MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (Folge 106) Anonyme Spurensicherung: Wie werden Beweise bei häuslicher Gewalt richtig dokumentiert?
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25 Prozent aller Frauen erleben im Laufe ihres Lebens Gewalt in ihrer Partnerschaft. Oft ist es nicht einfach, sich aus gewaltvollen Beziehungen heraus zu offenbaren. Ein Grund: Angst davor, der Täter oder die Täterin könnte nicht verurteilt werden oder sich vielleicht sogar rächen. Nur zirka 20% der Betroffenen häuslicher Gewalt erstatten Anzeige. Deshalb gibt es mittlerweile an vielen Orten das Angebot einer anonymen Spurensicherung. Was bringt dieses Angebot für Betroffene?
Esther Stephan (ES): In dieser Episode geht es um Gewalt in Partnerschaften und sexualisierte Gewalt. Wenn Sie sich damit unwohl fühlen, dann hören Sie die Folge am besten mit jemandem zusammen. Oder hören Sie eine andere Episode. Alle Folgen finden Sie unter anderem in der ARD Audiothek.
Hilfetelefon Gewalt an Männern
Und dann ging die Schlafzimmertür wieder einen Spalt auf, und er kam rein, und ich habe völlig unvermittelt diesen Schlag ins Gesicht kassiert, die linke Körperhälfte, die linke Gesichtshälfte getroffen. Ich habe während dem Schlag gehört, dass mein Trommelfell reißt. Das hat sich für mich angehört, wie wenn dicke Pappe zerreißt. Also ich habe gemerkt, dass da etwas kaputt ist.
ES: Gewalt in Partnerschaften ist nicht selten. 25 Prozent aller Frauen erleben im Laufe ihres Lebens Gewalt in ihrer Partnerschaft, so Zahlen des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen". Wenn Sie oder jemand, den Sie kennen, von Gewalt betroffen ist, dann finden Sie dort auch unter der 116 016 Hilfe.
Oft ist es nicht einfach, sich aus gewaltvollen Beziehungen zu lösen. Ein Grund: Angst davor, der Täter oder die Täterin könnte nicht verurteilt werden, sich vielleicht sogar rächen. Der Verband Weißer Ring, der sich für Kriminalitätsopfer einsetzt, geht davon aus, dass nur zirka 20 Prozent der Betroffenen häuslicher Gewalt Anzeige erstatten. Deshalb gibt es mittlerweile an vielen Orten das Angebot einer anonymen Spurensicherung. Was genau das ist und was es bringt, darüber sprechen wir heute bei "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Der Podcast, in dem wir mit Journalist*innen über ihre Recherchen sprechen, ihre Erlebnisse während der Dreharbeiten und ihre persönlichen Eindrücke.
Ich bin Esther Stephan. Schön, dass sie zuhören!
Und heute spreche ich mit Amelie Befeldt und Julia Cruschwitz. Hallo!
Beide: Hallo!
ES: Julia, du beschäftigt sich ja schon ganz schön lange mit Themen, die so in den Bereich Frauenrechte fallen. Du hast zum Beispiel ein Buch über Femizide geschrieben und zu dem Thema auch schon hier im Podcast gesprochen. Die Folgen verlinken wir natürlich. Wie seid ihr denn jetzt bei der anonymen Spurensicherung gelandet?
Julia Cruschwitz (JC): Also es stimmt, was du sagst. Es ist natürlich so, dass es mein Herzensthema ist und ich viel in dem Bereich mache. Aber der Themenvorschlag kam tatsächlich von Amelie. Du bist ja auf mich zugekommen.
Amelie Befeldt (AB): Genau, ich bin auf dich zugekommen, weil ich deine Arbeit kannte. Und weil ich dieses Thema nicht alleine machen wollte, weil ich eine erfahrene Journalistin dafür haben wollte, da ich dachte: okay, dieses Thema muss man richtig machen. Es ist besonders wichtig, da genau zu sein und gut zu arbeiten.
Ich bin auf das Thema gekommen, da muss ich ein bisschen einen Bogen machen. Und zwar, es gab ein Urteil zu einer Massenvergewaltigung, einer 15-Jährigen in Hamburg, das auch großes mediales Aufsehen erregt hat, weil das Urteil so milde ausgefallen ist. Ich glaube, fast alle wurden freigesprochen, bis auf einen. Und ich war sehr schockiert und empört, als ich dieses Urteil gehört habe und habe mich gefragt, warum. Und letztlich ging es da auch viel um: es ist schwer zu beweisen, wer jetzt was gemacht hat und so weiter. Dann habe ich mich in diesem Kontext weiter mit diesem Punkt "Beweise" beschäftigt und bin auf das Bundesgesetz gestoßen zur vertraulichen Spurensicherung, was es schon seit 2020 gibt, was aber kaum umgesetzt ist. Also nur in drei Bundesländern gibt es das. Und dann dachte ich: ja, das kann es ja nicht sein. Vielleicht sollten wir dann mal draufschauen und schauen, was es damit auf sich hat.
ES: Anonyme oder vertrauliche Spurensicherung. Darüber habt ihr bei Exakt am 05.06.2024 gesprochen. Wie funktioniert diese Spurensicherung genau? Was ist das?
JC: Letzten Endes ist der Knackpunkt bei dieser anonymen Spurensicherung oder vertraulichen Spurensicherung, dass die Betroffenen keine Anzeige stellen müssen. Also theoretisch sollte es so funktionieren. Eine Betroffene, ein Betroffener von Gewalt geht in eine Notaufnahme eines Krankenhauses, und dort wird eine rechtsmedizinische Untersuchung durchgeführt. Diese kann dann aufbewahrt werden. Anonym. Für da sind unterschiedliche Fristen vorgesehen, ein bis drei Jahre. Und wenn dann der oder die Betroffene soweit ist und sagt: "Ja, ich habe jetzt den Mut, diese Person, die mir das angetan hat, anzuzeigen", dann kann sie die freigeben, und die können sowohl in die Anzeige, also in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, einfließen, als auch dann vor Gericht verwendet werden. Und es ist so, dass es bis vor diesem Gesetz - in manchen Bundesländern gab es schon Regelungen zur anonymen Spurensicherung vorher. Aber eigentlich war es nur möglich, wenn du das angezeigt hast. Also wenn du angezeigt hast, dann wäre die Möglichkeit gewesen, dass du zur Rechtsmedizin kommst und dann bezahlt das der Staat, also entweder die Justiz oder das Innenministerium, meistens Justiz, also die Staatsanwaltschaft, diese rechtsmedizinische Sicherung von Spuren. Und jetzt ist es so mit dem Bundesgesetz oder seit vier Jahren schon, dass die Krankenkassen das bezahlen müssen. Und das ist eigentlich der Knackpunkt und der Streitpunkt. Und es ist so, man muss vielleicht noch mal darauf hinweisen, so eine Spurensicherung ist etwas ganz anderes, als wenn ich in die Notaufnahme gehe und dann wird die Verletzung maximal fotografiert. Und dann vielleicht noch in einem Arztbericht, sagt der Arzt: ja, häusliche Gewalt. Aber es ist keine rechtsmedizinische Untersuchung, was ein - ich sage jetzt mal Unfallchirurg oder auch ein Allgemeinmediziner aufschreibt, ist vor Gericht meistens nicht haltbar. Das habe ich auch bei ganz vielen Betroffenen gehört, das ist nicht rechtsmedizinisch gesichert. Das ist nicht ausgemessen. Da werden keine DNA-Abstriche gemacht. So eine rechtsmedizinische Untersuchung, in dem Fall eine vertrauliche Spurensicherung, ist eine sehr aufwendige Untersuchung. Die kann bis zu drei Stunden dauern.
