Ein Mann steht mit verschränkten Armen vor einer Baustelle.
Unternehmer Nico Kolodzig hofft, dass das Handwerk wieder mehr gefördert wird. Bildrechte: MDR/Heike Bade

"Bürger-Auftrag" an die neue Landesregierung Bauunternehmer Nico Kolodzig aus Tangerhütte: "Das Handwerk mehr schätzen"

28. April 2021, 17:32 Uhr

Sachsen-Anhalt wählt in wenigen Wochen einen neuen Landtag. Vorher spricht MDR SACHSEN-ANHALT mit Menschen über ihre Wünsche an die neue Regierung. Im dritten Teil der Reihe "Bürger-Auftrag" geht es um die Sorgen von Unternehmerinnen und Unternehmern im ländlichen Raum.

Nico Kolodzig lehnt sich über einen Bauplan. Um ihn herum wird gesägt und gehämmert, ein Bagger verrichtet sein Werk. Aus einem Radio dröhnt Musik. Nico Kolodzig sieht sich um. Vielleicht denkt er in diesem Moment daran, wie all das begonnen hat – damals, als er zwölf Jahre jung war. Kolodzig half da bei seinem Vater auf dem Bau. Heute ist er Chef einer eigenen Firma in der Altmark. Seit sechs Jahren nun schon.

Damals, im Jahr 2015, hat er sich selbstständig gemacht. Hoch- und Tiefbau in Tangerhütte. Die Geschäfte laufen gut, sagt er. Nico Kolodzig ist 48 Jahre alt und in Wolmirstedt geboren. Bevor all das hier anfing, machte er eine Ausbildung zum Maurer- und Betonbaumeister. Anschließend studierte er Betriebswirtschaftslehre, dann ging er den Schritt in die Selbstständigkeit.

Ein Mann mit Mund-Nasen-Schutz lehnt über einem nicht sichtbaren Bauplan.
Bauunternehmer Nico Kolodzig hat sich vor sechs Jahren selbstständig gemacht. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Alles gut also? Nico Kolodzig schüttelt mit dem Kopf. Klar: Die Auftragslage ist hervorragend. Sie ist so gut, dass Kolodzig noch viel mehr als die zwölf Fachkräfte beschäftigen könnte, die bei ihm angestellt sind. Doch es ist wie so oft: Das Personal fehlt.

Freude und Sorge zugleich

Nico Kolodzig beobachtet eine Entwicklung, die ihm Freude und Sorge zugleich macht. Während die Wertschätzung für das Handwerk nach seinem Empfinden wächst und wächst, wenden sich immer mehr potenzielle junge Menschen von handwerklichen Berufen ab. An der Bezahlung kann das nicht liegen, glaubt der Unternehmer. "Offenbar will sich kaum jemand noch die Hände schmutzig machen", vermutet er. Für Firmenchefs wie den 48-Jährigen ist das ein echtes Problem.

Über die Reihe: Was der "Bürger-Auftrag" zeigen soll

Am 6. Juni ist Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Schon vorher will MDR SACHSEN-ANHALT wissen, was die Menschen im Land bewegt – und was sie von der neuen Regierung erwarten. Frauen und Männer aus sechs Wahlkreisen formulieren in dieser Reihe ihren Wunsch an die neue Landesregierung – den "Bürger-Auftrag". Die sechsteilige Serie erscheint bis Sonnabend jeden Tag.

Dieses Problem hängt gewiss auch mit dem oft zitierten demographischen Wandel zusammen. Im ländlichen Raum werden die Menschen immer älter, viele Junge zieht es in die Stadt. Die, die bleiben, sind heiß umkämpft auf dem Arbeitsmarkt. Zwar hat die Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte zwischen 2009 und 2010 einen ungewöhnlichen Zuwachs an Einwohnerinnen und Einwohnern verzeichnet – in erster Linie lag der aber an der Gemeindegebietsreform im Jahr 2010. Damals verdoppelte sich die Einwohnerzahl nahezu – geht seitdem aber wieder beständig zurück.

Immerhin: Seit 2015 ziehen nach Angaben des Statistischen Landesamtes mehr Menschen nach Tangerhütte als von dort weg. Doch klar ist auch: Nur mit Arbeitskräften aus der Einheitsgemeinde wird der Bauunternehmer kaum vorankommen. Für Tangerhütte insgesamt meldete die Bundesagentur für Arbeit zuletzt 350 als arbeitslos gemeldete Menschen – auch diese Zahl sank in den vergangenen Jahren rapide. Eine positive Entwicklung.

