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MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (Folge 114) Junge Stimmen, rechte Kreuze: Warum die Generation Z die AfD wählt

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Über 30 Prozent der jungen Menschen in Ostdeutschland wählten bei den letzten Landtagswahlen die AfD. Welche Ängste und Unsicherheiten treiben die Generation Z dazu, sich rechtsextremen Parteien zuzuwenden? Welche Rolle spielt die Beeinflussung insbesondere durch TikTok und wie reagieren Schule und Gesellschaft darauf?
Tobias Sylvan und Oliver Matthes haben junge Wähler begleitet und teilen ihre persönlichen Eindrücke aus den Gesprächen.

Es tut sich nichts. Es wird eher noch schlimmer, finde ich. Und deswegen finde ich die Altparteien einfach mittlerweile uninteressant, die immer wieder Versprechungen machen und sie sich aber nichts ändert. Was man hier ja sieht. Zum Beispiel das Thema mit der Rente oder allgemein, wie es den deutschen Arbeitern, die Rentner sind, geht. Da wurde ja schon oft gesagt, wir wollen daran arbeiten und wir wollen das besser machen. Aber ich sehe jeden Tag alte, ältere Leute, die in Mülleimer greifen und Flaschen sammeln. Ich bin ehrlich. Ich habe noch nie einen Asylanten in einen Mülleimer greifen sehen.

O-Ton vom Stadtfest in Zwickau

Na ja, also unsere aktuelle politische Lage finde ich auf jeden Fall nicht so befriedigend, würde ich sagen. Deswegen verstehe ich auf jeden Fall den Drang, dass viele das wollen mit Veränderung. Aber ich finde, um das noch mal kurz auf die AfD zu beziehen, das halt viele auch nicht sehen, dass die AfD das ausnutzt. Diesen Drang nach Änderung, diese ganzen Versprechen, die man sieht, wenn ich das jetzt so formuliere, grenzt schon fast an Propaganda meiner Meinung nach. Weil man sieht immer das was die Leute hören wollen, steht auf diesem Wahlplakat. Und ob das am Ende versprochen wird und ob jeder AfD Wähler sich mal das Wahlprogramm durchgelesen hat, bezweifle ich

O-Ton vom Stadtfest in Zwickau

Esther Stephan (ES): Herzlich willkommen zu "MDR Investigativ – Hinter der Recherche". In diesem Podcast sprechen wir mit Journalist*innen über ihre Recherchen, ihre Erlebnisse während eines Drehs und die Dinge, die es dann doch nicht ins Fernsehen oder in die Mediathek schaffen. Ich bin Esther Stephan, und heute sprechen wir über die politische Stimmung unter jungen Menschen in Ostdeutschland.

Zuletzt haben bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen über 30 Prozent der jungen Wähler in für die AfD gestimmt. Wenden sich die jungen Menschen von den etablierten Parteien ab? Oder spiegeln sie nur einen Trend, der sowieso überall zu beobachten ist? Was treibt Erstwähler*innen um? Und wie beeinflusst Social Media ihre Entscheidung? Diese Fragen haben sich auch Tobias Sylvan und Oliver Matthes gestellt. Sie haben für ihren Film, der als Exactly unter dem Titel "Migration, TikTok, Geld, Sicherheit - Warum wählt die Generation Z die AfD?" unter anderem auf YouTube erschienen ist, und für diesen Film haben sie Erstwähler*innen begleitet. Und heute sprechen wir darüber, was sie dabei erlebt haben. Ich freue mich, dass wir heute miteinander sprechen!

Tobias Sylvan (TS): Ja, ich freue mich auch! Hi Esther, grüß dich!

Oliver Matthes (OM): Ja, Hi, Gruß!

ES: Laut Infratest dimap haben in Thüringen 38 Prozent der 18 bis 24-Jährigen die AfD gewählt. In Sachsen waren es 32 Prozent. Und - wir zeichnen ja einen Tag nach der Wahl in Brandenburg auf – auch da haben knapp 30 Prozent der U30-Jährigen die AfD gewählt. Kann man überhaupt sagen: das und das sind die Gründe dafür, dass junge Menschen Parteien wählen, die laut dem Verfassungsschutz gesichert rechtsextrem sind?

OM: Gründe kann man schon nennen, aber es sind eine Vielzahl von Gründen. Also, was auch in unserer Recherche so aufgetaucht ist, Elternhaus spielt eine große Rolle, Social Media, die Krisenhaftigkeit der Gegenwart. Und hinzu kommt, dass junge Menschen aufgewachsen sind in einer politischen Landschaft, wo die AfD einfach dazugehört. Und es dahingehend auch einfach weniger Berührungsängste gibt, diese Partei zum Beispiel zu wählen. Und was auch typisch ist für jüngere Wähler, ist, dass sie viel stärker die Regierungsparteien zum Beispiel abwählen als ältere Altersgruppen. Und eher auch bereit sind, die Partei von Wahl zu Wahl zu wechseln. Und das alles so zusammen, kann so ein bisschen so einen Erklärungsansatz geben, warum jüngere Wähler vielleicht eher die AfD jetzt wählen.

TS: Ja, ich glaube, wenn man sich überlegt, welche politischen Parteien hat denn die GenZ erlebt? Und da schaut man vor allem natürlich auf die Bundespolitik, weil die einfach am präsentesten ist. Und das waren viele, viele Jahre die CDU in verschiedenen Koalition und jetzt die Ampelkoalition. Und was wir schon gesehen haben, ist, dass es einfach einen großen Frust gibt mit eigentlich allen oder fast allen der etablierten Parteien. Und jetzt bleiben nicht mehr so viele Alternativen übrig. Das ist das, was wir auf jeden Fall häufig gehört haben.

ES: Jetzt erinnere ich mich, das erste Mal wählen war für mich sehr besonders. Das ist jetzt auch so gute zehn Jahre her. Und es war auf jeden Fall sehr feierlich. Wie empfinden das denn die Erstwähler*innen, mit denen ihr gesprochen habt?

TS: Das fand ich ganz interessant, da haben wir auch wirklich ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Ich habe einen Erstwähler zu der Europawahl begleitet in Zwickau, Jamie, der hat mich mitgenommen. Und für den war das schon was wirklich Besonderes, das Gefühl zu haben: okay, wir haben so viel über Politik auch diskutiert mit den Freunden und mit der Familie. Und jetzt kann ich hier selber mal meine Stimme abgeben. Und es hat irgendwie mal Gewicht. Das war für ihn eine besondere Erfahrung. Aber ich muss sagen in vielen anderen Gesprächen habe ich auch mitbekommen, dass die Leute eher unsicher waren: Wen soll ich wählen? Was hat das für Konsequenzen? Ich habe mit Klassenkameraden von Jamie gesprochen, er geht auf so eine Fachoberschule in Zwickau, und ich hab damit Klassenkameraden von ihm gesprochen. Das ist jetzt nicht im Film gelandet. Und da habe ich auch viel eher eine Unsicherheit gehört, die damit einhergeht. Wen will ich denn jetzt da haben? Einige haben auch nicht gewählt, haben das nicht wahrgenommen, ihr Erstwahlrecht, weil sie eher unsicher waren. Da kann man auch viel falsch machen. Wähle ich jetzt vielleicht eine Partei und dann hat das Konsequenzen, die ich gar nicht absehen kann. Also ich habe durchaus auch viele Gespräche geführt mit jungen Leuten, die gesagt haben: Ich wähle auch nicht, weil erstens es mich vielleicht nicht interessiert. Oder auch, weil es mich zwar interessiert, aber ich auch vieles nicht absehen kann, an den Konsequenzen. Also durchaus unterschiedliche Eindrücke. Und das spricht, glaube ich, natürlich allgemein für unsere Erfahrungen in diesem Film, in diesen ganzen Gesprächen. Es gibt keine einheitliche Generation der Erstwähler*innen, keine einheitliche Generation Z, sondern wir schauen auf ein sehr differenziertes Bild einer bestimmten Alterskohorte in unserer Gesellschaft. Und das zieht sich, denke ich, durch unsere Erfahrungen, die wir in diesen Film gemacht haben.

