MDR Investigativ - Hinter der Recherche - Vegan vs. Fleisch
Bildrechte: Exakt/MDR

MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche (Folge 86) Vegan vs. Fleisch: Warum polarisiert die Debatte ums Essen so?

Audiotranskription

Immer weniger Deutsche essen regelmäßig Fleisch. Aber der Tonfall, mit dem über Fleischkonsum gestritten wird, der wird schärfer. In der Debatte ums Fleischessen verhärten sich die Fronten immer weiter. Warum ist das so? Und wie finden wir wieder zueinander?

Esther Stephan (ES): Wie oft essen Sie Fleisch und haben Sie schon mal Hafermilch probiert? Letztes Jahr da lag der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch in Deutschland so niedrig wie noch nie seit gemessen wird. Immerhin: noch immer isst im Schnitt jeder und jede Deutsche 52 Kilogramm Fleisch im Jahr. Aber je mehr Leute sich gegen Fleisch und andere tierische Produkte entscheiden, desto schärfer wird offenbar der Ton, in dem auch darüber gestritten wird.

Also ich habe, bis auf Familienmitglieder, habe ich mit fast niemandem mehr zu tun, der nicht vegan ist, privat. Bei der Familie bin ich auch die ganze Zeit am arbeiten daran, dass meine Familie auch vegan wird. Ich trage diese Gabel zum Beispiel, das ist die Liberation Pledge. Ich setze mich auch nicht mit der Familie oder mit anderen Menschen an einen Tisch, wenn sie tierische Produkte konsumieren.

David, Aktivist

ES: Ein Schnitzel aus Sellerie statt Kalb kommt für viele aber überhaupt nicht infrage, geschweige denn eine vegane Currywurst.

Ich weiß nicht, warum man eine Alternative braucht. Entweder mag man Fleisch, man isst Fleisch oder tut es nicht. Warum diese ganzen Alternativen? Da ist mehr Chemie drin als sonst irgendwas. Gesund ist es nicht. Die Currywurst ist sehr lecker.

Ein Passant in Magdeburg

ES: Sie hören "MDR Investigativ - Hinter der Recherche" und es geht heute um Fleischkonsum und warum der mittlerweile so sehr polarisiert. In diesem Podcast sprechen wir mit Journalist*innen über die Dinge, die sie während der Dreharbeiten erlebt haben und über ihre persönlichen Eindrücke. Ich bin Esther Stephan und ich arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks. Und heute ist Felix Schlagwein zu Gast. Hallo!

Felix Schlagwein (FS): Hi Esther!

ES: Wie bist du zu diesem Thema gekommen? Irgendwie wirbelt das ja schon eine ganze Weile rum. Und es ist jetzt ja auch nicht so, dass Menschen seit vorgestern Vegetarier*innen sind. Und du hast einen Film gemacht, wir können direkt mal am Anfang sagen, der läuft in der ARD Mediathek und auch bei YouTube unter dem Titel "Vegan vs. Fleisch". Aber wieso jetzt dieser Film?

FS: Naja, ich bin natürlich irgendwie durch so ein bisschen persönliche Suche oder die Suche nach Antworten darauf gestoßen. Ich esse seit ein paar Jahren selbst kein Fleisch mehr, habe viele Freundinnen und Freunde, die das auch nicht mehr tun, aber gleichzeitig noch viele Freundinnen und Freunde, die das tun. Und ich merke immer wieder, dass das so ein bisschen - also da ist immer irgendwie so ein Knistern, da ist immer irgendwie so eine Spannung da. Und dann habe ich mich sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigt, viele Bücher gelesen, Filme geguckt. Und dann dachte ich: ja, irgendwie ist das ein Thema, was man mal aufgreifen müsste. Und dann kam politisch gerade die Diskussion Ende Mai über diese vermeintliche DGE-Debatte. Und dann dachte ich okay, politisch ist das auch ein heißes Thema, das kann man sich mal im Zusammenhang anschauen.

ES: Magst du noch mal sagen, worum es bei der DGE-Debatte ging?

