#MDRklärt CDU und AfD: Warum Männer und Frauen so unterschiedlich wählen
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10. Juni 2021, 19:05 Uhr
Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt brachte einige überraschende Ergebnisse mit sich. Eines davon: Männer und Frauen stimmen in Bezug auf CDU und AfD sehr unterschiedlich ab. Woran liegt das? Der Politikwissenschaftler Michael Kolkmann von der Uni Halle hat sich darüber Gedanken gemacht – und über das Wahlverhalten jüngerer Bevölkerungsgruppen.
Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt haben Männer und Frauen sehr unterschiedlich abgestimmt – zumindest was die CDU und die AfD angeht. Während bei Linken, SPD, FDP und Grünen die Ergebnisse fast identisch waren, sind bei den beiden großen Parteien erhebliche Differenzen zu erkennen.
Männer wählten über alle Altersgruppen hinweg zu 33 Prozent die CDU und zu 26 Prozent die AfD. Frauen hingegen entschieden sich zu 41 Prozent für die CDU und nur zu 16 Prozent für die AfD. Wie ist diese Diskrepanz zu erklären?
Spannende Frage für die Politikwissenschaft
Anfrage am Montag nach der Wahl bei Michael Kolkmann, Politikwissenschaftler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die erste Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Kolkmann schreibt: "Diese Unterschiede sind mir bzw. einem Kollegen auch bereits aufgefallen." Er bittet um ein bisschen Zeit, um sich mit "dieser spannenden Frage" auseinandersetzen zu können. Er sei bereits virtuell im Gespräch mit einigen Kollegen und Kolleginnen.
Einen Tag später zeigt sich Kolkmann erstaunt darüber, dass es in den "bislang veröffentlichten Berichten nur reine Sachinformationen" zum Ausmaß der Wahl gebe, zu der speziellen Thematik aber "weder Begründungen noch Analysen".
Frauen setzen in Krisenzeiten auf Sicherheit statt auf Fundamental-Opposition
Für das unterschiedliche Wahlverhalten von Männern und Frauen in Bezug auf CDU und AfD bietet Kolkmann zwei Erklärungen an. Zum einen vermutet er, dass Frauen in Corona-Zeiten auf Sicherheit setzen: "auf sichere Bildung, sichere Städte und Dörfer". Diese Sicherheit garantiere – "anders als eine fundamentale Oppositionspartei wie die AfD", wie Kolkmann es formuliert – vor allem die CDU. Die CDU könne sich als größte Regierungspartei erfolgreich und verlässlich um diese Aufgabe kümmern.
Diese Erkenntnis korreliert mit Ergebnissen aus der Evolutionsbiologie zu einem ganz anderen Forschungsfeld. US-Forschende von der Universität Bloomington in Indiana fanden vor einiger Zeit heraus, dass Frauen bei der Partnerwahl anders vorgehen als Männer. Während bei den Männern Attraktivität als Auswahlkriterium eine große Rolle spiele, ist es der Studie zufolge bei den Frauen – Sicherheit. Dies wurde in weiteren Studien und Untersuchungen immer wieder bestätigt.
Der Experte: Das ist Michael Kolkmann
Dr. Michael Kolkmann hat von 1993 bis 1999 Politikwissenschaft und Geschichte in Hannover, Bonn sowie an der American University in Washington, D.C. und in Potsdam studiert. Als Diplom-Politikwissenschaftler war er nach einem Forschungsaufenthalt am German American Center for Visiting Scholars in Washington, D.C. ab 2001 im Abgeordnetenhaus von Berlin tätig tätig. 2004 promovierte er an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, wo er derzeit am Institut für Politikwissenschaft als Lehrkraft für besondere Aufgaben arbeitet. Seine Arbeitsgebiete sind Politische Systeme, Parteien und Parteiensysteme, Wahlen und Wahlkämpfe sowie die Parlamentarismusforschung.
Zum anderen wirft Kolkmann einen Blick auf die Erwerbsstruktur in den neuen Bundesländern. Dabei zeige sich, dass "oft der Mann der Hauptarbeitnehmer ist und die Frau in einer Art konservativem Familienbild die typischen Aufgaben daheim übernimmt". Dies sei zwar nur eine Vermutung, die man in Zukunft näher beleuchten müsste, so der Experte. Doch könne dieses Verhältnis im Zusammenhang mit dem unterschiedlichen Wahlverhalten ins Gewicht fallen. Auch hier taucht also der Themenkomplex (materielle) Sicherheit/Zuhause/Schutz wieder auf.