ES: Und trotz dieser Differenzierung wollen wir ja heute darüber sprechen, Okay, was sind dann vielleicht Gründe, dass junge Menschen so gewählt haben, wie sie gewählt haben? Und einer der Punkte, der nach meinem Gefühl immer wieder aufkam, war so die Sorge, soziale Unsicherheiten, wirtschaftliche Zukunftsängste. Wisst ihr, welche Rolle das gespielt hat bei den Einstellungen der jungen Leute? Ihr habt da zum Beispiel mit einer Lehrerin gesprochen, mit Katharina Risse. Und sie hat das gesagt:

Das Leben, die Welt wird als extrem krisenhaft empfunden, als nicht mehr berechenbar, unzuverlässig. Alte Gewissheiten gehen verloren und werden häufig nicht durch neue Gewissheiten ersetzt. Und ich glaube, dass daraus oft resultiert, dass man danach sucht, dass es jemanden gibt - Institutionen, Menschen, die einem eine klare Linie vorgeben. Und wenn man sich sozusagen daran hält, wenn man sich auf die verlässt, dann hat man wieder Stabilität in sich und Sicherheit im Leben.

Katharina Risse

ES: Spiegelt das das wider, wie junge Menschen so in die Zukunft blicken?

OM: Gab es schon einige, die uns sagten, dass es ihnen privat eigentlich ganz gut geht, aber sie Angst haben, dass die Gesellschaft den Bach hinunterginge. Also solche O-Töne hört man schon öfters. Und ich finde auch solche Töne hört man auch sehr oft von älteren Leuten. Und wo ich dann eher so die Frage habe, ob da vielleicht auch so transgenerational, was weitergegeben wird. Also einfach sozusagen eigentlich geht es mir ganz gut privat. Aber ich habe Angst vor dem sozialen Abstieg. Ich habe Angst, dass sich in meinem Umfeld Dinge verschlechtern könnten. Das ist eine gefühlte Wirklichkeit, die ein bisschen anders ausschaut als die realen Probleme, die mich wirklich umgeben. Da gibt es so eine Diskrepanz. Aber es gab auf jeden Fall auch Leute, auch in dieser Clique auf dem Simsonfest, die gesagt haben, dass sie ganz konkret Sorgen haben, was ihre berufliche Zukunft angeht, die so im Handwerk arbeiten, die gemerkt haben, dass die Auftragslage schlechter ausschaut. Dass es teilweise schon Kurzarbeit gab, die teilweise sehr spartige Berufe haben, die auch Berufe haben, die zum Beispiel eher sehr an die Automobilindustrie angrenzen. Und die da einfach Fragen haben, wie geht es da weiter? Und ist mein Job in zehn Jahren noch gefragt? Das merkt man das schon. Aber das ist auch irgendwo was Abstraktes. Also, wie sieht es in der Zukunft aus, so die Zukunftsangst, die war schon ziemlich greifbar bei den jungen Leuten, mit denen ich so gesprochen habe.

TS: Ja, ich kann mich da nur anschließen. Und ich muss sagen, mich hat das teilweise wirklich überrascht, dass wir da in einem Klassenzimmer sind mit Schülerinnen und Schülern, die noch im Teenageralter sind, die 17, 18, 19, 20 sind. Und wir fragen sie, wie denkt ihr denn über die Zukunft nach, und sie sagen: "ja, ich mache mir Sorgen um meine Rente." Das hätte ich so nicht erwartet. Und ich fand das wirklich interessant. Ich habe das Gefühl, wir haben wirklich auch eine verunsicherte Generation kennengelernt, die aber auch nur Teil dieser Gesellschaft ist. Und das ist ja einfach ein genereller Trend, den wir in den letzten Jahren sehen. Dass durch die Krisen, dieser Unsicherheit Diskurs stärker wird.

OM: Weil du gesagt hast, so dass dich das so ein bisschen überrascht hat. Mich hat es auch so ein bisschen überrascht. Als ich in die zweite Klasse kam, da war gerade die Wiedervereinigung. Also ich habe auch einen krassen Umbruch miterlebt. Aber irgendwie hatte ich immer ein Grundvertrauen in die Demokratie und in unsere Politik, dass die Probleme, die anstehen, im Zweifelsfalle schon gelöst werden von den demokratischen Parteien. Dass im Zweifelsfalle immer ein Korrektiv da sein wird, um dann rechtzeitig gegenzusteuern, wenn es irgendwie gesellschaftlich in die falsche Richtung gehen sollte. Und ich merke halt, dass es bei den jungen Leuten, da fehlt langsam so ein Grundvertrauen, glaube ich, in die Politik, dass sie diese Probleme noch lösen können. Das belegen auch Studien, aktuelle Jugendstudien, das sozusagen nur noch 40 Prozent von jungen Menschen glauben, dass die Politik die Probleme lösen kann, die vor uns liegen.

ES: Ja, über die einzelnen Faktoren sprechen wir gleich noch mal. Ich würde gern einmal zurückkommen auf euren Film. Ihr seid nämlich auf einem Simson-Treffen gewesen. Ich war noch nie auf so einer Veranstaltung. Ich war beeindruckt, das ist ja ein Riesenfestival-Gelände mit Musik und allem Möglichen. 3000 Leute sind da zirka da. Was erwartet einen da, das sah ein bisschen auch noch Festival aus?

OM: Für mich war das auch Neuland. Ich kannte das Festival vorher nicht, und wir konnten ja schon am Vorabend, bevor sozusagen alles aufgemacht hat, auf das Festivalgelände und diese Clique ein bisschen begleiten. Und die haben mir so erzählt: Früher war das Festival schon eher so, dass sie sich mit Schraubern sich getroffen haben, dass man damit seiner aufgebauten Simson hingefahren ist und da halt sich so ein bisschen, die Simson-Motorräder und Mopeds gezeigt hat und gezeigt hat, was man an den Motorrädern alles geschraubt hat. Da auch ins Gespräch gekommen ist, so unter Tüftlern quasi. Vielleicht auch sich Tipps gegeben hat. Und da waren auch teilweise richtig tolle Aufbauten mit dabei. Und das ist aber weniger geworden, weil die haben mir gesagt, es wird halt zunehmend in den letzten Jahren immer stärker gestohlen. Und es muss anscheinend wirklich so krass sein, dass sie auch gesagt haben. Also die richtig guten Motorräder, die bringen wir nicht mehr her. Das ist auch mittlerweile so ein bisschen verwässert. Also man bringt da nicht nur seine Simson-Mopeds und Motorräder mit, sondern halt auch ganz normale Cross-Motorräder von anderen Marken. Also, du siehst da auch KTM. Und du siehst da auch andere Motorradmarken. Es ist jetzt kein reines Simson-Treffen in dem Sinne mehr so. Der eigentliche Charakter ist so ein bisschen verloren gegangen und es ist schon eher so dieses: Man fährt auf Mopeds rum, man trinkt schon viel Alkohol. Da werden so Schlammlöcher gebaut, wo man reinfährt und sich drinne mit dem Motorrad oder mit dem Moped und dann so rein schlittert. Also das ist schon so ein bisschen Eskalation angesagt bei dem Festival. Auf jeden Fall.

ES: Diese Gruppe, was war das für eine Gruppe? Wie hatte sich so zusammengesetzt? War das eine reine Jungsgruppe?

OM: Also, es gab auch drei, vier Frauen, die mit dabei waren, die ein bisschen scheu waren und schüchtern waren. Also ich hatte versucht, mit denen auch ein bisschen zu sprechen, aber sie wollten eher nicht so vor die Kamera. Und der Großteil, genau, das waren schon so 20 junge Männer. Also das waren wirklich vier verschiedene Freundeskreise. Das ist dann zum Beispiel so: letztes Jahr waren die auf dem Festoval und haben sich zum Beispiel angefreundet mit einer anderen Gruppe, die auch da waren. Dann hat man sich halt verabredet: Ey, nächstes Jahr, lass uns zusammen fahren, zusammen ein Camp machen, das zusammenwerfen sozusagen. Und so connected man sich quasi. Und dann macht man gemeinsame Ausfahrten, macht zusammen Grillen oder so. Also über dieses Hobby sind wirklich so diese vier Freundeskreises zusammengekommen interessanterweise.