FS: Also Ende Mai hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, DGE eine vermeintlich neue Empfehlung für den Fleischkonsum in Deutschland herausgegeben. Und darum gab es einen ziemlich heftigen politischen Streit. Denn diese angebliche Empfehlung sah vor, dass man nur noch zehn Gramm Fleisch pro Tag zu sich nehmen soll. Und dann wurde sehr schnell vom Fleischverbot vor einem möglichen gesprochen. Und dann haben sich vor allem Politiker aus Union und AfD darüber echauffiert. Aber diese neue Empfehlung hat es gar nicht gegeben. Das ist eine Metastudie gewesen, zu denen noch Hunderte Kommentierungen eingereicht werden. Und erst dann, und zwar im nächsten Jahr soll es eine neue Empfehlung geben. Aber man kann es schon sagen, und die DGE sagt es auch selber, dass die momentane Empfehlung von 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche sicherlich nach unten korrigiert werden wird nächstes Jahr.

ES: Und da geht es dann darum wie gesund ist eigentlich Fleischkonsum?

FS: Genau. Also die DGE sagt heute schon, dass Fleisch nur wenn nötig, dann in diesen Mengen 300 bis 600 Gramm pro Woche, verzehrt werden soll. Und daran entzündete sich dann ein politischer Streit ums Fleisch, den ich so spannend fand und den ich auch in meinem Film aufgegriffen habe.

ES: Kannst du denn nicht so nach deiner Recherche eigentlich ausmachen, warum die Fronten so verhärtet sind, in dieser Diskussion: Fleisch oder kein Fleisch?

FS: Ich habe ja mit einer Ernährungspsychologin auch gesprochen, und ich glaube, die bringt es ziemlich genau auf den Punkt. Und die hat mir im Interview gesagt, dass das natürlich was ist, was wir seit Kind auf kennen. Die meisten von uns, auch die, die heute kein Fleisch mehr essen, sind mit Fleisch aufgewachsen, mit viel Fleisch aufgewachsen. Und dementsprechend ist es was, was aus unserem Alltag ja eigentlich nicht mehr wegzudenken ist. Und wenn jetzt jemand kommt und sagt: Hey, Fleischessen ist nicht gut wegen den Auswirkungen aufs Klima, den negativen. Wegen den negativen Auswirkungen auf die Gesundheit, aber vor allem natürlich wegen der negativen Auswirkungen auf das Leben der Tiere. Dann fühlen sich Menschen sehr schnell angegriffen. Und das ist tatsächlich auch was, was dann politisch instrumentalisiert werden kann. Ja also diese Angst, man möchte uns das Fleisch wegnehmen, das ist ein sehr guter Nährboden für ja vor allem für Populisten in diesem Land. Das muss man schon klipp und klar so sagen.

ES: Dann lass uns doch mal die Zahlen so ein bisschen auseinanderdröseln. Also so mein Gefühl ist, so in den letzten fünf Jahren, auch vor allem dieses Argument Fleisch ist klimaschädlich ist sehr populär. Welche Auswirkungen hat denn Fleischkonsum eigentlich wirklich aufs Klima?

FS: Ja, also, das kann man, glaube ich, nicht, deutlich genug sagen, dass der Fleischkonsum . wahrscheinlich unterschätzen das die meisten - dramatische Auswirkungen hat auf unser Klima. Die UN sagt, dass es 14,5 Prozent der Treibhausgasemissionen verursacht, also die die Tierhaltung, die menschliche Tierhaltung, landwirtschaftliche Tierhaltung und außerdem verbraucht die Tierhaltung über drei Viertel der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche weltweit. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Also dreiviertel dieser Flächen werden letztendlich nur dafür beackert, um Tiere zu füttern, die wir dann essen. Aber was ich interessant fand und die Aktivisten, die ich in dem Film begleitet habe, die haben dieses Argument Klimawandel, Flächenverbrauch et cetera so gar nicht so sehr in den Vordergrund gestellt, eigentlich bewusst in den Hintergrund gestellt, weil es ihnen vor allem um Tierrechte geht. Also darum, dass Tiere leiden in der Massentierhaltung, die einen Großteil der weltweiten Tierhaltung ausmacht. Weil sie eben auch gesagt haben: das ist das einzige, womit man konsistent argumentieren kann. Man kann klimafreundlich leben, sagen sie, wenn man einmal im Jahr ein Schnitzel isst. Ja also, wenn man wenig Fleisch isst, dann macht es fürs Klima nicht viel aus. Aber natürlich macht es tierrechtlich aus deren Perspektive etwas aus, weil dafür ein Tier sterben musste, was nicht hätte sterben müssen aus deren Sicht. Das fand ich ganz spannend an der Recherche, dass sowas bei denen, die wirklich auf die Straße gehen und sich für Veganismus, also für Ernährung ohne tierische Produkte einsetzen, dass die tatsächlich gar nicht so sehr aus so einer klimapolitischen Ecke kommen.

