Collage von zwei Männern, die vor einem Haufen Bargeld stehen
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MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (FOLGE 92) Erbe: Last oder Luxus?

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Jedes Jahr werden in Deutschland bis zu 400 Milliarden Euro verschenkt oder vererbt. Das meiste davon in Westdeutschland. Durchschnittliches Erbe laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung: ostdeutsche Bundesländer: etwa 52.000 Euro, westdeutsche Bundesländer: etwa 92.000 Euro.
Die meisten Menschen erben überhaupt nichts.
Ist Erben unfair? Welche Auswirkungen hat das Erben in einer Gesellschaft, in der eine zunehmend kleinere Anzahl von Menschen immer größere Vermögen weitergibt?

Esther Stephan (ES): Erben ist ein Privileg und für manche eine Last. Jedes Jahr werden in Deutschland bis zu 400 Milliarden Euro verschenkt und vererbt. Und die kommen oft mit einiger Verantwortung daher und dem Wunsch, mit der geerbten Immobilie, dem Familienunternehmen, Schmuck oder Geld vermeintlich richtig umzugehen. Doch die meisten Erben nichts. Vor allem im Osten erben Menschen seltener und weniger. Wie gehen Erben mit ihrer Verantwortung um? Und welche Auswirkungen hat das Erben in einer Gesellschaft, in der immer weniger Menschen immer mehr Vermögen vererben? Braucht es ein neues Erbrecht? Darum geht es heute bei "MDR Investigativ - Hinter der Recherche", dem Podcast, in dem wir mit Journalist*innen über ihre Recherchen sprechen und über ihre persönliche Sicht auf die Erlebnisse während der Dreharbeiten. Ich bin Esther Stephan und ich spreche heute mit Pauline Vestring. Hallo Pauline!

Pauline Vesting (PV): Hallo Esther!

ES: Lass uns doch mal das Pferd von hinten aufzäumen: Wenn ich mich so umschaue, in meinem Alter, da haben wirklich die wenigsten Menschen eine Immobilie. Das hat in meiner Elterngeneration also, als die so um die 30 gewesen sind, anders ausgesehen. Du stellst in deinem Film "Erbe: Wie fair ist das" selbst die Frage: kann man sich eigentlich ohne Erbe heute noch etwas aufbauen? Ist das so? Geht das gar nicht anders?

PV: Genau, also das war auch so eine meiner Ausgangsfragen. Und ich habe also "was aufbauen", jetzt mal unter zum Beispiel "ein Haus bauen" verstanden. Fakt ist, dass es einfach sehr schwer ist, ohne Erbe beziehungsweise Vermögen heute noch zu bauen. Klar, sind wir ehrlich, wenn ich jetzt total viel verdiene, kann ich schon was bauen, werde Kredite bekommen oder aufnehmen können. Wenn ich jetzt auch total abseits der Großstädte gucke, habe ich natürlich auch noch mal ganz andere Preise. Aber Fakt ist eben auch: Über die Hälfte aller privaten Vermögen in Deutschland werden nicht oder wurden nicht erarbeitet, sondern vererbt. Und an der Stelle muss man einfach sagen, ist es total schwer, wenn man dann eben nicht zu denjenigen gehört, die geerbt haben, weil eben Häuser und Immobilien oft unter denselben Menschen, dann bleiben.

ES: Wenn du sagst über die Hälfte wird vererbt und verschenkt, wie viele Menschen betrifft das denn eigentlich?

PV: Du meinst jetzt diese 400 Milliarden sozusagen?

ES: Genau.

PV: Ja also eine genaue Zahl, wie viele Menschen das jetzt sind kann ich nicht sagen. Aber was man weiß, ist das alleine fast die Hälfte eben dieser Erbschaften Immobilien sind. Und wenn wir uns dann die Zahl mal ein bisschen genauer angucken, ich habe dann auch geguckt, was so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, die dazu ja sehr viele Daten haben, dazu sagen. Die besagen, dass die reichsten ein Prozent der Deutschen knapp 35 Prozent aller Vermögen haben. Also gut ein Drittel unseres Vermögens haben ein Prozent. Das ist schon eine Zahl. Und wenn man dann dagegen sieht, dass 40 Prozent der Deutschen praktisch gar kein Vermögen haben, ja, dann wird irgendwie auch deutlich, wie die Schere da einfach weit auseinander geht. Und es gibt vielleicht dazu, was ich noch ganz interessant fand, auch noch eine weitere Studie eben von diesem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Und da reden wir auch wieder von Millionärinnen und Millionären, wenn wir davon vermögenden Menschen sprechen. Die haben rausgefunden, dass die meisten Menschen, die in Deutschland erben, männlich sind, alt, westdeutsch, ohne Migrationshintergrund und selbständig. Ja, da sieht man ja auch wieder, dass es immer in ähnlichen Kreisen verbleibt.

