Polizei bei einer Festnahme
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MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (Folge 104) Im Visier der Fahnder: Der Kampf gegen die Schleuser-Mafia

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Menschen auf der Flucht sind bereit viel dafür zu geben, an ihr Ziel zu kommen. Trotz harter Strafen bleibt das Schleusen lukrativ und hochprofessionell. Und so setzen immer mehr Menschen ihr Vermögen und ihr Leben aufs Spiel. Wie muss künftig mit dem Thema Flucht und Migration umgegangen werden? Katrin Funke und Robert Mönch haben für „Exakt – die Story“ die Taktiken der Schleuser und Schlepper recherchiert und die Arbeit der Bundespolizei begleitet.

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Polizei bei einer Festnahme 27 min
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Verfolgungsfahrten, umgekippte Fahrzeuge, völlig überladene Fahrzeuge, Menschen dehydriert. Die mussten teilweise ihre Notdurft auf Ladeflächen verrichten, hatten nichts zu essen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann wir eine Ladefläche aufmachen von einem Kleintransporter und da sind welche erstickt oder verhungert oder verdurstet. Mir ging es nicht mehr um eine politische Frage: Grenzkontrollen ja, Nein. Es ging darum, zu verhindern, dass noch mehr Geschleuste verunglücken.

Armin Schuster

Esther Stephan (ES): Es ist ein drastisches Bild, das Sachsens Innenminister Armin Schuster zeichnet: Menschen, die dichtgedrängt in den Ladeflächen von Transportern auf ein besseres Leben hoffen und dabei nicht nur Unsummen zahlen, sondern teilweise auch ihr Leben aufs Spiel setzen. 2023 hat die Zahl der Schleusungen zugenommen, und jede aufgedeckte Schleusung wird zum Fall für die Justiz. Katrin Funke und Robert Mönch haben für "Exakt - die Story" zur Schleusermafia recherchiert und dabei hautnah erlebt, wie die Arbeit der Fahnder der Bundespolizei aussieht.

Sie hören "MDR Investigativ - hinter der Recherche". In diesem Podcast sprechen wir mit Journalist*innen über ihre Recherchen, ihre Erlebnisse während der Dreharbeiten und ihre persönlichen Eindrücke. Ich bin Esther Stephan, schön dass Sie zuhören!

Und heute bin ich mit Katrin Funke zusammengeschaltet. Hallo Katrin!

Katrin Funke (KF): Hallo Esther!

ES: Du hast ja zusammen mit Robert Mönch, der heute leider nicht dabei sein kann, einen Film gemacht. Das ist "Exakt - die Story" gewesen, den kann man in der Mediathek und bei YouTube noch sehen, "Im Visier der Fahnder". Ihr seid da ja ganz nah dabei, und ihr begleitet die Bundespolizei dabei, wie sie Schleuser jagt. Wie war das für euch da so ganz nah dran zu sein? Das ist ja nicht alltäglich.

KF: Nee, alltäglich ist das wirklich nicht gewesen. Und das war schon für uns ziemlich beeindruckend, das aus nächster Nähe zu sehen. Und es war aber auch ein hartes Stück Arbeit, so nah ranzukommen. Das war einfach ein langes Vertrauensverhältnis, was wir da sozusagen, zu den Bundespolizisten auch aufgebaut haben. Und es galten vor Ort natürlich auch deren Regeln. Und wir waren Zaungäste. Und die Schritte, die sie uns erlaubt haben, haben wir gerne mitgemacht.

ES: Das heißt es, gab da auch Einschränkungen. Ihr konntet da nicht einfach so mitlaufen?

KF: Genau. Also da kann man nicht einfach wie ein freier Reporter von irgendeinem öffentlichen Ereignis berichtet, dort einfach da sich benehmen vor Ort. Sondern da gelten tatsächlich die Regeln der Bundespolizisten, weil man sonst auch die Verfahren einfach kaputt macht vor Ort. Also wenn da irgendein Fehler passiert. Es gab eine Situation, an die ich mich erinnere. Wir waren eingeladen zu einem - also eingeladenen in Anführungsstrichen - zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung von einem festgenommenen Schleuser. Den hätten wir auch unkenntlich gemacht und so weiter, anonymisiert, gar kein Problem. Wir waren dort mit der Kamera und der hat sich aber dagegen verwehrt. Der hat also gesagt: "Bis hierhin und nicht weiter. Wenn die Kamera hier im Raum bleibt, mache ich nicht mehr mit." Und das ist natürlich ein Punkt, wo wir uns zurückziehen, wo die Bundespolizei einfach sagt, wir machen einen größeren Schaden, wenn wir das hire durchziehen, als wenn wir sagen, wir gehen hier einen Schritt zurück und warten auf die nächste Chance. Deswegen war die Produktionszeit auch relativ lang.