ES: Du hast schon angerissen, was da gemacht wird. Wie läuft das dann ab, wenn man das machen möchte?
AB: Also für die Recherche waren wir im Sankt Elisabeth Krankenhaus in Leipzig, die eine Spurensicherung nach sexualisierter oder sexueller Gewalt machen. Und dort läuft es so ab, dass man als betroffene Person in die Notaufnahme geht. Und dort sind alle geschult und wissen: okay, man kann dieser Person anbieten, weitergeleitet werden zu werden in die Gynäkologie, wenn es eine Frau ist, um dort diese Spurensicherung anzubieten. Dort erfolgt dann zuerst ein Gespräch zwischen der Gynäkologin und der betroffenen Person. Das Gespräch ist insofern besonders wichtig, weil einerseits der Tathergang detailliert geschildert wird. Es wird aufgeschrieben, also protokolliert und kann dann so gelten wie eine Aussage bei der Polizei. Und zum anderen ist es für die Ärztin wichtig, weil sie daraus dann schon mögliche Verletzungsmuster ableiten kann. Also sie kann dann explizit schauen: Okay, wo könnte die Person geschädigt worden sein und dann auch da die DNA-Abstriche machen. Dann hat uns die Ärztin Frau Mähner aus dem Sankt Elisabeth geschildert, dass sie sich so Körperstelle für Körperstelle vortastet, also sehr behutsam und langsam. Die betroffene Person hat auch die Möglichkeit, zu jeder Zeit zu sagen: "Okay stopp, ich kann nicht mehr kann nicht mehr!" oder "Ich brauche eine Pause." Und letztlich wird dann zum Schluss diese gynäkologische Untersuchung durchgeführt mit allen möglichen Abstrichen, die zum einen natürlich eben für diese Spurensicherung wichtig ist. Die DNA-Abstriche werden auch in speziellen Tütchen verwahrt und so weiter. Es werden Fotos von Verletzungen gemacht. Es wird eingezeichnet in Dokumentationsbögen, wo und wie die Verletzungen aussehen. Aber zum anderen ist es natürlich auch wichtig, diese Abstriche zu machen, um zu schauen: Okay gibt es Krankheiten, die übertragen wurden durch den ungewollten Geschlechtsverkehr zum Beispiel. Und dann, dass die Person auch versorgt wird, einfach, dann nach der Spurensicherung. Also es ist wichtig zu sagen, dass zuerst diese Untersuchung erfolgt, die keine medizinische Versorgung ist, weil man ja die Spuren sichern will und nicht verwischen will. Und wenn das geschafft ist, danach kann die nächste Versorgung passieren. Es sei denn natürlich bei lebensgefährlichen Verletzungen muss man es abwägen und sicherlich wird dann erst die Versorgung vorgezogen. Aber das hängt dann von Fall zu Fall ab.
JC: Es ist eine Spurensicherung am Körper, was Amelie beschrieben hat. Also wirklich mit so Tupfern die Stellen abgestrichen werden, und in versiegelten Tütchen verwahrt. Und das zweite ist, sie hat auch ein großes Papier zum Beispiel ausgebreitet. Da hat sich die betroffene Person draufgestellt. Es wurden Haare gekämmt, dass falls Haare vom Körper runterfallen, dass die dann auf diesem Papier gesichert werden. Sie hat gesagt, ganz wichtig auch für die betroffenen Personen, die Kleidung entweder anlassen, die sie beim Tathergang anhatte, oder mitbringen. Weil auch die Kleidung wird in Tütchen verpackt, versiegelt. Das wird dann alles in eine Kiste gepackt, sodass das dann rausgenommen werden kann und gesagt werden kann: hier ich habe diese Beweise, das liegt alles vor. Weil die meisten betroffenen Personen erstatten nicht sofort Anzeige, wie du ja schon gesagt hast. Und wenn sie dann soweit sind, ist das alles weg. Dann kann man nichts mehr nachweisen. Und ein Foto, das man selbst gemacht hat von einem blauen Fleck zum Beispiel ist auch vor Gericht völlig wertlos, weil es kann einer Person zum Beispiel nicht zugeordnet werden. Es gibt niemanden, der bezeugen kann, meistens, der das Foto gemacht hat. Und es ist auch nicht vermessen und so weiter und so fort. Das ist bei einer rechtsmedizinischen Sicherung ganz anders.
ES: Warum ist es so wichtig, dass das anonym passiert? Also man könnte ja theoretisch auch sagen, wenn man jetzt zum Beispiel Angst hat, Anzeige zu erstatten: "Sichert die Spuren. Anzeige will ich jetzt noch nicht erstatten."
AB: Das funktioniert einfach strukturell nicht. Also man muss, wenn man zur Polizei geht, und eine Spurensicherung will, auch eine Anzeige machen. Ohne die bezahlt das dir keiner. Und diese vertrauliche Spurensicherung füllt eben diese Lücke. Und es ist wichtig, dass es die gibt, weil eine Anzeige setzt ja eine ganze Kette von Kommunikation in Gang. Und der Täter wird darüber informiert, dass er angezeigt wurde. Und oft - besonders in Fällen häuslicher Gewalt – leben diese beiden Personen auch zusammen, also Täter und Betroffene. Und wenn dann eine Anzeige nach Hause flattert und die Frau muss noch bei dem Mann leben, ist es lebensgefährlich für sie. Also allein das ist schon ein wichtiger Grund. Und über diese vertrauliche Spurensicherung ist es so, dass, es wird, wenn diese Verträge laut Bundesgesetz also so, wie es das Bundesgesetz vorgesehen hat, abgeschlossen sind, wird es ja über die Krankenkasse abgerechnet. Aber es wird als Fallpauschale abgerechnet. Das heißt, es taucht nicht als zum Beispiel eine gynäkologische Untersuchung auf. Und wird auch nicht in Verbindung mit dem Namen der Person gemacht, sondern das Krankenhaus meldet: Wir hatten einen Fall einer vertraulichen Spurensicherung, aber es gibt nur eine Nummer. Es gibt keinen Namen. Und es wird dann als Fallpauschale abgerechnet. Man kann es nicht rückkoppeln zu der Person, die es erhalten hat.
