Landtagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt Deshalb ist die Briefwahl sicher – trotz Restrisiko zum Betrug
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27. Januar 2021, 12:47 Uhr
Bleiben die Corona-Infektionszahlen hoch, könnte die Landtagswahl eine reine Briefwahl werden. Im Land gab es damit bei der Kommunalwahl in Stendal 2014 schlechte Erfahrung. Warum die Briefwahl dennoch sicher ist.
In Sachsen-Anhalt könnte die Landtagswahl zu einer reinen Briefwahl werden, wenn die Corona-Pandemie bis Juni anhält. Die SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Katja Pähle, sagte: "Aktuell haben wir auch in Sachsen-Anhalt sehr, sehr hohe Inzidenzzahlen. Und unter Umständen kann es die Notwendigkeit geben, tatsächlich eine reine Briefwahl durchzuführen, damit alle Bürgerinnen und Bürger an den Wahlen teilnehmen können, ohne ihre Gesundheit zu gefährden." Das ermöglicht das Wahlgesetz von Sachsen-Anhalt, das im Herbst 2020 geändert wurde, um pandemiefest zu sein. Allerdings reagieren viele Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhalter besorgt auf diese Option, da sie den Briefwahl-Betrug bei der Stendaler Kommunalwahl 2014 vor Augen haben.
Politologe zur Sicherheit der Briefwahl
Es gebe ein Manipulationsrisiko, sagte der Politologe von der Universität Halle-Wittenberg, Everhard Holtmann, der Tagesschau. Das sei aber "extrem selten". Mit MDR SACHSEN-ANHALT hat er über die anstehende Landtagswahl am 6. Juni 2021, die Sicherheit von Briefwahlen und über den Betrug in Stendal gesprochen:
Herr Holtmann, wie sicher ist eine Briefwahl?
Everhard Holtmann: "Eine Briefwahl ist im deutschen Rechts- und Erfahrungskontext sehr sicher – mit der Einschränkung, die man eigentlich immer machen muss: Dass es auch hier Einfallstore für kriminelles Verhalten geben kann. Das heißt, die hundertprozentige Korrektheit einer Briefwahl hängt davon ab, dass sich alle daran Beteiligten an Recht und Gesetz halten."
Das heißt, es könnte Ihrer Meinung nach ein Risiko geben. Worin besteht das?
"Ja, es gibt in der Tat ein hypothetisches Restrisiko. Man muss hinzufügen, dass es in der Summe und über eine lange Zeit hinweg eine verschwindend geringe Zahl an Vorfällen gab, die entsprechend öffentlich gemacht und dann auch geahndet worden sind. Wo es eine Einfallstelle gibt: beim Antragsverfahren der Briefwahl und beim schriftlichen, vorzeitigen Ausfüllen der Stimmzettel. Da ist ja ein bestimmter Personenkreis darauf angewiesen, sei es aus Gründen der Gebrechlichkeit oder der Behinderung, dass sich Personen ihres Vertrauens auch entsprechend korrekt verhalten. Also sowohl bei der Antragstellung der Briefwahl für denjenigen oder diejenige, die dann die Briefwahlstimmen abgegeben soll, als auch beim Ausfüllen des Stimmzettels."
Ist die Sorge vieler Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhalter berechtigt, dass die Landtagswahl zur Stendaler Betrugs-Kommunalwahl 2.0 werden könnte?
"Es ist auf der einen Seite nachvollziehbar, wenn so etwas im lokalen oder regionalen Umfeld an einem Einzelfall öffentlich wird, dass man dadurch alarmiert ist. Aber ich denke, generell kann man die Skeptiker oder diejenigen, die Sorge haben, insoweit beruhigen, dass es nur ganz verschwindend wenige Fälle sind, die dann auch strafrechtlich sanktioniert werden."
Lässt sich die Stendaler Kommunalwahl 2014 mit Sachsen-Anhalts Landtagswahl 2021 vergleichen?
"Das Antragsverfahren bei der Briefwahl dürfte im Großen und Ganzen dasselbe sein. Wie gesagt: Wir reden hier jetzt von einer möglichen Einfallstelle, wenn es um die Beantragung und das Ausfüllen der Briefwahlunterlagen geht. Da bedarf es schon einer gehörigen kriminellen Energie, um so etwas überhaupt umzusetzen. Aber nochmal: Nach allem, was wir empirisch wissen, ist es eine verschwindend geringe Anzahl – und eher bei Kommunalwahlen, als bei Landtagswahlen. Man kann davon ausgehen, dass die Wahlen hierzulande auf allen Ebenen des politischen Systems in einem hohen Maße verlässlich und sicher sind."
Wegen der Corona-Pandemie könnte es bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt zu einer reinen Briefwahl kommen. Wie stehen Sie dazu?
"Es gibt in der Bevölkerung und in der Politik einen weitgehenden Konsens, dass alles getan werden muss, um die pandemische Bedrohung entsprechend einzuschränken – und nicht durch die öffentliche Stimmabgabe zu gefährden. Man stelle sich vor, es gäbe Hunderte, wenn nicht Tausende von Wahllokalen mit dem entsprechenden Gefährdungspotenzial der Ansteckung. Von daher halte ich es für nachvollziehbar, wenn hier unter Umständen eine klare Entscheidung zugunsten der Sicherheit und der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger gemacht wird."