drei Polizisten während einer Fahndung vor einem weißen Transporter 30 min
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30 min

Trotz hoher Strafen bleibt das Schleusen von Menschen lukrativ und wird inzwischen hochprofessionell betrieben. "Exakt - Die Story" zeigt, welch weit verzweigtes international agierendes Netz dahintersteckt.

Exakt - Die Story Mi 17.04.2024 20:45Uhr 29:57 min

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ES: Es gab einen Einsatz in Leipzig, der seid ihr mit dabei gewesen, was ist da passiert?

KF: Ja, das war sozusagen das Szenario, das eine konzertierte Aktion zwischen Bundespolizisten aus Sachsen hier Dresden speziell in Leipzig stattfand und parallel in Schweinfurt. Da ging es darum, zwei Schleuser zeitgleich dingfest zu machen, die miteinander auch in Kontakt standen und mit gleichen Fällen zu tun hatten, sodass also das jetzt das Ziel war, dass keiner den anderen warnen kann und dass das funktioniert die festzusetzen. Und die Wohnung war definiert im Eisenbahnstraßenviertel in Leipzig. Man hatte das alles safe und ausgekundschaftet. Die Ramme kommt an die Tür, die machen die Tür auf, und da ist eine Wohnung voller Menschen, voller Migranten, die teilweise auch ohne Aufenthaltserlaubnis waren. Nur der eigentliche Mensch, den man gesucht hatte, der war da nicht drin. Und das erforderte dann Plan B. Aber auf so was sind die eben gefasst, die Bundespolizisten. Und deswegen müssen es auch so viele sein. Da waren allein für den Einsatz in Leipzig 50 Menschen damit beschäftigt. Jetzt natürlich nicht alle operativ draußen in der Straße, sondern da gibt es eine Einsatzzentrale, da gibt es Menschen, die recherchieren. Da gibt es welche, die sozusagen Erkenntnisse koordinieren, weiterleiten. Und dann sind die tatsächlich die Zugreifenden vor Ort, also das sind 50 Mann, um diesen Zugriff zu realisieren. Es hat geklappt, indem man dann quasi die Fahndung um die Wohnung herum ausgeweitet hat und er ins Netz ging. Noch am gleichen Morgen sozusagen, kann man sagen, in Leipzig.

ES: Und für euch als Reporter? Ihr konntet nicht mit in die Wohnung, nehm ich an? Oder konntet ihr da auch einfach mit?

KF: Nein.

ES: Also weil das ich fand es relativ martialisch, dann diese Tür aufzubrechen. Das wird ja auch sehr, sehr gut beschrieben, wie das da abläuft, da hat man doch vielleicht auch ein bisschen Respekt davor, oder?

KF: Absolut hat man Respekt davor. Aber die Bundespolizisten können das auch ganz gut begründen, dass es nur so geht. Weil man möchte den Überraschungsmoment haben. Man möchte nicht klingeln und fragen: "Seid ihr da? Dürfen wir reinkommen?" Man muss ja damit rechnen, dass auf der anderen Seite Gegenwehr passiert. Da kann sich jemand wappnen, da kann der die Pistole unterm Kopfkissen hervorholen. Da kann der sonst was machen. Oder vielleicht vor lauter Schreck aus dem Fenster springen. Man möchte so schnell wie möglich diesen Moment haben, dass man in der Tür drin ist und zugreifen kann. Weil es gibt ja auch eine Vorrecherche. Und es ist da vieles Jahr im Vorfeld gecheckt und abgeklärt. Das es jetzt nicht "Unschuldige" trifft, sage ich jetzt mal in Anführungsstrichen.