ES: Du hast da auch Raffaela getroffen. Das fand ich ein wirklich sehr interessantes Treffen. Die ist Aktivistin. Und die macht so Videos unter dem Namen „Die militante Veganerin“, in denen sie mit Menschen zum Beispiel in Fußgängerzonen sich auseinandersetzt. Und diese Videos, die veröffentlicht sie dann zum Beispiel auf TikTok, Instagram oder YouTube und da diskutiert sie mit den Leuten und auch echt ganz schön radikal. Lass uns da mal in so ein Video von ihr reinhören:

In der Eier und in der Milchindustrie werden diese Tiere ja immer noch versklavt. Die sind nicht frei, werden wie Ware behandelt und werden ermordet, wenn sie keinen wirtschaftlichen Vorteil mehr bringen. Ich bin gegen Sklaverei. Bist du etwa dafür?

Zitat aus einem Video von Raffaela Raab

ES: Du hast Raffaela bei einer solchen Aktion begleitet. Was war denn da dein Eindruck, wie Leute so darauf reagieren, wenn sie so in eine Diskussion tritt?

FS: Naja, also, ich hatte das Gefühl, dass sie genauso polarisiert, wie sie auch im Internet polarisiert. Also es gab wirklich Fans von 15-jährigen Mädchen bis zu 40-jährigen Männern, die sich mit die hingestellt haben, sich haben fotografieren lassen. Die gesagt haben: "Du hast mir die Augen geöffnet. Und ich möchte jetzt jeden irgendwie davon überzeugen, sich vegan zu ernähren und vegan zu leben." Aber es gab natürlich auch viele Leute, die sie letztendlich kritisiert haben, die sich aber auch mit ihr hingesetzt haben und diskutiert haben. Und ich habe zum Beispiel zwei Jungs getroffen, Torben und Adrian, die im Film auch vorkommen. Mit denen habe ich mich, während sie gewartet haben, dass sie mit Rafaela diskutieren können, auch gesprochen. Und die sagten: naja, also, wir finden es total angemessen, wenn man zwei, dreimal die Woche Fleisch isst. Und wir könnten uns niemals vorstellen, vegan zu leben. Das waren zwei total nette Jungs. Das waren total legitime Argumente, die sie auch vorgebracht haben. Und auch die Diskussion danach zwischen den beiden und Raffaela Raab, die stand so ein bisschen exemplarisch finde ich dafür, weil es ist erst ein Austausch von Argumenten gewesen. Und sie ist argumentativ sehr, sehr schnell und sehr scharf im Kopf, das muss man ja einfach zugestehen. Aber als es dann an einen gewissen Punkt kam, da sagte sie dann einfach: "Ihr entscheidet euch jeden Tag aktiv dafür, Tiere ins Schlachthaus zu schicken. Und wie viele sollen das denn noch sein? Ihr habt heute die freie Entscheidung, dass es keine mehr sind oder noch ganz, ganz viele." Und ja, dann sagte sie auch so einen Satz wie "Vergibt ihnen nicht Vater, denn sie wussten, was sie tun", was natürlich so ein bisschen einen sektenähnlichen Anstrich hat.. Aber das ist so, wie sie mit den Leuten auf der Straße redet, und manche erreicht sie eben. Und bei manchen erreicht sie halt eben genau das Gegenteil, dass sie die Leute halt eben abstößt.

