MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (Folge 111) Hass im Netz: Wenn Engagierte zur Zielscheibe werden
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Immer mehr engagierte Menschen werden zur Zielscheibe digitaler Gewalt. Wie beeinflussen Online-Bedrohungen die Leben der Betroffenen und welche realen Konsequenzen hat die Hetze? Warum schicken Täter Hassbotschaften, und welche Verantwortung tragen soziale Plattformen?
Liebe Hörerinnen und Hörer, aufgrund eines aktuellen Gerichtsurteils waren wir verpflichtet, drei Sätze aus dieser Episode zu entfernen. Wir haben den Podcast überarbeitet und neu hochgeladen, um den rechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. Vielen Dank für Ihr Verständnis.
Esther Stephan (ES): In dieser Episode geht es um Gewalt. Wenn Sie sich damit unwohl fühlen, dann hören Sie die Folge am besten mit jemandem zusammen, oder Sie hören eine andere Episode. Alle Folgen finden Sie unter anderem in der ARD Audiothek.
- Du bist so eine miese Type, dass ich kotzen möchte. Du ekelerregendes Subjekt!
- Halten Sie die Fresse oder ich komme vorbei und halte Sie Ihnen!
- Wer bringt den zur Strecke? Erhöhe das Kopfgeld!
ES: Wer öffentlich - ob online oder offline - eine starke Meinung vertritt, hat es vielleicht auch schon erlebt: Ob es ums Klima geht, um Feminismus oder Extremismus. Viele haben das Gefühl, die Stimmung, die wird aggressiver. Immer wieder wurden in den letzten Wochen Politiker*innen angegriffen, mitten im Wahlkampf. Aber es trifft genauso Menschen, die sich zum Beispiel für die Verkehrswende engagieren. Gibt es tatsächlich mehr Gewalt? Welche Rolle spielt eine Online-Radikalisierung dabei? Und was können wir dagegen tun? Darum geht es in dieser neuen Folge "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Der Podcast, in dem wir mit Journalist*innen über ihre Recherchen sprechen, ihre Erlebnisse während der Dreharbeiten und ihre persönlichen Eindrücke. Ich bin Esther Stephan. Schön, dass sie zuhören!
Und heute spreche ich mal wieder mit Knud Vetten. Hallo Knud!
Knud Vetten (KV): Hallo Esther!
ES: Du hast dich ja seit dem Frühjahr eigentlich schon mit Hasskommentaren und Online-Bedrohungen gegen Menschen, die sich für etwas engagieren, beschäftigt. Magst du mal einen Fall beschreiben, der dir ganz besonders hängen geblieben ist?
KV: Ja, ich kann auch beschreiben, wie ich auf das Thema gekommen bin. Ich hatte ein Interview letztes Jahr mit Jürgen Resch. Es ging um Klima und Klimaneutralität, Zertifikatehandel. Und in den Pausen, die es gab, hat er mir von den Bedrohungen und Beschimpfungen erzählt, die er seit langer Zeit erleiden muss. Und das war das bestimmende Thema in den Pausen. Er hat fast nicht mehr aufhören können, und ich war darüber sehr erschrocken, was er mir damals schon geschildert hat. Ich hatte ihn dann gebeten, dass ich ihn dazu noch mal anrufen darf, wenn ich mit der Produktion fertig bin. Das habe ich gemacht. Und er hat sich dann nach einigem Überlegen auch bereit erklärt, mit mir vor der Kamera darüber zu sprechen. Und das war der erste Dreh, den wir zu dem Thema hatten. Er war außerordentlich eindrücklich für mich, weil Jürgen Resch sich auch bereit erklärt hat, die Beschimpfungen in die Kamera hinein vorzutragen.
ES: Was war das für ein Moment, als du das dann auch selbst noch mal gehört hast, was ihm da alles so online an den Kopf geworfen wird?
KV: Ich zitiere mal, er hat dann vorgelesen: "Wer bringt ihn zur Strecke?" Er ist gemeint! "Erhöht das Kopfgeld. Scharfschützen, Killer anheuern wäre noch passender. Warum kümmert sich niemand um das Dreckschwein?" Das ist so unfassbar, was manche Leute glauben, jemand anderes schreiben zu können. Man kann ja völlig anderer Meinung sein, wenn es um Klimaschutz geht, um Umweltfragen von mir aus auch, über Dieselfahrzeuge kann man sich leidlich streiten. Da gibt es ja überhaupt gar kein Problem in unserer Gesellschaft. Aber das sind Aussagen, die für mich völlig unfassbar sind, wie man so respektlos jemand anders gegenübertreten kann. Wobei es unterschiedlich ist. Manche Leute, und das hat mich auch sehr erstaunt, treten da mit Klarnamen auf. Das heißt, es ist nachvollziehbar, wer das geschrieben hat. Es gibt ganz schlimme Beschimpfungen, da kann man dann sehr oft davon ausgehen, dass diese Namen keine reale Existenz bedeuten. Die schreiben dann ihren Namen vielleicht nicht mehr rein.
ES: Also in diesem Film, da geht es um Hass gegen eEgagierte. Wir können auch noch mal sagen, dieser Film läuft in der ARD Mediathek und heißt "engagierte Menschen als Zielscheibe". Wen meinst du alles damit? Wer fällt alles unter diese engagierten Menschen?