ES: Okay. Wisst ihr, wie viele Leute das – wenn ihr im Sankt Elisabeth in Leipzig wart - wie viele Leute das in Anspruch nehmen?
JC: Also bis jetzt ist es leider noch nicht sehr viel. Also sind so acht Personen im Jahr, die das vertraulich machen. Also es gibt natürlich auch die Fälle mit Anzeige, das sind dann ein paar mehr. Ich denke, das hat sehr viel mit der Bekanntheit zu tun. Du hast du es ja vor allem recherchiert, Amelie. Es war nicht so einfach, das herauszufinden, wo das alles gemacht werden kann. Selbst Anwältinnen, mit denen wir gesprochen haben, wussten davon nichts. Selbst manche Beratungsstelle, also nicht in Leipzig, aber anderswo, wussten das nicht. Wir haben Kontakt mit der Polizei gehabt. Also es gab Frauen, die wurden von der Polizei beraten. Selbst denen wurde nicht gesagt. Die Polizei, in dem Fall, den wir hatten, den du auch recherchiert hast, Amelie, ein anderer Fall, der jetzt nicht im Film vorkommt. Da wurde sie beraten von der Polizei. Es gibt in manchen Polizeidienststellen wirklich Personen, die den Frauen helfen, aus so einer Beziehung rauszukommen. Aber selbst da wurde auch abgeraten von einer Anzeige, weil das eben sehr eskalierend wirken kann, selbst von der Polizei abgeraten. Aber es wurde nicht auf die Möglichkeit einer vertraulichen Spurensicherung hingewiesen. Und das Absurde war, dass in dem Fall, in dem Bundesland, es sogar existiert. Also sie hätte das machen können, und das wissen ganz, ganz viele Leute nicht. Ich habe ja lange in dem Bereich recherchiert. Ich habe das auch erst erfahren. Also ich habe das parallel zu dem erfahren, was Amelie recherchiert hat. Und mir war aber nicht klar, dass da ein krasses strukturelles Problem dahinter steckt. Und um noch einmal zurück auf Sankt Elisabeth zu kommen. Da hat uns die Ärztin erzählt, dass es hauptsächlich Frauen sind, die nach Partys, wenn sie auf Festivals waren, in Clubs waren, sexuelle Übergriffe erlebt haben, häufig auch unter der Gabe von KO-Tropfen oder anderen Substanzen. Das ist auch, muss man noch mal darauf hinweisen, das ist natürlich ein Angebot, das für alle gilt. Nicht nur für Partnerschaftsgewalt, sondern eben sexuelle Übergriffe jeglicher Art. Und auch Männer können sich dahin wenden, die haben auch speziell geschulte Urologen.
AB: Ich würde gern noch was hinzufügen zu den Zahlen. Es ist ja so, dass das Sankt Elisabeth zurzeit die Spurensicherung nur für Fälle nach sexualisierter Gewalt anbieten kann. Weil eben die Kosten nicht übernommen werden. Also diese Kits, diese Untersuchungssets, die werden gestellt, die werden auch vom Land Sachsen übernommen. Aber die Untersuchungen, die Arbeitszeit der Ärztinnen selbst, die muss das Krankenhaus tragen, weil es gerade noch keine Regelung gibt. Und das heißt also, diese ganzen Fälle von häuslicher Gewalt, die werden tatsächlich noch ausführlicher dokumentiert als in vielen anderen Krankenhäusern, da wird immerhin ein Foto gemacht. Aber trotzdem werden die so ein bisschen verloren. Das Sankt Elisabeth ist eben noch keine Anlaufstelle dafür. Und wäre es das aber schon, wären die Zahlen auf jeden Fall viel höher. Weil die Zahlen häuslicher Gewalt natürlich viel höher sind. Es ist jetzt so, ich habe jetzt zum Beispiel im Vergleich mal Zahlen aus Niedersachsen, die ich nennen kann. Niedersachsen ist so ein bisschen Vorreiter oder eines der Bundesländer, die so so Vorzeige-Bundesländer sind mit dem Netzwerk ProBeweis. Und die haben seit 2012 über 1800 vertrauliche Spurensicherungen durchgeführt. Also 1800, das ist schon eine ordentliche Nummer. Ich habe dann auch gefragt, wie viele davon denn schon vor Gericht gebracht wurden. Da ist das Problem, dass das schwer analysiert werden kann oder ausgewertet werden kann. Eben durch diese Vertraulichkeit, durch diese Anonymisierung. Wir haben aber von Sankt Elisabeth erfahren, dass schon mindestens ein Fall abgerufen wurde, eventuell sogar zwei, die dann in Verfahren eingebracht werden. Also es hat ganz praktisch schon einen ganz praktischen Nutzen.
JC: Ich würde noch kurz hinzufügen: die Versorgungslage, da kommen wir vielleicht noch mal drauf, in Mitteldeutschland ist ziemlich schlecht. Und das Sankt Elisabeth Krankenhaus macht es mit dem Bellis e. V. zusammen. Das ist ein Verein, der sich um Gewaltbetroffene kümmert. Die haben auch diese Sets mitentwickelt, stellen die zur Verfügung. Die sichern auch diese Beweise bei sich. Und es ist so, dass diese Kooperation mit diesem Verein ganz, ganz wichtig ist und auch eine Ärztin wie Frau Henne sich da extrem engagiert hat, um das zu installieren in dem Krankenhaus. Und das ganze Team steht dahinter. Die wechseln sich ab im Schichtdienst, damit immer eine Person, die da geschult ist, immer dabei ist. Und das habe ich ganz häufig in dem Bereich häusliche Gewalt, Partnerschaftsgewalt erlebt: Wenn es einzelne Personen gibt, die sich da sehr stark engagieren, dann funktionieren Dinge oder können funktionieren. Das hängt immer sehr stark damit zusammen: Wer macht welche Schritte? Und wie stark stehen die Personen dahinter?
ES: Ich habe jetzt schon den Eindruck, dass gerade die Finanzierung tatsächlich ein grundlegendes Problem auch ist. Für das flächendeckende Angebot in Thüringen ist jetzt seit kurzem geklärt, dass das Land die Kosten tragen soll. Wir können da nochmal in einen Ton reinhören von Gabi Ohler, die Gleichstellungsbeauftragte in Thüringen.
Also, wir verhandeln jetzt schon seit Spätsommer, Herbst 2020 mit den Krankenkassen und der Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Jena. Und das Schwierige an den Verhandlungen war, dass das Bundesgesetz so, ich würde mal sagen, schlecht ausgestaltet ist: Wer muss was genau bezahlen? Es ist nicht geregelt, dass die nicht gesetzlich Versicherten davon auch betroffen sind. Es ist nicht geregelt, wer Schulung bezahlt und so weiter und so fort. Das hat die Verhandlungen ziemlich langwierig gemacht.