ES: Jetzt war sie aber ja vorher, bevor sie Aktivistin wurde, bevor sie diese Internet-Persönlichkeit, die militante Veganerin geworden ist, da war sie Medizinerin. Das ist ja eigentlich ein ganz schön drastischer Schritt zu sagen: Ich gebe das auf und mache jetzt Aktivismus. Wie hat das denn überhaupt ihr Leben verändert? Konntest du darüber mit ihr sprechen?

FS: Ja, wir haben ja vorhin in der Anmoderation schonmal David gehört. Ich komme gleich auf Rafaela zu sprechen. Aber vielleicht erst mal er, weil ich das so beeindruckend fand oder in irgendeiner Weise auch schockierend, dass er sich tatsächlich von seinen Freunden entfernt hat. Dass er sich von seinen Eltern wegsetzt, wenn die tierische Produkte zu sich nehmen, also irgendwie ein Ei essen oder so, dann setzt er sich tatsächlich von seiner Mutter weg an einen anderen Tisch oder geht in ein anderes Zimmer. So hat er mir das erzählt, und das finde ich schon sehr, sehr drastisch. Natürlich auch sehr konsequent. Und um auf Raffaela zu sprechen zu kommen, die hat mir im Gespräch auch erzählt, dass es ihr Leben komplett verändert hat. Sie hat mit ihren Eltern gebrochen, weil die sie irgendwie als Sektenführerin bezeichnen. Sie hat keine Freundinnen mehr, die nicht vegan leben, weil sie auch, dann respektierst du mich nicht, respektierst du die Tiere nicht, und ich hab‘s dir tausend mal gesagt. Und wenn du keine Einsicht zeigt, dann bist du auch keine gute Freundin. Und dann ist hiermit unsere Freundschaft beendet. Also so in etwa erzählte sie mir das, und das fand ich jetzt persönlich ja doch sehr krass, wie dieser Aktivismus dann auch diese persönlichen Leben so stark umgekrempelt hat, das muss man dann auch wirklich wollen. Aber ich hatte bei den Aktivistinnen und Aktivisten, die ich dort getroffen habe in Magdeburg auch das Gefühl, dass die das alle wollen und dass sie das gut finden. Dass die da einen sehr klaren Cut setzen, wer nicht vegan lebt, der hat in meinem Leben nichts mehr verloren.

ES: Jetzt ist aber ja Verzicht auf Fleisch auch politisch einfach ein Riesenthema. Ich erinnere mich da an diese Diskussion um den Veggie Day. Das war ein ganz, ganz großes Thema. In deinem Film zeigst du auch einen Ausschnitt aus einer Rede von Markus Söder.

Eine zwangshafte Veganisierung Deutschlands und Bayerns macht keinen Sinn. Ein Leben ohne Schweinbraten mag möglich sein, aber nicht sinnvoll. Wir wollen auch in der Zukunft essen können, was wir wollen, meine Damen und Herren und uns das nicht vorschreiben lassen.

Markus Söder

ES: Tatsächlich sind wir aber ja ziemlich weit weg davon, dass irgendwem vorgeschrieben wird, wie viele Würstchen er oder sie sich jetzt auf den Grill legen darf. Wiese taugt dieses Thema eigentlich so gut dazu, das auch politisch immer wieder aufzurollen und immer wieder so hochzukochen?

