MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (Folge 115) Todesdroge Fentanyl – kommt die Opioidwelle jetzt nach Deutschland?
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In den USA sterben jedes Jahr zehntausende an Überdosen von Fentanyl. Das hochgefährliche Opioid taucht zunehmend auch in Deutschland auf. Welche Gefahr geht von der Droge aus, und könnte eine ähnliche Krise wie in den USA auch hierzulande drohen? Journalist Thomas Kasper ist durch deutsche Drogen-Hotspots gereist und hat dabei Einblicke in die Verbreitung von Fentanyl gewonnen. Was er dabei erlebt hat, erzählt er im Gespräch mit Esther Stephan
Es ist hier nach Frankfurt gekommen und hat direkt eingeschlagen wie eine Bombe, das das Fentanyl.
In Amerika ist es Fentanyl schon lange angekommen. Und in Deutschland, da hab ich das erste mal mit 15, also vor viereinhalb Jahren das erste Mal in Berührung gekommen. Und ich habe es sublingual genommen. Also mir kleine Karo-Plättchen abgeschnitten mit einer Schere und da muss mal halt sehr vorsichtig sein.
Ich habe mir mal über Vatertag hinweg sechs Pflaster innerhalb von zwei Tagen reingeraucht oder sieben Pflaster. Das hätte mein Tod sein können.
Esther Stephan (ES): Fentanyl – ein Medikament, das eigentlich zur Schmerzlinderung entwickelt wurde, sorgt in den USA für eine beispiellose Drogenkrise. Zehntausende Menschen sterben jedes Jahr daran, und nun taucht die Droge auch in Deutschland auf. Wie gefährlich ist Fentanyl für uns? Und könnte eine ähnliche Krise wie in den USA auch hier ausbrechen?
Darum geht es heute bei "MDR Investigativ – Hinter der Recherche". Hier sprechen wir mit Journalist*innen über ihre Recherchen, ihre Erlebnisse während der Dreharbeiten und ihre persönlichen Eindrücke. Ich bin Esther Stephan und freue mich, dass Sie zuhören.
Mein Gast heute ist Thomas Kasper, der für seine Dokumentation "Todesdroge Fentanyl" quer durch Deutschland gereist ist, um herauszufinden, wie Fentanyl den illegalen Drogenmarkt erobert.
Hallo Thomas!
Thomas Kasper (TK): Hallo Esther!
ES: Fentanyl, des kenne ich bisher nur aus Berichten aus den USA. Kannst du noch mal erzählen, was das eigentlich für eine Droge ist?
TK: Fentanyl ist ein Schmerzmedikament, wie du ja schon gesagt hast, und gehört zur Gruppe der Opioide. Ganz generell ist es so: Drogen teilen sich in zwei Wirkgruppen ein. Das eine sind die sogenannten Downer, also die holen dich runter, entspannen dich, machen dich ruhig, lösen Angstzustände und so weiter. Und das andere sind Aufputschdrogen. Dazu gehört Crystal oder Kokain beispielsweise. Und Fentanyl gehört zu der ersten Gruppe, also zu den Downern, ist ein Opioid, das wie gesagt, entspannt, schmerzlindert. Dafür ist es eigentlich entwickelt worden. Jedoch hochpotent ist. Also es ist hundertmal stärker als Morphin beispielsweise. Und so 50 bis 80 Mal stärker als Heroin. Das hängt von der Dosierung, auf den beispielsweise Fentanylpflastern, ab. Also es ist ein sehr reines medizinisches Produkt, ein Opioid, und das führt, wenn man es falsch anwendet, sehr schnell auch zum Tod. Und das macht es so sehr gefährlich.
ES: Macht es so abhängig, weil es so stark ist oder was ist der Grund, dass so viele Leute davon abhängig werden?
TK: Na ja, dazu muss man wissen, dass bei Opioiden eine relativ geringe Differenz zwischen einer wirksamen und einer tödlichen Dosis besteht. Also das heißt, die Wirkung, dass Angst gelindert wird, dass man sich entspannt, dass man besser schläft und so weiter und die Wirkung, dass die Atmung aussetzt oder andere Organe nicht mehr funktionieren, diese Differenz ist relativ gering, und das macht die Droge zum einen so gefährlich und es führt aber natürlich auch zu einer ganz schnellen Abhängigkeit. Also es ist eine der Drogen, die am schnellsten zur Abhängigkeit führt. Du kannst irgendwann nicht mehr, du brauchst diesen Rausch und mir haben Abhängige berichtet, die entzügig waren, dass das die Hölle sein soll. Also mir sagte jemand mal: eine richtig schwere Grippe, wo dir alles wehtut, der Kopf wegfliegt und so das mal zehn. So ist es entzügig zu sein auf Heroin. Und das gilt auch für Fentanyl. Weil Fentanyl noch stärker ist, noch abhängiger macht. Und wie gesagt in den Vereinigten Staaten und in Kanada sterben Zehntausende Menschen jedes Jahr an eben diesem Missbrauch von Fentanyl.