ES: Und welche Rolle spielt Politik in diesem Freundeskreis?

OM: Was ich immer wieder gehört habe: Keine bis wenig. Also man redet halt nicht so über Politik. Ich hatte selber so eine Theorie, dass weil es vielleicht auch so Freundeskreise sind, die über das Hobby zusammengekommen sind. Naja, man weiß halt vielleicht nicht, also das könnte vielleicht ein bisschen heikel sein, wenn man dann doch irgendwie unterschiedliche politische Ansichten hat. Dass man vielleicht einfach dieses Thema gar nicht aufmachen will. Die reden schon über Politik oder dann eher über Themen, die sie interessieren. Also Themen, die auch im politischen Raum verhandelt werden. Aber dass sie jetzt so richtig über parteipolitische Sachen treten, das tun sie nicht. Also das haben eigentlich fast alle immer verneint.

TS: Wir sind auch zu diesem Simson-Festival gefahren, weil Simson, diese Zweiräder, einfach schon ein sehr politisch auch umkämpftes Symbol sind. Das fanden wir sehr spannend, weil es einfach in einer ostdeutschen Jugendkultur ein Ding ist. Wir schrauben an unserer Simson. Wir fahren damit durch die Gegend. Björn Höcke, aber auch Mario Voigt haben sich auf einer Simson abbilden lassen im Wahlkampf. Simson, dieses Zweirad, hat einfach eine lange Geschichte. Es wurde von den jüdischen Brüdern Simson in Suhl die Firma gegründet, Ende des neunzehnten Jahrhunderts im Süden von Thüringen. Und wurde aber vor allem darüber bekannt, dass die in der DDR Zeit um die 6 Millionen Zweiräder so Mopeds hergestellt haben. Jetzt gerade spannenderweise ist es wieder ein total, ich würde sagen politisch umkämpftes Feld, für wen steht die Simson? Was für ein Lebensgefühl bringt die mit? Aber auch inwiefern steht die für eine Ost-Identität, auch für eine rechte Ostidentität rund um das Simson-Festival hat zum Beispiel die junge Alternative, also die Jugendorganisation der AfD "Simson statt Lastenrad" plakatiert als Teil von ihrer Kampagne. Also da wird auch ein Kulturkampf draus stilisiert. Wir auf dem Land im Osten. Wir schrauben an unserer Simson, während in den Städten die Linken, die Grünen, mit Fahrrädern durch die Gegend fahren. Also wir fanden es einfach auch ein sehr spannendes Feld in diese Subkultur reinzuschauen, weil es auch so Kulturkampf mäßig hochstilisiert wird und versucht wird, auch von Rechtsaußen zu instrumentalisieren. Deshalb waren wir auch dort.

ES: Zwei Tage nach dem ihr auf dem Treffen gewesen seid, hat ein anderer Kollege vom MDR bei dem Simson-Treffen dokumentiert, dass es dort einige rechtsextreme Äußerungen gegeben habe, bis hin zu Hitlergrüßen und ausländerfeindlichen Gesängen. War das ein Thema für eure Gruppe so im Nachhinein?

OM: Also nach dem Festival, habe ich noch einmal mit Roy aus der Gruppe telefoniert. Und er erzählte, dass er und die anderen von den Vorfällen nichts mitbekommen hätten, weil ihr Camp am Rande des Geländes lag. Er sagte, dass es meistens am Samstag immer so aus dem Ruder läuft, und im Nachhinein hat es ihn und die Gruppe auch sehr geärgert. Aber er meinte auch, dass es ihn gestört hätte, wie der MDR über das Festival dann berichtet hätte, dass es als rechtsextremes Treffen dargestellt worden wäre. Und ihm war wichtig, nochmal zu sagen, dass er findet, dass die meisten Teilnehmer wie er und seine Freunde nichts mit Rechtsextremismus zu tun hätten. Dabei muss man aber sagen im Bericht von Lukas Schliepkorte, meinem Kollegen vom MDR, über das Festival und diese rechtsextremen Symbole, die da gezeigt wurden, und die Gesten, die gezeigt wurden, dass er das Festival nicht generell, als rechtsextrem eingeordnet hat, sondern schon über die einzelnen Vorfälle berichtet hat, die er auch dokumentiert hat. Und dass natürlich auch darauf sein Fokus in der Berichterstattung liegt. Lukas meinte dann auch, dass ihm auch bewusst sei, dass nur ein kleiner Teil der Besucher daran beteiligt war. Er hätte aber auch nicht gesehen, dass andere Gäste oder die Security eingegriffen hätten. Und so bleibt dann am Ende doch dann der Eindruck, dass diese Vorfälle einfach geduldet werden.

ES: Ich habe auf YouTube gesehen, in den Kommentaren, und das fand ich eigentlich einen sehr spannenden Punkt, dass viele gesagt haben, dass das ja eigentlich schon erstaunlich ist, dass gerade junge Menschen, die sich über eine wirtschaftliche Situation beschweren, sagen ihnen geht es nicht gut, gleichzeitig sich eine Simson leisten können, sich leisten können, an ihren Geräten zu schrauben, sich da in diesem Festivalkontext zu treffen, da ja im Zweifelsfall auch Unmengen Geld für Alkohol oder andere Getränke oder so einen Pool auszugeben. Wenn ich an Festivals denke, die ich so mit Anfang 20 besucht habe, sah das auf jeden Fall schon karger aus. Wie habt ihr das wahrgenommen?

OM: Wo fange ich an? Also die Simson, die sie haben oder aufbauen. Viele haben das zum Beispiel vom Großvater oder von Bekannten bekommen und haben die dann halt aufgebaut. Klar, wenn du jetzt irgendwie auf Ebay-Kleinanzeigen schaust, Simson S 51, da kannst du mal schnell 7000, 5000 Euro loswerden. Aber die haben die ja oft in einem schlechten Zustand bekommen. Dadurch ist ja dieses Know-how entstanden, dieses Schrauben entstanden. Wie kann ich die wieder aufbauen? Was kann ich da machen? Viele haben mir halt gesagt, dass da wirklich das ganze Geld reinfließt in dieses Hobby. Die gehen halt nicht feiern am Wochenende in der Diskothek haben sie gesagt, sondern sie geben halt dieses Geld voll in dieses Hobby. Da stecken die ihre Zeit und ihr Geld rein. Also, das kann man, glaube ich, nicht so eins zu eins sagen. Und auch dieses Festival, das haben die sich auch alle sozusagen zusammengeklaubt, also den Pool haben die sich zu 20 geteilt. Also da muss nicht immer gleich irgendwie großes Geld dahinterstehen, sondern eher oft viel Organisationen. Man hilft sich auf dem Land und Selbstaufbau. Also, das habe ich auch gesehen, diese Kommentare. Aber mein Eindruck ist halt, da steckt einfach viel, viel Zeit drin über einen längeren Zeitraum. Und am Ende steht dann halt eine Simson.

ES: Was ja jetzt bei den vergangenen Landtagswahlen auch immer Thema gewesen ist, war Russland und die Ukraine. Ist ja eigentlich schon auch interessant, dass so ein Krieg, wo die Bundesregierung im Zweifelsfall mehr Einfluss hat als eine Landesregierung, trotzdem so ein großes Thema ist. Auch im Wahlkampf. War das denn eigentlich bei den jungen Menschen, die ihr getroffen habt auch so ein Thema? Und spielen da vielleicht auch noch einmal diese Ängste und Unsicherheiten mit rein?

