aus: Fenster, grauer Beton, Ton in Ton. Wirkt eher wie ein altes Studierendenwohnheim. Stefan zeigt uns das Innere. Er ist einer der Mitbegründer von Inclusive Gaming und wartet bereits am Eingang auf Daniel, Marion und mich. Sein StartUp hat es sich zur Aufgabe gemacht, Spiele für alle Menschen zugänglich zu machen, egal ob blind, sehbehindert oder sehend. Dafür wollen sie völlig neue Spiele entwickeln, die zum Beispiel mittels Tonausgabe eine gute Orientierung bieten können.

Wir vier sind uns schon einmal zufällig beim Louille-Braille-Festival begegnet. Damals hat Stefan unseren Informationsstand aufgesucht.

Nach einem kurzen Plausch betreten wir sie endlich, die heiligen Entwicklerhallen. Unser erster äußerlicher Eindruck bestätigt sich auch von innen: ein altes Studierendenwohnhein, umfunktioniert zu Büroräumen. Schmale Gänge, Leuchtstoffröhrenlicht, Linoleumboden und eine nicht mehr funktionstüchtige Dusche im Bad. Stefan und sein StartUp Inclusive Gaming bewohnen hier drei Räume: eine Teeküche, einen Besprechungsraum und einen Arbeitsraum. An einer langen Tafel aus zusammengestellten Tischen stehen je acht Computer, Bildschirme, Mäuse und Tastaturen. Man erkennt direkt, dass hier irgendetwas mit Technik gemacht wird.

Menschen in einem Büro
Eher unscheinbar, aber dennoch passiert hier Großes: Die Büroräume von Inclusive Gaming. Bildrechte: MDR/Konstantin Henß

Spielen mit den Ohren

Nach einer kleinen Kaffeepause geht es direkt ans Eingemachte, besonders für Daniel. Er soll den Prototypen eines Spiels mit dem Namen "Dream Trip" testen. Diesen nutzen Stefan und sein Team oft auf Messen. PC an, Kopfhörer auf, Controller angeschlossen und schon wird Daniel in die Welt einer kleinen Fee entführt, die ihren Zauberstab verloren hat. Er soll ihr dabei helfen, ihn wiederzufinden. Dazu muss er Schalter umlegen, Schlüssel finden und dem richtigen Geräusch hinterherlaufen.

Mensch in einem Büro
Daniel ist während seiner kurzen Spielzeit total in die Welt versunken und lässt sich ausschließlich durch sein Gehör leiten. Bildrechte: MDR/Konstantin Henß

Marion und ich können Daniels Handlungen auf dem Bildschirm verfolgen. Denn das Team von Inclusive Gaming hat extra eine stark reduzierte visuelle Ausgabe des Spiels entwickelt. Damit diese Welt auditiv, also rein durch das Hören, zum Leben erweckt wird, braucht es in der Entwicklung eine Menge unterschiedlicher Töne, Geräusche und Vertonungen. Verantwortlich dafür ist Christian Barth.

Virtueller Raum
So sieht der virtuelle Raum aus, in dem sich Daniel allein durch sein Gehört leiten lässt. Bildrechte: MDR SACHSEN/Konstantin Henß

Spielwelten von Beginn an anders denken

Christian ist ausgebildeter Filmkomponist und Sounddesigner. Im Fall des Spiels Dream Trip erzählt er, dass er sich zu Beginn erst einmal die Frage stellen musste, wie der abzubildende Raum aussieht und welche Gegenstände sich darin befinden. Denn zur Orientierung braucht es Gegenstände und Oberflächen, die Töne von sich geben, oder je nach Oberflächenbeschaffenheit reflektieren. Und diese müssen unterschiedlich klingen, abhängig von Material und Entfernung zur Spielfigur. All diese Informationen, die ein sehender Mensch mit einem Blick erfassen kann, müssen auditiv übermittelt werden, so Barth. Entweder durch entsprechende Geräusche oder eine gesprochene Textausgabe.

Mann 5 min
Bildrechte: MDR/Konstantin Henß
5 min

Christian von Inclusive Gaming erklärt, worauf es beim Erstellen von Audiodateien für Videospiele ankommt.

MDR FERNSEHEN Di 17.12.2024 21:18Uhr 04:43 min

https://www.mdr.de/sachsenradio/podcast/oehrchen/video-podcast-augen-zu-und-durch-barrierefreiheit-gaming-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Informationen, die ich jetzt als sehender Mensch mit einmal einmal hinschauen im Prinzip erfassen kann, sind hier auditiv irgendwie zu übermitteln, entweder durch Sound oder durch textliche sprachliche Informationen.

Christian Barth Sounddesigner bei Inclusive Gaming

Nach gut einer halben Stunde ist Daniel fertig. Laut Stefan und Christian hat er sich gut geschlagen. Und auch Daniel hat das Spiel sichtlich Spaß gemacht. Er sei überrascht gewesen, wie gut man sich durch das Echo in der Höhle zurechtfinden konnte. Für ihn war das bestimmt nicht das letzte Spiel, welches er von Inclusive Gaming gespielt hat. Und für Marion und mich war es ein spannender Einblick in die Welt des Gaming für Blinde und Sehbehinderte.

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