ES: Woran hakt es denn? Warum zahlen das die Krankenkassen nicht?
AB: Also die Krankenkassen, jedenfalls die Krankenkassen-Vertretungen in Thüringen haben uns gesagt, dass sie das nicht als Gesundheitsleistung ansehen. Also dass sie erst einmal grundsätzlich diese Kostenträger-Frage in Frage stellen. Jetzt können sie sich da nicht wirklich gegen wehren, weil es eben Bundesgesetz ist. Aber das Bundesgesetzes ist eben extrem verknappt formuliert oder auch teilweise schwammig. Das haben wir auch gerade von Gabi Ohler schon gehört, dass viele Sachen einfach nicht geklärt sind. Und natürlich, wenn die Krankenkassen dann sich sowieso nicht irgendwie verantwortlich fühlen für diese Kostenübernahme, würden sie dann natürlich auf die Punkte, wollen sie auch nicht freiwillig eingehen, die dann auch zu übernehmen, wo sie sowieso sagen: Das ist keine Gesundheitsleistungen. Also so etwas wie, was haben gerade gehört, Fortbildungen oder Bereitschaftszeiten und so weiter. Und diese Punkte müssen also alle einzeln verhandelt werden, also nicht nur der Vertrag an sich, sondern dann muss man auch noch darüber diskutieren, weil es das Bundesgesetz nicht sagt: Was braucht man denn eigentlich alles dafür, um das gut umsetzen zu können? Also muss das erst herausgefunden werden und dann eben darüber gestritten werden: Okay, wer bezahlt das jetzt? In Thüringen ist es so, dass da das Land die strittigen Posten übernimmt, weil es ohne es einfach nicht geht. Also ohne Fortbildung kann man diese Spurensicherung nicht flächendeckend implementieren. Und wenn es nicht flächendeckend ist sondern nur vielleicht in der Uniklinik Jena, da fängt es gerade an, dann ist es einfach nicht ausreichend. Weil jemand, der am Rand von Thüringen wohnt und dann nach Jena fahren muss, nach so einer Tat. Das ist einfach realitätsfern.
JC: Ja, und es ist auch so: Also man kann ja tatsächlich darüber diskutieren, ob die Spurensicherung eine Gesundheitsleistung ist oder nicht. Also auch Frau Gabi Ohler hat gesagt, die Gleichstellungsbeauftragte: Eigentlich ist es eine staatliche Leistung. Es geht um eine Spurensicherung. Natürlich kann man argumentieren, dass es auch der Gesundheit der Frau dienlich ist, wenn solche Spuren gesichert werden, weil es auch dazu dient, dass solche Taten vielleicht weniger wiederholt werden. Aber es ist tatsächlich ein strittiger Punkt. Wie das genau zustande gekommen ist, weiß ich nicht. Man wollte dieses Gesetz schnell verabschieden. Und ja, dann guckt mal bitte, liebe Krankenkassen, liebe Länder, wie ihr damit zurechtkommt. Und es gibt auch keine Sanktionierung so richtig. Also die Länder sollen dann Schiedsstellen benennen, wenn in einem halben Jahr nichts passiert. Aber was genau diese Schiedsstelle dann tut und so weiter, das ist alles überhaupt nicht geregelt. Und Frau Ohler, die Gleichstellungsbeauftragte, war so ein bisschen unglücklich darüber, weil es in Thüringen vorher eine Regelung gab. Man hatte sich darauf geeinigt, dass eine anonyme Spurensicherung auch ohne Anzeige möglich ist und das Justizministerium die Leistungen bezahlt. Mit dem Bundesgesetz waren diese ganzen Verhandlungen, die es da vorher gab, hinfällig. Und das war so ein bisschen unglücklich, und es ist ein strittiger Punkt. Aber es gibt nun mal dieses Gesetz, und dieses Gesetz muss umgesetzt werden. Und wie Amelie gesagt hat: Es gibt ja drei Bundesländer, in denen das funktioniert. Vielleicht kannst du mal sagen, welche das sind.
AB: Es sind Bremen, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Niedersachsen war das erste Bundesland, das das mit Vertrag dann umgesetzt hat. Aber man muss auch ganz dazusagen, dass es noch weitere Bundesländer gibt, wo es zumindest ein Angebot gibt. Wir haben drei Bundesländer mit Verträgen, habe ich gerade genannt: Bremen, Baden-Württemberg, Niedersachsen. Dann haben wir immerhin sechs Bundesländer ohne Vertrag, wo es ein Angebot gibt, der Spurensicherung sowohl nach Fällen sexueller und häuslicher Gewalt. Also dieses Angebot wird dann von den Ländern bezahlt jeweils. Aber wir haben dann dennoch sieben verbleibende Bundesländer, wo einfach das Angebot völlig unzureichend ist. Unzureichend, weil erstens nicht flächendeckend, oder zweitens eben nur, dass ein Anspruch genommen werden kann, nach sexueller Gewalt. Unzureichend oder überhaupt nicht zuverlässig ist zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern. Da gibt es so vereinzelte Angebote. Aber dann funktioniert es irgendwie dann doch nicht. Werden die Leute nach Hause geschickt, zum Beispiel. Und eben ein Bundesland, wo es gar kein Angebot gab bis dieses Jahr, das war eben Thüringen, wie Julia gerade schon gesagt hat. Aber ja, es gibt diese Vorzeigeprojekte, Vorzeige-Bundesländer. Aber es kann ja nicht sein, dass so eine wichtige Maßnahme davon abhängt, wo man wohnt.
JC: Zumal ja die Krankenkassen nicht so sehr davon begeistert sind, dass die jetzt diese Posten übernehmen müssen.
ES: Dabei kann das ja am Ende auch total wichtig sein, im Verfahren. Ihr habt mit Britta Lehnert gesprochen, sie ist Anwältin, sie hat euch aus ihrer täglichen Arbeit erzählt.
In Deutschland gilt der Grundsatz in dubio pro reo, also im Zweifel für den Angeklagten. Und wenn nicht mehr Beweise zur Verfügung stehen als die Aussage der Betroffenen, dann ist es wahrscheinlich, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass hier eine Verurteilung erfolgt, sehr gering und dann erfolgt häufig die Einstellung. Wenn ein Teil schon mal nachweisbar ist, dann sind wir in der Verurteilung natürlich schon viel näher, als wenn wir nur eine Aussage hätten.
ES: Am Ende kann so eine Spurensicherung also auch tatsächlich darüber entscheiden, ob jemand schuldig gesprochen wird.