TS: Dieses Thema war auf jeden Fall da. Und das ist in Gesprächen auch aufgekommen, in verschiedenen Hinsicht. Also teilweise haben Protagonisten uns gesagt: "ja, das finde ich bei der AfD sehr ansprechend, dass sie sich quasi gegen die Waffenlieferungen und für irgendeine Art von Frieden mit Russland einsetzen." Das hat mir Jamie so erzählt. Andere haben auch gesagt: "ja, das ist eigentlich eine der Sachen, die uns an den Grünen am meisten enttäuscht haben. Die sind doch mit einem 'keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete' angetreten, bei den letzten Bundestagswahlen. Und jetzt scheinen sie ganz vorne dabei zu sein, diese Waffen genau ins Kriegsgebiet zu liefern." Also das war schon in verschiedenerlei Hinsicht dieser Krieg ein Thema. Ich habe aber auch durchaus das Gefühl gehabt oder habe das Gefühl, dass da auch noch mal auf einer darunter liegenden Ebene viele diese Stimmung da ist: "Geld, wird überall sonst ausgegeben aber nicht hier bei uns!" Und da ist der Krieg dann nur eine Sache. Aber diese Themen, die verfangen total. Auch zum Beispiel von der AfD sehr gepusht dieses Thema "Radwege in Peru" werden vom deutschen Staat mitfinanziert, während hier Rentner im Müll nach Pfandflaschen suchen. Also diese Narrative verfangen total und Geld für den Krieg ist da Sondervermögen und so weiter. Aber nicht für uns. Und das sehe ich als darunterliegendes Gefühl, das natürlich auch nicht loszulösen, ist von Politik der schwarzen Null, von der Schuldenbremse, von der Politik, in der zum Beispiel Kommunen sehr wenig finanziellen Spielraum haben, von auch einer Erfahrung gerade von dieser Generation, die gerade aus der Schule kommt, dort die Erfahrung gemacht hat von Lehrermangel, von Investitionsmangel, von einer Digitalisierung, die nur sehr langsam auf die Beine kommt. Und diese Erfahrung ist da, und die wird aufgegriffen, politisiert, polarisiert in Richtung: Wieso gibt der deutsche Staat überall Geld aus aber nicht hier bei uns? Und das Thema Ukraine-Krieg fällt für mich auch zumindest zum Teil mit in dieses Phänome.

OM: Also da kann ich mich Tobi anschließen. Das ist auch so die Erzählung, was ich so gehört habe, bei den jungen Leuten beim Simson-Treffen gewesen. Von der Clique. Also da auch genau diese Erzählung, einerseits, dass die Grünen im Bundestagswahlkampf damit geworben haben, keine Waffen in die Kriegsgebiete zu liefern. Und viele unabhängig davon haben mir das in Gesprächen erzählt, dass das sehr schlecht ankam. Es kam auch so immer mal zum Thema, das man das kritisch sieht, dass da Gelder hinfließen für Waffenlieferungen an die Ukraine und immer mit dem Satz dann, das sollte man lieber hier ausgeben, das Geld. Aber mein Gefühl war, was Emotionalität anging, waren das Thema Migration und das Thema Inflation viel stärker im Vordergrund bei den jungen Leuten. Das hat noch mal eine ganz andere Wucht entfaltet, wenn man darüber gesprochen hat mit ihnen.

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MDR Investigativ - Hinter der Recherche - Hass im Netz - Ein Mann mit erhobener Faus im fadenkreuz 40 min
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40 min

Immer mehr engagierte Menschen erleben im Netz Hetze und Bedrohungen. Was treibt die Täter an?

MDR FERNSEHEN Fr 23.08.2024 11:00Uhr 40:21 min

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ES: Jetzt ist es ja so ein Ding, was immer, immer wieder kommt: TikTok radikalisiert die jungen Menschen. Wir haben im August hier in diesem Podcast auch darüber gesprochen, dass auch auf Facebook Radikalisierung stattfinden kann, auch bei älteren Menschen dann. Welche Rolle spielt denn eigentlich Social Media bei der Gen Z beziehungsweise auch im Vergleich zu anderen Generationen?

OM: Es gibt da so eine Studie, Sinus-Studie, die sich immer mit jungen Menschen beschäftigt. Welche Themen sozusagen die jungen Leute beschäftigen, unter verschiedenen Aspekten. Da geht es auch um das Thema, zum Beispiel, wo sie ihre Informationen herziehen. Und die letzte Studie, die Sinus-Studie, kam zu dem Schluss, dass TikTok mittlerweile die wichtigste Social Media Plattform für Information ist, gefolgt von Instagram und YouTube.

Es gibt auf jeden Fall junge Menschen, das sind vor allen Dingen nach meinem Eindruck oft Städter, wo TikTok eine total große Relevanz hat und wenn nach Informationen gesucht wird, TikTok angeworfen wird. Dass das teilweise auch ein Problem sein kann, zeigt zum Beispiel eine Studie der Universität Potsdam. Die haben einfach mal so 30 Avatare generiert und haben die einfach mal rund um die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Erstwähleravatare, wo die einfach geguckt haben, was kriegen die in ihre Feeds gespült? Und die haben so Avatare entworfen, die unpolitisch sind. Die jetzt keine Parteien liken, die er so normale Themen wie Backen, kochen, Sport oder so interessieren. Und da kam dann halt raus, dass da der AfD-Content extrem dominant ist. Es kam aber auch heraus, dass die SPD witzigerweise von den Parteien die meisten Videos veröffentlicht hat, aber trotzdem die AfD extrem dominant war. Und das ist halt schon in der Kombination gefährlich, sag ich jetzt mal. Weil du natürlich einen extremen bias auf einmal hast, in den Informationen die du zu Gesicht bekommst. Na also, du bist hauptsächlich auf einer Plattform unterwegs, die einfach nicht gleichmäßig Informationen verteilt, sondern die durch den Algorithmus sehr spezifische Informationen hauptsächlich dir zuspielt. Und das ist natürlich ein Problem.

ES: Okay also die Leute, die sehen die AfD offensichtlich mehr als andere Parteien. Sie werden mehr angezeigt. Aber kann man eigentlich sagen, das übersetzt sich dann auch eins zu eins im Wahlverhalten?

TS: Ja, das ist eine Frage, die wir häufig diskutiert haben und die durchaus auch umstritten ist. Wir haben mit verschiedenen Experten, Expertinnen auch gesprochen. Mit Politikberatern, mit Social-Media-Experten. Ja, das ist wirklich umstritten. Also es gibt Studien, die das belegen würden. Zum Beispiel von der Münchner Universität. Die haben die Bundestagswahl 2021 analysiert und haben da schon festgestellt, dass sich zusätzliche Impressionen auf Social Media, also wie viel man bestimmte Videos, wieviel die geklickt werden, sich durchaus in Wahlergebnisse übersetzt, in zusätzliche Prozentpunkte. Andererseits ist das auch alles immer nicht ganz so eindeutig. Und diese Debatte, denke ich, die jetzt viel geführt wurde, auch in den letzten Monaten, wo viel versucht wurde, den Erfolg der AfD zum Beispiel auch mit ihrer erhöhten Präsenz auf Social Media und vor allem bei TikTok zu erklären, greift auch manchmal ein bisschen zu kurz. Das hat uns die Johanna Niendorf zum Beispiel erklärt von der Universität Leipzig, die gesagt hat, im Grunde verstärkt Social-Media bestimmte Stimmungen in der Gesellschaft oder bei Leuten. Aber schafft sie nicht von Null. Sondern das sind auch häufig Stimmungen, die schon da sind oder Meinungen, die da sind, die in Familien weitergegeben werden, die in sozialen Umfeldern weitergegeben werden. Da, denke ich, muss man schon ein bisschen differenzierter drauf schauen, dass Social Media ein Faktor von mehreren ist und es zu einfach ist, es, darauf zu reduzieren, dass rechte Parteien so viel Erfolg haben.

OM: Was ich interessant fand, war, dass zum Beispiel die jungen Männer der Simson- Gruppe gesagt haben, keiner von denen nutzt TikTok. Sie gucken so ein bisschen eher verachtenswert auf TikTok. Ich glaube halt, dass die Sozialisation in deinem Umfeld, in deinem direkten Umfeld, Freunde, Familie, einfach mal am wirkmächtigsten sind. Und darauf kann dann Social Media aufsatteln und das noch verstärken.