ES: Genau. Das heißt, wenn so wenig Menschen, diese ein Prozent, so viel haben, dann vererben die das in der Regel auch? Also das geht jetzt nicht gemeinnützige Vereine oder so?

PV: Ja, genau. Es gibt ja so was wie Stiftungen oder so, der eine oder andere Mäzen, der dann so eine Stiftung oder so gründet, aber das meiste wird immer weitergegeben.

ES: Wie funktioniert das denn eigentlich? Ich kenne das selber so aus dem privaten Umfeld, dass es immer einen bestimmten Satz gibt, den man innerhalb einer Familie, innerhalb bestimmter Verhältnisse, unversteuert vererben kann, oder?

PV: Ja, genau. Weil ich glaube, die Angst, die erstmal bei vielen immer vorherrscht, beim Thema Erbe ist ja: Ach Gott, jetzt erbe ich mal was, und dann wird mir da noch was weggenommen. Dann muss ich das noch versteuern. Aber dieser eigentliche Erbschaftsteuersatz ist dann schon relativ hoch. Also du kannst ja als Kind 400.000 Euro alleine von einem Elternteil steuerfrei erben. Nehmen wir mal ein Beispiel: Sagen wir mal, ich habe die Tochter, die heißt Lisa, die erbt von ihrer Mutter Heidi ein Haus. Und das Haus, da kriegt sie eben 400.000 Euro in dem Fall steuerfrei. Wenn Lisa jetzt noch einen Bruder hätte, nennen wir ihn Tom, dann würde Tom auch noch einmal 400.000 Euro davon steuerfrei bekommen. Das heißt insgesamt 800.000 Euro. Und erst darüber würde überhaupt diese Erbschaftsteuer greifen. Also ein gewisser Prozentsatz.

ES: Wenn wir aber über Erben reden, dann reden wir auch immer ganz schnell über Unternehmen. Gerade da ist dann auch die Sorge groß, die kann man ja eigentlich gar nicht besteuern, so easy. Wenn wir jetzt über diese 400.000 zum Beispiel sprechen, die pro Kind vererbt werden können, die sind ja bei Unternehmen einfach sehr, sehr schnell erreicht. Funktioniert das da anders?

PV: Ja, total anders. Und ehrlich gesagt ist Unternehmenserbe auch noch mal eine ganz eigene Nummer und sehr komplex. Also die haben ganz viele eigene Regelungen. Also du kannst unter bestimmten Voraussetzungen, sagen wir mal ein Unternehmen erben und gar keine Erbschaftssteuer bezahlen oder zum Beispiel nur 15 Prozent versteuern. Da muss du jetzt wieder gewisse Voraussetzungen erfüllen. Ich habe gesagt, es ist komplex, aber mal ein Beispiel: Du musst zum Beispiel Mitarbeitende über eine bestimmte Anzahl an Jahren mitnehmen. Oder eine bestimmte, das nennt sich Lohnsumme, erreichen. Lohnsumme, meint im Grunde alle Löhne und Gehälter und andere Bezüge, und das variiert dann alles wieder, je nach Größe des Unternehmens. Und das ist aber halt so: Es gibt zahlreiche Ausnahmen und auch zahlreiche Möglichkeiten, diese Erbschaftssteuer zu umgehen,

ES: Die legal sind.

PV: Die legal sind, das muss man dazu sagen.