JC: Die Sache, das hat sie ja auch ausführlich erklärt, in solchen Fällen vor allem bei Partnerschaftsgewalt, aber auch bei anderen Fällen von sexualisierter Gewalt oder auch körperlicher, ohne sexuellen Hintergrund, ist ja ganz häufig, dass es keine Zeugen gibt. Also es ist meistens in ihrem Zuhause, abends, nachts und so weiter. Verletzungen sind häufig auch so, dass sie dann schnell wieder weg sind, also gerade so blaue Flecken und so etwas.
AB: Im Intimbereich tatsächlich heilt es sehr schnell durch die Schleimhaut, dauert es nicht lange, bis es wieder weg ist.
JC: Genau das ist das eine. Und das zweite ist auch: Es gibt keine Zeugen. Also ganz häufig. Und dann ist es so, dann steht Aussage gegen Aussage. Also die Frau, meistens ist es die Frau, oder die Betroffene, der Betroffene sagt: das ist mir passiert, das habe ich erlebt. Und in den allermeisten Fällen, erlebe ich auch, streiten die mutmaßlichen Täter das alles ab und sagen: "Nein, es ist nichts passiert." Ganz häufig sind dann so Sachen wie: also wenn sie es schon zugeben, dass die verletzt war, dann ist sie irgendwie selbst hingefallen, hat sich die Verletzungen selbst zugefügt. Oder es ist gar nichts passiert, das sind so die häufigsten Aussagen von mutmaßlichen Tätern. Und das erklärt uns die Anwältin ja auch. In Deutschland gilt der Grundsatz in dubio pro reo. Also wenn ich nicht eindeutig beweisen kann im Strafrecht, dass der oder die das getan hat, dann muss ich den freisprechen. Und das führt dann dazu, dass schon im Vorfeld - also der übliche Ablauf ist: ich gehe zur Polizei, mache eine Anzeige, bei Körperverletzungsdelikten muss ich noch einen Strafantrag stellen, das ist aber meistens schon dabei, bei der Anzeige muss ich ein Kreuzl setzen und sagen: so Strafantrag. Dann geht es zur Staatsanwaltschaft. Und dann entscheidet die Staatsanwaltschaft: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass was zu einer Verurteilung führt? Sie gucken sich dann auch an: Was haben wir an Beweisen? Was ist da? Aussage gegen Aussage, und man sagt so Pi mal Daumen: wenn die Verurteilungswahrscheinlichkeit geringer ist als 50 Prozent, dann stellt die Staatsanwaltschaft das ein. Das ist auch so, um quasi Arbeitsbelastung zu vermeiden von den Gerichten und so weiter. Und dann heißt es halt meistens nach Paragraf 170 StPO Absatz 2: Weil kein hinreichender Tatverdacht besteht - also eben umgangssprachlich aus Mangel an Beweisen. Und das führt dazu, es gibt auch dazu nicht wirklich Zahlen, aber ich habe so einzelne Studien gefunden, qualitative Studien sind das, wo rausgefunden ist, dass 80 bis 90 Prozent aller Strafverfahren in dem Bereich, wo es ist, die Gewalt eingestellt werden. Man muss dazu sagen, dass so aus der Rechtswissenschaft Kriminologie generell 75 Prozent aller Strafverfahren eingestellt werden, auch in anderen Bereichen. Aber dass es dann noch mal exorbitant hoch und das liegt hauptsächlich an einer mangelnden Beweislage. Also der Richter oder die Richterin muss ja entscheiden: hat er oder sie das getan, der die Beschuldigte und hat dafür eine Aussage und eine Gegenaussage. Und wenn es aber schon mal einen Beweis gibt, dass diese Verletzung zumindestens vorhanden war, dann ist schonmal ein Teil, wie auch die Anwältin Britta Lehnert erklärt hat: dieser eine Teil ist bewiesen, wie jetzt dieser blaue Fleck dahin kam oder wie die DNA dahin kam, ob das jetzt einvernehmlich war oder nicht oder gerade bei Partnerschaften ist es immer schwierig, DNA ist sowieso am ganzen Körper. Aber man hat zumindest schon mal einen Beweis, dass eine Verletzung vorgelegen hat.
AB: Vor allen Dingen ist es ja so, dass häusliche Gewalt auch über längeren Zeitraum passiert. Und wenn man dann jede einzelne Gewalttat dokumentieren kann, dann sagt ja allein die Masse der Zahl schon etwas aus. Das ist keine einzelne Tat. Dass das kein Ausrutscher war. Wenn der Mann oder der Täter dann zu allen drei Malen sagt, er war es nicht gewesen, sie ist jedes Mal die Treppe runtergefallen. Ja, das sagt ja auch entsprechend was über seine Glaubwürdigkeit aus. Beziehungsweise man kann dann eher an seiner Glaubwürdigkeit zweifeln. Also insofern es ist auch einfach ein gutes Werkzeug für eine langfristige Untersuchung.
JC: Das eine ist ja sozusagen das Juristische. Aber das andere ist, das haben mir so viele Betroffene erzählt: Ich habe auch was für mich in der Hand, dass diese Tat tatsächlich stattgefunden hat. Viele führen ja so eine Art Gewalt-Tagebuch oder dokumentieren das mit Fotos, weil die Frauen vergessen das tatsächlich, wenn das häufiger passiert. Und das zweite ist, das ist ganz häufig und es ist auch bekannt aus der Forschung: Täter häuslicher Gewalt sind manipulativ. Sie sind sehr gut darin zu sagen: "Ach Quatsch, das ist doch überhaupt nicht passiert, das war gar nicht so. Du dramatisierst das, meine Güte, das war mal geschubst. Jetzt stell dich nicht so an, und das war gar nicht so schlimm. Und was - Vergewaltigung? Nee, das hast du dir eingebildet! Da hast du geschlafen, das hast du geträumt!" Die machen es so subtil und so gut, dass die Frauen tatsächlich irgendwann anfangen, an sich und ihrer Wahrnehmung zu zweifeln. Das haben ganz viele Frauen mir erzählt. Und das ist so, wenn die dann was in der Hand haben, diesen Beweis, dann sagen die: Nein, das ist tatsächlich passiert, und das hat eine staatliche Stelle dokumentiert. Das ist rechtsmedizinisch festgelegt. Das ist das eine für sich selbst, die Beweise zu haben. Und dann trauen die sich auch eher, zur Polizei zu gehen, eine Anzeige zu stellen. Weil sie denken: ich habe dann bessere Chancen. Weil sie wissen jetzt schon, das hat sich herumgesprochen: Ich zeige den an und es passiert sowieso nichts. Das ändert natürlich auch was in dem Anzeigeverhalten. Also es ist nicht nur die Angst und die Scham und so weiter. Sondern auch das ganz konkrete Wissen der Frauen: 80 bis 90 Prozent der Verfahren werden sowieso eingestellt. Wieso soll ich den dann anzeigen? Das sagen die auch immer wieder in den Beratungsstellen. Das ist so ein riesen Akt mit Verwaltung und Vernehmungen, und dann haben wir wieder einen riesen Verwaltungsaufwand. Und dann kommt eh nichts mehr raus.