KV: Zielpersonen sind ganz unterschiedlich. Erstmal kann man feststellen, dass mehr Frauen darunter sind als Männer. Und da kommen auch noch andere Beschimpfungen, andere Arten von Beschimpfungen zum Tragen, die ich sehr unangenehm finde. Es sind sehr viele Politiker, die das ertragen müssen, und zwar von der Lokalpolitik bis zur Bundespolitik. Also da gibt es überhaupt keine Grenze mehr. Und es trifft aber auch Leute, die sich für bestimmte Themen einsetzen. Das kann sein, dass sich jemand um Flüchtlinge und Migration Gedanken macht oder zu Antisemitismus, auch wieder Frauenfragen. Aber was mir da aufgefallen ist, ganz am Anfang mit Jürgen Resch, es sind eben auch Umweltfragen und Fragen, die sich um den Klimawandel drehen. Das triggert ganz viele Leute und da ist dann teilweise ein hemmungsloser Hass, der da entsteht. Aber auch unsere Mobilitätsforscherin, Katja Diehl. Das ist eine Person, die beschäftigt sich wissenschaftlich, journalistisch, wie man es sehen will, mit diesem Thema. Hat Bücher dazu geschrieben, und dafür kriegt sie dann einen Monat lang - also so ist es losgegangen - einen Monat voller Hass. Und zwar so weit, dass sie sich entscheidet, sich aus der Öffentlichkeit kurzzeitig sich zurückzuziehen. Das sind Konsequenzen.
ES: Ja, du hast eben auch schon mal zitiert. Also das sind ja wirklich ganz, ganz heftige Sachen. Also, das sind Morddrohungen, das sind Vergewaltigungsdrohungen. Wie hast du da eine Balance gefunden zwischen einerseits diese Bedrohung auch darzustellen, im Film und andererseits aber auch die Würde der Betroffenen erhalten zu können. Das muss man ja auch erst mal schaffen, das auch deutlich zu machen, was sie erleben.
KV: Ich glaube, dass wir mit dieser Art der Darstellung etwas gewählt haben, wo wir den Zuschauer mitnehmen wollten, damit er merkt: die Person, die ich gerade sehe, die liest mir jetzt vor, was sie alles lesen muss oder was sie alles zur Kenntnis bekommt.
ES: Also man sieht die Menschen, wie sie dort sitzen und die Nachrichten selber vortragen, die sie bekommen haben.
KV: Genau! Ich habe die drei Haupt-Protagonisten gefragt, ob sie das machen würden. Und die haben alle drei überlegt, haben sich alle drei dafür entschieden. Es gab ja dann auch schon ein Modell von einem Film, wo man gesehen hat, wie das wirkt, und zwar mit Jürgen Resch und Katja Diehl. Und Janosch Dahmen hat das gesehen und hat dann gesagt: ja, das macht er auch. Janosch Dahmen ist der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, der vorher politisch tätig war. Aber er war nicht hauptberuflich Politiker. Das heißt, er ist 2020 eigentlich durch Umstände in den Bundestag gekommen. Dass er völlig unerwartet auf einmal mit so einem Hass und mit solchen Schreiben konfrontiert war, das hat ihn total verwundert. Er hat es gar nicht so richtig ernst nehmen wollen am Anfang und inzwischen beschäftigt er einen kompletten Mitarbeiter, der sich nur mit diesen Hassschreiben beschäftigen muss.
ES: Lass uns mal auf die Art und Weise dieser Darstellung zurückkommen, weil das selbst vorzutragen, das stelle ich mir ganz schön schlimm vor.
KV: Das ist eine eigene Entscheidung von jedem oder jeder einzelnen gewesen. Ich habe ja gesagt, dass sie darüber auch nachgedacht haben. Die haben nicht sofort Ja gesagt. Und ich glaube, dass die Art der Darstellung sie davon überzeugt hat, dass das das Thema sehr, sehr greifbar, sofort macht. Und ich glaube auch an den Reaktionen von Kollegen, von Leuten, die die Filme gesehen haben – das ist immer etwas, was auch erwähnt wurde, wenn es um den Inhalt ging und um die Umsetzung ging – dass die Umsetzung eben hier aus dem normalen Rahmen herausgeht und damit aber auch ein Zeichen setzt. Und ich finde überhaupt nicht, dass die Menschen, die das vorlesen, dadurch ihre Würde verlieren, sondern im Gegenteil: ich finde, dass sie sich da hinsetzen und tatsächlich auch damit sagen: "das kann nicht sein, so kann man uns nicht behandeln!"
ES: Ich finde auch, das hat etwas sehr selbstermächtigendes auf eine Art. Wie war denn überhaupt so dein Eindruck? Also, diese Nachrichten liegen ja zum Teil vielleicht auch schon eine Weile zurück. Wie gehen die Leute mit diesen Attacken um? Du hast erzählt, dass Herr Resch da sich offensichtlich sehr damit beschäftigt, wenn ihr im Dreh, in den Pausen, über eigentlich nichts anderes reden konntet. Wie beschäftigt das die Leute? Wie verarbeiten die das?