ES: Ja, Unternehmen vererben, du hast mit Christian Blüthner-Haessler gesprochen. Der hat das Unternehmen seines Vaters geerbt. Die Familie stellt nämlich seit mehr als 150 Jahren Klaviere und Flügel her. Und der hatte eigentlich eine sehr klare Haltung eigentlich zu dieser Frage Gerechtigkeit und Erbschaftsteuer. Lass uns da noch mal kurz reinhören:

Hier wird aus meiner Sicht politisch mit zu wenig Augenmaß der Unterschied gemacht. Es wird eine ideologisierte Neiddiskussion geführt, die aber nicht zielführend ist, in Deutschland einen Wohlstand zu erhalten, der im Wesentlichen aus einer mittelständischen Struktur heraus passt. Und der Unternehmen, Unternehmern, Familienunternehmen ein Stück weit auch zu verdanken ist, die eben nicht acht Stunden arbeiten, sondern die normale Arbeitszeit eines Unternehmers ist zwölf und das Minimum fünf Tage die Woche.

Christian Blüthner-Haessler

ES: Wie hast du ihn denn erlebt? Wie schätzt er das Erben ein? Ist das eher eine Last oder ein Luxus für ihn?

PV: Also er hat das Unternehmen ja verschuldet geerbt, weil es zu DDR-Zeiten enteignet und verstaatlicht wurde. Er hat also in den Neunzigern bekommen. Also mein Eindruck war, er hat zumindest deutlich gemacht, dass so ein Unternehmenserbe auch mit Druck und mit Fleiß verbunden ist, weil man eben auch ein Lebenswerk weiterführt. Das ist jetzt natürlich subjektiv. Aber ich glaube schon, dass ihm bewusst ist, dass man gleichzeitig als Unternehmenserbe auch einige Privilegien genießt. Und er hat aber auch deutlich gemacht, dass das Vermögen, was da ist, ein Betriebsvermögen ist und nicht Privatvermögen, mit dem er ja nicht privat machen kann. Was man will.

ES: Hat dich das überrascht, dass er das so sieht?

PV: Nö, das hat mich ehrlich gesagt nicht überrascht. Also nö, das ist ja also eigentlich, fand ich das, was er da gesagt hat, ist ja was, was man auch viel von Unternehmerseite hört. Dass es ein Betriebsvermögen ist, das ist natürlich, das ist auch klar, als Unternehmer, als Selbständige auch immer darum geht, auf dem Markt zu überleben, da diese Sichtweise zu haben.

ES: Ganz anders sieht das ja die Initiative Tax Me Now. Du hast mit Stefanie Bremer gesprochen. Sie ist Millionenerbin, und sie hat mehrere Millionen geerbt in Form von Unternehmensanteilen und in Form von einem Haus. Und sie sagt gleichzeitig, dass so viel zu erben sogar verfassungswidrig sei.

Wir sagen ganz klar: Es gibt zahlreiche Ausnahmen, die müssen zurückgenommen werden. Einige davon sind sogar verfassungswidrig. Also da haben wir einfach das große Interesse, dass unsere Verfassung umgesetzt wird und nicht gegen unsere eigenen Gesetze gearbeitet wird.

Stefanie Bremer

ES: Wie meint sie das? Was meint sie damit?

PV: Also sie nicht per se damit, dass so viel erben verfassungswidrig ist, sondern die Frage nach den Regelungen der Erbschaftsteuer. Also die Initiative Tax Me Now merkt an, dass es beim Thema einfach zahlreiche Ausnahmen gibt, die nach Meinung der Initiative zurückgenommen werden sollen. Sie gibt das Beispiel, wenn jemand heute drei Wohnungen erbt, dann zahlt er darauf etwa 30 Prozent Erbschaftsteuer. Wenn jetzt jemand 300 Wohnungen erbt, dann zählt das auf einmal als Betriebsvermögen. Und in dem Fall ist das steuerfrei. Und das sei dann verfassungswidrig. Und was ich interessant fand: Es haben auch teilweise schon höchste deutsche Gerichte die Erbschaftsteuerregelung für verfassungswidrig erklärt.

ES: Okay, also, es hat solche Urteile gegeben. Aber trotzdem hat sich nicht grundlegend was verändert?

PV: Ja, aber ganz ehrlich: Es ist natürlich eine Riesenlobby, da machen wir uns nichts vor. Also wenn wir jetzt gleich noch ein bisschen tiefer eintauchen: alleine so etwas wie die Vermögensteuer. Wir haben in Deutschland bis 1996 eine Vermögenssteuer gehabt. Die ist seitdem, seit 1997 ausgesetzt worden. Ja, warum hat man die nicht wieder eingeführt? Es hat ja schon auch viel damit zu tun, dass da jeweils die Lobby erstmal da sein muss, die das dann jeweils befürwortet oder auch nicht.