AB: Tatsächlich, die Protagonistin, die ich ursprünglich recherchiert hatte, die dann abgesprungen ist, aus einfach Angst vor dem Täter. Sie hatte den Fall, dass sie den Täter wie aufgrund verschiedener Taten, also auch wiederholter Vergewaltigungen angezeigt hat. Und dann wurde sie vernommen, und dann hieß es am Ende: Nein, wir stellen das alles ein, weil es sind so viele Taten passiert. Die Frau bringt das bestimmt alles durcheinander. Und weil sie dann die Lichtstimmung an Tag X Y nicht konkret wiedergeben konnte, wurde ihr dann nicht geglaubt und wurde ihr gesagt: „Sehen Sie, Sie können sich nicht daran erinnern, wie die Stimmung war, als der Mann sie vergewaltigt hat. Deswegen müssen wir davon ausgehen, dass es keine fundierte Aussage ist.“ Aber hätte sie eine Spurensicherung gehabt, hätte sie sagen können: „Sehen Sie, ich habe hier einen Nachweis. An dem Tag hatte ich die und die Verletzung. Deswegen war ich im Krankenhaus.“ Unsere Protagonistin Sandra, die Julia dann gefunden hat, hat auch gesagt, dass sie glaubt, hätte sie davon gewusst und hätte sie diese Spurensicherung gemacht, hätte sie sich früher aus der Beziehung lösen können. Also ganz klar ist es einfach ein Werkzeug für betroffene Personen.
ES: Wir können über eure Protagonistin gleich noch mal sprechen, aber ich wollte noch mal fragen: diese Orte, wo die Spurensicherung durchgeführt werden kann, können die dann auch als Beratungsort verwendet werden? Werden die auch gleichzeitig als Beratungsort genutzt? Oder ist es wirklich nur zur Dokumentation?
JC: Also, das sind ja verschiedene Stellen. Also in den allermeisten Fällen ist es ein Krankenhaus und sind es Mediziner*innen, die das machen. Rechtsmediziner*innen und Gynäkolog*innen, je nachdem. Es kann, das ist ja auch in der Ausgestaltung frei, das ist ja wiederum der Vorteil des Bundesgesetzes, es kann ausgehandelt werden, wie man möchte. In Thüringen machen es jetzt ausschließlich, sollen es ausschließlich Rechtsmediziner*innen sein, und das sind Mediziner. Die sind jetzt nicht in der Lage, eine ausführliche Beratung zu: Wie trenne ich mich? Wie ist das mit dem Sorgerecht? Wie ist das mit dem Geld? Wo kann ich hin? Soll ich ins Frauenhaus? Ja? Nein? Das können die gar nicht leisten. Aber sie werden immer, das hat uns auch die Frau Mähner im Sankt Elisabeth Krankenhaus in Leipzig gesagt, sie werden immer verwiesen an Beratungsstellen. Sie sagen: "Hier da und da kannst du dich hinwenden, die geben dir Beratung." Und auch wenn es wirklich schlimm ist, können die auch die Polizei anrufen und sagen: "Hier, Frauenhaus" oder was auch immer. Aber natürlich immer nur mit Zustimmung der Frau. Das ist alles in der Entscheidungssache der Frau. Ich würde generell – Du hattest das Hilfetelefon schon genannt, das würde ich immer empfehlen, anzurufen auch für Angehörige, Freunde, die nicht genau wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Es gibt eigentlich in fast jeder Stadt eine Beratungsstelle für gewaltbetroffene Frauen und Männer. Und sich dahin wenden. Weil, wie gesagt, das ist eine Spurensicherung. Die können das gar nicht leisten. Die anderen sind ausgebildete und spezialisierte Fachkräfte in einem anderen Bereich, weil das ist so komplex, das kann dort nicht geleistet werden.
ES: Wir haben gerade schon mal eure Protagonistin angesprochen. War die Person schnell bereit, mit euch zu sprechen?
JC: Ja, es war ja so: Amelie kam mit dem Thema, und wir haben das vorgeschlagen, gemeinsam. Und da wurde auch gesagt, dass wir das machen können, hier in der Redaktion und dann ist es natürlich so: ohne Fall wird das kein Beitrag, das ist völlig klar. Amelie hatte selbst schon Personen recherchiert oder eine ganz konkrete, die dann abgesprungen ist, hast du ja erzählt. Und ich habe die Sandra gefunden, schon vor längerer Zeit. Weil ich ja im November 2023 einen Film gemacht hatte zu Gewalt gegen Frauen oder wie der Staat versagt. Also, wo der Gewaltschutz nicht funktioniert. Und da hatte ich Protagonistinnen gesucht über einen Aufruf bei Social Media. Oder auch ist es inzwischen so, dass Frauen sich selbst an mich wenden, weil sie wissen, dass ich in dem Bereich recherchiere. Und da war es so: da hatte ich auch was gemacht, zu eingestellten Strafverfahren. Und sie hatte sich an mich gewandt, aber ihre Strafverfahren waren noch nicht eingestellt. Sie hat gesagt, sie und ihr Anwalt gehen komplett davon aus, dass das alles eingestellt wird, weil die Sachlage so ist, wie sie ist. Aber ich hatte das halt noch nicht schwarz auf weiß. Also ich habe gesagt: solange die Staatsanwaltschaft noch ermittelt oder irgendetwas da noch läuft, kann ich das ja nicht erzählen. Also kann ich ja jetzt nicht sagen: die Strafverfahren sind eingestellt. Und dann hat sie tatsächlich sich genau in diesem Zeitpunkt, wo wir die recherchiert haben und gesucht haben, hat sie sich nochmal gemeldet und hat gesagt: "So ich habe jetzt den Bescheid. Es ist alles komplett eingestellt, wie sieht es aus? Können wir da jetzt nochmal etwas drüber machen?" Und dann war das natürlich genau der richtige Zeitpunkt, und wir haben sehr lange telefoniert. Und dann kam es dann auch irgendwann zu dem Dreh.
ES: Könnt ihr einmal erzählen, was sie erlebt hat?