KV: Also ich denke, Jürgen Resch ist seit langer Zeit auch Gegenwind gewohnt. Es hat aber wahrscheinlich ein Ausmaß irgendwann mal angenommen, weil er ja auch dagegen vorgeht. Er lässt das ja nicht einfach laufen, sondern die relevanten und die strafrelevanten Sachverhalte verfolgt er auch. Und von daher will er sich das nicht gefallen lassen. Es beschäftigt ihn, so sehr, dass - wie du gerade gesagt hast - die Pausen waren voll mit diesem Thema. Wir haben eigentlich über sonst nichts anderes geredet, und daran leite ich einfach ab, dass es für ihn ein sehr, sehr wichtiges Thema ist. Er geht ja auch gegen Plattformen vor und versucht juristisch ein Recht durchzusetzen, dass bestimmte Plattformen das nicht mehr so äußern dürfen, die seit Jahren schon auffallen, die seit Jahren Hass und Hetze über ihn auskippen, kann man sagen. Und die andere Reaktion von Katja Diehl ist ja für unsere Gesellschaft eigentlich eine Katastrophe.
ES: Der Rückzug?
KV: Ja. Dadurch, dass jemand so unter Druck gesetzt wird und so massiv beschossen wird, und dann beschließt, nach einem Monat des Hasses, sich erstmal aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, dann hat doch diese Gesellschaft ein riesen Problem, das unbedingt auch benannt werden muss. Also deswegen war mir der Film auch wichtig.
ES: Jetzt ist ja etwas, was immer wieder auftaucht, diese Ohnmacht der Opfer gegenüber der rechtlichen Verfolgung der Täter. Was ist da das Problem?
KV: Ich glaube, dass das Problem tatsächlich aktuell immer noch ist, dass die Justiz diese Bedrohung, die ja sehr oft im Internet stattfindet, die meisten finden im Internet statt, nicht so ernst genommen wird. Das heißt, man geht davon aus, das ist ja nicht die Realität. Das sind ja nicht in dem Sinne Bedrohungen, die direkt jemanden auf der Straße ausgesprochen sind. So hat es die Frau Diehl auch formuliert. Sie hat da wohl mit einem Staatsanwalt oder einer Staatsanwältin darüber gesprochen: "Wie wäre es denn, wenn mir draußen an der Ampel jemand das entgegenschreien würde, was hier aufgeschrieben ist?" Und da hat ihr der oder diejenige geantwortet: "Ja, da könnten wir natürlich dagegen vorgehen." Aber wenn es nur im Netz steht, dann ist das eben nicht so ernst zu nehmen. Und ich glaube, das ist ein Denkfehler. Und das ist ein Denkfehler, der - kann ich mir vorstellen - in Justizkreisen weit verbreitet ist. Auch in Polizeikreisen. Das hört man auch immer wieder, wenn man eine Bedrohung hat, dann wird man von der Polizei erst mal hören: "Aber da ist doch eigentlich nichts passiert. Da müsste ja schon was passieren, damit wir jetzt handeln können." Auch solche Geschichten gibt es. Und ich glaube, dass man da einfach zu wenig die Gefahr und das Risiko sieht, dass man solche Leute relativ frühzeitig auch versuchen muss zu stoppen. Das wird nämlich in der Regel schlimmer. Man kann diese eskalativen Schritte auch sehen, wenn man Leute längere Zeit begleitet und schaut, wie sie am Anfang geredet haben oder geschrieben haben und wie sich das dann entwickelt hat. Und in der Regel geht es immer tiefer runter, wird brutaler und aggressiver.
ES: Es ist auch vielleicht eine Art Spirale oder so, die da stattfindet, so ein Selbstverstärkungsmechanismus in den Gruppen auch, dass die Leute sich da hochschaukeln, dass siehst du schon?
KV: Genau. Also, wir haben ja auch ein Beispiel. Da könnten wir es exemplarisch machen. Wir haben den Mann auch besucht und seine Uneinsichtigkeit ist bis jetzt komplett. Also da gibt es überhaupt nichts, was darauf hindeutet, dass er das jetzt inzwischen, obwohl er schon verurteilt ist, als tatsächlich von seiner Seite falsch einstufen würde.
ES: Lass uns gerne mal über ihn sprechen. Also ich fand es überhaupt auch sehr überraschend, dass du dich nicht nur dafür entschieden hast, mit den Opfern zu sprechen, sondern auch zu schauen: Okay, wer postet denn da eigentlich? Und ich kenne das auch so ein bisschen, dass man dann anfängt, so sich durch Profile zu klicken und zu sehen: Okay, das hast du eben schon angesprochen, da posten anscheinend manche Leute tatsächlich mit Klarnamen. Aber dann da auch hinzufahren, war das einfach?
KV: Wenn man sich entschieden hat, dass man quasi auch die Seite dokumentieren möchte, wo diese Bedrohungen diese Beleidigung herkommt, dann ist es, glaube ich, die journalistische Entscheidung auch dafür, dass man erfahren will, einen Erkenntnisgewinn darüber haben will, was diese Person eigentlich dazu bewogen hat. Also die Motivation, ist da quasi ursächlich der Auslöser dafür, dass ich angefangen habe zu suchen. Und natürlich stellt man sich dann auch anhand dessen, was man alles vorher recherchieren kann, stellt man sich vor, was das für ein Mensch sein könnte. Aber letztendlich wird man das ja erst erleben, tatsächlich in dem Fall, in der realen Welt. Das heißt, erst wenn man vor ihm steht. Wenn ich mit ihm sprechen kann, kann ich auch eventuell erfahren, warum er es macht. Ob er es mir dann freizügig sagt, ist ja auch noch mal etwas anderes. Und da gibt es ganz unterschiedliche Gesprächsverläufe, die wir erleben durften.