ES: Welche Mittel hat denn die Bundespolizei, um gegen Schleuser tätig zu werden?

KF: Im Prinzip alle, die der Rechtsstaat hergibt. Sie haben Handydaten. Sie können Finanzströme nachvollziehen. Im Wesentlichen dieser Chatverkehr aus den Handys, das ist Gold wert für die und da werden Verbindungen klar, Strukturen klar, Rollen klar, die solche Schleuser dann in dem Netzwerk spielen. Und das ist im Prinzip das größte Pfund, kann man sagen. Und dann natürlich viele kriminaltechnische Möglichkeiten. Also wenn man daran denkt, an diese akribische Untersuchung der Schleuserfahrzeuge durch diese Bedampfung, was im Film auch ganz gut zu sehen ist. Also da wird schon ein Aufwand betrieben, ein kriminaltechnischer und kriminalistischer Aufwand, der aber auch sein muss, um diese Verfahren letzten Endes dann gerichtsfest zu haben.

ES:  Das heißt aber auch: Mit jedem, den man fasst, sich dann auch neue Fälle wieder auf?

KF: Das ist durchaus so. Zieht man an einem Ende des Wollknäuels, dann ergibt sich ganz was anderes am anderen Ende. Also das kommt oft vor. Und ja, ich will jetzt nicht sagen, es ist die Regel. Aber es zeigt sich gerade auch eben in diesem Fall Schweinfurt, Leipzig: Also die beiden Schleuser, die sind räumlich weit getrennt voneinander, sind aber in dieselben Fälle verstrickt. Also das zeigt es vielleicht schon ein bisschen beispielhaft.

ES: Sprechen wir mal über den letzten Sommer: Im Spätsommer 2023, ist die Situation unter anderem an der deutsch-tschechischen Grenze ja ganz besonders krass gewesen. Das erzählt euch im Film auch der sächsische Innenminister Armin Schuster von der CDU und der hat sich damals schon für Grenzkontrollen stark gemacht. Und der beschreibt an der Grenze wirklich richtig dramatische Szenen. Was war da los im letzten Jahr?

KF: Ja, das waren wirklich Szenen, die sich da abgespielt haben, wo man dachte: jetzt ist es nicht mehr weit, dann öffnen die mal so eine Ladefläche von einem Transporter, und es ist irgendjemand verdurstet, verhungert oder dergleichen. Also Gottseidank ist es so weit nicht gekommen. Es gab so einen Auszug aus so einer Akte vor Gericht, also "Menschen wie Vieh" in diesen Autos transportiert worden. Und das haben die nicht nur einmal erlebt oder einmal in der Woche erlebt, sondern das haben die jeden Tag mehrfach erlebt. Die Bundespolizisten. Also man kann gar nicht sich vorstellen in was für einer Situation die waren. Und deren Ansinnen war es natürlich, auch mit diesen Grenzkontrollen mehr Möglichkeiten zu haben, die Leute aus den Autos zu holen, bevor irgendeiner aufs Gaspedal tritt und wie bei diesem Unfall mit der getöteten Frau sozusagen eine Sache dann so endet. Also das war schon für die sehr psychisch und physisch belastend für die Bundespolizei.

ES: Wo kamen die Menschen damals her? Also ich habe das gesehen und habe mich gefragt: Die Konflikte, die wir im letzten Jahr im Spätsommer hatten, die gibt es schon länger. Wo kamen auf einmal diese Menschenmassen her?

KF: Das stimmt. Eine gute Frage. In dem Fall dieses Unfalls mit der getöteten Frau waren es fast alles türkische und syrische Staatsbürger. Durch diese Grenzkontrollen waren natürlich die Recherchemöglichkeiten oder der Erkenntnisgewinn für die Bundespolizei auch da größer mit in dem Sinne: wer kommt da zu uns? Und da waren auffällig viele Menschen, die über Russland eingeschleust worden sind, mit russischen Pässen gekommen sind, wo man sagen muss - und das sagt der  Innenminister auch ganz klar: Diese Vermutung, die man hatte, dass da Putin dahinter steckt und Menschen als Spielball benutzt, die hatte sich da bestätigt. Und dazu kommt die ganz normale Korruption, die es gegeben hat, siehe Polen, wo Regierungsmitglieder, also der stellvertretende Außenminister, verstrickt war, in ein System, wo polnische Schengen-Visa im Ausland überall in der Welt für viel Geld verkauft worden sind und Menschen - ganz legal, nicht in solchen Transportern - ganz legal nach Deutschland eingeflogen sind oder Europa eingeflogen sind. Also das war eine Gemengelage, wo man sagen musste: Man konnte jetzt gar nicht sagen, es kommen nur die, in deren Ländern gebombt und geschossen wird. Oder es kommen nur die und die. Das war ein Gemisch aus vielen Quellen, sozusagen, wenn man das so zusammenfassen soll.