FS: Na, ich glaube einerseits vor allem deswegen, was ich gerade eben schonmal angerissen hatte. Es ist sehr persönlich. Was wir essen, ist sehr, sehr persönlich. Das müssen wir auch dreimal am Tag mal mindestens machen. Das heißt, da kann man nicht einfach darauf verzichten, wie auf Rauchen oder auf Trinken. Und wenn man uns da in irgendeiner Form reinreden will, da ist ein neuralgischer Punkt, erreicht bei uns Menschen, das hat mir die Ernährungspsychologin erzählt. Das hat mir aber auch ein Politikwissenschaftler nochmal beschrieben. Und er sagt, deswegen eignet sich dieses Thema natürlich sehr gut politisch auch. Andererseits ist es natürlich gerade ein Thema immer sowieso hoch politisierten Zeit, was vor allem alles angeht, was mit Klimaschutz zu tun hat. Ja, also wir streiten uns gerade extrem um die Heizwende, beziehungsweise die Politik streitet sich darum. Aber natürlich auch wir als Gesellschaft. Wie ist das zu finanzieren? Wie berührt uns das in unserem Privatleben, dann natürlich so Dinge wie Tempolimit, wie Fliegen. Das sind alles Dinge, die unsere menschliche Freiheit sind. Und wenn da irgendwer vor allem von staatlicher Seite uns reinreden will, dann reagieren wir etwas allergisch da drauf. Aber Philipp Lepenies, der Politikwissenschaftler, mit dem ich rede, der sagt auch: also unser Staat, der der basiert auf Verboten und Geboten. Wir können sowieso nicht alles machen, was wir wollen. Und er sagt, dieser politische Diskurs darum, der gerade vor allem von Leuten wie Markus Söder nach vorne gedrückt wird, wenn man da zu Vokabeln kommt wie "Ökodiktatur" und so was, dann verzerrt man damit den politischen Diskurs. Denn er sagt: es gibt keinen Klimaschutz ohne Verbote und Gebote. Und tatsächlich sehen wir, dass das politisch gerade wirklich mehr eine Kerbe durch Deutschland schlägt. Und da ist das Thema Fleisch nur eines von vielen.

ES: Gleichzeitig boomen aber ja auch vegane, vegetarische Ersatzprodukte. Ich sehe die immer mehr im Supermarkt. Du warst in Dresden in einer veganen Fleischerei, da gibt's eine ganze Menge Würste und auch so belegte Brote mit veganen, vegetarischen Schnitzeln belegt. Wie schauen denn diese Betreiber auf die Debatte?

FS: Ich war dort für den Film, weil ich fand, dass sich an dieser veganen Fleischerei, die in Dresden im Januar diesen Jahres eröffnet hat, sich ziemlich gut gezeigt hat wie dieser Kampf ums Fleisch in Deutschland tobt. Man muss sich nur mal auf den sozialen Medien die Artikel angucken, in denen über die Eröffnung damals berichtet wurde. Zehntausende Kommentare sind dort drunter von "Juhu! Endlich gibt es eine vegane Alternative für mich, eine vegane Fleischalternative!" bis hin zu Morddrohungen. Ich fand dieser Konflikt hat sich an dieser veganen Fleischerei in Dresden so wirklich kristallisiert. Das muss man echt so sagen. Und dass die Reaktionen so krass waren, dass der Hass so krass war, bis hin zu Google-Bewertungen, die das Geschäft schlecht machen wollten, à la "Ich hatte eine Lebensmittelvergiftung, nachdem ich da war", bis hin zu ellenlangen Mails, in denen sie mit Nazis und Hitler verglichen werden. Ja, da merkt man einfach, wie sehr dieses Thema Fleischverzicht Deutschland spaltet, die Bevölkerung spaltet und wie groß das Konfliktpotenzial tatsächlich hinter diesem Thema ist.

ES: Jetzt gibt es auch einige Argumente gegen vegane Fleischprodukte, die einem immer wieder mal begegnen. Ich kenne das selbst, ich esse tatsächlich auch gelegentlich mal Fleisch. Aber ich probiere voll gerne einfach andere Sachen aus. Und wenn ich dann mit so einem vegetarischen Schnitzel oder einer Wurst zum Grillen komme, dann sagen mir ständig Leute "Warum isst du denn jetzt eigentlich was, was genauso aussieht wie Fleisch? Wo du doch eigentlich jetzt gerade gar kein Fleisch isst. Dann legt er doch eine Zucchini auf den Grill. Außerdem nimmst du da ja jetzt einfach nur Tonnen an Zusatzstoffen und Chemie zu dir." Dieses Argument kommt ja auch in dem Film vor dieser Currywurstbude auch tatsächlich einmal auf. Ist dir das darüber hinaus auch in der Recherche mal begegnet?