ES: Ein spannender war bei Marc B, da habt ihr geklingelt. Hattest du Schiss, dass der eventuell auch so bedrohend auftreten könnte, wie er das Online tut?
KV: Naja, wie Katja Diehl sagt: online offline, das ist alles eins, das ist in einem Leben drin, das können wir nicht mehr voneinander trennen. Wenn man gelesen hat – und ich hatte das natürlich - was von Marc B. alles gekommen ist, da bin ich nicht davon ausgegangen, dass das ein Mensch ist, der sehr - wie soll ich das sagen - umgänglich ist oder erst mal die Fragen frei beantworten wird, die ich ihm stelle. Und das war ja auch sehr schnell klar, als er die Tür aufgemacht hatte und sich auf das Gespräch eingelassen hat. Das hat er ja zumindest gemacht. Dann kam aber die Abwehrhaltung: "Nein, Nein, Sie sind hier falsch bei mir!" Ich war ja hundertprozentig sicher, dass ich richtig bin. Ich gehe ja nicht zur irgendjemanden hin, sondern es war mir völlig klar, dass die Verbindung zu den Schreiben, die ich vorliegen hatte, und zu Marc B., der dann die Tür aufgemacht hat, dass diese Verbindung existierte und das eins zu eins hundertprozentig richtig ist.
ES: Aber ja, insgesamt, also die ganze Haltung euch gegenüber war ja schon auch ziemlich feindselig. Wir können da noch mal reinhören. Es gibt eine sehr, sehr eindrückliche Szene, die ich jetzt im Vorhinein noch mal zitiere, weil gerade ein LKW vorbeifährt, in dem Moment. Also er fragt euch: "In welchem Auftrag handeln sie?" und dann sagst du: "Wir sind für die ARD hier" und dann zeigt er euch den Mittelfinger und sagt ihr sollt abhauen und euch ficken, um es mal so klar und deutlich zu sagen.
"In welchem Auftrag handeln Sie?"
"Für die ARD bin ich hier."
"Für die ARD? Hier! Hier, gucken Sie mal! Und jetzt ficken Sie sich! Hauen Sie bloß ab!"
ES: Wie geht man damit dann um als Reporter in diesem Moment?
KV: Ja, das ist für mich ein Dokument. Wie soll ich damit umgehen, wenn die Frage sein sollte, ob ich so etwas persönlich nehmen, natürlich nicht. Es ist ein Mann, mit dem wir uns vorher darüber unterhalten haben, was er in den letzten zwei bis drei Jahren alles gemacht hat. Aus meiner Recherche ging hervor, dass er mindestens zwölf Personen oder Organisationen bedroht, beschimpft hat, teilweise so weit unter der Gürtellinie, dass es tatsächlich Bedrohungen gegen die Unverletzlichkeit der Person waren. Also das waren massive, auch Gewaltdrohungen, nicht nur Beschimpfungen. Es war nicht klar, wie er genau reagieren wird. Das muss man dann natürlich auch immer in der eigenen Reaktion als Journalist versuchen, vernünftig aufzufassen. Aber es war klar, dass das kein freundliches Gespräch werden wird und dass es dann so eskaliert ist, das ist ja nichts neues, wenn wir draußen drehen. In bestimmten Momenten, bei bestimmten Demonstrationen sind wir natürlich auch Hassobjekt. Von daher kennen wir das schon. Und da muss man versuchen, einen professionellen Umgang damit zu bekommen. Und für mich ist das nie eine Frage, dass ich das als Person so nehme, was der mir ins Gesicht schreit. Das ist absurd. Also meistens kennen wir die Leute ja auch gar nicht. Und Marc B. ist jemand, der hat sich für mich innerhalb dieser drei Jahre, wo ich immer wieder sehe, der hörte gar nicht auf. Er sucht sich immer neue Leute, und es wird eigentlich eskalierend, immer schlimmer. Er hat sich für mich damit sowieso außerhalb unserer sozialer Rahmen begeben. Er ist ja in dieser Gesellschaft so ein absoluter Störfaktor. Also er muss zur Vernunft kommen. Das ist das, was hoffentlich passieren könnte. Obwohl jetzt eine starke Strafe gekommen ist, hat er nicht den Anschein gemacht. Und er hatte von Anfang an eigentlich angezweifelt, dass wir bei ihm richtig sind, das heißt, er hat es geleugnet. Er hat bestimmte Leute nicht mehr gekannt, denen er eindeutig geschrieben hat. Und dann bei bestimmten Leuten, als ich nicht locker gelassen habe, hat er eingeräumt: "Ah, ja, das war mal vor Jahren, da hab ich mal der Katja Diehl geschrieben." Nein, es war nicht vor Jahren, es war knapp vor einem Jahr. "Und Nella Allami habe ich nicht bedroht." Das stimmt aber nicht. Ich weiß ganz genau, dass er sie bedroht hat, und zwar mit dem sexistischen Sprüchen, die man sich vorstellen kann. Er hat sich sehr wohl bedroht. Er hat die Unwahrheit gesagt.
ES: Eine komplett andere Situation war in meinen Augen das Treffen mit Michael Wölfert und ich finde, hier sollte man auch noch einmal unbedingt hören, was er zu sagen hat.
"Wenn ich jetzt jemandem sage: 'Den soll man erschießen' oder sowas, oder aufhängen oder solche Sachen sind ja schon gefallen in der Vergangenheit. Das geht natürlich dann, das geht nicht."