ES: Dann lass uns mal an der einen Stelle ansetzen: Welche Rolle spielt denn Russland in diesen gestiegenen Zahlen von Migrant*innen? Wenn wir jetzt nur auf Putin schauen. Kann man das sagen?

KF: Also Zahlen haben wir dazu nicht. Aber wir haben die Aussage des Innenministers, der gesagt hat: es waren zu viele, als dass es Zufall hätte sein können. Also ich kann es nicht mit Zahlen untermauern, die gibt's auch nicht, die Zahlen.

ES: Wisst ihr denn, was mit den Migrant*innen passiert, die da jetzt auch gefasst wurden, im Zuge dieser Grenzkontrollen? Was passiert mit den Migrant*innen? Werden die direkt wieder abgeschoben?

KF: Nein, das kann man so pauschal nicht sagen. Diese Grenzkontrollen hebeln ja nicht das Asylrecht aus, also sobald jemand ein Asylgesuch stellt, ist er in dem Verfahren drin, kommt in Erstaufnahmeeinrichtungen und durchläuft die Tippeltappeltour. Abgeschoben oder ausgewiesen werden ja nur Leute, die jetzt entweder mit Papieren kommen, wo man sagen kann: Also die sind schon mal da gewesen. Die haben erfolglos ein Asylverfahren hier durchlaufen. Die sind vielleicht selber Schleuser, also kriminalistisch in Erscheinung getreten oder einen anderen triftigen Grund gibt es dafür, sie sofort aus zuweisen oder ihnen die Einreise auf der Grenzlinie zu verweigern. Aber das Asylrecht ist davon nicht betroffen.

ES: Im Moment ist die Situation ja nicht mehr so krass, oder?

KF: Es steigen aber die Zahlen gerade wieder an. Also wir saßen in der Abnahme für unseren Film, am 17.04. ist er ja erstmals veröffentlicht worden. Wir saßen ein paar Tage davor im Schnitt mit der Bundespolizei zusammen, um noch mal zu prüfen: Sind die alle gepixelt und so weiter. Sind alle Rahmenbedingungen eingehalten, die wir hatten? Und da sagten die Bundespolizisten: "Ja und im Moment steigt es gerade wieder richtig an. Nicht in dem Maße, wie wir es hatten im Herbst. Das nicht. Aber ist der saisonal bedingte Anstieg." Also es wird wieder wärmer. Die Menschen gehen wieder los. Also die haben nicht überwintert an den EU-Außengrenzen, in den Wäldern von Slowenien oder sonst wo. Sondern sind irgendwie anderweitig untergekommen. Jetzt machen die sich wieder auf den Weg. Und es gab ja schon wieder diverse Fälle, wo man sagt: Kühllaster, 28 Migranten hintendrauf. Keine Luftzufuhr von außen. Also die Szenen werden nicht die letzten gewesen sein.

ES: Aber tendenziell ist es auf jeden Fall – klang jetzt gerade so - nicht so krass wie letztes Jahr. Sind da wirklich die Grenzkontrollen so effektiv gewesen, dass sich im vergangenen Jahr dann die Zahlen so reduziert haben?