JC: Also wir haben ja sehr, sehr lange telefoniert. Sie sagt, es wäre eine sehr lange Gewaltbeziehung gewesen. Ich sage jetzt mal so: Wenn man mit dem Blick der Forschung draufguckt, klassische Gewaltbeziehung, ist. Es fing erst an mit Schubsen, sehr viel verbale, psychische Gewalt, Demütigungen, immer wieder Herabwürdigen. Und das hätte sich, so erzählt sie das, das hätte sich dann gesteigert. Es hätte sich gesteigert im Sinne von, dass sie tatsächlich dann sehr häufig richtig verprügelt worden sei und das wirklich immer häufiger wurde, bis hin dann zu diesem einen Vorfall, den sie ja auch im Film schildert, wo sie sich eines Abends wieder gestritten haben. Ich würde sagen wegen Kleinigkeiten, aber das sind ja meistens so die Auslöser, die völlig nichtig sind. Wo er, so erzählt sie, komplett ausgerastet sei und gewalttätig geworden sei. Also zuerst hat er, irgendwie soll er die ganzen Klamotten aus dem Schrank gerissen haben, und sie haben sich sehr stark angeschrien, alle beide. Und dann ist er, so erzählt sie das, sehr unverhofft auf sie zugekommen und hat ihr einen Schlag auf die Wange, also auf die linke Gesichtshälfte verpasst. Und der soll so eine starke Wucht gehabt haben, dass sie gleich gemerkt hat: Oh, da ist was kaputt. Sie beschreibt, dass sie so einen Riss gehört hat. Also für sie hätte sich das angehört, wie wenn dicke Pappe reist und ist ist klar, das Trommelfell ist kaputt. Und dann ist sie mit einer Freundin zum Arzt gefahren, ins nahegelegene Krankenhaus. Dort haben die erstmal die Wunde versorgt und haben dann aber gleich… Sie hat geschildert, was passiert ist, es steht auch im Arztbericht drin, dass sie wohl einen Schlag erhalten haben soll auf die linke Gesichtshälfte. Der Trommelfellriss wurde bestätigt. Es war schon, wenn es ein Schlag war, ein heftigerer Schlag. Und die ganze Gesichtshälfte war geschwollen. Sie hatte auch eine Gehirnerschütterung. Sie musste sich auch mehrfach übergeben. Das steht alles im Arztbericht drin. Und auch, dass der Mann wohl mehrfach gewalttätig geworden sein soll. Und der Arzt hat immer wieder gesagt: "Sollen wir die Polizei rufen? Soll die jetzt hierher kommen? Soll man jetzt eine Anzeige aufnehmen?" Also er hat ihr das wirklich gesagt. Und: "Gehen Sie nicht zurück, das können sie nicht machen." Aber, und das ist halt ganz häufig so, sie hatte ja die Kinder zu Hause. Es sind drei Kinder zwischen acht und 13 Jahre alt. Die haben das alles mitgekriegt. Die waren völlig verstört. Sie wollte die da nicht so lange alleine lassen. Weil in dem Moment, wo sie eine Anzeige erstattet, das hat sie auch gesagt, dann ist mir klar, dass das zu Ende ist. Dann ist diese Familie, wie auch immer sie existiert hat, aber die gibt's nicht mehr. Man muss das alles organisieren. Wo kommen die Kinder hin? Sie hat es dann später durchgezogen. Aber sie hat gesagt: es war so krass schwer. Und das ist bis heute noch ein großes Problem. Die Frauen müssen sich allein eine Wohnung suchen. Die müssen irgendwie das mit dem Umgangs- und Sorgerecht klären. Die sind dann alleinerziehend. In den meisten Fällen zahlt der mann auch erst einmal keinen Unterhalt. Du musst dir einen Job suchen. Du musst diese ganze Gewalt erstmal verarbeiten. Das ist so eine krasse Belastung, die auf so einer Frau liegt, nach so einer Trennung, weil ihr da meistens auch niemand hilft, maximal im Freundeskreis oder im Familienkreis. Wenn du da niemandem hast, stehst du komplett alleine da.
AB: Plus die Angst, dass er kommt und sich rächt, weil diese Täter natürlich dann auch gerne mal, vor der neuen Wohnung auftauchen und drohen.
JC: Das ist das eine. Es ist ein ganz, ganz schwieriger Prozess, so eine Trennung, und das überlegst du dir einmal zweimal, dreimal, viermal. Und dann gibt es ja auch immer wieder, auch das ist erwiesen aus der Forschung, diese Honeymoon-Phasen. Nach so einem heftigen Gewaltausbruch ist es häufig so: Dann gibt es Blumen. Dann "ach, ich werde mich ändern. Das passiert nie wieder, denkt doch an die Kinder." Häufig gibt es auch noch Hauskredite, die gemeinsam laufen. Also wo du denkst "oh, ich habe für den gebürgt. Wenn ich jetzt mich trenne, dann sitze ich vor einem Berg Schulden." Diese ökonomische Abhängigkeit ist nicht zu unterschätzen. Und die Frauen wissen in dem Moment, wo sie Anzeigen erstatten, lösen sie diesen ganzen Prozess aus und zu wissen: Ich begebe mich in einen krassen Prozess, plus das Ding wird wahrscheinlich sowieso eingestellt, das hindert sie daran, Anzeige zu erstatten.
ES: Und das hat sie dann auch nicht gemacht?
JC: Genau. Sie hat in der Situation sowieso nicht, weil das muss man sich vorstellen: Die Kinder sitzen zuhause und sind ja völlig geschockt von dem, was passiert ist. Und du willst ja erst mal deine Kinder beruhigen. Auch eine Anzeige-Aufnahme dauert ja mindestens zwei Stunden. Da willst du nach Hause und auch danach, da hat sie gesagt, hatte sie tatsächlich Todesangst, weil es immer schlimmer wurde. Also diese Gewalt ist einfach so eskaliert, dass sie gesagt hat: Alles, was ich jetzt tue, um ihn zu reizen - und das wäre natürlich eine Anzeige, wäre die maximale Form der Eskalation - bringt mich und meine Kinder in Lebensgefahr.
ES: Hat der Mann sich dann zu diesen ganzen Vorwürfen geäußert? Euch gegenüber auch?
JC: Also, wir haben Sandra ja ausführlich zu dieser ganzen Geschichte gehört, sie ausführlich ihre Sicht dargestellt. Und wir hätten auch gerne die Sicht des Mannes dargestellt. Wir haben ihn angefragt, schriftlich, und er hat darauf nicht geantwortet. Das heißt, wir können nur Sandras Sicht darstellen. Wir können nur Sandras Erzählungen haben. Wir können auch nicht nachprüfen, ob das wirklich stimmt, weil es war keiner dabei. Aber er hat über seine Anwältin der Sandra ein Schreiben zukommen lassen, das sie sich nicht mehr öffentlich äußern soll. Sie soll nicht mehr sagen, er habe ihr körperliche Gewalt angetan. Das können wir so stehen lassen. Wir können es nicht überprüfen. Aber natürlich haben wir einen Arztbericht, und wir haben Sandras Erzählungen, die ich für glaubwürdig halte. Aber natürlich nicht überprüfen kann. Und sie hat auch immer wieder betont: ihr ist es so wichtig, mit dieser Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen, weil sie einfach möchte, dass sich was ändert. Sie hat sich so viele Jahre alleingelassen gefühlt und hatte niemanden, an den sie sich wenden kann. Und sie hat gesagt: wenn es mehr Vorbilder gibt, also so wie sie als Frau, die das aus so einer Gewaltbeziehung rausgeschafft hat, dann würden sich vielleicht auch mehr Frauen trauen, da rauszugehen. Und das war ihre Motivation.
