Generalstaatsanwaltschaft Dresden Munitionsaffäre erschüttert Sachsens Polizei - Handys von Spezialeinheit ausgewertet
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30. März 2021, 19:00 Uhr
Das Landeskriminalamt Sachsen nimmt bei Ermittlungen das eigene Personal ins Visier. Es geht um Diebstahl von Munition im großen Stil und Verstöße gegen das Waffengesetz. Beschuldigt werden 17 Beamte einer Spezialeinheit, darunter auch der Leiter der Einheit. Diese soll nun wegen der Vorwürfe aufgelöst werden.
Die Generalstaatsanwaltschaft prüft Verbindungen von 17 Beamte eines mobilen Einsatzkommandos des Landeskriminalamtes (LKA) Sachsen zur rechten Szene. Wie die Behörde in Dresden mitteilte, wurden gegen die Beamten auch Vorwürfe erhoben wegen Diebstahls und Beihilfe zum Diebstahl, Verstöße gegen das Waffengesetz und Bestechlichkeit.
Derzeit werden die elektronischen Beweismittel wie die Handys der Beschuldigten ausgewertet. Dies wird aber sicherlich einige Tage dauern.
Durchsuchungen von Diensträumen und Wohnungen
Im Großraum Dresden wurden den Angaben zufolge die Privatwohnungen von vier Hauptbeschuldigten und die Diensträume aller Beschuldigten durchsucht. Den Männern im Alter von 32 bis 49 Jahren wird vorgeworfen, im November 2018 aus Dienstbeständen mindestens 7.000 Schuss Munition entwendet und diese als Bezahlung bei einem privaten Schießtraining bei der Firma "Baltic Shooters" bei Güstrow genutzt zu haben.
An den Schießtraining nahmen demnach weitere 13 Polizeibeamte im Alter von 30 bis 54 Jahren teil. Gegen sie werde wegen des Verdachts der Beihilfe zum Diebstahl und des Verstoßes gegen das Waffengesetz ermittelt.
Hauptbeschuldigte vom Dienst suspendiert
Nach LKA-Angaben wurde das Schießtraining beantragt, jedoch durch den Vorgesetzten untersagt. Darüber hätten sich die Bediensteten bewusst hinweg gesetzt. Die vier Hauptbeschuldigten, der Leiter der Einheit und drei Schießtrainer, seien vom Dienst suspendiert worden. Zudem wurde allen Beschuldigten das Betreten der Diensträume untersagt, sie wurden aus dem mobilen Einsatzkommando in andere Bereiche versetzt. Gegen alle Beschuldigten laufen Disziplinarermittlungen.
LKA-Präsident: Leiter der Einheit unter Hauptbeschuldigten
LKA-Präsident Petric Kleine sprach von schwerwiegenden Vorwürfen. "Sie fühlen sich wie ein Schlag ins Gesicht meiner Behörde an", sagte Kleine. Er sei "wütend und enttäuscht darüber, dass sich ein ganzes Kommando bewusst nicht nur über dienstliche Weisungen hinweggesetzt hat, sondern Einzelne unter ihnen das bestehende Vertrauensverhältnis für kriminelle Aktivitäten missbraucht haben". Der Schaden für das Image des LKA und der sächsischen Polizei sei "riesengroß".
Dass der Verlust der Munition lange nicht auffiel, erklärte Kleine mit der Zuständigkeit der Beschuldigten für die Waffenkammer des Einsatzkommandos. Der Leiter der Einheit und die drei Schießtrainer entwendeten seinen Angaben zufolge Munition für Pistolen, Maschinenpistolen und Sturmgewehre.
Verbindungen zu rechtsextremer Gruppe "Nordkreuz"?
Geprüft werden laut Generalstaatsanwaltschaft auch etwaige Verbindungen zur Gruppe "Nordkreuz". Bislang lägen hierzu keine Anhaltspunkte vor. Die 2017 aufgeflogene rechtsextreme Gruppe besteht zum großen Teil aus Verdächtigen aus dem Umfeld von Polizei und Bundeswehr. Anhänger dieser Szene bereiten sich mit dem Horten von Vorräten auf einen Katastrophenfall, den "Tag X", vor. Zum Teil legen sie auch illegale Waffenlager an und führen - wie im Fall "Nordkreuz" - Listen mit Namen politischer Gegner.
Innenminister: MEK neu aufbauen
Innenminister Roland Wöller (CDU) sagte auf einer Pressekonferenz in Dresden, er sei "stinksauer und unfassbar enttäuscht", dass Polizisten selbst zu Straftätern werden.
Jede Rechtsverletzung eines Polizisten bedeutet einen enormen Vertrauensverlust.
Deshalb gebe es in diesem Fall "nichts, aber auch gar nichts" zu rechtfertigen. Wöller sprach von einem unfassbaren Maß an krimineller Energie und kündigte umfassende Aufklärung an. Es sei nun die Zeit der Ermittler. Er habe empfohlen, das betroffene Mobile Einsatzkommandos neu aufzubauen. Auch personelle Konsequenzen beim LKA schloss Wöller nicht aus.
Landespolizeipräsident: Auswahl von Personal für Spezialeinheiten schwierig
Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar erklärte, man sei gut beraten, die alte Einheit "im Grunde" aufzulösen. "Es bedarf sicher zwei, drei Jahre, um eine neue Einheit aufzustellen. Und weitere zwei Jahre, um ein bestimmtes Niveau in diese Einheit zu bringen." Die Auswahl von Personal für Spezialeinheiten sei besonders aufwendig.
Das ist unsere letzte Instanz, wenn es darum geht, Geiselnahmen zu befrieden, Terroristen zu bekämpfen, Organisierter Kriminalität zu begegnen.
Am wichtigsten sei aber, nun Lehren aus diesem Sachverhalt zu ziehen und ratsam, einen "radikalen Schnitt" zu machen. Es gebe weitere drei Spezialeinheiten, die müssten nun die Aufgaben mit übernehmen.
Sondersitzung des Innenausschusses beantragt
Der Landtagsabgeordnete der Grünen, Valentin Lippmann, verlangte auf Twitter eine rasche Aufklärung der Vorwürfe. Die Koalitionsfraktionen haben nach Angaben Lippmanns eine Sondersitzung des Innenausschusses für Donnerstag beantragt.
Kopfschütteln bei Parteien
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, Albrecht Pallas, erklärte, der Diebstahl von 7.000 Schuss Munition aus Polizeibeständen durch Polizeibeamte zeuge von großer krimineller Energie. "Dass darin Angehörige einer Spezialeinheit involviert sind, erinnert fatal an die Vorgänge um das rechtsextreme Netzwerk 'Nordkreuz' und gefährdet massiv das Vertrauen in die Polizei."
Die Innenexpertin der Linken im Sächsischen Landtag, Kerstin Köditz, geht nicht von einem Einzelfall aus. "Mein Eindruck ist eher, dass sich gleich eine ganze schwerbewaffnete Spezialeinheit verselbstständigt hat", sagte Köditz. Sie erwarte in so einem sensiblen Bereich jederzeit professionelles Handeln. Dazu gehöre eine effektive Kontrolle.
Offenbar hat es so eine Kontrolle innerhalb des LKA aber überhaupt nicht gegeben - oder sie hat vollständig versagt.
Quelle: MDR/kb/afp/dpa
Dieses Thema im Programm des MDR MDR SACHSENSPIEGEL | 30.03.2021 | 19:00 Uhr