KF: Also man muss schon sagen: die Grenzkontrollen hatten einen großen Anteil an dieser Wirkung. Also zwei Drittel weniger Zustrom nach Einführung der Grenzkontrollen, das ist schon enorm, diese Wirkung, die hatten. Und mag abschreckend gewesen sein, mag der Winter auch eine Begründung gewesen sein. Aber alle Zweidrittel hat nicht der Winter gemacht, sage ich mal. Und so sehen es auch die Bundespolizisten nicht und auch der Innenminister nicht. Aber die Grenzkontrollen haben ja noch einen ganz anderen Effekt. Sie geben der Bundespolizei auch einen großen "Beifang", sage ich jetzt mal in Anführungsstrichen. Es hat sich verfünffacht, die Trefferzahl bei allen anderen Kriminalitätsdelikten rundrum, was an Grenzen sonst unentdeckt bleibt. Also Schmuggel von Drogen, geklaute Autos und so weiter und so fort. Das sind jetzt sicherlich im Verhältnis kleine Delikte. Aber auch da hat sich die Trefferzahl drastisch erhöht und ist ein Effekt, den die Grenzkontrollen hatten. Und sie haben eine abschreckende Wirkung für die, die eben vielleicht sagen: „na gut, das Risiko ist mir doch zu groß.“ Und so einfach ist es nicht. Weil du hattest auch diese Frage im Hinterkopf sicherlich: Ja, wenn ich die Grenze zu mache, dann gehe ich eben über die grüne Grenze oder suche mir einen Umweg oder so. So einfach ist das für das System Schleusung eben nicht, weil das verknüpft ist mit diesem banking system, dem internationalen, wo man sagt: Das Geld an die Schleuser fließt erst, wenn der Migrant am Zielpunkt angekommen ist und möglichst ein Foto von seiner Ankunft macht. Dann erst wird Geld ausgelöst und fließt an den Schleuser. Für den Migranten relativ „sicher“, dadurch - in Anführungsstrichen - diese Form. Aber es zwingt eben den Schleuser auch nicht, die Leute im Wald irgendwo auszusetzen und zu Fuß über die Grenzen zu schicken.

ES: Also tatsächlich, das war nämlich wirklich so ein Gedanke, den ich hatte: Bringt das wirklich was, da jetzt super viele Leute an die Grenze zu stellen? Das ist ja im Zweifelsfall auch teures Steuergeld, was da verwendet wird es, dass da eine Grenze so gut bewacht wird, wenn man einfach ein paar hundert Meter über einen Feldweg fahren kann oder so.

KF: Naja, das ist eben so einfach nicht. Und es gibt ja trotzdem noch die mobilen Kontrollen, die ja weiter auch hinter der Grenzlinie funktionieren, die mobilen Einsatzkräfte der Bundespolizei sind ja trotzdem unterwegs. Das passiert ja nicht nur das am Grenzübergang XY.

ES: Du hast gerade schon gesagt: Da fließt eine ganze Menge Geld. Die Leute bezahlen richtig viel dafür. Im Zweifelsfall bezahlen sie auch mit ihrem Leben, wenn was schiefgehen sollte. Wie muss ich mir das für die Migrant*innen vorstellen? Was passiert da genau?

KF: Naja, offensichtlich ist es so, dass der Handlungsdruck für die Migranten so groß ist, dass die sagen: "Hier wo ich bin, sind meine Lebensbedingungen so schlecht, dass ich nur gewinnen kann." Und dafür geht man hohe Risiken ein. Die Risiken sind bekannt, unter denen das abläuft. Das kann ich mir nicht anders vorstellen. Das haben wir auch so in den Gesprächen mit den Bundespolizisten erlebt. Aber für viele ist es eben der einzige Ausweg die einzige Möglichkeit, dem zu entkommen, was sie zu Hause haben.

ES: So eine Art letzte Hoffnung?

KF: Ja, kann man so sagen.

ES: Wie groß ist denn das Problem eigentlich? Das kann ich mir gar nicht so richtig vorstellen: wie viele Menschen überqueren da die Grenze? Wie viele Schleusungen passieren?

KF: Also die Zahlen - es kommt ja immer drauf an, wo genau und in welchem Zeitraum und so weiter. Da Zahlen zu nennen ist jetzt blöd. Aber von der Dimension her, wir haben es ja auch drin im Film für Sachsen zum Beispiel die Zahlen und auch für die Bundesrepublik haben wir  Zahlen, wo alle Grenzbereiche von Bayern bis Sachsen mit eingeschlossen sind. Aber man kann jetzt von der Dimension her sagen, wir haben ja auch mit Europol gesprochen, das ist ein Geschäftsfeld, will ich es mal nennen, ein illegales Geschäftsfeld, was ungefähr die Dimension des Drogenhandels hat. Wenn man das mal weltweit so nimmt. Also es ist ein lukratives Geschäftsfeld, das sehr groß, sehr weit ist, sehr viele Millionen, Milliarden umsetzt.