"Aber das geht schon?"
"Das ist ja nicht auf eine bestimmte Person bezogen. So ist es bedauerlich. Richtig, das stimmt. Dass ich da direkt darunter stehe. Das ist leider passiert."
ES: Ich habe das gesehen, und gedacht, das ist ja auch nicht so falsch. Also je nachdem, sortiert ja Facebook Kommentare auch schon mal unterschiedlich. Also um das noch einmal einzuordnen: Er hat Resch als Klimadiktator bezeichnet. Und sagt: Ja, das kann man ja mal so sehen, dass er da jetzt einfach seine Meinung rausgepustet hat. Und er hat da jetzt nicht darauf geachtet, was da so um ihn herum passiert, in den Kommentaren. Wie lief dieses Gespräch?
KV: Das Gespräch hat sicher eine Viertelstunde, 20 Minuten gedauert, und wir haben das alles ausgetauscht. Und er hat im Laufe des Gesprächs auch eine gewisse... Also nicht nur, dass er sich auf das Gespräch eingelassen hat, sondern gesagt hat: ja, ja, das hat er schon geschrieben. Und im Prinzip ist er auch dieser Auffassung. Und es ist insgesamt wohl so, dass er da ein Ventil gefunden hat, wo er seinem Ärger Luft machen kann. Der Ärger ist insgesamt gesellschaftlich konnotiert, und er sieht dann halt Personen wie Jürgen Resch, als die Verantwortlichen an, an die er dann diesen Ärger und diese Wut auch ganz direkt adressieren kann. Das ist für ihn logisch. Also, das hat er auch so argumentiert. Was in dem Gespräch noch interessant war, dass er im Prinzip innerhalb von 15 Minuten, 20 Minuten seine Meinung doch korrigiert hat. Weil er hat dann zum Schluss gesagt: ja, das sei schon bedauerlich, das seine Kommentierung direkt unter diesen Patronen stattgefunden hätte. Das heißt, er hat es nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Die Kommentierung bleibt also. Er sagt immer noch Klimadiktator, Jürgen Resch sei ein Klimadiktator. Das kann man als Meinungsäußerung, glaube ich, so auch sehen. Und auf der anderen Seite sagt er aber, es sei bedauerlich, dass es direkt unter den Patronen stattgefunden hat. Also eine gewisse Einsichtnahme habe ich bei ihm dann schon gesehen. Und das Gespräch war natürlich vom Verlauf her viel angenehmer als mit Marc B. Das kann man tatsächlich als eine Konversation betrachten. Bei Marc B. war es im Prinzip nur ein Kampf: Stimmt das, was wir sagen, oder stimmt das, was er sagt. Und zum Schluss war es eben die Aggression, die er uns gegenüber da demonstriert hat.
ES: Du hattest vorhin schon mal Nella Allami angesprochen. Sie bezeichnet sich als Hacktivistin, und sie hat sich darauf spezialisiert, Menschen, die online Straftaten begehen, also zum Beispiel Pädokriminelle und Rechtsextreme, zu identifizieren. Und damit ist sie sozusagen gleichzeitig einmal Expertin für das Thema Hass im Netz, aber eben auch engagierte Person und damit auch Opfer von Hass. Magst du noch einmal erzählen, was sie erlebt hat?
KV: Auf Nella Allami sind wir tatsächlich gestoßen, weil sie sich in die Beleidigungen und Bedrohungen, die von Marc B. ausgegangen sind, eingemischt hat. Das heißt, sie hat einen Notruf bekommen von einer hochschwangeren Person, die von Marc B. beleidigt worden ist und als Nella Allami das gelesen hat, und ihre Empathie geht dann so weit, dass sie sagt, dass sie ihr Wissen, sie ist ja IT-Spezialistin, auch dazu nutzt, bestimmte Personen zu identifizieren, hat sie sich auf die Suche nach dem Schreiber gemacht. Und sie hat Marc B. tatsächlich identifiziert. Sie hat ihn gefunden, und sie hat ihn dann angeschrieben und hat ihm gesagt: "Sie haben jetzt 24 Stunden Zeit, sich bei den Betroffenen zu entschuldigen." Das hat Marc B. nicht angenommen, sondern im Gegenteil. Er ist in die Offensive gegangen und hat sie widerlich beschimpft. Da war aber auch die Konversation an einem Punkt angelangt, wo sie gar nicht mehr weiterführen konnte und die Konsequenz war, das hat Marc B. wahrscheinlich in dem Ausmaß gar nicht kapiert, Nella Allami hat natürlich ihr Wissen der Polizei weitergegeben.
ES: Was die Leute da hören, das ist ziemlich, ziemlich heftig. Ich nehme an, ihr habt da auch eine Vorauswahl getroffen, was ihr da online und im Fernsehen zeigen wollt.
KV: Wenn wir über die Protagonisten sprechen, das ist Janosch Dahmen, das ist Jürgen Resch und Katja Diehl. Und wenn ich die drei anschaue, in der Recherche habe ich ja das, was ihnen da widerfährt, gelesen. Und wir haben uns bei allen dreien an bestimmten Punkten entschieden, dass wir das nicht veröffentlichen wollen, weil das so weit unter der Gürtellinie formuliert war, dass wir das so nicht öffentlich machen wollten. Das ist eine ganz bewusste redaktionelle Entscheidung gewesen.
ES: Wenn man diese ganzen Nachrichten liest, ist es ist da schwer, objektiv zu bleiben?