FS: Also, das ist vielleicht das Argument, was ich am häufigsten höre. Ja also, wenn ich im Alltag mit Menschen darüber spreche, aber natürlich auch zu der Recherche zu diesem Film kam, dass immer wieder vor. Meine persönliche Meinung dazu ist, und was auch viele andere Menschen sagen, die auf Fleisch verzichten ist: Wir mögen ja den Geschmack von Fleisch. Wir möchten nicht, dass ein Tier dafür stirbt. Und das kann ich so ganz gut verstehen. Ich esse diese Ersatzprodukte persönlich auch relativ regelmäßig. Was natürlich stimmt, ist das dort vor allem bei den Supermarktprodukten viele Zusatzstoffe drin sind die vor allem das Produkt natürlich haltbarer machen. Die in vielen Dingen drin sind, die natürlich im Supermarkt liegen, weil sie möglichst lange haltbar sein sollen. Die Betreiber der veganen Fleischerei sind ja so eine Manufaktur, und die sagen: "Okay, wir verzichten komplett auf diese Zusatzstoffe und machen nur mit Gewürzen und Dingen wie Soja und Seitan hier unsere Produkte." Ich glaube, das ist eine sehr persönliche Sache. Da muss jeder entscheiden, was er will. Ich denke, es ist total in Ordnung, wenn man diese Produkte konsumiert. Und es ist vor allem kein Argument gegen Fleischverzicht. Also es wirkt oft wie so ein dahergeholtes Placebo-Argument, dass man anderen Menschen ihren Fleischverzicht schlecht machen möchte und nun in irgendeiner Form ein Gegenargument sucht mit dem man versucht, den Fleischverzicht des anderen zu diskreditieren. Und ich muss sagen, ich habe das früher ähnlich so gemacht. Ich esse auch erst seit ein paar Jahren kein Fleisch mehr und muss sagen, dass ich in diesen Mechanismus selbst gefallen bin. Und heute denke ich mir: Ah das war nicht so wirklich legitim, diese Kritik. Aber ich muss sagen, das es natürlich erst mal so ein Reflexmechanismus ist, in den man fällt. Was die Ernährungspsychologin im Film auch sagt, dass Menschen, die auf Fleisch verzichten, in irgendeiner Form im moralischen Vorteil sind und man als Fleischesser sich nicht dann irgendwie denkt: Hm, irgendwie muss ich mir jetzt eine Gegenstrategie dazu überlegen und versuchen, den anderen vielleicht irgendwie schlecht zu machen oder mich selbst besser zu machen.

ES: Aber wie sieht es denn mit der Klimabilanz von solchen Produkten aus? Also weißt du, ob das wirklich einen Unterschied macht. Jetzt wird Tofu ja zum Beispiel aus Soja hergestellt, und der kommt ja immer noch zum Großteil aus Brasilien, wo dann Regenwald für Soja abgeholzt wird, das wissen wir alle.

FS: Das ist auch ein Argument, was man glaube ich sehr häufig hört. Und da muss man dann halt wirklich einfach bei den Fakten bleiben, denn wir haben es gerade eben ja schon einmal kurz angesprochen, über drei Viertel der landwirtschaftlich genutzten Fläche auf der Welt wird für die landwirtschaftliche Tierhaltung und vor allem für das Futter für die landwirtschaftliche Tierhaltung verbraucht. Das heißt, ein Großteil dieses Sojas, wofür dann eben auch in Brasilien der Regenwald für gerodet wird, wird natürlich an Tiere verfüttert. Und es ist für die landwirtschaftliche Tierhaltung gedacht und nicht dafür, dass man sich irgendwie in eine Tofuschnitte ins Regal legt. Also das sind so Dinge, die sich vielleicht auch einfach sehr schnell in der Bevölkerung verbreitet haben und wo vielleicht auch, und das ist mir beim Film bei der Recherche zum Film immer wieder aufgefallen war, einfach ganz viel Wissen über Tierhaltung fehlt. Und wo sich dann solche „Gerüchte“ oder Falschmeldungen einfach sehr stark in der Bevölkerung festsetzen. Ich finde, und das ist auch eine Lehre aus der Recherche zu diesem Film, dass wir uns alle viel mehr damit beschäftigen müssten: wo kommt unser Essen eigentlich her? Und natürlich vor allem, wenn es um tierische Produkte geht, mit den Klimaschäden, Tierwohl et cetera oder Tierleid in dem Fall, verbunden sind, dann natürlich wir vielleicht als Menschen noch eine viel größere Verpflichtungen in irgendeiner Form haben uns zu fragen, wo kommt unser Essen eigentlich her? Und was hat das für Auswirkungen auf die Umwelt?