ES: Du bist auch in den USA gewesen und hast dazu Fentanyl dich mal umgehört. Was hast du in den USA erlebt?
TK: Ich war da zu einer privaten Reise. Habe da einen lieben, alten Verwandten besucht. Da war ich in Los Angeles und bin dann die auch mal nach Skid Row in dieses ziemlich berüchtigte Viertel gefahren und bin da ganze Straßenzüge lang gefahren, links, rechts, geradeaus, wieder abgebogen und überall an jedem Straßenrand sind Zelte, sind Drogenabhängige, liegen Leute auf der Straße. Es sind Massen. Also es war wirklich sehr erschreckend. Aber übrigens nicht nur dort, in diesem ja ziemlich heruntergekommenen Viertel, sondern auch in Venice Beach, also so einem besseren, hippen Küstenort, also ein Stadtteil von Los Angeles. Auch dort siehst du überall diese Zelte, die gestrandeten Leute. Menschen, die auf der Straße liegen und auf der Straße leben. Und es war sehr, sehr erschreckend, sehr weit verbreitet. Ich bin dann zur Los Angeles Mission gegangen. Das ist so eine christliche Hilfsorganisation, eine ziemlich große NGO. Die haben ein großes Haus, was sehr interessant, sehr, sehr umfassend Hilfe anbietet. Also in diesem Haus wird umfassend Hilfe angeboten. Da gibt es zum Beispiel – was ich in Deutschland so noch gar nicht gesehen habe - da gibt's Schließfächer, wo die Menschen, die auf der Straße leben, ihre Sachen abgeben, also einschließen können, damit sie nicht beklaut werden. Weil das ist so, der Diebstahl in dieser Szene der ist relativ weit verbreitet, weil alle nichts haben aber jeder jeden Tag irgendetwas braucht, um sich wieder Stoff kaufen zu können. Also um diesem Diebstahl vorzubeugen, gibt es da Schließfächer beispielsweise. Es gibt einen großen Aufenthaltsraum, es gibt Duschen, es gibt die Möglichkeit, dort mit Sozialarbeitern, mit Ärzten, mit Zahnärzten, zu sprechen. Die Leute können da einfach auch zur Ruhe kommen. Können mal einen Film sehen und so weiter. Und sind nicht gezwungen, auf der Straße zu sein, wo sie dann quasi ohne Betreuung dieser Drohungszene ausgesetzt sind, wo es natürlich sehr viel Gewalt auch gibt. Es war sehr, sehr erschreckend.
ES: Aber du bist ja schon lange und auch viel an deutschen Drogen-Hotspots unterwegs. Das ist einfach eine Szene, in der du sehr, sehr viel recherchierst. War das denn vergleichbar mit irgendetwas, was du so schon gesehen hast?
TK: Nein, also, das hat wirklich alle Vorstellungen, alle Erfahrungen, die ich hatte, aus Deutschland, gesprengt. Also in Deutschland staune ich selbst auch immer wieder, beispielsweise in Halle, wie dort wirklich zentral dieser große Straßenverkauf funktioniert. Also da gibt es einen Platz, da sind manchmal Dutzende Leute, und sie verkaufen und dealen und konsumieren völlig offen. Da laufen andere Passanten vorbei, angrenzend ist eine große Kita, das ist so ein Gebiet, das ist so zentral und so gut einsehbar. Und trotzdem hat sich dort eine Drogenszene etabliert. Da bin ich immer sehr erstaunt, dass es so etwas auch in der Provinz, sage ich mal, gibt. Ja, in Berlin kennt man das ja vom Kotti, Kottbuser Tor. Oder in Frankfurt vom Frankfurter Bahnhofsviertel. Aber in Deutschland ist es punktuell, da ist es konzentriert auf bestimmte Plätze. In Amerika ist es nach meiner Erfahrung flächendeckend. Also ich habe mich mal verfahren, da bin ich vom Flughafen gekommen und auf den Weg nach Long Beach. Bin irgendwie eine falsche Abfahrt runtergefahren vom Highway und dachte: ach, du kannst ja auch hier lang fahren, diese Straße, dann kommste hinten wieder auf den Highway drauf. Und das führte zwei Meilen lang durch so ein bisschen Niemandsgebiet. Zwei Meilen links und rechts nur Obdachlose, nur Leute, die in Autos lebten, nur Drogenabhängige. Es war wirklich apokalyptisch. Also ich finde da kaum andere Worte für. Und so was kenne ich aus Deutschland nicht.