TS: Ich hatte das Gefühl, dass es bei vielen Leuten, mit denen wir gesprochen haben, durchaus auch so eine Reflektion dazu gab, dass diese Unsicherheit, dieses Gefühl der krisenbehafteten Zeit und der Sorge vor der Zukunft sehr stark durch Social Media beeinflusst ist. Also das zum Beispiel gesagt wurde: durch den Social-Media-Konsum schaue ich pessimistischer auf die Welt, schaue ich pessimistischer auf die Zukunft. Wenn ich viel auf TikTok rumhänge oder auf Insta oder so, dann gibt mir das eher kein besonders gutes Gefühl, dass die Krisen der Zukunft irgendwie zu bewältigen sind oder dass meine Zukunft oder die meiner Generation gut ist. Und da denke ich, ist Social-Media durchaus auch ein Katalysator für eine sehr starke Verängstigung im Anbetracht der Krisen, die wir so sehen.

OM: Und ich glaube, es ist noch einmal viel wirkmächtiger, wenn du zum Beispiel eher vereinsamt bist. Das legen jetzt auch so Studien nahe, die sich mit dem Thema Einsamkeit beschäftigen, dass du, wenn du einsam bist, wenig soziale Kontakte hast, wenig Freunde hast, dass du viel stärker anfällig bist für Ängste, auch für Radikalisierung, für politische Radikalisierung. Und dass da natürlich dann auch Social Media auf viel fruchtbaren Boden fällt, wenn da Stimmung gemacht wird, Ängste geschürt werden, politische Ängste und dann halt so Feindbilder ausgemacht werden. Und das Thema Einsamkeit ist ja nicht uninteressant, wenn man sich so die letzten vier Jahre anguckt, gerade die Corona-Zeit zum Beispiel, haben viele junge Menschen besonders stark getroffen. Das haben auch einige, in der Gruppe auf dem Simson-Festival erzählt. Einer hat mir zum Beispiel gesagt, Elias, dass das sein schlechtestes Schuljahr überhaupt war und er total sich abgehängt gefühlt hat. Er auch wenig Unterstützung gespürt hat bei der Bewältigung seiner täglichen Hausaufgaben zum Beispiel. Und seine Eltern da auch überfordert anscheinend gewesen sind. So das hat auch was, glaube ich, gemacht mit diesen jungen Menschen. Da kam doch so einiges zusammen, was sehr spezifisch ist für diese junge Gruppe von Wählern im Vergleich zu älteren Altersgruppen.

ES: Einen ganz guten Querschnitt hat, fand ich, euer Besuch in der Berufsschule in Freiberg gegeben. Wir haben vor schonmal deren Lehrerin Frau Risse gehört. Ihr habt diese Schulstunde besucht, in der es darum ging, so verschiedene Haltungen in der Klasse auszuloten und auch die Stimmung abzutasten. Also es wurde mal eine Wahl gemacht mit den Parteien, die jetzt zur Landtagswahl angetreten sind. Es wurde auch ein Strahl aufgebaut, beziehungsweise zwei Pole. Und dann konnten sich die Schüler*innen darauf zu bestimmten Themen positionieren. Zum Beispiel war ein Punkt Freiheit oder Sicherheit. Und dann konnte man sich da zu einem Pol hinbewegen. Auch in dieser Klasse hat ein Drittel der Jugendlichen in dieser kleinen Abstimmung die AfD gewählt. Ist das repräsentativ, kann man das so sagen?

TS: So ungefähr. Die AfD lag bei den Landtagswahlen in Sachsen, bei den unter 25-Jährigen bei 31 Prozent. Dort in der Klasse waren es 33,3 Prozent. Nicht auf die genaue Prozentzahl, aber ungefähr ein Drittel in der Klasse und auch der jungen Leute sachsenweit haben die AfD gewählt. Und damit hatten wir das Gefühl, dass zumindest was das angeht, die Klasse recht repräsentativ war. Und ja, das war für uns auch wirklich ein Gewinn, dass wir dort drehen durften. Dass das mit dem Berufsschulzentrum in Freiberg sehr gut geklappt hat, diese Zusammenarbeit auch. Dass die uns haben drehen lassen, haben mit den Leuten reden lassen. Wir hatten sehr spannende Gespräche mit Schülern, Schülerinnen, aber auch mit Lehrern, Lehrerinnen, mit der Schulleitung. Das war wirklich eine Bereicherung für unseren Film und hat uns vor allem auch noch mal die Chance gegeben, verschiedene Stimmen zu hören aus der Generation.

OM: Apropos repräsentativ. Also, was bei unseren Vorgesprächen mit einigen Klassen aber auch klar wurde, ist, dass es sozusagen sich noch mal unterscheidet, welche berufliche Zweige du nachgehst, auch welchen Bildungsabschluss du hast. Ja, woher du sozusagen kommst. Also es gab da teilweise auch Klassen, da waren wir drin und da hat man schon gemerkt, dass es mehr als ein Drittel ist, was da eher zur AfD tendiert. Und es gab auch Lehrer, die gesagt haben, sie unterrichten Klassen, wo die Mehrheit AfD wählen würde. Und es gab sogar eine Lehrerin, die gesagt hat, es gibt wirklich rechtsextremistische Schüler in meiner Klasse, die rechtsextremistische Symbole tragen.

ES: Wie gehen denn die Lehrkräfte damit um? Also explizit Katharina Risse zum Beispiel, wenn sie feststellten, ein gutes Drittel wählt eine Partei, die gesichert rechtsextrem ist?

TS: Erst mal muss ich, glaube ich, sagen, dass mich die Lehrkräfte, die wir dort kennengelernt haben, sehr beeindruckt haben. Die waren sehr gut informiert mit sehr viel Herz bei ihrer Arbeit. Das hat uns sehr oder hat mich sehr bewegt, das so zu sehen. Und wir haben ja auch dann noch ein separates Interview geführt mit Katharina Risse, wo sie uns noch mal so ein bisschen den Einblick gibt in ihrer Arbeit, von dem auch ein, zwei Töne mit in den Film gekommen sind. Ich glaube, das ist wirklich herausfordern. Das ist das, was ich so mitgenommen habe, vor allem als Gemeinschaftskundelehrerin, als eine Lehrerin, die das als ihre Aufgabe sieht, Demokratiebildung voranzubringen, Schülerinnen und Schülern eine Wertschätzung zu vermitteln für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung und eine offene Gesellschaft. Da dann auch plötzlich in Umfeldern zu sein, in denen das nicht Konsens ist, in denen das nicht sowieso von den Elternhäusern her oder von der Grundhaltung der Schülerinnen und Schüler her Konsens ist, sondern wo man da durchaus dicke Bretter bohren muss. Und mir ist im Kopf geblieben, was Katharina Risse gesagt hat, schon klare Kante ziehen zu wollen und zu müssen, wenn es zu menschenfeindlichen Aussagen kommt, auch klar Position zu beziehen, prodemokratisch und gegen Rechtsextremismus, gegen rechtsextremistische Tendenzen in der Gesellschaft und gleichzeitig aber auch mit diese Schülerinnen und Schülern, diesen jungen Leute, mit denen sie da arbeitet, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, sie als Menschen zu sehen, mit denen sie arbeitet. Und da im Grunde auch sehr viel Offenheit zu haben, sehr viel Zuneigung zu haben, mit den Leuten zu arbeiten. Und das heißt auch Räume aufmachen, in denen man diskutieren kann. Räume aufmachen, in denen überhaupt ein Austausch stattfinden kann, in denen sich die Schüler und Schülerinnen trauen zu sagen: okay, ich sage jetzt immer meine Meinung, weil es gibt vielleicht ein Raum, und dann kann über diese Meinung diskutiert werden. Und das ist aber, glaube ich, häufig ein schmaler Grat, die roten Linien klar zu behalten, klar zu benennen und dann auch zu ziehen, aber gleichzeitig auch einen Raum aufzumachen, indem neue Sichtweisen an die Schülerinnen und Schüler gebracht werden können und auch ein kritischer Blick gelernt werden kann auf rechtsextreme Positionen, die vielleicht sonst normal erscheinen. Also ist wirklich herausfordernd, glaube ich, und es war cool für uns, da dabei zu sein. Und das ein bisschen im Ansatz war mitzuerleben, wie das funktionieren kann.