ES: Bevor es weitergeht, habe ich noch einen Podcast-Tipp für Sie. In Kemferts Klima-Podcast besprechen die Kolleg*innen von MDR Aktuell die drängendsten Fragen zum Klimawandel und zur Energiewende. Zweimal im Monat gibt es eine neue Folge, und in der beantwortet die Energie und Klimaökonomin Professor Claudia Kemfert zusammen mit Theresa Liebig und Marcus Schödel Fragen und ordnet aktuelle Studien ein. Die nächste Folge nach der Sommerpause, die können Sie ab dem 20. September hören.

ES: Jetzt haben wir eine ganze Menge gehört, was für mich so klingt, als sollten wir alle auf jeden Fall sofort morgen mindestens vegetarisch uns ernähren. Spricht denn auch was für Fleisch eigentlich?

FS: Also die DGE, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt zum Beispiel eine rein vegane Ernährung nicht. Ausdrücklich nicht. Vor allem nicht für Schwangere, Stillende, Säuglinge, Kinder und Jugendliche. Und da muss man schon sagen: Also eine vollwertige Ernährung kann man rein pflanzlich sicherlich sich zusammenstellen. Aber es fehlt einem vor allem Vitamin B12. Und das müssen Menschen, die komplett auf tierische Produkte verzichten, dann eben halt supplementieren. Das finden natürlich auch nicht alle gut. Und ja, natürlich ist Fleisch ein toller Nährstofflieferant und schmeckt vor allem gut und hat, glaube ich, auch so eine sehr kulturelle und gesellschaftlich verbindende Wirkung. Also wir denken alle nur ans Grillen, mit der Familie oder an den Burger, den man dann zusammen isst oder so. Also es hat, glaube ich, abgesehen von der ernährungsphysiologischen Seite noch eine sehr stark prägende, gesellschaftliche Rolle, dieses Fleisch. Und das darf man glaube ich, nicht unterschätzen.

ES: Siehst du irgendwo nach dieser Recherche auch irgendwo Ansätze, wo wir vielleicht wieder ins Gespräch kommen können? Also man sieht ja ganz, ganz deutlich in dem Film: die Fronten sind so verhärtet, dass ich mir da tatsächlich sehr schwer vorstellen kann, dass da die Leute wieder ins Gespräch kommen und am Ende sagen können: Okay, wir haben hier sachliche Gründe, die gegen Fleischkonsum zum Beispiel sprechen. Wir haben vielleicht auch gute Gründe für Fleischkonsum, aber am Ende können wir alle essen, was wir wollen. Niemandem wird vorgeschrieben, was gegessen werden soll.