ES: Und ihr verwendet ja auch den Begriff "Mafia". Also das ist dann auch schon organisiert.

KF: Absolut organisiert. Also es hat mafiöse Strukturen. Es hat arbeitsteilige Strukturen. Es wird immer schwerer, sozusagen jedem einzelnen Beteiligten in so einem Schleusernetzwerk, was Illegales nachzuweisen. Das ist das, warum sich bei der Bundespolizei für nur einen Fall ein ganzer Schrank voll Aktenordner füllt. Wie zu sehen ist bei uns im Film. Nur ein Fall füllt – das waren 20-30 solche Aktenordner. Weil man ganz akribisch sein muss und sagen kann: wo fängt die Illegalität an? Wenn einer im Reisebüro sitzt und ein Flugticket verkauft? Oder wenn der sagt: "Wende dich an den und den. Der findet einen Weg für dich", oder so. Also das ist diese Arbeit für die Kriminalisten dahinter, für die Bundespolizisten wird immer kniffliger und schwieriger, je ausgefeilter auf der anderen Seite dieses Geschäftsmodell betrieben wird, muss man schon sagen.

ES: Welche Rolle könnten denn legale Migrationswege dazu beitragen, Schleuserkriminalität zu verringern?

KF: Eine ganz große Rolle könnten die spielen, das sagt uns die Migrationsforschung ja ganz genau. Und es ist ja auch logisch. Ich kann diesen Sumpf der Schleuser, den trockne ich aus, indem ich den Leuten vorher, bevor sie sich ins Auto setzen oder auf ein Schiff begeben oder irgendwie auf eine gefährliche Reise, denen vorher Möglichkeiten anbiete, einen Studienplatz in Deutschland oder ein Arbeitsvisum zu bekommen. Oder dergleichen. Also indem ich, bevor sie so eine Reise machen müssen, denen schon sage: "Pass auf, das und das sind die Bedingungen, da bekommst du das, was du dir vorstellst, dort kannst du die Grundlagen für ein besseres Leben legen." Das ist schon eine große Möglichkeit, die aber eben noch zu wenig von der deutschen Politik und auch von der europäischen Politik, obwohl sich da ja ein bisschen was tut, jetzt in letzter Zeit aber nicht konsequent genug gegangen wird.

ES: Genau also das ist auch wissenschaftlich unterfüttert. Ihr habt mit Birgit Glorius gesprochen. Sie ist Migrationswissenschaftlerin an der TU Chemnitz. Und sie berät auch die Bundesregierung zu Migrationsfragen. Und sie fordert ja im Prinzip vor allem, Migration besser zu managen und ganzheitlicher zu betrachten.

Ich glaube, ein wichtiger Punkt ist, Schleuser festzusetzen. Also wirklich auch Menschen, die darauf eigentlich ein Geschäftsmodell aufgebaut haben, da etwas zu demotivieren, dieses Geschäftsmodell weiter auszubauen, das hilft schon. Und wir müssen aber gleichzeitig an den anderen Schrauben auch immer drehen: Migrationskontrolle, Migrationsabkommen, temporäre Arbeitsvisa, Ausbildungsvisa und so weiter. Also wirklich Möglichkeiten anbieten, legale Möglichkeiten, weil die können wir besser ordnen und kontrollieren als die irregulären Möglichkeiten.

Birgit Glorius

ES: Wie ist denn dein Eindruck? Kommt eine solche Forderung auch beim sächsischen Innenministerium an?

