Ausstellung des Literaturnobelpreisträgers Dresden: Orhan Pamuk präsentiert sein "Museum der Unschuld"
Hauptinhalt
07. Oktober 2023, 04:00 Uhr
Der türkische Autor Orhan Pamuk präsentiert in Dresden sein berühmtes "Museum der Unschuld". Für die Schau "Orhan Pamuk. Der Trost der Dinge" in der Gemäldegalerie Alte Meisterhat hat der Literaturnobelpreisträger Exponate aus seinem Museum in Istanbul nachgebaut und sich auch von Kunstwerken der Dresdner Sammlung inspirieren lassen. Die Ausstellung bildet den Auftakt für einen stärkeren Fokus auf türkische Kunst und Kultur, den die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden angekündigt haben.
- Orhan Pamuk hat zu seinem Roman "Das Museum der Unschuld" ein reales Museum in Istanbul geschaffen.
- Teile davon präsentiert der Literaturnobelpreisträger nun in Dresden – und hat neue Werke geschaffen.
- Die Ausstellung "Der Trost der Dinge" bildet den Auftakt für einen stärkeren Fokus auf türkische Kunst und Kultur in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Ein Museum, das der Schlüssel zu einem Roman ist und umgekehrt, ein Roman als Schlüssel zu einem Museum – "Das Museum der Unschuld" von Orhan Pamuk ist genau das. Bereits Ende der 90er-Jahre begann der Schriftsteller mit diesem wahrscheinlich merkwürdigsten Projekt in der jüngeren Kulturgeschichte. Er ließ ein altes Haus in Istanbul zu einem Museum umbauen. Ausstellen wollte er darin Objekte, die in einem Roman von ihm eine Rolle spielten, an dem er wiederum parallel dazu schrieb. Das Buch "Das Museum der Unschuld" erschien schließlich 2008, vier Jahre später war auch das reale Museum fertig.
Orhan Pamuks Roman erzählt eine Liebesgeschichte
Der Roman erzählt von der zum Scheitern verurteilten Liebesbeziehung des 30-jährigen Kemal zu seiner jüngeren Verwandten Füsun. Wie besessen beginnt er sämtliche Alltagsgegenstände zu sammeln, die ihn an sie erinnern, um darin Trost zu finden. In seinem Museum zeigt Orhan Pamuk wiederum so genannte Kabinette, in denen er jene Alltagsobjekte aus dem Buch so arrangiert hat, dass man an ihnen die Geschichte von Kemal und Füsun ablesen kann, auch ohne den Roman zu kennen.
"Natürlich trösten uns all die kleinen Dinge. Selbst ein winziges Detail ruft etwas in uns wach", sagt Orhan Pamuk. "Wenn wir eine Kinokarte nach zwanzig Jahren wiederfinden, dann ist auf einmal der Moment da, der schöne Augenblick. Und wir erinnern uns sehr deutlich nicht nur an den Film, sondern auch an die Menschen, mit denen wir ihn gesehen, die wir nur längst vergessen haben", so der Literaturnobelpreisträger.
Die Collagen aus Objekten, Bildern und Texten erinnern an herrschaftliche Kunst- und Wunderkammern. 83 soll es davon im "Museum der Unschuld" in Istanbul geben, so viele wie Kapitel in dem gleichnamigen Roman. Orhan Pamuk hat jetzt 41 für die Ausstellung in Dresden nachgebaut. Unter anderem eine Vitrine mit einem eleganten hochhackigen Damenschuh, den Füsun trug, als Kemal bei ihr eine Handtasche für seine Verlobte kaufen wollte. Sie bildet den Auftakt der Ausstellung in Dresden.
Orhan Pamuk schafft neue Werke für Dresden
Verbunden mit der Einladung der Staatlichen Kunstsammlungen war eine Auseinadersetzung Orhan Pamuks mit den Dresdner Museen. Im Januar war der Literaturnobelpreisträger erstmals zu Gast in der Elbestadt und ließ sich von den zahlreichen Kunstschätzen inspirieren. Er besuchte das Kupferstichkabinett, die Porzellansammlung und natürlich die "Türckische Cammer". Aber besonders hatten es Orhan Pamuk die Alten Meister der Gemäldegalerie angetan. Dort, im Semper-Kabinett, ist die Ausstellung jetzt auch zu sehen.