ES: In Deutschland ist es noch nicht so weit verbreitet, aber in einem Film kommt zum Beispiel auch eine Person vor, die heißt Denis. Denis ist obdachlos, und Denis lebt in Frankfurt. Und er sagt, Fentanyl hat in Frankfurt eingeschlagen wie eine Bombe. Wie ist denn die Situation in Deutschland eigentlich?
TK: Die ist sehr unterschiedlich. Nun habe ich auch keine systematische Untersuchung gemacht, sondern bin kreuz und quer durch Deutschland gereist, war an verschiedenen Hotspots des Drogenhandels, des Straßenverkaufs. Ich drehe ja seit vielen Jahren in der Rauschgiftszene und weiß, wo man hingeht. Aber es sind natürlich immer nur punktuelle Eindrücke, die ich da bekomme. In Frankfurt war es so, da war es überhaupt gar kein Problem. Da bin ich aus dem Bahnhof gekommen, bin da mit dem Zug hingefahren und genau gegenüber vom Hauptbahnhof ist so der offene Straßenverkauf. Da haben ich den ersten gefragt nach Fentanyl. Und der hat mir etwas angeboten. Da kam ein zweiter dazu und sagte: "Bei mir ist es billiger!" Und dann habe ich gesagt: "Nein, ich wollte nur mal hören, gibt's das hier?" Und dann kam der dritte und wollte mir auch noch Fentanyl verkaufen. Es war also eine Frage von fünf Minuten, da hatte ich drei Verkäufer an meiner Seite, die mir das verkaufen wollten. Dann habe ich mich bei den Konsumenten umgehört. Habe erst eine junge Frau getroffen, also so um die 40 ist sie, Tanja. Die hat es genommen, die hat mir davon berichtet. Dann bin ich weiter gegangen, da habe ich Denis getroffen. Der sagte: "Natürlich, ich hab’s in der Tasche, ich zeig’s dir." Er hat das dann doch nicht gehabt, weil er es gerade seiner Freundin weitergegeben hat. Und es war in Frankfurt, also nach meinem Eindruck, dort überhaupt kein Problem, an Fentanyl ranzukommen. Ganz anders war es beispielsweise in Gera. Da ist es offensichtlich nicht so verbreitet. Aber das hängt auch damit zusammen, dass regional verschiedene Drogen konsumiert werden.
ES: Okay, das hat jetzt nichts damit zu tun, dass Frankfurt einfach eine große Stadt ist, vor allem im Vergleich zu Gera zum Beispiel, und man da vielleicht einfacher an verschiedene Sachen drankommt?
TK: Naja, es hängt damit zusammen, dass es natürlich auch ein Verkehrsknotenpunkt ist, einfach durch den Flughafen. Und es liegt sehr zentral auch dort im Rhein-Main-Gebiet. Auch in Hamburg mit dem Hafen sind Drogen natürlich viel einfacher, viel vielfältiger auf dem Markt und insofern auch in Hamburg ist es kein Problem an Fentanyl zu kommen. In kleineren Städten ist es dann eher doch schon ein Problem. Und das führt dazu, dass zum Beispiel ein weiterer Protagonist aus Dresden, der Lennart, der hatte mir erzählt, dass er immer mit dem 9-Euro-Ticket, dann nach Berlin gefahren ist, dort einzukaufen. Also er hat es auch in Dresden bekommen. In Dresden ist es auch auf dem Markt, in Halle ist es auf dem Markt, in Eisleben habe ich Leute getroffen. Also man kann jetzt nicht sagen: große Stadt, kleine Stadt. Es ist punktuell vorhanden und es nimmt möglicherweise auch zu. Das ist das, was mir Denis aus Frankfurt am Main erzählte.