AB: Genau also dann, drei Monate später, gab es wieder einen Gewaltausbruch, und da hatte sie dann den Mut, zur Polizei zu gehen.
JC: Beziehungsweise, sie wollte gar keine Anzeige erstatten. Sie wollte Schutz. Sie hat gesagt: "Ich bin angegriffen worden, und ich will jetzt irgendwie wohin mit meinen Kindern und weiß nicht wohin oder wie soll man das machen?" Und dann hat der Polizist gesagt: "Naja, Moment!" Wenn die Polizei von einer Straftat erfährt, sind die verpflichtet, Strafanzeige zu erstatten. Und so kam es in Gang. Und das möchte ich auch noch mal betonen, weil es auch häufig so ein Vorwurf ist, den Frauen dann bekommen: Sie wollen sich rächen, die wollen, dass der irgendwie eine harte Strafe kriegt. Und das ist bei den meisten Frauen. Und auch bei Sandra war das nicht die Motivation. Die hat gesagt: "Ich möchte den Anzeigen A, um irgendwie einen Schlussstrich zu ziehen und B, um irgendwie da rauszukommen. Und auch wäre es natürlich schön, wenn irgendeine Stelle sagt, dass er was gemacht hat. Also wenn mir irgendjemand mal glaubt." Weil das zieht sich ja auch durch. Und da kann die vertrauliche Spurensicherung auch helfen beim Jugendamt, vor dem Familiengericht. Und überall stehst du dann da, wenn das Verfahren eingestellt ist, dann steht der mutmaßliche Täter da, der als unschuldig gilt, auch in Sandras Fall gilt natürlich der Mann als unschuldig. Es kann ihm nichts nachgewiesen werden. Sie hat nichts in der Hand. Sie kann beim Familiengericht nicht sagen: "Der Mann hat häusliche Gewalt nachgewiesenermaßen ausgeübt. Ich möchte nicht, dass er so viel Umgang hat." Sie kann beim Jugendamt nicht nachweisen, dass er häusliche Gewalt ausgeübt hat. Und es wird ihr dann einfach wenig geglaubt. Und das ist ganz, ganz großes Problem.
ES: Das heißt, wir haben jetzt Glaubwürdigkeit. Wir haben die Spurensicherung für einen zukünftigen Prozess. Aber von dem Ganzen wusste sie jetzt nichts? Sie wusste nichts von der anonyme Spurensicherung, dass es die Möglichkeit gibt?
AB: In ihrem Bundesland hätte sie auch die Möglichkeit dazu nicht gehabt. In ihrem Bundesland ist es so, dass nur Spuren sexueller Gewalt gesichert werden, auch nur in wenigen Krankenhäusern. Und wir reden hier von einem größeren Bundesland, sie hätte weit fahren müssen. Ihr Mann, so sagt sie uns, hat den Tachostand ihres Autos kontrolliert. Das wäre auch eine Reizung gewesen, was wir vorher beschrieben hatten. Das hätte sie also auch gar nicht erst gewagt. Und in dem Krankenhaus, wo sie war, wurde noch nicht mal mehr Spurensicherung durchgeführt. Also sie hätte gar kein Angebot wahrnehmen können. Selbst hätte sie es gewusst.
ES: Ihr habt vorhin schon mal gesagt, dass es insgesamt noch relativ unbekannt ist, erst einmal abgesehen davon, ob es das Angebot überhaupt gibt. Wäre das bekannter, würde das für viele Frauen das Leben einfacher machen, den Ausstieg aus der Beziehung auch einfacher machen?
JC: Auf jeden Fall! Ich weiß, ich hatte schon mal in einem anderen Podcast, bei 11km darüber gesprochen. Einfach nur, dass es diese Möglichkeit gibt. Und da kamen so viele Reaktionen drauf. Also dass die Frauen dann schon angerufen oder geschrieben haben: Wo gibt es das? Wo kann ich mich hinwenden? Und wenn das breiter und bekannter wäre, denke ich schon, dass es Einfluss haben könnte. Auch auf die Rechtsprechung. Aber sicher kann man das natürlich nicht sagen. Aber es ist schonmal gut, wenn Beweise da sind, dass man die sichern kann. Weil natürlich, wenn es keine Verurteilungen gibt, beziehungsweise Verfahren eingestellt werden und die Täter, mutmaßlichen Täter, als unschuldig gelten, dann ist es ja auch wie so ein Freibrief. Also es ist so: na ja, mir passiert ja eh nichts. Und die können sich relativ sicher fühlen. Das hat auch die Anwältin gesagt. Im häuslichen Umfeld sind die Verurteilungsraten so gering, dass sie da in keinster Weise irgendetwas befürchten müssen. Und ich habe in meiner ganzen Recherche sehr wenige Verurteilungen erlebt. Und meistens sind die dann unter diesem Strafmaß, wo sie als vorbestraft gelten. Das heißt, sie zahlen dann einen bestimmten Tagessatz, und das war's. Aber sie haben keine Konsequenz. Zum Beispiel in vielen Fällen, die ich recherchiert habe, waren es Polizeibeamte, die mutmaßlichen Täter, die könnten ihren Beruf nicht mehr ausüben. Also diese Konsequenzen gibt es äußerst selten. Gilt ja natürlich für alle Beamte. Oder dass sie tatsächlich in Haft müssen. Äußerst selten.
ES: Amelie Befeldt und Julia Cruschwitz! Ich danke euch
AB: Vielen Dank!
JC: Vielen Dank!
ES: Das war der Podcast "MDR Investigativ – Hinter der Recherche". Den Film über die Vertrauliche Spurensicherung finden Sie in der ARD Mediathek in der Sendung Exakt vom 05.06..
In zwei Wochen hören Sie dann an dieser Stelle wieder meine Kollegin Secilia Kloppmann. Dann geht es um Gewalt gegen Schiedsrichter. Die wird nämlich immer häufiger. Wenn Sie das nicht verpassen wollen, dann abonnieren Sie gerne diesen Podcast kostenfrei in der ARD Audiothek und auf allen anderen gängigen Plattformen. Und zum Schluss habe ich natürlich noch einen Podcast-Tipp für Sie:
Ich freue mich, wenn Sie auch beim nächsten Mal wieder zuhören. Machen Sie es bis dahin gut und bleiben Sie gesund!
Dieses Thema im Programm: MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche | 14. Juni 2024 | 10:00 Uhr