Politischer Ausblick Was die nächsten "Haseloff-Jahre" prägen könnte

15. September 2021, 22:48 Uhr

Reiner Haseloff geht in seine dritte Amtszeit. Er will eine Koalition aus CDU, SPD und FDP anführen.
Eine Regierungserklärung ist für Oktober angekündigt. MDR SACHSEN-ANHALT mit einem Überblick über das, was Sachsen-Anhalt zu erwarten hat.


Thomas Vorreyer
Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Die Bewältigung von Corona

Finanzkrise, Migrationskrise, Corona-Pandemie: Reiner Haseloff musste als Ministerpräsident oft im Notfallmodus regieren. Dem kühlen Physiker liegt das. Das Land kam bislang halbwegs glimpflich durch die Pandemie. Nun geht es darum, die Folgekosten abzumildern. Zumindest war das das zentrale Anliegen von Haseloffs Wahlkampf.

Im Koalitionsvertrag ist dafür ein 1,5 Milliarden Euro teures Paket vorgesehen. Geld für Krankenhäuser, Wirtschaftshilfen und Digitalisierung. Finanziert wird dieses sogenannte Sondervermögen aus Schulden. Wie auch bei den Strukturwandel-Milliarden muss Haseloff darauf achten, dass das Geld nicht verpufft. Angesichts der angespannten Haushaltslage sagt Landesrechnungshofspräsident Kay Barthel: "Der Schuss muss sitzen."

Die Umsetzung des Koalitionsvertrags

"Wir gestalten Sachsen-Anhalt" lautet die Devise des Koalitionsvertrags. Inhaltlich gibt es von allem ein bisschen mehr: mehr Polizei, mehr Lehrer, mehr Digitalisierung, mehr Klimaschutz. Das kennt man auch aus älteren Verträgen. Stellenweise fehlen konkrete Daten und Zahlen. Entscheidend wird ohnehin sein, was tatsächlich umgesetzt wird und ob es dann auch tatsächlich reicht, um beispielsweise den Lehrermangel zu bekämpfen.

Anders als von CDU-Landeschef Schulze und Haseloff behauptet, ist das Papier auch nicht ganz frei von Prüfaufträgen. Die Diskussion um den Wolf etwa, dessen Schutzstatus nun geprüft werden soll, begann schon, bevor der Vertrag überhaupt unterzeichnet war. Konfliktpotenzial ist also gegeben.

Der Umgang mit der AfD

"Die Diskussion ist vorbei, die gibt es nicht mehr." So sieht es Sven Schulze. Die Frage einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit mit der AfD, die zwei Jahre lang über die Landtagsflure spukte und die CDU im Wahlkampf bis in die letzte Ecke verfolgte, hat sich wohl tatsächlich aufgelöst.

Das hängt zum einen mit dem Wahlergebnis zusammen. Die 37,1 Prozent der Stimmen kamen zu einem nicht geringen Teil auch durch Haseloffs klare Abgrenzung zu der in Teilen rechtsextremen Partei zustande. Letztere unterstrich er endgültig, als er im Dezember den damaligen CDU-Landesvorsitzenden Holger Stahlknecht als Innenminister absetzte. Stahlknecht hatte eine CDU-Minderheitsregierung ins Spiel gebracht, die wohl auch von der AfD hätte unterstützt werden müssen.

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Der andere Grund heißt FDP. Der von den Grünen als "Reserverad" verspottete neue Partner hat mit Lydia Hüskens, Guido Koßmehl und Andreas Silbersack eine streitbare wie selbstbewusste erste und zweite Reihe. Man wird sich aneinander reiben.

Für die CDU ist das gut. In der Auseinandersetzung mit einer Partei, die weder links ist noch am rechten Rand steht, kann sie ihre Koordinaten scharfstellen, ohne dass es krude Denkschriften braucht. Gleichzeitig kann man zusammen gegen eine ausgabenfreudige SPD argumentieren.

Die AfD wiederum erklärte nach der Wahl, zukünftig "regierungsfähig" zu werden. Bislang ist aber nicht erkennbar, dass Fraktion und Partei sich strukturell, kommunikativ oder gar programmatisch verändern wollen.

Die Frage, wie lange Haseloff noch macht

Eigentlich war der heute 67-jährige Haseloff schon auf dem Weg in die Rente. Bevor Corona kam. Bevor Stahlknecht aus der Reihe tanzte. Diese Legislatur dürfte aber definitiv seine letzte sein. Die Frage ist nur, ob er wirklich die vollen fünf Jahre Ministerpräsident bleiben will, bevor er an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin übergibt.