Wirtschaftliche Situation wird subjektiv eher kritisch gesehen
Kolkmann weist auf einen weiteren Aspekt hin, der das Wahlverhalten beeinflussen könnte. So komme die CDU bei Menschen, die ihre wirtschaftliche Lage als "eher gut" einschätzen, auf 40 Prozent. Bei denen, die ihre Lage als "eher schlecht" einschätzen, kommt sie nur auf 20 Prozent.
Umgekehrt sei es bei der AfD, sagt Kolkmann: Hier erreiche die Partei bei denen, die ihre wirtschaftliche Lage als "eher schlecht" sehen, 37 Prozent, bei "eher guten" Aussichten jedoch nur 18 Prozent. Bei den anderen Parteien gebe es jeweils kaum Unterschiede.
Diese Zahlen spiegeln zwar das Wahlverhalten der Geschlechter in Sachsen-Anhalt nicht 1:1 wieder, in der Tendenz gibt es aber große Ähnlichkeiten. Bei jüngeren Wählern – vor allem Männern – könnte es laut Kolkmann eine Rolle spielen, dass sie früher arbeitslos oder in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt waren und "ihre wirtschaftliche Situation subjektiv eher kritisch sehen, obwohl dies objektiv vielleicht ganz anders ist".
Eine weitere Frage, die Kolkmann und einige seiner Kollegen stark umtreibt, ist die "überdurchschnittliche Unterstützung der AfD in den jüngeren Wählergruppen". Einig seien sich seine Kollegen und er, dass die sogenannte "Umbruchssozialisation einen Teil des überdurchschnittlichen AfD-Ergebnisses erklärt – und weniger die von Marco Wanderwitz behauptete Diktatursozialisation. Die Partei habe in den Altersgruppen von 25 bis 59 Jahre bessere Ergebnisse erzielt als im Durchschnitt. Das seien in etwa die Geburtsjahrgänge von 1962 bis 1996.
Gefühl der Benachteiligung und der Herabwürdigung der Lebensleistung
Wer die Wende und die Folgejahre, inklusive des Verfalls der ehemaligen Industriestandorte, bis ungefähr ins Jahr 2000 bewusst oder über die Eltern vermittelt mitbekommen habe, könne das subjektive Gefühl der Benachteiligung und der Herabwürdigung der Lebensleistung ausbilden, so Kolkmann. Entscheidender Punkt sei, "dass der Umbruch nach 1990 die prägende Erfahrung ist und nicht die DDR-Vergangenheit". Wichtig sei eine "Sekundärsozialisation" über Eltern und deren Freundeskreis: Erfahrungen und Deutungsmuster von Politik und Gesellschaft würden an Jüngere weitergegeben.
Auch persönliche Eindrücke könnten relevant sein, "etwa wenn die Jüngeren den Eindruck haben, dass 'für die Griechen Geld da ist' und für sie selbst nicht". Das könne "vermutlich fremdenfeindliche Einstellungen verstärken". Forscherinnen und Forscher schätzen laut Kolkmann, dass ein Drittel bis die Hälfte der jungen AfD-Wähler ein gefestigtes rechtsradikales Weltbild haben.
AfD beim Wahlkampf in sozialen Medien erfolgreich
Weiter könne man argumentieren, dass "das Wahlverhalten in den neuen Bundesländern volatiler (also schwankender) ist, weil jüngere Wähler in ihrer Parteiidentifikation noch ungefestigter sind und das Wesen der Politik – Verhandlungen und Kompromisssuche – (noch) nicht kennengelernt oder verinnerlicht haben."
Schließlich: Mehr als als andere Parteien habe die AfD im Wahlkampf von der Nutzung sozialer Medien profitiert. Stärker als im öffentlichen Diskurs könne dabei das sogenannte "negative campaigning" genutzt werden, der "Angriffswahlkampf". Und Nutzende der sozialen Medien seien vor allem jüngere Bevölkerungsgruppen.
MDR/Gero Hirschelmann
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