ES: Was würdet ihr denn sagen? Welchen Einfluss hat denn Schule heutzutage auf die politische Bildung und das Demokratieverständnis von jungen Leuten?

TS: Also, ich glaube es ist tatsächlich so, dass Schulen und auch Berufsschulen im Grunde der letzte Ort sind, wo eine Gesellschaft nochmal flächendeckend in Kontakt kommen kann, mit in der Bevölkerung, um politische Bildung zu leisten. Es gibt eigentlich keinen anderen Ort, wo das so möglich ist, dadurch, dass es eine Schulpflicht gibt. Und damit kommt der Schule schon eine sehr, sehr besondere Aufgabe zu. Was politische Bildung angeht, was Demokratiebildung angeht, wenn man den Anspruch hat, dass die Gesellschaft zusammengesetzt ist aus politischen Subjekten, Menschen, die kritisch denken, Menschen, die ein Verständnis dafür haben: Was macht unsere Gesellschaft aus? Was macht unsere Demokratie aus? Was bedeutet das, sich positiv auf Meinungsfreiheit, sich positiv auf Partizipation zu beziehen und das zu lernen und eine prodemokratische Haltung zu entwickeln, die notwendig ist, damit eine Demokratie wirklich gut funktionieren kann? Da ist Schule, denke ich, ganz zentral aber steht natürlich auch vor sehr großen Herausforderungen. Einerseits muss natürlich auch ein anderer Stoff vermittelt werden, ist klar, vor allem in Berufsschulen ist es herausfordert, weil die Schülerinnen und Schüler sind viel in den Betrieben, wo sie ihre Ausbildung machen, kommen dann immer nur ein paar Tage in die Schule. Dort müssen dann aber auch ganz viele andere Themen, ganz andere Fächer unterrichtet werden. Und politische Bildung wurde sehr lange, vor allem auch in Sachsen, sehr klein geschrieben. Bis 2019 war Sachsen mit ich glaube im Schnitt 1,7 Wochenstunden politische Bildung Schlusslicht in Deutschland, was die Wochenstunden anging, die freigemacht wurden für politische Bildung. Das ist herausfordernd. Und gleichzeitig, was auch herausfordernd ist, ist die Institution selber. Und das fand ich total spannend, auch in Vorgesprächen mit Lehrkräften und auch mit Schulleitungen, die gesagt haben: es ist wirklich herausfordernd, demokratische Bildung voranzubringen an einer Institution, die im Grunde hierarchisch und - ich zitiere hier - auch autoritär ist. Und das ist auch eine Herausforderung, wenn du zum Beispiel eine Gemeinschaftskundelehrerin bist und du sagst: Ey Leute, wir wollen hier auf Augenhöhe zusammenkommen. Wir wollen hier diskutieren, und ich gebe euch aber am Ende des Jahres eine Note. Das ist ein Widerspruch, den ich auch bei vielen Lehrerinnen und Lehrern gesehen habe, der nicht so richtig aufzulösen ist, solange man im diesem bestehenden Schulsystem so agiert. Wir wollen hier Demokratie lehren, und gleichzeitig ist die Schule aber kein demokratischer Ort.

ES: Es gibt dieses Zitat, das Churchill zugeschrieben wird: Wer als 20-Jähriger kein Sozialist oder Linker ist, hat kein Herz und wer es mit 40 noch immer ist, hat keinen Verstand. Ist das heute anders?

TS: Ich fand dieses Zitat schon immer kacke. Vor allem mit Anfang 20 fand ich das blöd.

OM: Also, das greift ja quasi an das an, was wir schon ein bisschen angerissen haben, was auch unsere Sozialpsychologin, unsere Expertin in dem Film, sagt, Johanna Niendorf, dass zu beobachten ist, dass sich das Wahlverhalten von jungen Menschen und den älteren Generationen in der letzten Zeit angeglichen hat.

Es ein Trugschluss ist, davon auszugehen, dass die junge Generation per se progressiver eingestellt ist als die ältere Generation. Es gibt in der jungen Generation genauso ein Potential für autoritäre Einstellungen

Johanna Niendorf

OM: Es ist ja schon so, dass früher junge Menschen tendenziell eher progressiver gewählt haben, auch weil sicherlich oft das Gefühl da war, dass die Politik die eigenen Interessen nicht unbedingt unterstützt oder zumindest die großen Volksparteien. Und man sozusagen offener war, zum Beispiel Parteien wie die Grünen zu wählen oder die Linke. Und dass sich das aber auch bedingt durch die Krisenerfahrungen der letzten Jahre, dass sich da so ein Effekt einstellt, dass sich das Wahlverhalten mehr angleicht zu den älteren Generationen. Ja, was passiert denn, wenn du 40 bist oder 50, dass du halt Sachen anhäufst, mehr Güter anhäufst und Angst hast, diese Güter zu verlieren. Und dadurch halt oft so eine Art Konservatismus entsteht. Und junge Leute, die halt noch in die Welt starten und die auch noch nicht so viel zu verlieren haben, sind halt offener und progressiver, die Welt auch zu verändern und auch Risiken einzugehen, auch Gefahren einzugehen. Eigentlich sagt dieses Zitat einfach nur, dass Menschen, die älter werden, ängstlicher werden, das zu verlieren, was sie besitzen.

TS: Ich glaube, du hast es jetzt ein bisschen zugespitzt formuliert Olli. Aber im Grunde greift das ja schon das auf, was immer wieder jetzt auch aufgetaucht ist. Und zwar dieses Gefühl, die Sozialpsychologen nennen das das Gefühl der der gefühlten Deprivation. Also die Angst vor dem Verlust. Das sind durchaus ein Gefühl, was auch in der jüngeren Generation uns sehr stark begegnet ist. Und nicht nur bei denen, die vielleicht jetzt schon ihr Eigenheim besitzen und mit 40 sich nicht mehr vorstellen können, Sozialistin zu sein, sondern auch bei der jüngeren Generation. Weil natürlich im Anblick von so einer globalen Unsicherheit, man sieht krasse Machtverschiebungen auf einer globalen Ebene, es gibt eine große Angst vor einem Wohlstandsverlust im Anbetracht verschiedener Sachen, sei es Klimakrise oder Klimapolitik, sei es Verlust von einem Industriestandort oder von Export-Weltmeister-Stellung von Deutschland. Also es gibt ja wirklich so eine große Unsicherheit.

OM: In einigen Gesprächen habe ich gehört, dass dass junge Leute gesagt haben, dass es ihnen wirtschaftlich nicht so schlecht geht, aber sie trotzdem diese Angst haben. Woher diese Angst kommt, ob die quasi übernommen ist von ihren Eltern oder medial vermittelte Angst ist, aber diese Angst ist auf jeden Fall größer, als in vergangenen Generationen von jungen Leuten. Das belegen auch die Studien. Also diese Angst hat zugenommen.

ES: Aber es gibt ja auch noch eine linke Jugend im Osten, oder?