ES: Aber diese Haltung von Stefanie Bremer, ich fand das so interessant, weil eigentlich würde man ja gerade von der Millionenerbin denken: Okay, die sitzt da auf diesem Haufen Geld. Die hat da auch ein Interesse daran, dass das im Zweifelsfall in ihrer Familie bleibt. Ist das eine Haltung, die dir häufiger über den Weg gelaufen ist, dass gerade auch Leute, die besonders viel erben sagen: Eigentlich müsste das Erbschaftrecht noch mal überarbeitet werden, das Erbrecht?

PV: Nein, weil dafür habe ich keine Leute getroffen, die so viel geerbt haben, ehrlich gesagt. Weil wir die einfach auch in Ostdeutschland nicht haben. Also das ist halt auch Teil der Wahrheit. Die Menschen, mit denen ich jetzt so gesprochen habe in dem Film, waren jetzt alles keine Menschen, die jetzt Millionen geerbt haben. Wäre mal interessant wie das andere Leute sehen, ne?

ES: Was waren das denn so im Schnitt für Menschen, mit denen du gesprochen hast?

PV: Also die Menschen, das war ganz interessant. Ich habe tatsächlich vorrangig mit Männern gesprochen. Wie ich dann im Laufe der Recherche festgestellt habe, so war das nicht geplant. Man fängt ja irgendwo an und überlegt: ja, wo fange ich jetzt meinen Film an? Was kann ich alles erzählen? Und am Ende sind 30 Minuten Film am Ende eigentlich immer eher eine Frage: was schaffe ich alles nicht zu erzählen? Man muss sich dann immer leider von viel verabschieden. Jedenfalls habe ich gedacht: Okay, du guckst erstmal, dass du jemanden triffst, der irgendwie ohne Erbe heute noch unterwegs ist und sich was aufbaut, den du irgendwie länger begleiten kannst. Deshalb habe ich Marcel getroffen. Marcel baut ohne Erbe ein Haus. Dann habe ich eine Umfrage gestartet, über das MDR Meinungsbarometer "MDR fragt", weil ich erst mal gucken wollte: Wie tickt denn der Osten? Was sagen die denn? Wie fair ist Erbe? Wie schätzen die das ein? Und am Ende habe ich mir auch angeguckt, was die Menschen so gesagt haben. Und es war halt so, dass die Kommentare vorrangig dazu von Männern kamen, die sich auch vor der Kamera dazu geäußert hätten, als jetzt von Frauen. Und das passte dann auch wieder eigentlich zu dem Ganzen, was ich vorher gemerkt hatte. Weil auch alle anderen, die ich dann - Unternehmenserbe und was ich alles versucht habe - waren immer Männer. Und selber als Frau dachte ich irgendwann: das kann doch nicht sein, dass hier irgendwie gar keine Frau ist. Und dann habe ich aber noch mal ein bisschen nachgelesen. Und am Ende ist es auch so, dass Frauen wirklich deutlich weniger Vermögen haben und sich tendenziell auch mit den Themen nicht ganz so viel beschäftigen wie Männer. Warum? Darüber kann ich jetzt auch nur mutmaßen. Aber es ist mir einfach aufgefallen, und da dachte ich dann: Och Mensch, das ist ja was!

ES: Das heißt dadurch, dass die Frauen sich im Schnitt eher weniger mit Finanzen zum Beispiel auch beschäftigen, ist dein Eindruck, ist auch Erbe eher so ein Thema, zu dem man sich dann jetzt auch nicht öffentlich äußern wollen würde als Frau?

PV: Also ich kann dir aus sieben Jahren jetzt als Journalistin sagen, dass mein Eindruck ist, dass sich Frauen generell nicht so schnell vor einer Kamera äußern wie Männer. Also das ist auch Teil der Wahrheit. Weil Frauen sich immer noch einmal tendenziell eher absichern, habe ich das Gefühl, bevor sie wirklich dann vor einer Kamera irgendwas erzählen. Ich glaube, was aber auch noch ein Fakt ist, ist dass Männer auch eher Unternehmenserben werden als Frauen. Also dazu gibt es Zahlen, die das belegen, spielt vielleicht auch mit rein.

