Serie zur Wahlbeteiligung Tanzende Balken: Warum die Beteiligung bei Landtagswahlen so stark schwankt
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14. Mai 2021, 12:05 Uhr
Mal lag sie bei mehr als 70 Prozent, mal bei weniger als 45: Die Beteiligung bei Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt hat in der Vergangenheit beachtliche Sprünge gemacht. Im ersten Teil einer Reihe über Wahlbeteiligung blickt MDR SACHSEN-ANHALT in die Geschichte – und klärt mit einem Politikwissenschaftler, was Gründe für die schwankende Wahlbeteiligung sind.
Am 6. Juni werden sie wieder tanzen: Je später der Abend, desto höher die Sprünge. Es dürfte also werden, wie es immer ist: 12 Uhr – niedrige Wahlbeteiligung. 14 Uhr – etwas höhere Wahlbeteiligung. 16 Uhr – deutlich höher. Wer im Corona-Jahr 2021 über Wahlen berichtet, kann das nicht tun, ohne einen Blick auf das Thema Beteiligung zu werfen. Noch lässt sich nicht seriös vorhersagen, wie sich die Pandemie auf die Wahlbeteiligung auswirken wird.
Schwankende Beteiligung bei Landtagswahlen
Gewiss: In Sachsen-Anhalt hat es in diesem Jahr schon zwei Landratswahlen gegeben – im Salzlandkreis und im Burgenlandkreis, mit einer Beteiligung von jeweils unter 35 Prozent. Eindeutigen Aufschluss geben diese Wahlbeteiligungen aber nicht. Eine Landtagswahl kann für gewöhnlich mit höheren Beteiligungswerten punkten als kommunale Wahlen. Klar dürfte sein: der Anteil derjenigen, die per Briefwahl abstimmen, wird steigen.
Dieser Beitrag soll sich um die Frage drehen, warum zu welchen Wahlen wie stark gewählt wird – oder eben nicht. Anruf bei Benjamin Höhne. "Landtagswahlen bezeichnen wir im Uni-Seminar als Second-Order-Wahlen", erzählt der Politikwissenschaftler am Institut für Parlamentarismusforschung. Das bedeute, dass sie in der Regel auf geringere Beteiligung stoßen als Bundestagswahlen – aber auf wiederum höhere als Kommunal- oder Europawahlen.
Statistiken für Sachsen-Anhalt belegen das. Sie zeigen aber noch etwas: Dass die Wahlbeteiligung auch bei Landtagswahlen mitunter äußerst stark schwankt – auf ein Rekordtief von 44,4 Prozent (Landtagswahl 2006) bis zu einem Rekordhoch von 71,5 Prozent (Landtagswahl 1998).
Erklärungsansätze: Themen, Personen, Identifikation mit Partei
Woran liegt das? "In der Wahlforschung gibt es drei wichtige Erklärungsfaktoren", sagt der Experte. "Das sind die Themen, das sind die Personen und darüber hinaus die Identifikation mit einer Partei." Wer traditionell Partei X oder Y wähle, gehe beinahe automatisch zur Wahl, um die eigene Partei zu unterstützen. Und dann gibt es noch einen Faktor, den der Wissenschaftler mit dem Begriff Mobilisierung beschreibt. "Für eine hohe Beteiligung ist wichtig, dass die Wählerinnen und Wähler das Gefühl haben, dass es um etwas geht."
Diesen Eindruck zu erreichen, ist in erster Linie der Job der Parteien. Nicht ohne Grund setzen sie vor wichtigen Wahlen auf Abgrenzung – selbst, wenn die gemeinsame Koalition noch regiert. Da wird dann erklärt, was am Widerstand des Koalitionspartners gescheitert sei. "Für diese Stimmung brauchen die Parteien klar voneinander abgrenzbare Positionen, zum Beispiel deren Pläne, das Land zu entwickeln", sagt auch Benjamin Höhne. Wenn ein Wahlkampf dagegen inhaltlich vor sich hin dümpele – etwa, weil die zugespitzte Polarisierung fehlt – wirke sich das eher negativ auf die Beteiligung aus, weiß der Wissenschaftler.
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Stichwort Mobilisierung: Als in Sachsen-Anhalt vor fünf Jahren ein neuer Landtag gewählt wurde, war die Flüchtlingspolitik das dominierende Thema in der öffentlichen Debatte. Die AfD mobilisierte in der Folge seinerzeit so viele Nichtwählerinnen und Nichtwähler für sich wie keine andere Partei. Das Ergebnis ist bekannt: Die in Teilen rechtsextreme Partei fuhr aus dem Stand ein Ergebnis von 24,3 Prozent der Stimmen ein, wurde Oppositionsführerin. Die Wahlbeteiligung stieg im Vergleich zur Landtagswahl fünf Jahre zuvor um nahezu zehn Prozentpunkte: 61,1 Prozent.
Mobilisierung und Gegenmobilisierung
Befragungen in den Wahllokalen zeigten, dass zwei Drittel aller AfD-Wählerinnen und -Wähler ihre Entscheidung aus Enttäuschung über andere Parteien getroffen hatten. Die AfD hat 2016 also massiv mobilisiert – und wesentlich zur höheren Wahlbeteiligung beigetragen. Noch höher fiel die Beteiligung bei der Landtagswahl 1998 aus. Damals gaben 71,5 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab – mit dem Ergebnis, dass am Ende rechtsextreme DVU in den Landtag einzog. Mit 12,9 Prozent der Stimmen. "Wenn Parteien stark mobilisieren, gibt es in der Regel auch eine Gegenmobilisierung", sagt Höhne. "Das erleben wir speziell seit dem Aufkommen der AfD." Bis dahin beobachteten nicht nur Expertinnen und Experten, dass die Wahlbeteiligung über die Jahre immer mehr abnahm.
Das ist vorbei. Ohnehin betont Höhne, es gebe keinen "Mindestwert" an Beteiligung. "In einer Demokratie muss es genauso erlaubt sein, nicht wählen zu gehen", sagt er. "Wir haben in Deutschland aus gutem Grund keine Wahlpflicht."
In Sachsen-Anhalt ist es nicht schlechter um die Wahlbeteiligung bestellt als in anderen ostdeutschen Bundesländern.
Prognosen über die Beteiligung bei der anstehenden Landtagswahl will Politikwissenschaftler Benjamin Höhne indes nicht treffen. Er spricht von vielen Unwägbarkeiten auf dem Weg dorthin. Noch sei zum Beispiel unklar, wo die Corona-Impfkampagne Anfang Juni stehe. "Viele Wählerinnen und Wähler treffen ihre Entscheidung immer später, teilweise erst in der Wahlkabine", sagt Höhne. "Wählen", sagt er abschließend, "wird immer situativer".
MDR/Luca Deutschländer
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 13. Mai 2021 | 17:00 Uhr
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