FS: Naja, ich sage es auch am Ende vom Film. Ich muss sagen, die Recherche lässt mich wirklich so ein bisschen ratlos zurück.  Es gibt Menschen, die sich niemals vorstellen können, auf Fleisch zu verzichten. Und es gibt eben Menschen, die sagen: Ich bin eben nicht mehr mit Menschen befreundet, die irgendwie tierische Produkte zu sich nehmen. Ich finde, da prallen so große Welten aufeinander, dass das kaum vereinbar ist. Was ich glaube, ist, dass wir, und es kommt im Film auch von mehreren Seiten als Argument, dass man wieder vielleicht zu einer gesünderen Tierhaltung, zu einem gesünderen Fleischkonsum, zu viel weniger Fleischkonsum hin müsste. Das würden natürlich diese "radikalen" Tierrechtler*innen, mit denen ich gesprochen habe, niemals akzeptieren. Nur ich glaube, das wir auch die Realität nicht aus den Augen verlieren dürfen. Also es werden nicht über Nacht alle Menschen irgendwie auf Fleisch verzichten und ganz auf tierische Produkte wie Joghurt, Milch, Eier sowieso nicht. Und deswegen müssen wir gucken, wie gehen wir da konstruktiv ran.  Und ich glaube, dass die einzige Funktion neben Angebote zu schaffen vom Markt her, also dass es eben so etwas wie vegane Alternativprodukte gibt, wir auch darauf gucken müssen: was macht die Politik? Ich finde, die Politik ist am Zuge. Das fand auch der Politikwissenschaftler, mit dem ich gesprochen habe und dass man sich nicht eben in so populistischen Streits um Fleisch, vermeintliches Fleischverbot, Ja oder Nein, verrennen sollte. Sondern dass man wirklich konstruktive Ansätze schafft, die in irgendeiner Form dazu führen, dass wir am Ende wirklich weniger Fleisch essen. Weil, die Zahlen kommen im Film vor, nicht nur die Auswirkungen aufs Klima, sondern dass wir im Jahr 750 Millionen Landtiere allein in Deutschland, allein Landtiere, schlachten. Das sind 1400 Tiere pro Minute, das muss man sich mal irgendwie auf der Zunge zergehen lassen, im wahrsten Sinne des Wortes. Dass wir also schauen, dass die Politik, oder die Politik muss schauen, dass wir Lösungen finden, dafür. Wie die konkret aussehen, das weiß ich nicht. Das ist der Job von Politikerinnen und Politikern. Die müssen das hinkriegen, dass man in irgendeiner Form geregelt den Fleischkonsum in Deutschland runterkriegt. Denn in anderen Ländern, die vorher weniger Fleisch gegessen haben, steigt der Fleischkonsum rasant an. China und Indien zum Beispiel. Das heißt, die weltweite Bewegung geht eigentlich eher Richtung mehr Fleisch. Und vielleicht sind wir als Gesellschaft, als Industrienation, die eben auch diese Ersatzprodukte vielleicht schon hat und Zugriff sowieso auf allerlei Nahrung im Supermarkt hat. Wir können es uns ja quasi aussuchen, dass das vielleicht auch unsere Aufgabe ist, in dieser Situation und in dieser etwas privilegierten Lage zu sagen: okay, so wie wir Fleisch konsumiert haben, über diese ganzen Jahrzehnte, das kann so nicht mehr weitergehen. Und wir müssen irgendwie eine Lösung finden. Aber was ich aus diesem Film mitgenommen habe ist, ich glaube, dass wir selber das nur zu einem Teil schaffen und dass die Politik dort Handlungsvorgaben uns geben muss als Gesellschaft, die wir dann befolgen können. Und wie die dann aussehen könnten, ist die Frage. Also wird Fleisch teurer, werden bestimmte Haltungsformen komplett verboten? Ich weiß es nicht. Da sind Politikerinnen und Politiker an der Reihe, sich Dinge auszudenken, damit in irgendeiner Form der Fleischkonsum in Deutschland weiter runter geht.

ES: Felix Schlagwein, danke dir!

FS: Danke!

ES: Das war der Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Den Film von Felix, den finden Sie in der Reihe "exactly" in der ARD Mediathek und bei YouTube unter dem Titel "Vegan vs. Fleisch - Warum der Streit ums Essen eskaliert". In zwei Wochen hören Sie dann an dieser Stelle wieder meine Kollegin Secilia Kloppmann. Wir freuen uns übrigens, wenn Sie bis dahin mit uns in Kontakt treten möchten. Dazu können Sie uns gerne eine E-Mail an investigativ@mdr.de senden oder Feedback auf der Podcast-Plattform ihrer Wahl hinterlassen. Machen Sie es gut!

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Investigativ - Hinter der Recherche | 08. September 2023 | 12:00 Uhr

Weitere Podcasts von MDR AKTUELL