Betrugsvorwürfe an Briefwahl = Masche der AfD?
Wie etwa vor einer Woche im Beitrag von KONTRASTE deutlich wurde, ist es vor allem die AfD, die immer wieder betont und teilt, dass eine Briefwahl ein hohes Betrugsrisiko mit sich bringt. So warf der AfD-Abgeordnete Robert Farle den großen Parteien im Magdeburger Landtag mit Blick auf die Landtagswahl vor: "Es gibt perfide Pläne der etablierten Parteien, um den größten Wahlbetrug dieses Landes im nächsten Jahr durchzuführen." Auf Nachfrage der KONTRASTE-Redaktion rudert Farle von dieser Aussage zurück, gibt aber zu, dass die AfD besorgt ist, dass sie bei einer reinen Briefwahl weniger Stimmen bekommt. Zum Beispiel erhielt die AfD bei der Bundestagswahl 2017 in den Wahllokalen 13,9 Prozent der abgegebenen Zweit-Stimmen und per Briefwahl nur 9,6 Prozent.
Sebastian Striegel (Bündnis 90/Die Grünen), Parlamentarischer Geschäftsführer im Landtag Sachsen-Anhalt, kommentiert das bei KONTRASTE: "Die AfD spielt ein falsches, ein widerliches Spiel. Sie versucht das Vertrauen in den demokratischen Prozess als solchen zu erschüttern. Sie versucht eine Verschwörungserzählung bereits heute auf den Weg zu bringen, auf die sie am Wahltag dann zurückgreifen kann, um das Wahlergebnis in Frage stellen zu können."
Politologe Everhard Holtmann ordnet die AfD-Thematik auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT so ein: "Das ist im Grunde genommen eine Variante einer Verschwörungstheorie, die uns aus dem Umfeld des abgewählten, amerikanischen Präsidenten Trump nicht unvertraut ist. Hier gibt es ja den Verdacht für unredliches und strafwürdiges Auszählen – da gibt es keine Hinweise für, weder bei einer Landtags-, noch bei einer Bundestagswahl." Holtmann ergänzt: "Im Grunde genommen ist das auch eine Art Generalverdacht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die in den Stimmbezirken die Stimmen ehrenamtlich auszählen. Einen solchen Verdacht auch nur zu erzeugen, um die Legitimation des politischen, demokratischen Systems in Zweifel zu ziehen: Der ist absolut abwegig und unbegründet."
Haben Parteien einen Nachteil durch die Briefwahl?
Die AfD gibt sich im KONTRASTE-Beitrag ja besorgt, dass sie bei einer reinen Briefwahl weniger Stimmen bekommen könnte. Holtmann kommentiert: "Wenn sie denn einen Nachteil hätte, läge der allenfalls darin, dass die Teilnahme an Briefwahlen von der Sozialstruktur derer, die die Briefwahl bevorzugen, unterschiedlich ist." Der Politologe verweist darauf, dass in den sechziger und siebziger Jahren die CDU und FDP viel stärker von der Briefwahl profitiert hätten als die SPD, "weil das entsprechende Wählerklientel unterschiedlich häufig von dem ein oder anderen Modus der Stimmabgabe Gebrauch macht." Aber, und das betont Holtmann:
Mit Betrug oder mit Benachteiligung hat das nicht das Mindeste zu tun.
Entwicklung der Briefwähler in Sachsen-Anhalt
Mit Blick auf die vergangenen Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt wird deutlich, dass es immer mehr Personen gibt, die sich für eine Briefwahl entscheiden:
- Landtagswahl 2002: 8,5 Prozent
- Landtagswahl 2006: 10,5 Prozent
- Landtagswahl 2011: 11,9 Prozent
- Landtagswahl 2016: 13,7 Prozent
Sie entscheiden sich beispielsweise dafür, weil sie am eigentlichen Tag der Wahl aus beruflichen oder privaten Gründen keine Zeit haben. Aber trotzdem von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen wollen. Wer sich dafür entscheidet, bei dem läuft die Briefwahl so ab:
Landtagswahl kann nicht verschoben werden
In Thüringen wurde die geplante Landtagswahl von April auf September verschoben – in Sachsen-Anhalt ist das rechtlich nicht möglich. "Wir haben die Situation, dass nach unserer Verfassung hier in Sachsen-Anhalt spätestens am 6. Juni gewählt werden muss", sagt Rüdiger Erben, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD. Deshalb würde sie zur Not auch als reine Briefwahl durchgeführt.
Sowohl Erben, als auch CDU-Landesfraktionschef Siegfried Borgwardt, gehen davon aus, dass das Infektionsgeschehen in Sachsen-Anhalt bis Juni deutlich zurückgegangen sein wird. Außerdem erwarten sie deutlich mehr Menschen, die sich bei der Landtagswahl 2021 für die Briefwahl entscheiden. Denn das sei die sicherste Methode, das Wahlrecht auszuüben, ohne sich einer Infektionsgefahr auszusetzen.
Quelle: MDR/jd
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 21. Januar 2021 | 10:00 Uhr
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