KV: Das ist tatsächlich eine schwierige Frage. Ich fange mal anders an. Also ich glaube, es gibt gesellschaftliche Grundvereinbarungen, die wir nicht verlassen sollten. Wir können über Meinungen und so weiter streiten. Und die Diskussionen finden ja auch hier in dieser Gesellschaft statt. Es stimmt ja nicht, dass bestimmte Themen nicht beredet werden dürfen oder sonstige Behauptungen. Sondern es kann ja breit, sehr, sehr vieles angesprochen werden. Aber es darf ja ein Maß des Umgangs, und zwar des schlechten Umgangs, nicht geben, der bestimmte Grenzen überschreitet. Und hier sind die grenzenlosesten Überschreitungen, die ich, glaube ich, in kurze Zeit gelesen habe. Natürlich weiß ich, dass es das gibt. Aber wenn man es so massiv liest. Und man beschäftigt sich im Prinzip in der Recherche ja jeden Tag damit. Man liest das vielleicht immer wieder, aber dann kommen auch wieder neue Sachen. Und es ist endlos, weil im Netz endlos solche Sachen drinstehen. Und da bist du tagelang damit beschäftigt, dich mit solchen Beschimpfungen und Bedrohungen jeden Tag zu beschäftigen. Das bringt keine gute Laune. Das kann ich mal so sagen. Und meinen neutralen Standpunkt werde ich deswegen nicht verlieren. Ich werde auch meinen objektiven Standpunkt nicht verlieren, den ich als Journalist behalten muss. Und auf der anderen Seite kann ich aber auch sagen, dass ich eine bestimmte Haltung habe, und zwar als Mensch und als Journalist dazu.
ES: Du hattest vorhin Katja Diehl schon mal angesprochen. Aber lass uns doch mal konkret darüber sprechen, welche Rolle eigentlich solche Bedrohungen auch spielen, wenn es darum geht, Aktivist*innen, Politiker*innen wirklich explizit einzuschüchtern. Ist das ein Mittel, was wirklich so auch eingesetzt wird, damit sich Menschen vielleicht auch aus der Öffentlichkeit zurückziehen?
KV: Ich habe mit HateAid gesprochen, einer Organisation, die sich seit fünf Jahren genau mit diesem Thema beschäftigt, Betroffenen eine Hilfe anbietet, juristische Hilfe, aber auch Hilfe im Umgang damit. Und die sagen, die Motivation, die dahinter steht, die primäre Motivation ist, dass man ja etwas erreichen will. Und das Ziel ist, solche Leute aus dem öffentlichen Raum herauszudrängen. Sie so lange einzuschüchtern, bis sie freiwillig sagen: sie machen nicht mehr weiter. Und das ist ja auch das fatale Gesellschaftliche, das wir nicht zulassen dürfen. Dass sich engagierte Menschen, ganz egal, wofür sie sich in dem Fall engagieren, solange das gesellschaftlich tragbar ist, was sie machen, dürfen doch nicht aus dieser Gesellschaft von Leuten herausgenommen werden, indem sie bedroht werden und zwar bedroht werden auf eine Art und Weise, wo man sich schon fragt... Also da fragt sich, glaube ich jeder, der das liest: wenn ich das jetzt bekommen würde, würde ich denn reagieren? Würde ich dann immer noch weitermachen? Oder würde ich vielleicht sagen, also das tue ich mir jetzt nicht mehr an.
ES: Was bringen denn so Organisationen wie HateAid auf der anderen Seite? Also als diejenigen, die da vielleicht auch organisiert helfen, Menschen zu unterstützen, die solchen Bedrohungen ausgesetzt sind?
KV: Das kann ich persönlich ja nicht sagen. Ich habe aber mit Leuten geredet, die Hilfe bei HateAid bekommen haben. Nicht nur die drei Protagonisten übrigens, die im Film drin waren. Der Janosch Dahmen, das weiß ich nicht, ob der auch bei HateAid war. Aber Katja Diehl und Jürgen Resch sind bei HateAid und werden auch betreut. Luisa Neubauer auch, wie uns die eine Geschäftsführerin erzählt hat. Und zwar schon über Jahre, ist die bei HateAid. Und ich kenne auch privat Leute, die zu HateAid gegangen sind, aufgrund von bestimmten Äußerungen, die sie tun, oder Positionen, die sie einnehmen. Und da habe ich als Feedback bekommen, wenn ich gefragt habe, wie sind die denn? Und was bringt dir das? Da habe ich sehr positive Reaktionen bekommen. Erstens, dass sie tatsächlich Ahnung von der Sache haben. Davon müsste man hier auch ausgehen, wenn die fünf Jahre das schon machen. Und dass sie auch hilfreich sind. Und dass sie wirklich ganz konkrete Hilfeangebote bieten. Ja, so weit kann ich das sagen, ohne dass ich selber eine eigene Beurteilung habe.
ES: Diese Gewaltspirale, die sich ja mittlerweile auch in Form von nicht nur verbaler Gewalt, also "nur" in Anführungszeichen, Ausdruck verleiht, sondern tatsächlich ja mittlerweile auch Menschen auf der Straße angegriffen werden, das haben wir in den letzten Monaten immer wieder auch mal gesehen. Ist das aber ein Problem, das durch das Internet erst entstanden ist? Wie würdest du das einschätzen?