Anders die Bedeutung einer weiteren Zahl, die in den vergangenen Jahren ebenfalls nach unten gegangen ist: Es ist die der Einwohnerinnen und Einwohner im Landkreis Stendal. Wo weniger Menschen wohnen, gibt es automatisch auch weniger Arbeitskraft.

Wer auf die Zahl der Erwerbstätigen im Landkreis Stendal schaut, sieht auch dort über die Jahre einen Rückgang.

Nico Kolodzig hat aber noch ein weiteres Problem. Es ist der lahmende Fortschritt der Digitalisierung im ländlichen Raum. Wenn er Telefonate mit Geschäftspartnern führt, werden die nicht selten von Funklöchern unterbrochen. Das muss sich dringend ändern, findet der Bauunternehmer.

Ein Mann hält sein Handy in die Luft und schaut darauf.
Der lahmende digitale Fortschritt im ländlichen Raum macht Nico Kolodzig täglich zu schaffen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Bei Tangerhüttes parteilosem Bürgermeister Andreas Brohm rennt er damit offene Türen ein. "Für die Arbeit der Zukunft, wird vielleicht nicht mehr so interessant sein, wie schnell ich von A nach B komme", sagt Brohm. "Wichtiger wird sein, wie schnell meine Daten von A nach B kommen." Der Rathauschef ist überzeugt: Nur, wenn das passiert, werden Arbeit und Leben im ländlichen Raum interessanter.

Beschäftigte aus Berlin und Brandenburg gelockt

Christian Warnke dagegen hat das geschafft, was viele Unternehmer im ländlichen Raum seit Jahren erfolglos versuchen. Der zweifache Familienvater ist Öko-Bauer in Cobbel, bestellt 2.000 Hektar Acker- und Weideland. 25 Angestellte arbeiten für den 45-Jährigen – viele kommen aus der Region. Aber nicht nur: Christian Warnke hat in der Vergangenheit Beschäftigte aus Berlin und Eberswalde für sich gewonnen. Mit ihnen will er seinen Betrieb weiterentwickeln.

Die, die sich für Landwirtschaft entschließen, denen muss man gute Rahmenbedingungen bieten, innovative Landwirtschaft zu betreiben.

Christian Warnke Öko-Landwirt aus Cobbel

"Grundsätzlich haben immer weniger Menschen Lust, Landwirtschaft zu betreiben." Spätestens da, findet Warnke, ist Politik gefragt. "Die, die sich dazu entschließen, denen muss man gute Rahmenbedingungen bieten, innovative Landwirtschaft zu betreiben." Christian Warnke glaubt, dass das nur im Dialog mit allen Beteiligten geht – in harten, aber respektvollen Auseinandersetzungen.

Ein Mann steht auf einer Wiese.
Setzt auf Dialog: Landwirt Christian Warnke aus Cobbel. Bildrechte: MDR/Heike Bade

Nico Kolodzig hat seine Suche nach Lehrlingen schon seit geraumer Zeit den Gepflogenheiten angepasst. Potenziellen Nachwuchs sucht er über Facebook und Co. Dass ihm dabei eine ausgebildete Fachkraft ins Netz geht, hält der Unternehmer für nahezu aussichtslos. "Wir müssen unseren Nachwuchs selbst heranziehen."

Mein Bürger-Auftrag

Ein Mann steht mit verschränkten Armen vor einer Baustelle.
Bildrechte: MDR/Heike Bade

Meine Forderung an die neue Regierung ist, dass sie sich weniger um eigene Probleme kümmert, sondern die eigentlichen Probleme angeht. Dass sie das Handwerk mehr schätzt und fördert.

Nico Kolodzig Bauunternehmer aus Tangerhütte

Inzwischen ist auch das Unternehmen von Nico Kolodzig an einem Punkt, an dem nahezu jährlich altgediente Gesellen in den Ruhestand gehen. Dass jemand nachrückt, passiert im Betrieb des 48-Jährigen selten. Eine gute Nachricht gibt es aber: Auch der Sohn von Nico Kolodzig ist inzwischen ins Geschäft eingestiegen – im Unternehmen seines Vaters.

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MDR/Heike Bade, Manuel Mohr, David Muschenich, Luca Deutschländer

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 28. April 2021 | 19:00 Uhr

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