TS: Gibt es, auf jeden Fall! Und auch zu diesem Zitat. Also, wenn eine der zentralen Thesen in unserem Film war: Es gibt dieses krasse Krisenbewusstsein und diese Verunsicherung, die damit einhergeht. Und das führt dann über verschiedene Mechanismen zu einem gewissen Rechtsruck auch in dieser Generation Z. Wir haben das auch schon viel diskutiert: Warum führt es denn nicht zu einem Linksruck? Offensichtlich läuft was falsch. Offensichtlich soll irgendetwas ganz anders laufen. Es braucht eine richtige Veränderung. Wieso wird die auf der rechten bis rechtsextremen Seite gesucht? Wieso läuft das über so Exklusions-Logiken, von wir gegen die und einfache Feindbilder? Wieso läuft das über autoritäre Versprechungen offensichtlich besser als mit linken Ansätzen? Das haben wir uns schon viel gefragt und da auch versucht, mit verschiedenen Leuten darüber zu sprechen. Ich glaube, ein Ding ist, das es momentan bei diesen Wahlen jetzt auch keine so besonders starke, ansprechende Linke oder sozialistische - um jetzt mal auf dieses Zitat von Churchill zurückzukommen - anmutende Alternative gab. Also die Linke sehr schwach, der wird sehr wenig Gestaltungsmacht zugesprochen, also vielleicht keine schlechten Ideen, aber umsetzen können die es eh nicht. Das ist der der AfD schon anders. Die sagen: Wenn ihr uns wählt, wir kommen auf die 30 Prozent, vielleicht sogar mehr, wir werden schon was verändern. Und auch das BSW habe ich durchaus auch mit einigen Leuten gesprochen, die gesagt haben: ja, das ist für mich schon interessant und so weiter. Und die sind ja auch auf durchaus signifikante Prozentpunkte gekommen, auch bei der Generation Z bei den Wahlen. Aber dass da diese Alternativen gerade fehlen, zumindest was die Wahlen angeht.

OM: Jahr ich glaube, die Linke hat sich selber zerlegt in den letzten Jahren. Das BSW ist relativ frisch, und die anderen Parteien waren irgendwie in Regierungsverantwortung in den Jahren gewesen. Und was ich dann immer wieder gehört habe, war: jetzt ist die AfD mal dran. Die AfD kennen viele von den jungen Leuten einfach schon länger, sie ist Teil der politischen Sozialisation gewesen. Ja, deswegen profitiert jetzt die AfD gerade von diesen gesamtgesellschaftlichen Umständen und von den politischen Parteien, so wie die gerade sich in den letzten Jahren einfach aufgestellten entwickelt haben.

ES: Ja, muss man ja auch sehen, dass die Leute, die jetzt zum ersten Mal wählen dürfen, als die AfD zum ersten Mal auf die Bühne getreten ist, da waren die halt noch Kinder. Und deswegen vielleicht auch gar nicht so eine sehr abwegige Wahl. Also, da gibt es vielleicht dann einfach weniger Berührungsängste als bei manchen älteren Menschen. Was sind denn die Themen der linken Jugend?

TS: Das zentrale Thema ist eigentlich die Sorge vor der AfD, die Sorge vorm Faschismus, ob er und wie er in irgendeiner Form wieder auftauchen, wieder stärker werden kann. Das habe ich wirklich so wahrgenommen, dass das eine der größten Sorgen ist. Und auch linke Jugendbewegungen gerade auch prägt. Und gerade auch im Osten prägt. Wir waren ja in der Nähe von Zwickau zu Besuch bei so einer sogenannten Küche für alle, Küfa, wo die jungen Leute da für sich gekocht haben, in großen Töpfen und gemeinsam gegessen haben. Es ist so ein Community… es ist ein sicherer Hafen. Und dort war das sehr deutlich. Das war ein paar Tage vor der Wahl. Und da haben eigentlich alle gesagt: ja, ich mache mir Sorgen, wie stark die AfD jetzt wird, was das auch mit der Jugendkultur macht, die sich gerade im Mainstream weiter als sehr rechtsextrem festigt. Viele von denen waren auch irgendwie aktiv, haben sich irgendwie engagiert, zivilgesellschaftlich. Und da fand ich das total spannend zu sehen, in Zwickau, aber auch in vielen anderen kleineren ostdeutschen Städten waren diese Bewegungen, die wir Anfang des Jahres nach der Veröffentlichung von Correctiv über die Konferenz in Potsdam und die Pläne, die dort publik geworden sind, die Bewegung, die dann losgegangen ist, die wurde ganz massiv getragen, auch in diesen kleineren Orten von Fridays for Future -Aktivisten oder ehemaligen Fridays for Future -Aktivisten. Also noch bevor das andere größere zivilgesellschaftliche Organisationen oder Parteien übernommen haben, waren das die jungen Leute, die Erfahrung hatten, mit Demos organisieren von Fridays für Future, die noch ihre Lastenräder mit einem kleinen Lautsprecher drauf hatten und wussten, wie man das macht, die diese Demos angefangen haben, was ja tatsächlich mit die größten Proteste in Deutschland überhaupt waren, seit es die Bundesrepublik gibt, was auch nicht zu vernachlässigen ist, dass es diese Proteste gab und dass die auch von diesen linken Jugendlichen in diesen kleinen und Mittelstädten in Sachsen, in Thüringen ganz massiv mitgetragen wurden. Und es gibt diese linken Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die auf dem Land wohnen, die auch da teilweise wohnen bleiben, trotz heftiger werdendem Gegenwind. Wie sich das in den nächsten Jahren entwickeln wird mit einer zunehmenden Gewalt, mit einem Risiko der Gewalt, dem die ausgesetzt sind, Stichwort Baseballschlägerjahre 2.0, ich denke, sie sind noch nicht ganz da, aber die Zeichen mehren sich, dass einfach das Gewaltlevel gerade auch wieder massiv steigt. Das ist noch nicht so richtig abzusehen.

ES: Glaubt ihr denn, dass dieses Gefühl der andauernden Krise ein eher ostdeutsches Phänomen ist? Also ich meine, die Wende ist jetzt schon eine ganze Weile her. In der Realität sind die Lebensverhältnisse natürlich noch ganz schön unterschiedlich, auch wenn sie sich annähern. Aber ist das ein ostdeutsches Phänomen?

OM: Nein, ist es nicht. Also es ist auf jeden Fall nicht nur ein gesamtdeutsches Phänomen, es ist ein weltumspannendes Phänomen. Guck dir die skandinavischen Länder an und die Rechtspopulisten, wie sie dort Erfolge feiern oder in anderen europäischen Ländern. Also ich glaube, das Phänomen ist, dass es halt die sogenannten Bewahrer gibt, die Angst vor Veränderungen haben. Und es gibt diejenigen, die eher so die Entdecker sind, die offen sind für Neues, für progressives. Und es ist die Frage, ob einfach in den vergangenen Jahren diejenigen, die eher zu dieser Gruppe der Bewahrer gehörten, zu wenig sich mitgenommen gefühlt haben. Irgendwie muss man mit ihnen sprechen natürlich, um Politik zu machen. Und vielleicht dreht sich da manchmal das Rad schneller, als für einige Leute der Bevölkerung, die eher zu diesen Bewahrern gehören, die eher erstmal Stopp sagen wollen und wir müssen jetzt erstmal durchatmen, genug Veränderungen in den letzten Jahren gehabt. Und diese Tendenz sieht man, glaube ich, in sehr vielen Teilen von Europa, und in Ostdeutschland verstärkt sich das aber glaube ich noch mal. Das ist meine Erfahrung aus meinem familiären, persönlichen Kontext. Die Wiedervereinigung war ein enormer Kraftakt für viele. Viele haben sich neu eingestellt, haben sich zurechtfinden müssen in diesem gemeinsamen Deutschland, wo ihre Vergangenheit auch oft abgewertet worden ist, was auch jahrelang keine Ruhe fand, keine Befriedung fand, dieses Gefühl, abgewertet worden zu sein und jetzt auf einmal wieder viele Änderungen auf einen kommen. Heizungsgesetz zum Beispiel. Meine Mutter zum Beispiel. Wir hatten Kohleofen, und wir mussten uns eine neue Heizung besorgen. Dann haben wir Ölheizungen uns angeschafft. Nach zwei Jahren wurde auf einmal klar: oh, das war eine ganz schlechte Entscheidung, weil die Heizkosten extrem hoch waren. Dann hat meine Mutter noch einmal komplett neu auf Gas umsatteln müssen. Und jetzt kommt die Message: Gas ist auch nicht mehr in Ordnung, du brauchst das und das. Und das ist ja für eine Einzelperson, die in eine Zweifamilienhaus wohnt, was der Urgroßvater gebaut hat, das sind enorme Kostenanstrengungen, die man nicht einfach mal so leisten kann. Und da fehlte vielleicht dann auch einfach mal in der letzten Zeit die Sensibilität von Seiten der Politik. Da wirklich ich auch diejenigen in der Bevölkerung anzusprechen und mitzunehmen, auch in der Kommunikation, aber auch in der Art und Weise, wie ich Gesetze vielleicht justiere. Und das ist vielleicht noch einmal so ein spezielles ostdeutsches Phänomen. Das sind einfach nur mal diese Wendeerfahrung, diese Transitionserfahrung, die extrem war für viele, glaube ich, nochmal obendrauf kommt und für so einen Frustrationsmoment sorgt.