ES: Du hast vorhin schon über Lennart gesprochen. Das ist ein junger Mann aus Dresden, der schon mit 15 Fentanyl konsumiert hat. Ist er eigentlich einfach ein ganz besonders krasser Fall? Oder mal anders gefragt: Wer nimmt eigentlich diese Droge? Weil ich hatte bei Lennart das Gefühl, er ist jetzt nicht so der typische Junkie…
In Deutschland habe ich es das erst mal hat mit 15, also vor gut viereinhalb Jahren das erste in Berührung damit gekommen und habe es sublingual genommen, also mir kleine Karogrößen, Plättchen abgeschnitten mit einer einer Schere und da muss man sehr vorsichtig sein, wie gesagt.
TK: Fentanyl ist eher auch so eine… Ich möchte jetzt nicht sagen "Intellektuellen Droge"... Aber man muss da schon sehr genau aufpassen. Lennart hat mal gesagt: Man muss da ein bisschen rechnen, auch bevor man das konsumiert. Sonst hast du ganz schnell einen Atemstillstand. Also du stirbst an einer Überdosis. Weil die Konzentration, die Dosis auf den Fentanylpflastern beispielsweise, die kann sehr stark variieren. Da gibt es welche die haben zwölf Mikrogramm Abgabe pro Stunde, andere haben 100 Mikrogramm Abgabe pro Stunde. Und dann hängt es davon ab: Wie groß ist das Karo, das dir aus diesem Pflaster herausschneidest und es dir unter die Zunge legst. Also man muss wirklich aufpassen, rechnen. Und das machen dann auch eher Leute, die das bewusst konsumieren. Und so ein Typ war der Lennart tatsächlich. Also der war ein ganz schlauer, war auch sehr sympathisch. Und dem fehlt komplett das Selbstbewusstsein, leider. Also der spielt wirklich gut Gitarre. Das sieht man mal kurz im Film. Er ist ein sehr sympathischer Typ, weiß sehr viel. Leider das meiste über Drogen und die verschiedenen Substanzen. Er hat sich sehr genau informiert. Aber das Gleiche trifft auch auf den Justin, den ich auch in Dresden getroffen habe zu. Also das waren auch wirklich eher die Smarteren, die Schlauen, die dieses medizinische Fentanyl konsumieren. Und das auch ganz bewusst als medizinische Substanz zu sich nehmen, die mir erklärt haben, dass das Heroin im Straßenverkauf so verdreckt ist. Da sterben die Konsumenten ja im Zweifelsfall eher an diesen Verunreinigungen, als an einer Überdosis. Und sowas, so ein Risiko wollten sie nicht eingehen. Insofern haben die sich genau informiert im Netz, haben viel recherchiert und haben dann zielgerichtet bestellt oder gekauft. Der Lennart, wie gesagt, ist dann nach Berlin gefahren mit dem 9-Euro-Ticket, hat dort eingekauft. Der Justin hat im Darknet bestellt und hat sich das dann liefern lassen. Und andere wiederum, die kriegen es dann von Schmerzpatienten, die sie zufällig treffen oder so. Das trifft auf den Sven und die Sandra zu.
ES: Wie findet man eigentlich Leute, die drogenabhängig sind? Also du kannst dich ja nicht einfach auf die Straße stellen oder eine Rundmail an alle Leute, die du kennst schicken, weil das ist ja vielleicht auch was ist, über das man nicht so gerne sprechen möchte. Wie bist du mit deinen Protagonist*innen in Kontakt gekommen?
TK: Aus langjähriger Dreharbeitserfahrung kenne ich die Plätze. Ich weiß, wo ich da hin gehen muss, wen ich fragen muss, habe viele Telefonnummern, dann rufe ich mal die Leute an. Aber es war in diesem Fall tatsächlich auch gar nicht so schwer, welche zu finden, weil sehr viele wirkliche Erfahrung haben mit Fentanyl. Das heißt, ich bin an diese Plätze gegangen und habe gesagt: "Leute, wer kann mir etwas über Fentanyl erzählen?", und da gingen die Hände hoch: "Ich weiß was!", "Ich weiß was!" Und dann habe ich Telefonnummern aufgeschrieben. Und ein Geheimnis ist, weil du was gerade angesprochen hast, die Frage der Scham. Meine Erfahrung ist, wenn man offen damit umgeht, dass die Menschen, die man jetzt befragt, ein Suchtproblem haben. Nicht um den heißen Brei herumredet. Sondern sagt: "Leute, ihr konsumiert hier, ich habe mal eine Fachfrage dazu." Dann führt es dazu, dass sie sich ernst genommen fühlen und sehr bereitwillig Auskunft geben. Das ist so meine Erfahrung. Es ist ein bisschen wie mit einem Alkoholiker. Stell dir vor, du hast einen Kollegen, wo du das Gefühl hast, der trinkt zu viel und kommt schon am Vormittag mit einer Fahne ins Büro und den spricht man ja ungerne an. Aber genau das müsste man tun. Also offen mit den Suchtproblemen des Gegenüber umgehen. Und dann baut sich auch Vertrauen auf. Das ist so ein bisschen das Geheimnis dahinter.