KF: Also dort rennt Frau Glorius offene Türen ein, also bei Innenminister Schuster. Da besteht eine Linie, würde ich fast sagen. Das Problem ist da, politisch eine Einigung zu erzielen, weil es eben nicht so einfach ist, sozusagen da zu überzeugen bei den Grünen oder bei den anderen Parteien, die jetzt eher eine offene Migrationspolitik für Deutschland wollen, so offen, wie wir sie im Moment haben, da zu sagen: Es muss schon an den Außengrenzen was passieren. Aber das muss es aus Sicht der der Politik von Innenminister Schuster auf jeden Fall, um diese Reisen zu unterbinden. Um zu sagen: Menschen sollen sich gar nicht auf diese gefährlichen Reisen begeben und auch nicht in die Hände von solchen mafiösen Schleusern. Und dafür viel Geld bezahlen. Sondern es muss legale Möglichkeiten geben, nach Deutschland einzureisen oder nach Europa einzureisen. Zumal Europa Zuwanderung braucht.

ES: Ihr habt die Bundespolizei begleitet, Schleuser zu fassen. Da hört es ja aber nicht auf. Es wird ja auch im Nachgang viel ermittelt. Du hast schon gesagt: da wird ausgewertet. Handys werden ausgewertet. Das ist immer vielversprechend. Ihr habt euch aber auch angeschaut, wie die Fahrzeuge forensisch untersucht werden. Was wird da gemacht?

KF: Im Prinzip wird da kriminaltechnische Kleinarbeit gemacht. Dass alles wasserdicht und sattelfest ist. Bei diesen Fahrzeug-Bedampfungen oder Untersuchungen dieser Schleuserfahrzeuge war besonders interessant für uns, zu sehen: Man kann damit, indem man diese Spuren so klein in klein sichert, sagen hinterher: Der Herr XY saß am Steuer. Die Frau Y war hinten auf der Ladefläche, hatte nichts zu trinken, nichts zu essen, war so und so lange unterwegs. Aber der Herr Z ist auch mal kurz gefahren. Also man kann sehr genau sagen: Tatbeteiligung und Rolle, also Rolle in diesem Schleuserspiel, aufgrund dieser Spurenlage, die man also ganz mit viel Aufwand auswertet. Und das war auch der Grund, diese akribische Arbeit der Bundespolizei, dass zum Beispiel dieses Urteil gegen den Schleuser mit der getöteten Person, mit der getöteten Frau, auf lebenslänglich lauten konnte, wegen Mordes. Also das ging nur, weil diese Spurenlage so eindeutig und umfassend gewesen ist.

ES: Genau, du hast diesen Fall gerade schon angesprochen, da wurde jemand wegen Mordes verurteilt. Was ist in diesem Fall passiert?

KF: Das ist eine Schleusung gewesen, die die Bundespolizei bei Berggießhübel gestoppt hat oder stoppen wollte. Ein Schleuserfahrzeug, was denen verdächtig vorkam. Die hatten also einen Anfangsverdacht. Ford Tourneo, silbergrau, hängt hinten sehr tief runter mit der Achse. Also ist der Verdacht nahe, dass da eine große Ladung drin ist. Die wollen das Auto stoppen, der gibt Gas, und die versuchen es mehrfach, ihn zu stoppen. Mehrere Gelegenheiten, Parkplätze an der Autobahn und da noch was und eine Bucht und alles wird ignoriert. Er gibt weiter Gas, durchbricht am Schluss einen Wildzaun und fährt mit gut 120 km/h über so ein Stoppelfeld. Das Auto kippt um, die Frau stirbt noch an Ort und Stelle, die sieben weiteren Insassen schwer verletzt. Das ist die Sachlage. Das ist da passiert.

ES: Und wie sahen die Konsequenzen da insgesamt dann jetzt aus? Also war das einfach, da zu einem Mordurteil zu kommen? Weil das ist ja schon relativ einmalig bis jetzt, oder?

KF: Für Sachsen ist es einmalig. Das kann ich ganz genau sagen. Ich glaube, in Bayern hat es noch mal so einen Urteil gegeben. Aber da bin ich jetzt nicht genau im Bilde. Wie gesagt: es war die akribische Arbeit der Polizei, die jedes einzelne Tatgeschehen nachweisen konnten, mit Zahlen, mit Fakten. Die hatten Videoaufnahmen von der Autobahn in Tschechien, wo die sagen konnten: Der ist dort mit 130 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit - also das ist eine sehr hohe Durchschnittsgeschwindigkeit. Wenn ich auf der Autobahn fahre, schaffe ich vielleicht gerade eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 80 km/h oder vielleicht auch hundert. Aber 130 km/h Durchschnitt ist enorm. So ist er durchgebrettert durch ganz Tschechien und hat keine Pause gehabt für die für die Migranten hinten auf der Ladefläche. Das war ein Fakt, den die durch ihre Arbeit nachweisen konnten. Und dann, wie gesagt, diese vielen Fingerabdrücke. Wer saß wo? Und hat welche Rolle gespielt? Das war, glaube ich, der ausschlaggebende Punkt.