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Ein Montagsdemonstrant von hinten mit einer Deutschland-Fahne mit Schriftzug "Wir sind das Volk" 63 min
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63 min

Warum denken viele Menschen im Osten anders über Demokratie und Mitbestimmung? Brauchen wir eine neue Diskussionskultur? Drei Reporter berichten, wie sie die Stimmung vor und nach den Landtagswahlen erleben.

MDR FERNSEHEN Fr 20.09.2024 08:18Uhr 62:32 min

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ES: Vor zwei Wochen hat Secilia Kloppmann hier an dieser Stelle über die Stimmung nach der Wahl gesprochen. Die Sendung verlinke ich natürlich auch noch mal in diesem Podcast. Und da ging es unter anderem auch um die Ablehnung, auf die Reporter*innen während ihrer Dreharbeiten getroffen sind, gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, explizit auch gegen den MDR. Habt ihr das auch erlebt?

TS: Ich muss sagen, ich fand es schon wirklich schwierig und auch herausfordernd. Es hat sehr viel Zeit gebraucht, ins Gespräch zu kommen und Vertrauen aufzubauen mit den Protagonisten, Protagonistinnen. Viele sind auch wieder abgesprungen zwischendurch. Haben vielleicht einen Dreh mitgemacht und wollten dann nicht mehr oder haben sich nicht mehr gemeldet. Also das war sehr herausfordernd, die Leute näher zu begleiten. Also bei der Straßenumfrage fand ich, war eher relativ leicht. Wenn wir dann aber so ein bisschen näher herankommen wollten, da hatten wir schon wirklich so ein paar Glücksfälle. Also, dass in der Schulklasse auch aus verschiedenen politischen Lagern, würde ich sagen, so eloquente, engagierte Schüler dabei waren, die offen sprechen wollten, dass wir auf dieses Simson-Treffen fahren konnten mit dieser Gruppe, das waren wirklich so ein paar Glücksfälle.

OM: Die Befürchtung oder Ängste waren eher, weil auch klar war, dass das auf YouTube erscheinen wird, welche Sichtbarkeit man dann damit erzielt. Dass bestimmte Aussagen dann von anderem wiederum, von Dritten quasi genommen werden und aus dem Kontext gezogen werden. Also eine sehr bewusste Wahrnehmung, was Social Media zum Beispiel machen kann mit Aussagen, die man teilt.

ES: Im Zweifelsfall zum Meme zu werden.

OM: Zum Meme zu werden, dass man rechts ist, dass man die AfD wählt. Wir hatten zum Beispiel Kontakt zu einem Jugendclub, und die waren erst total offen, dass wir dort drehen dürfen und ins Gespräch kommen, welche Themen sie interessieren rund um die Landtagswahlen. Als ich dann aber gesagt habe, wir wollen halt auch schon darüber sprechen, warum so viele junge Menschen jetzt zunehmend AfD wählen, und was dahinter steckt, dann war dann so die Antwort: ja, das ist bei uns ein Thema. Und ja, hier wählen auch viele AfD. Aber das ist uns jetzt doch ein bisschen zu heikel, genau darüber zu sprechen. Und dann wurde einen Rückzieher gemacht, was wir sehr schade fanden. Weil unser Ansinnen in dem Film war ja einfach erst einmal junge Leute zu treffen und ihnen zuzuhören, was sie bewegt, warum sie die AfD zum Beispiel wählen.

TS: Ich habe eine coole Erfahrung gemacht. In dem Berufsschulzentrum in Zwickau, wo ich Jamie kennengelernt habe, mit dem wir dann zur Europawahl gegangen sind mit der Kamera, da hatte ich so einen Deal mit der Lehrerin, dass ich die Schüler und Schülerinnen kennenlernen kann und auch mit denen ins Gespräch kommen kann, gucken kann, ob vielleicht irgendwer von denen in unserem Film auftauchen will. Und im Gegenzug wollte sie aber, dass ich als Journalist Rede und Antwort stehe. Ich muss ehrlich sagen: ich hatte das vorher noch nicht gemacht, in so eine Schulklasse zu gehen und so und mich da den Fragen zu stellen. Ich war ein bisschen aufgeregt, und das war aber im Endeffekt eine total coole Erfahrung. In der einen Klasse war das eigentlich fast die ganze Stunde eine Fragestunde an mich und in der anderen Klasse, war das dann so halb-halb. Und da kamen schon auch viele sehr kritische Fragen bezüglich öffentlich-rechtlicher Rundfunk, bezüglich MDR: ja, wie ist das mit Zensur? Könnt Ihr frei entscheiden, worüber ihr berichtet und was ihr sagt? Berichtet ihr auch irgendwie ausgewogen über links und rechts und so weiter. Da kamen schon viele Fragen in diese Richtung, die durchaus deutlich gemacht haben, dass es da jetzt nicht vorbehaltslose Zustimmung gibt zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen, eher im Gegenteil. Dass es da schon sehr, sehr große Skepsis gab. Das war cool dann so einfach im direkten Gespräch quasi so ein bisschen zu erklären, wie ich arbeite oder was meine Prinzipien sind, meine Erfahrungen. Und da hat sich dann auch durchaus, würde ich sagen, zumindest mit Einigen so ein Vertrauensverhältnis daraus entwickelt, dass sie das Gefühl hatten: Okay also, dieser riesige Komplex öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist vielleicht die eine Sache. Aber Tobi, der steht hier vor uns und erzählt uns jetzt, wie er arbeitet, damit kann ich irgendwie was anfangen. Oder dem kann ich vielleicht dann auch vertrauen, dass meine Stimme hier gut aufgehoben ist. Und das war eine sehr coole Erfahrung, die sich dann auch noch mal wiederholt hat. In Freiberg, da waren Oliver und ich dann zusammen in den Klassen unterwegs, haben da unser Projekt vorgestellt, haben das erzählt und sobald dann so eine persönliche Ebene da war, sobald man erst mal so ein bisschen etwas von sich gezeigt hat, bisschen erzählt hat, offen war für Fragen, da sind dann auch gleich viele Türen aufgegangen. Das war eine ganz coole Erfahrung, die wir dann gemacht haben, nach vielen Rückschlägen.

ES: Wenn dieser Podcast erscheint, dann sind die Wahlen in Thüringen und einen guten Monat her. Wie blicken eure Protagonist*innen denn jetzt im Rückblick auf die Wahlen?

OM: Tja, dann guckt euch einfach das Ende unseres Films an, würde ich sagen, weil da kommen sie nämlich zu Wort, genau dazu.

ES: Tobias Sylvan und Oliver Matthes, danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt!

TS: Danke dir, Esther!

OM: Danke dir!

ES: Das war der Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Den Film von Tobias Sylvan und Oliver Matthes, in dem sie junge Menschen in Ostdeutschland während der Landtagswahlen begleitet haben, den ARD Mediathek unter dem Titel "Migration, TikTok, Geld, Sicherheit - Warum wählt die Generation Z die AfD?"

exactly: Rückt Gen Z nach rechts? 30 min
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In zwei Wochen hören wir uns, wenn Sie mögen, wieder. Dann geht es darum, welche Hilfe junge, drogenabhängige Menschen vom Sozialstaat erwarten können. Und wenn sie es bis dahin gar nicht abwarten können, dann habe ich hier natürlich auch noch einen Podcast-Tipp für Sie.

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Dieses Thema im Programm: MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche | 04. Oktober 2024 | 09:00 Uhr

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