ES: Aber hast du manchmal das Gefühl, dass du da, wenn du Menschen anspricht, die offensichtlich ein Drogenproblem haben, die vielleicht in dem Moment auch gerade high sind, dass du da vielleicht eine Grenze überschreiten könntest, weil sie vielleicht auch nicht so richtig einschätzen können, wie das ist, wenn sie sich jetzt vor eine Kamera stellen, was das für Auswirkungen haben könnte?
TK: Also solche Situationen gibt es tatsächlich, das sieht man auch im Film an zwei Stellen. Einmal erzählt der Denis in Frankfurt am Main über Drogentote und hat die Augen dabei geschlossen. Und da Frage ich ihn auch: "Denis, geht’s dir gut? Kannst du sprechen?" Und dann waren die Augen wieder auf, und er hat mir erklärt: Doch, es geht ihm sehr gut. Und sowas checke ich auch dann ab. Oder auch in der anderen Situation schläft beim Interview die Sandra ein offensichtlich, die nickt so ein bisschen weg. Und da muss ich natürlich auch aufpassen. Also mich selbst auch nicht schützen, aber ich darf natürlich nicht in eine Situation geraten, wo ich möglicherweise Hilfe nicht leiste, weil ich die Situation nicht checke. Also ich weiß ja nicht, was sie unmittelbar davor konsumiert haben und ob sie gerade einen Atemstillstand hat oder so. Also sie ist richtig in sich zusammengesackt, die Sandra. Solche Situationen gibt es immer wieder. Aber nach meiner Erfahrung ist es so, dass die Menschen, wenn sie etwas genommen haben und ihr Level erreicht haben, dass sie dann relativ zugänglich sind. Also nicht high sind. Es ist auch so ein Phänomen, das ganz viele ja gar nicht mehr diesen Rauschzustand erreichen, den sie ursprünglich mal hatten und den sie toll fanden und weshalb sie mit den Drogen angefangen hatten. Es geht immer nur noch darum, nicht mehr entzügig zu sein und ein normales Level zu erreichen. Das ist wieder der Vergleich mit einem Alkoholiker. Alkohol ist ja auch eine Droge. Also ein Alkoholiker, der unbedingt jetzt trinken muss, der hat gar keinen klaren Gedanken. Und der erzählt dir sonst was, um irgendwie von dir ein Bier spendiert zu bekommen. Sowas ist nichts wert. Viel wichtiger ist, dass man die jeweilige Situation richtig einschätzt. Also: ist der Mensch, mein Gegenüber, ist der gerade in dem Moment wirklich - ich sage mal geschäftsfähig. Kann der mir Auskunft geben? Nutze ich seine hilflose Situation vielleicht aus? Ist er entzügig? Also es ist immer eine Gratwanderung, natürlich.
ES: Du hast gerade gesagt, wenn du dich dann an so einen Patz stellst, wo du weißt: Hier werden Drogen verkauft und sagst: "Wer kann mir etwas über Fentanyl erzählen?", dann gehen alle Hände hoch. Das war was, was ich total spannend fand in deinem Film. Was mein Eindruck war, war, wenn du mit Menschen gesprochen hast, die drogenabhängig sind, die Drogen konsumieren, dann ist Fentanyl auch in Deutschland schon jetzt ein Riesenproblem. Und die verschiedenen Behörden, die sehen das nicht so. Wie hast du so diese Diskrepanz zwischen den Erfahrungen auf der Straße auf der einen Seite und die Einschätzung der Behörden auf der anderen Seite wahrgenommen?