KV: Nein, das glaube ich nicht. Auch vor dem Internet wurden Menschen aus politischen Gründen angegriffen, weil irgendjemand meinte, dass so jemand das nicht machen darf oder nicht sagen darf. Auch Politiker sind bedroht worden. Das ist ja bekannt. Und es hat ja schlimme Attentate auch gegeben. Es ist ja nicht so, dass das ein Thema ist, das uns heute erst begegnet. Was ich aber schon glaube und was die Zahlen der Ermittler auch wiedergeben, ist die rapide Zunahme. Und da sprechen wir über eine Verdoppelung von Zahlen zum Beispiel. Was diese Hasspostings angeht, die haben sich innerhalb von einem Jahr mehr als verdoppelt. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass es mehr angezeigt wird, dass man sensibler darauf reagiert, wenn so etwas kommt. Und es nicht einfach nur in den Papierkorb schmeißt und sagt: na ja, gut, lass den mal schreiben, das wird schon nicht so schlimm werden. Aber meine Wahrnehmung ist aus dem, was ich lese aus dem, was die Statistiken hergeben, dass es sehr wohl eine Zunahme auf dem Gebiet gibt und dass eben auch diese Übergriffe von der Internet-Realität in die wirkliche Realität sich rüber bewegen. Und dafür gibt es auch Anhaltspunkte, die wir in dem Film ja zeigen. Wenn jemand schreibt und mit Fotos von Patronen unterlegt, was er von dem anderen hält, ist nochmal glaube ich, dann ein anderer Schritt, wenn die Patrone dann per Post kommt und das ist auch der Fall.
ES: Wie schätzt du da in dem Zusammenhang die Verantwortung der Plattformen, also konkret jetzt Meta und X zum Beispiel ein. Vielleicht auch Instagram, aber ich glaube, bei Instagram ist das Problem vielleicht ein bisschen anders gelagert, weil es eben nicht diese Gruppen gibt. Aber haben diese Plattformen auch eine Verantwortung? Beziehungsweise wie sieht die aus?
KV: Also grundsätzlich glaube ich, dass alle Plattformen da eine Verantwortung haben. Und ich glaube auch, dass von den Expertinnen und Experten, mit denen ich gesprochen habe, telefonisch und in dem Film sieht man eine Expertin, die sich sehr gut auskennt auf dem Gebiet, dass es da ein Riesendefizit gibt. Für Facebook und Meta kann ich es ein bisschen genauer sagen, denn da haben wir ja auch nachgefragt. Wir haben ganz explizite Beispiele, die in dem Film enthalten sind, bei Meta nochmal nachgefragt und die tatsächlich enttäuschende Antwort war, dass wir nur einen Hinweis auf ihre Richtlinien bekommen haben. In diesen Richtlinien steht natürlich, dass sie so etwas nicht dulden. Ganz allgemein steht das so drin zu den beiden Sachverhalten. Das ist dieser eine Patronenpost, über den wir schon gesprochen haben. Und das andere ist ein Post, der ist eigentlich fünf Jahre alt und stand im April dieses Jahres wieder ganz komplett oben auf einer Plattform mit allen radikalen Hassäußerungen, die in 300 Kommentaren enthalten wird. Stand also wieder komplett oben. Das ist ein alter Prost, der neu durch drei neue Kommentierungen wieder nach oben gelangt ist. Und das ist Facebook. Und da hätte Facebook meiner Ansicht nach die Verantwortung, dass so etwas nicht vorkommen kann. Die Frage, wie sie das einschätzen, wie sie einen Patronen-Post einschätzen, der dann zwei Wochen auch steht und wo alle möglichen Leute was drunter kommentieren, bis hin zu weiteren Drohungen gegen Jürgen Resch. Da hat Facebook kein Wort darüber verloren. Es gibt keine Antwort.
ES: Was müsste sich denn ändern, damit das nicht mehr so eskaliert, online? Gibt es da konkrete Ideen, wie man da wirklich gegen vorgehen kann? Also das ist ja ein sehr unübersichtlicher Raum erstmal.
KV: Ja, es gibt jetzt eine europäische Gesetzgebung, die die Plattformen tatsächlich dazu zwingt, dass sie sich ihre eigenen Algorithmen anschauen. Also das, was quasi dazu führt, wie solche zum Beispiel, was ich gerade erwähnt habe, dass ein uralter Post auf einmal wieder, ganz vorne dransteht, mit allen hasserfüllten Kommentierungen, die darin enthalten sind. Wie kann das eigentlich sein? Das heißt, auch Facebook soll und sollte schauen, wie diese Algorithmen bei ihnen funktionieren und ob es im Hintergrund solche gibt, die genau dieses Phänomen auf: einmal ist da wieder ein alter Prost mit lauter Hassreden, wie so etwas in Zukunft verhindert werden kann. Das ist erstmal eine Aufforderung an die Plattformen, dass sie sich selber regulieren. Und wenn das nicht passiert, dann muss man politisch da nachhaltiger nachgehen. Man muss erst einmal identifizieren: Haben sie es gemacht, haben sie sich damit beschäftigt? Man muss ihnen ja mal ein paar Monate Zeit geben, das das quasi intern auch gelöst wird, wenn es ein Problem ist. Aber die Anzeichen liegen ja dort. Das ist ein Problem ist, weil sonst würde es ja nicht passieren. Und wenn sie es dann getan haben, muss man sich anschauen: Ist das ausreichend? Und wenn sie es nicht tun, dann muss man sie darauf hinweisen, dass es so nicht weitergehen kann. Weil ich finde, dass man es nicht laufen lassen darf. Und letztendlich haben wir dann politische Mechanismen, mit denen auch solchem Treiben dann ein Riegel vorgeschoben werden müsste. Dann muss man eben andere Gesetzlichkeiten da schaffen und auch das Strafmaß erhöhen, die Strafgelder erhöhen. Das ist etwas, was, glaube ich, auch solche milliardenschweren Plattformen dann auf einen anderen Weg zwingen könnte, wenn sie es nicht selber machen.