ES: Und inwiefern wird dieses Urteil dann jetzt vielleicht auch die zukünftige Rechtsprechung beeinflussen? Also hat das einen Einfluss darauf, wie Urteile in Zukunft aussehen könnten?

KF: Also das glaube ich jetzt weniger. Dass das wie eine Art Präzedenzurteil sein kann, das glaube ich nicht. Es wird weiter der Einzelfall zeigen. Und das Gericht hat ja sozusagen den bedingten Vorsatz als Merkmal des Mordes anerkannt oder gesehen. Ob das jetzt der nächste Richter wieder genauso sieht... Das Urteil ist zum jetzigen Zeitpunkt auch noch nicht rechtskräftig. Die Seite der Anklage hat natürlich Revision eingelegt. Aber man kann sagen, dass es schon erst mal eine Ansage war des Gerichts, hier den bedingten Vorsatz des Modus zu sehen. Genauso gut hätte man ja sagen können: es ist Totschlag. Die Frau ist zwar an Ort und Stelle verstorben, aber es gab keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Tat des Mannes am Steuer und der Frau. Aber so ist es eben nicht gesehen worden. Ein Präzedenzfall ist es nicht. Aber es ist einer, wo man gesehen hat: genügend Beweismittel, genügend Beweise für eine Tat können schon dazu führen, dass alle Register gezogen werden.

ES: Diese ganzen hohen Zahlen im letzten Jahr: was bedeuten die jetzt, gerade für die Justiz? Haben die jetzt auch mehr zu tun entsprechen?

KF: Arbeit bis unter die Hutschnur sozusagen. Also sie sind belastet bis an die Grenzen, sagt der Richter, den wir im Film dabei haben, vom Amtsgericht in Pirna. Und das ist jetzt im Moment sicherlich abgeebbt, aber trotzdem erleben die ja: jetzt kommt die nächste Welle sozusagen, die flacher ist als die im letzten Herbst. Aber es landen ja dann doch wieder früher oder später neue Fälle bei den Gerichten. Und das ist eine hohe Belastung. Aber es ist auch nicht so, dass sie sagen: es geht gar nicht mehr.

ES: Katrin Funke, ich danke dir, dass du dir die Zeit genommen hast!

KF: Sehr gerne!

ES: Das war der Podcast "MDR Investigativ – Hinter der Recherche". Den Film "Im Visier der Fahnder" finden Sie in der ARD Mediathek und auf dem Kanal von MDR Invesgtigativ bei Youtube.

In zwei Wochen hören Sie dann an dieser Stelle wieder meine Kollegin Secilia Kloppmann.

Und zum Schluss gibt es noch eine Podcast-Empfehlung: Der neue ARD-Podcast "Diagnose: Unangepasst" arbeitet das dunkle Kapitel der geschlossenen venerologischen Stationen auf. In der DDR wurden dort scheinbar unangepasste Mädchen und junge Frauen eingesperrt und mussten täglich gynäkologische Untersuchungen über sich ergehen lassen. Alles unter dem Vorwand eine Geschlechtskrankheit zu haben. Im Podcast trifft Host Charlotte Witt auf betroffene Frauen, die ihre Geschichten mit ihr teilen. Der Podcast: "Diagnose: Unangepasst – Der Albtraum Tripperburg" ab dem 30. April in der ARD Audiothek und überall wo es Podcast gibt.

Wenn Ihnen diese Folge "Hinter der Recherche" gefallen hat, dann empfehlen Sie sie doch gerne weiter. Kritik, Anmerkungen und Feedback können Sie gerne an kontakt@investigativ.de senden. Ich freue mich, wenn Sie auch beim nächsten Mal wieder zuhören. Machen Sie es bis dahin gut und bleiben Sie gesund!

Dieses Thema im Programm: MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche | 17. Mai 2024 | 10:00 Uhr

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