Bei seinem Vorgänger, Wolfgang Böhmer, begannen die Diskussionen im ersten Jahr seiner zweiten Amtszeit. Zwischenzeitlich erklärte Böhmer früher abtreten zu wollen, am Ende blieb er doch bis zum Schluss. Prognosen fallen deshalb schwer.

Das Zusammenspiel mit dem potenziellen Nachfolger

Vor fünf Jahren soll Haseloff im Parteivorstand in Berlin verkündet haben, seine CDU wäre bestens für die Zukunft aufgestellt. Mit Innenminister Holger Stahlknecht, Finanzminister André Schröder und Bildungsminister Marco Tullner, damals alle um die 50, befänden sich gleich drei Kandidaten in Warteschleife fürs Amt des Ministerpräsidenten. Dann stürzte die eigene Fraktion Schröder; Stahlknecht musste gehen, weil er Haseloff hintergangen hatte; und Tullner verlor spätestens mit der Corona-Krise an Rückhalt.

Nun lugt Sven Schulze, 42, aus Haseloffs Schatten. Schulze, bislang Europaabgeordneter, ist in Berlin, Brüssel und in den Medien bestens vernetzt. Seit dem abrupten Abschied von Stahlknecht ist er der neue starke Mann der Landes-CDU und hat als solcher die Koalitionsverhandlungen geführt. Haseloff lobt: Es sei der bislang "spannendste Koalitionsvertrag".

Reiner Haseloff (CDU, l), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, und Sven Schulze, Landesvorsitzender der CDU Sachsen-Anhalt
"Von Anfang an klargemacht, dass er als sein Nachfolger aufgebaut werden soll" – Reiner Haseloff (l.) mit Sven Schulze Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Hendrik Schmidt

Zudem hat sich Schulze ein eigenes Super-Ministerium rund um das Wirtschaftsressort geschaffen, das er der SPD abgejagt hat; mit der Rückendeckung des Ministerpräsidenten. "Haseloff hat von Anfang an klargemacht, dass Schulze als sein Nachfolger aufgebaut werden soll", sagt jemand, der bei allen Verhandlungen dabei war.

Im Zusammenspiel der beiden wird es künftig darauf ankommen, wie viel Raum sich der oft detailversessene Haseloff und der ehrgeizige Schulze gegenseitig lassen. Und wie sie die meinungsfreudige, auf 40 Abgeordnete angeschwollene CDU-Fraktion dauerhaft bei Laune halten. Nicht umsonst ist schließlich der angesehene Siegfried Borgwardt Fraktionschef geblieben. Er wird dort gebraucht.

Die mögliche neue Rolle Haseloffs

Ein bisschen wird Reiner Haseloff seine Rolle in seiner nun dritten Amtszeit neu finden müssen. Mit der Figur des Landesvaters hat er sich erst im Wahlkampf versöhnt. Und außerhalb Sachsen-Anhalts könnte er da weitermachen, wo er etwa zwei Jahre vor der Wahl angefangen hat: als gern auch mal knurrige Stimme Ostdeutschlands, die sich mit Markus Lanz vor Millionenpublikum zofft und in der Corona- und der Klimadiskussion daran erinnert, was den Menschen hier schon alles an Umbrüchen zugemutet wurde.

Der Klimaschutz und der Strukturwandel im Süden Sachsen-Anhalts werden zwei der Entscheidungsfelder für Haseloff und sein neues Kabinett werden. Besonders dann, wenn eine neue Bundesregierung oder das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Ausstieg bis 2038 rütteln. Dabei wollten CDU, FDP und SPD ja selbst dieses Datum nicht im Koalitionsvertrag festschreiben.

Und dann ist da noch die Frage, ob die Koalition künftig tatsächlich 1,5 Milliarden Euro einsparen muss, wie es im Koalitionsvertrag steht, oder ob das CDU-geführte Finanzministerium mit dieser Zahl nur Druck auf die Koalitionsverhandlungen machen wollte.

Das wäre mehr als ein Zehntel des bisherigen Landeshaushalts. Und noch kann oder will keine der drei Parteien sagen, wo der Rotstift angesetzt werden soll. Gerade stehen müsste am Ende aber vor allem einer dafür: Reiner Haseloff.

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Die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der sechs großen Parteien zur Landtagswahl Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

MDR SACHSEN-ANHALT/Thomas Vorreyer

Dieses Thema im Programm: MDR S-ANHALT | MDR SACHSEN-ANHALT Heute | 16. September 2021 | 19:00 Uhr

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