TK: Also prinzipiell glaube ich schon, dass die Polizeibehörden, die LKAs, die Drogendezernate, die Situation sehr genau beobachten und auch ernst nehmen. Nichtsdestotrotz ist es so, dass Drogenkriminalität immer eine sogenannte Dunkelfeld-Kriminalität ist. Also es findet nur das Eingang in eine Kriminalstatistik, was auch angezeigt wird. Nun ist es so, dass, wenn dir das Fahrrad geklaut wird beispielsweise, dann zeigst du den Diebstahl an. Und dann ist dieser Diebstahl schonmal in der Statistik. Ob jetzt das Fahrrad wieder aufgefunden wird oder nicht, das ist erstmal egal. Aber der Fahrraddiebstahl ist zur Anzeige gekommen. Und man weiß in Leipzig, Dresden, Halle werden soundsoviele tausend Fahrräder jedes Jahr geklaut. Bei Verstößen gegen das BTMG, also das Betäubungsmittelgesetz ist es ja ganz anders. Da kommt nur das zur Anzeige, was auch tatsächlich von der Polizei ermittelt wird. Und das sind Zufallsfunde. Da wird mal eine Durchsuchung gemacht. Da werden Leute, das habe ich öfter auch schon erlebt, auch in Halle, in Magdeburg, in anderen Orten. Ich komme dazu und sehe, wie die Polizei Leute abtastet, durchsucht. Die müssen die Schuhe ausziehen. Und wenn sie dann etwas finden, dann kommt das zur Anzeige. Nun ist Fentanyl ja erstmal ein medizinisches Mittel. Also es ist ja keine Droge so wie Heroin oder Crystal beispielsweise. Also dann in der Situation muss der Polizeibeamte auch noch erkennen: Aha, das steht im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch. Und dann kommt es zur Anzeige. Und das sind relativ geringe Zahlen. Und insofern kamen die LKAs mir gegenüber zur Einschätzung Fentanyl sei kein Problem. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch wissen, dass behördliches Handeln gesellschaftlicher Entwicklung immer etwas hinterherhinkt. Also die gesellschaftliche Entwicklung ist schneller als Behörden, die diese Entwicklung wahrnehmen, ihr Handeln darauf abstellen, vielleicht Verordnungen, Gesetze ändern. Das dauert manchmal Jahre. Insofern hängen die LKAs nach meiner Beobachtung der Entwicklung ein wenig hinterher. Ich habe beispielsweise mal in Berlin das LKA gefragt, ob denn die Beamten geschult werden zu erkennen, ob ein Drogentoter ein Fentanyl-Opfer ist. Und da wurde mir gesagt: Nein. Also sie finden jemanden auf, der offensichtlich an Drogenmissbrauch gestorben ist und sie wissen jetzt nicht, hat der Heroin, hat der Fentanyl, hat der irgendetwas anderes genommen. Also diese Schulungen finden derzeit noch nicht statt, und es heißt, möglicherweise hat das LKA Berlin dann auch nicht den aktuellen Wissensstand.
ES: Es gibt einige Menschen, ist mein Eindruck, die scheinen diese Droge online zu bestellen. Wie groß ist denn eigentlich der Einfluss des Internets oder auch des Darknets in diesem Fall? Kann man da wirklich so problemlos Fentanyl bestellen?
TK: Offensichtlich. Also mir wurde das so während der Dreharbeiten mehrfach vorgeführt. Also unter anderem von Justin in Dresden. Der hat mir gezeigt, er hatte das früher mal im Darknet bestellt. Aber es gibt auch im offenen Internet, gibt's auch Adressen. Also Rüdiger Schmolke vom Drogennotdienst beispielsweise, der hat mal selbst einen Versuch gestartet und hat sich bei Telegram angemeldet und innerhalb von wenigen Wochen hatte er Dutzende Anbieter von Fentanyl. Das geht dann immer weiter, er wird dann immer weiter verlinkt. Er hat es aufgemacht, hat dann durchgescrollt und hat mir gezeigt, wie viel dort wirklich zu verkaufen ist. Und das macht das für Polizeibehörden dann auch schwer nachzuvollziehen: Wo kommt das Zeug eigentlich her?
ES: Im Film kommt ja auch Maria Kuban von der Deutschen Aids-Hilfe zu Wort, und sie spricht über die Zahl der Drogentoten in Deutschland.