ES: Wir haben mit Jürgen Resch gestartet und mit diesem Punkt, dass er bei eurem ersten Treffen über kaum etwas anderes reden konnte. Wie geht es ihm jetzt, nach dem Dreh? Weißt du das? Hat das vielleicht auch geholfen, damit einmal auch wirklich richtig an die Öffentlichkeit gehen?
KV: Dass Jürgen Resch das Thema bis heute beschäftigt, das höre ich ja aus den Gesprächen, die wir haben, natürlich raus. Wobei ich auch sagen muss, jetzt unterhalten wir uns dann natürlich zielgerichtet darüber, was passiert. Und ich habe auch noch mal nachgefragt, ist in der Zwischenzeit noch mehr passiert? Er hat mir auch jetzt aktuell etwas geschickt, wo wieder zwei unglaubliche Beispiele drin sind. In einem Fall hat aber ein Gericht auch eine Geldstrafe ausgesprochen. Das heißt, es kann auch sein, dass sich die Justiz gerade auf diese Bedingungen einstellt und da auch ein bisschen sensibler damit umgeht. Das andere ist ein Fall, der ist im Prinzip seit drei Jahren angezeigt, und es passiert gar nichts. Also es ist sehr differenziert zu sehen, weil die Anzeigen natürlich auch immer an anderen Orten in dieser Republik auftauchen. Und es gibt Staatsanwaltschaften, die jetzt inzwischen schon sensibilisiert sind und dem eher nachgehen. Es gibt, glaube ich, auch Spezial-Staatsanwaltschaften, wo das schon landet. Die eben den Hintergrund schon haben, wie ist das einzuschätzen? Wie kann man da vorgehen?
ES: Weil man immer da anzeigt, wo das Verbrechen stattgefunden hat?
KV: Ja. Deswegen ist es in der ganzen Republik, was wir bei Marco B. festgestellt haben. Die Verurteilung, die er erhalten hat, die hat nur den Hintergrund von vier Fällen gehabt. Das heißt, in dieser Bestrafung von Marc B. sind genau vier Beleidigungen oder Bedrohungen drin gewesen. Wir haben mehr als zwölf gefunden, ein Dutzend. Das heißt, zwei Drittel dieser ganzen Sachverhalte waren gar nicht Hintergrund der Bestrafung. Das heißt, diese Bestrafung war für mich im ersten Augenblick ein starkes Zeichen, weil 180 Tagessätze, das ist schon mal ein Wort. Aber als ich dann gemerkt habe, dass die anderen Sachverhalte ja gar nicht mit verurteilt wurden oder mitbeurteilt worden sind, dann war ich schon wieder etwas gebremster in diesem positiven Urteil. Das heißt, es da ist noch sehr viel offen, was man den Betroffenen einfach als Hilfeleistung auch anbieten müsste, damit sie dann auch sagen können: Wenn die anzeigen, dann passiert hier auch was.
ES: Knut Vetten, vielen Dank für deine Zeit!
KV: Gerne!
ES: Das war der Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Den Film "Engagierte Menschen als Zielscheibe" finden Sie in der ARD Mediathek in der Sendung FAKT. In zwei Wochen hören Sie dann an dieser Stelle wieder meine Kollegin Secilia Kloppmann. Und am Ende dieser Folge habe ich natürlich noch einen Podcast.-Tipp für Sie.
Das Vertrauen in die akademische Forschung, das basiert auf einem Versprechen: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler garantieren bei ihrer Arbeit höchste Standards, Seriosität, Unabhängigkeit und Ehrlichkeit. Doch was, wenn Forscherinnen und Forscher ungenau arbeiten oder noch schlimmer: fälschen und betrügen? Das haben sich die Kollegen von MDR Aktuell mal genauer angesehen. Im Podcast Kekulés Gesundheits-kompass besprechen sie gemeinsam mit dem Arzt und Wissenschaftler Professor Alexander Kekulé mehrere Fälle von Wissenschaftsbetrug aus den vergangenen Jahren. Es geht um eine gefälschte Alzheimer-Studie aus dem Jahr 2006, eine Studie zu Supraleitern und den größten Fälschungsskandal in der deutschen Geschichte. Der Podcast liefert Hintergründe zu Themen rund um Medizin und Gesundheit. Er erscheint alle zwei Wochen donnerstags. Den Link zur Folge über Betrug in der Wissenschaft, den stellen wir Ihnen in die Shownotes.
Und wenn Ihnen "MDR Investigativ - Hinter der Recherche" gefällt, oder wenn sie Kritik haben, dann schreiben Sie uns doch gerne eine Mail an investigativ@mdr.de. Wir hören es dann einen Monat wieder. Machen Sie es bis dahin gut und bleiben Sie gesund!
Dieses Thema im Programm: MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche | 23. August 2024 | 11:30 Uhr