MDR-Experiment zu Bürgernähe Nur wenige Abgeordnete beantworten E-Mails
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18. Februar 2016, 20:49 Uhr
Viele Sachsen-Anhalter beklagen, dass Politiker für sie zu wenig greifbar sind. Das hat gerade eine qualitative Studie des Instituts Infratest dimap im Auftrag des MDR bestätigt. "Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen", ist ein oft gehörter Satz. Ein Experiment von MDR SACHSEN-ANHALT scheint genau diesen Vorwurf nun zu bestätigen. Bürgeranfragen per E-Mail werden demnach nur von einer Minderheit beantwortet.
E-Mail-Anfragen von Bürgern werden von vielen Landtagsabgeordneten nicht beantwortet. Das belegt ein Experiment von MDR SACHSEN-ANHALT. Nur 21 Prozent der Abgeordneten des Landtages reagierten auf fiktive Bürgeranfragen, die der MDR verschickt hatte.
Die Unterschiede zwischen den im Landtag vertretenen Parteien sind dabei deutlich: Die Grünen antworteten auf 67 Prozent der Anfragen. Von der Partei Die Linke reagierten 21 Prozent der Abgeordneten, bei der SPD waren es 19 Prozent. Die CDU hatte in dem Experiment die niedrigste Antwortquote: Nur 12 Prozent der Fraktionsmitglieder antworteten auf die E-Mails.
Differenziertes Bild: Qualität der Antworten
Von den Spitzenkandidaten reagierten zwei auf die E-Mails: Katrin Budde von der SPD und Claudia Dalbert von den Grünen. Von CDU-Spitzenkandidat Reiner Haseloff und Wulf Gallert von der Linken gab es bis zum Ende des Auswertungszeitraums keine Antwort.
Bei der Beantwortung der Anfragen gab es mitunter deutliche Unterschiede in der Qualität der Antworten. Eine Abgeordnete schrieb, sie sei für die Frage nicht zuständig und werde sie deshalb an einen Referenten weiterleiten. Von diesem kam bis Ende des Auswertungszeitraums keine Reaktion. Mehrere Abgeordnete luden die Fragesteller zu einem persönlichen Gespräch ein. Ein weiterer Abgeordneter bot eine konkrete Problemlösung an.
Eine E-Mail für jeden Abgeordneten
Für das Experiment hatten MDR-Redakteure zehn E-Mail-Adressen eingerichtet. Sie stehen für zehn fiktive Bürger mit jeweils einer konkreten Frage. Jeder der 105 Landtagsabgeordneten erhielt aus diesem Pool eine E-Mail. Die Adressen der Abgeordneten stammen von der offen einsehbaren Internetseite des Landtags. Nach dreieinhalb Wochen wurde der Rücklauf des nicht-repräsentativen Experiments ausgewertet.
Reaktionen der Parteien
Wie 36 andere CDU-Abgeordnete antwortete auch Ministerpräsident Haseloff nicht auf die Mail. Er sagte, sein Wahlkreisbüro kümmere sich vor allem um lokale Anliegen. Grundsätzlich sei ihm der Kontakt mit den Bürgern aber wichtig. Täglich erreichen Haseloff in der Staatskanzlei nach eigenen Angaben etwa 150 Anfragen. Alle würden konkret beantwortet.
Deswegen mache ich regelmäßig Wahlkreis-Sprechstunden, da sind dann viele da. Da geht es um konkretes politisches Arbeiten. Alles andere ist Regierungshandeln und das kommt in die Staatskanzlei und wird entsprechend bearbeitet – und zwar jede Anfrage.
Auch der Spitzenkandidat der Linken, Wulf Gallert, antwortete nicht auf die E-Mail-Anfrage. Über die geringe Quote in seiner Partei zeigt er sich verwundert:
Das überrascht mich außerordentlich, weil ich da andere Erfahrungen habe. Die einzige rationale Erklärung, die ich habe, dass es mitten im Wahlkampf ist – da sind die Leute mehr auf der Straße, weniger vorm Computer. Das ist zwar auch keine Entschuldigung, aber eine Erklärung.
Katrin Budde, Spitzenkandidatin der SPD, sowie vier andere Sozialdemokraten im Parlament reagierten auf die Anfrage. Budde sagte, für sie selbst sei es selbstverständlich, E-Mails von Bürgern zu beantworten. Das sei ein bewährter Kontaktweg.
Ich habe in den letzten zehn Jahren keine Bürgersprechstunde mehr angekündigt, weil die anderen 16 Jahre davor keiner gekommen ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die, die etwas wollen, sich direkt an die Bürgerbüros wenden, einen Brief schreiben. Da kann ich nur für meine Kollegen sagen, dass das immer behandelt worden ist.
Bei den Grünen haben sechs von neun Abgeordneten auf die Bürgeranfragen reagiert. Spitzenkandidatin Claudia Dalbert beantwortete die ihr zugesendete Mail. Sie sieht jeden Kontakt mit Wählern als Chance.
Wenn das bei anderen Parteien und Fraktionen so gering ist, finde ich das eigentlich besorgniserregend. Denn das ist doch eine gute Möglichkeit, mit den Bürgern in Kontakt zu kommen und auch politische Positionen zu erklären oder zu sagen, warum man Dinge anders sieht.
Experte: "Bürgernähe ist sehr wichtig - besonders vor einer Wahl"
Der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer hält die Kommunikation mit den Bürgern nicht nur im Wahlkampf für wichtig. Aber besonders dann schauten die Wähler kritisch auf die Reaktionen der Politiker, so Niedermayer. Wenn die Parteien nicht auf Anfragen reagieren, dann "ist das natürlich jetzt gerade im Wahlkampf ganz schlecht, weil die Bürger dann enttäuscht sind und weil sie möglicherweise aus Enttäuschung eben nicht zur Wahl gehen oder eben andere Partei wählen."
Niedermayer betonte allerdings die besondere Belastung der Abgeordneten im Wahlkampf: "Politiker bekommen natürlich jeden Tag sehr viele E-Mails und das Zeitbudget dieser Leute ist ja auch begrenzt." Er halte es deshalb für falsch, der Politik per se Versagen vorzuwerfen. Ein Punkt ist für ihn aber ganz klar: "Wenn ein Abgeordneter systematisch nicht auf die Sorgen und Wünsche seiner Wähler im eigenen Wahlkreis reagiert, dann ist er am falschen Platz."