Also wir haben in den letzten Jahren zum einen in Deutschland beobachtet, dass es über 260 Drogentodesfälle gibt, die mit Fentanyl zusammenhängen, in den letzten drei Jahren, das ist doch eine Zahl, der man sich doch widmen sollte, vor allem, wenn man nicht weiß, womit diese Zahl zusammenhängt, mit welchen Substanzen sie zusammenhängt. Woher haben die Menschen das Fentanyl, welches Fentanyl ist das. Wir haben in Deutschland sehr viel pharmazeutisches Fentanyl, was unterwegs ist. Wir haben eine sehr große Verschreibungspraxis, eine sehr breite Verschreibungspraxis. In Deutschland werden viele synthetische Opioide verschrieben und hier hergestellt. Deutschland hat fast 30 Prozent Weltmarktanteil an der Fentanyl- und Synthetische Opioide-Produktion im pharmazeutischen Bereich. Es spricht also sehr viel dazu und wir haben diese Drogentodesfälle - 260 in drei Jahren – die darauf hindeuten: Es gibt Fentanyl in Deutschland. Es ist unterwegs, es ist im Umlauf, es wird konsumiert und sterben auch Menschen daran. Also wir sehen die Gefahren und die genannten Indizien und wir sehen auch keinen so großen Grund, warum es vor Deutschland Halt machen sollte.
ES: Was du denkst du denn eigentlich wären mögliche Maßnahmen, dass eben der Konsum von Fentanyl und all die Drogentoten eben doch noch verhindert werden könnten?
TK: Ich denke, es sollte sehr viel mehr Drogenkonsumräume geben. Also das sind so Räume, wo Konsumenten in einem etwas geschützten Setting und unter Betreuung ihre gekauften Drogen konsumieren können. Die werden häufig dann auch erst mal auf den Reinheitsgehalt überprüft und geguckt, ob da irgendwie vielleicht andere schädliche Stoffe drin sind und ob sich die Konsumenten möglicherweise vergiften durch den Konsum dieser Drogen. Außerdem ist medizinisches Personal und Sozialarbeiter sind vor Ort und helfen, geben auch Lebenshilfe. Oder könnten bei im Falle einer Überdosis auch medizinisch sofort intervenieren. Diese Drogenkonsumräume, die gibt es in Berlin, in Frankfurt, in Hamburg und so in Westdeutschland. Aber nicht einer in Ostdeutschland übrigens. Also weder in Sachsen noch in Sachsen-Anhalt, noch in Thüringen. Und ich glaube, diese Drogennoträume oder -konsumräume, die sind sehr hilfreich. Und die können helfen, erst mal das Schlimmste zu verhindern. Darüber hinaus ist es so, dass dieses Fentanyl dazu führt dazu, dass alles verlangsamt wird. Also die Schmerzweiterleitung. Eigentlich ist es ja die ursprüngliche Aufgabe oder Funktion von Fentanyl oder Opioiden, die Schmerzweiterleitung zu verlangsamen, sodass ein Schmerzpatient nicht mehr diese Schmerzen hat. Aber im gleichen Maße wird auch die Atmung und übrigens auch die Verdauung reduziert. Und das führt dann ganz schnell auch zum Atemstillstand. Jetzt gibt es ein Gegenmittel Naloxon, das, gespritzt oder verabreicht, führt dazu, dass die Wirkung dieses Opioids sofort aufgehoben wird und der Mensch wieder weiter atmen kann. Also in Los Angeles sind sie zum Beispiel unterwegs, so NGOs, mit so Atmungsgeräten, um die Leute wieder, also wenn sie jemanden sehen, der auf der Straße liegt und einen Kampf hat, weil er keine Luft mehr kriegt, dann gehen sie hin und können den beatmen. Und können das Leben retten. Und dieses Naloxon ist in Deutschland verfügbar, aber nur für diesen Konsumenten quasi. Also nicht der Helfer kann sich das verschreiben lassen, sondern der Konsument muss zum Arzt gehen, sagen: "Ich habe das und das Problem, verschreib mir bitte Naloxon." Das ist verschreibungspflichtig. Dann geht er in die Apotheke, holt sich es ab, wenn er genug Geld hat für das Rezept. Das ist natürlich ein Weg, der nicht machbar ist. Also eigentlich müssten die Helfer Zugang zu Naloxon haben. Das wäre so ein wirksames Gegenmittel, beispielsweise, wo man Schlimmstes verhindern könnte. Also diese Drogenkonsumräume und dieses Naloxon des sind zwei Dinge, wo ich sage: Da gibt es Handlungsbedarf. Und auch das sind Dinge, die relativ leicht umzusetzen wären.
ES: Gäbe es auch Maßnahmen, wo du sagst, die könnte man vielleicht präventiv ansetzen? Das sind ja jetzt beides Maßnahmen gewesen, die im Nachhinein, wenn die Leute schon abhängig sind, wirken könnten, um eben dann am Ende zu verhindern, dass die Menschen auch sterben. Aber siehst du Maßnahmen zu verhindern, dass es zu so einer Krise kommt wie in den USA zum Beispiel?