19 Vitrinen sind aus dieser Recherche neu für die Dresdner Schau "Der Trost der Dinge" entstanden. Werke wie "Eva" von Lucas Cranach dem Älteren von 1531 interpretierte und arrangierte Orhan Pamuk neu mit Objekten aus seiner umfänglichen Sammlung, die er nach wie vor auf Flohmärkten zusammenkauft.
Für das Kabinett mit dem Titel "Rilke und die Engel" sind wiederum dessen "Duineser Elegien" Ausgangspunkt und Rilkes Aussage dazu, dass die Engelsgestalten darin mit dem Islam zu tun hätten. Damit hatte sich Orhan Pamuk bereits in seinem Roman "Das neue Leben" beschäftigt. Jetzt fügt er der Textebene eine visuelle Antwort hinzu. Dabei bezieht er sich auf Francisco de Zurbaráns "Gebet des heiligen Bonaventura um die Wahl des neuen Papstes" (1628/29).
Wenn man von Ost-West-Gegensätzen spricht, dann sage ich: Nein, sie werden alle vereint in Istanbul.
"Die meisten dieser Dresdner Vitrinen sind Erinnerung an alle meine anderen Arbeiten, aber das wichtigste Kriterium ist: Konfrontation oder Harmonie von Ost und West.Wenn man von Ost-West-Gegensätzen spricht, dann sage ich: Nein, sie werden alle vereint in Istanbul", so Pamuk.
Weitere Stationen der Ausstellung, wo sich Orhan Pamuk in gleicher Weise von Kunstwerken zu neuen Arrangements inspirieren lassen wird, sind bereits geplant. 2024 wird er mit dem "Trost der Dinge" im Lehnbachhaus in München und in Prag im DOX-Zentrum für zeitgenössische Kunst zu Gast sein.
Mehr Kunst und Kultur der Türkei in Dresden
Mit der Ausstellung "Der Trost der Dinge" will man in Dresden an den 29. Oktober 1923 erinnern. An diesem Tag wurde die osmanische Dynastie entmachtet und die Republik Türkei gegründet. Damit begann die Geschichte eines modernen türkischen Staates, an die sich Orhan Pamuk in seinen Texten, aber auch mit seinen Collagen im "Museum der Unschuld" anzunähern versucht.
Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen, spricht von Mikrogeschichten, die in den Kabinetten erzählt werden. Das ganze 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein sei geprägt vom Ringen darum, was Modernität sei in der Türkei, welche Traditionen aus den früheren Jahrhunderten, dem byzantischen und osmansichen Erbe, heute noch eine Rolle spielten und ebenso transkulturelle Prozesse. Und damit befasse sich Orhan Pamuk in seiner Literatur schon immer, so Ackermann.
Es ist uns ganz wichtig, dass wir uns mit diesen Mikrogeschichten, den Tiefenschichtungen von Geschichte und Kultur auseinandersetzen, um mehr übereinander zu wissen.
Die Einladung der Staatlichen Kunstsammlungen an Orhan Pamuk kam nicht von ungefähr. In Dresden befindet sich die größte osmanische Sammlung außerhalb der Türkei, daher möchte man sich künftig intensiver türkischer Kunst und Kultur widmen. Eine mehrjährige Programmreihe ist geplant, um letztlich den Blick für die eigene Sammlung, aber eben auch für die Vergangenheit und Gegenwart der Türkei zu schärfen. Die Ausstellung "Orhan Pamuk. Der Trost der Dinge" bildet den Auftakt dazu.
Informationen zur Ausstellung
"Orhan Pamuk. Der Trost der Dinge"
6. Oktober 2023 bis 7. April 2024
Semper-Kabinett, Gemäldegalerie Alte Meister Dresden
Redaktionelle Bearbeitung: lig
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 06. Oktober 2023 | 08:10 Uhr