TK: Ja. Also die Situation in den Vereinigten Staaten und in Deutschland, die ist erstmal nicht so ein zu eins zu vergleichen. In Amerika ist es so, in den Vereinigten Staaten ist es so, dass dort ein ganz anderes Gesundheitssystem herrscht, die Leute auch viel später zum Arzt gehen, weil es einfach sehr teuer ist, weil viele nicht versichert sind und viele natürlich auch Angst haben um ihren Job. Es gibt nicht diesen Kündigungsschutz und dieser Absicherung, diese Sozialabsicherung, die Arbeitnehmer beispielsweise in Deutschland genießen. Das führt dazu, dass also ein Patient, der Schmerzen hat, in Amerika viel später zum Arzt geht, einfach weil es eine Kostenfrage ist. Insofern ist unser Gesundheitssystem sehr viel anders aufgestellt. Und diese Verbindung zwischen Schmerzen, ich gehe zum Arzt, kriege Fentanyl verschrieben, die ist in Deutschland so nicht gegeben. Gleichwohl ist es jedoch so, da gibt es auch Zahlen zu, dass in Deutschland die Verschreibe-Freudigkeit von Fentanyl doch auch massiv gestiegen ist. Die HKK, das ist die Handelskrankenkasse, die hat eine Untersuchung gemacht und diese Erhebung hat ergeben, dass seit 1996 bis heute dreimal mehr Fentanyl verschrieben wird. Also war es früher noch ein Krebs-Medikament für Krebs-Schmerzpatienten, so wird es heute auch, wenn du Rückenschmerzen hast oder mal was mit dem Ischias hast, das relativ leichtfertig verschrieben, laut dieser Studie der HKK. Nichtsdestotrotz sind aber diese Gesundheitssysteme zwischen Amerika und Deutschland nicht vergleichbar. Ein anderer Fakt kommt jedoch hinzu und das könnte die Situation dann natürlich doch wieder verschärfen. Und zwar ist im Zuge der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan der Anbau von Mohn zurückgedrängt worden und zwar massiv. Es gibt eine Satellitenaufnahme und Untersuchungen der UNODC. Das ist die United Nations Office on Drugs and Crime, also so eine UN-Organisation. Die haben untersucht, wie der Schlafmohnanbau sich in Afghanistan entwickelt hat. Und die hat festgestellt: der Anbau ist um bis zu 85 Prozent zurückgegangen. Das heißt, wenn man weiß, dass rund 90 Prozent des in Europa verfügbaren Heroins aus Schlafmohn und Opium aus Afghanistan hergestellt wird und das jetzt nicht mehr verfügbar ist, ist die Frage: was wird stattdessen konsumiert? Welches Opioid? Und da kommt wieder Fentanyl ins Spiel. Fentanyl könnte diese Lücke, die entstehen kann, auffüllen. Zurzeit wird beobachtet, dass die Preise nicht wirklich steigen für Heroin. Also offensichtlich ist jetzt zurzeit noch genügend Heroin im illegalen Handel. Aber absehbar wird es hier einen Engpass geben. Und dann muss die Situation sehr genau beobachtet werden.
ES: Lieber Thomas Kasper, ich danke dir sehr für deine Zeit und deine Einordnung!
TK: Ja gerne! Vielen Dank für das Interesse!
ES: Das war der Podcast "MDR Investigativ – Hinter der Recherche". Den Film von Thomas Kasper über Fentanyl und seine Verbreitung in Deutschland finden Sie unter anderem in der ARD Mediathek, unter der Sendung Exactly.
Und am Ende dieser Folge habe ich natürlich noch einen Podcast-Tipp für Sie:
ES: Wenn Ihnen "MDR Investigativ – Hinter der Recherche" gefällt, können Sie uns gerne in der ARD Audiothek oder auf der Podcast-Plattform Ihrer Wahl folgen. Wir freuen uns auch über Ihre Bewertungen oder Kommentare. Feedback können Sie uns jederzeit per E-Mail an investigativ@mdr.de senden.
Ich bin Esther Stephan und freue mich, wenn Sie auch beim nächsten Mal wieder dabei sind.
Machen Sie es gut und bleiben Sie gesund!
Dieses Thema im Programm: MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche | 18. Oktober 2024 | 09:00 Uhr