ES: Dann lasst uns doch mal schauen, was es für Ideen gibt, Erbe vielleicht fairer zu gestalten. Es gibt immer wieder die Diskussion um ein sogenanntes Grunderbe. Zuletzt war das jetzt erst Ende November, durch die Jusos. Kannst du noch mal zusammenfassen, was hinter dem Grunderbe eigentlich steckt?

PV: Genau du sagst es ja schon so ein bisschen. Also die Grundidee ist im Grunde die Vermögensungleichheit, die wir in Deutschland haben, zu verringern. Und da gibt es jetzt verschiedene Ansätze. Einer ist bis dato, den hat letztes Jahr Carsten Schneider, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, vorgeschlagen, jedem oder jeder Achtzehnjährigen 20.000 Euro auszuzahlen. Jetzt sind die Jusos mit einem anderen Vorschlag um die Ecke gekommen und haben gesagt: 60.000 Euro. Und wie das Geld jetzt kommen soll, ist ja auch so eine Grundfrage, die man sich dann stellt. Und im Grunde müssten dafür Menschen, die viel erben auch stärker besteuert werden.

ES: Genau das wäre jetzt meine nächste Frage: 60.000 Euro ist ja echt erst einmal auf den ersten Blick eine ganze Menge. Rechnet sich das, könnte man das über eine höhere Erbschaftsteuer ausgleichen?

PV: Also ich habe das für die 20.000 Euro beim DIW erfragt, beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, die sich halt da mit diesem Betrag 20.000, weil der jetzt schon länger schwelt, schon befasst haben und das durchgerechnet haben. Und die haben mir gesagt, das wären bei jedem Achtzehnjährigen, also in jedem Geburtsjahr ungefähr 750.000 bis 800.000 18-Jährige. Jetzt kann man das ja mal ausrechnen, wären bei 20.000 Euro Grunderbe 15 Milliarden ungefähr, die es jedes Jahr bräuchte. Und das DIW hat gesagt: Das geht eben, indem Menschen, die viel erben stärker besteuert würden. Und sie haben auch ausgerechnet, dass das tatsächlich machbar wäre, in dem Fall und wirklich dafür sorgen würde, diese Vermögensungleichheit zu verringern.

ES: Du hast dich dann mal ein Halle umgehört und Menschen gefragt, was die mit so einem Grunderbe machen würden. Und die Stimmen, die du da eingefallen ist, die fand ich überwiegend sehr vernünftig.

Was würden Sie denn mit 20.000 Euro tun? Mit so einem Startkapital?

Pauline Vestring

Anlegen, würde ich mal meinen.

Passant

Ich weiß nicht, erstmal würde ich bestimmt für den Zoo für die Tiere spenden.

Passantin

Ich denke was kaufen oder Urlaub.

Passant

Oh Gott, wahrscheinlich erst einmal anlegen, würde ich sagen. Ich glaube, ich würde es erst einmal beiseite legen, mir erst einmal dann einen Plan machen, was ich damit machen würde. Aber ich würde es nicht sofort ausgeben.

Passantin

ES: Wenn man mir nach der Schule so viel Geld gegeben hätte, ich hätte, glaube ich, nicht gewusst, was ich damit anfangen sollte. Weißt du, was junge Menschen mit dem Geld machen würden?

PV: Ich finde es ganz witzig, das ist so eine Frage, die auch die ganze Zeit während meiner Umfrage kam. Oder eher so eine Aussage, dass immer gefragt wurde: ja, aber das muss doch dann an Bedingungen geknüpft sein. Was sollen die denn dann damit machen. Und was ich mir so dachte dabei, ist ja interessant, dass wir das da so bewerten. Bei jemand anderem, der einfach mit 18 einfach so erbt, fragt keiner, was derjenige mit seinem Erbe veranstalten oder machen würde. Also ich denke, dass so ein Grunderbe für viele junge Menschen möglicherweise erst mal eine Sicherheit wäre im Hintergrund, die sonst nur Menschen halt kennen, die aus vermögenden Familien kommen. Wobei man jetzt auch sagen muss, so 20.000 oder auch 60.000 Euro ist jetzt auch nicht so viel um wahrscheinlich sein ganzes Leben komplett von heute auf morgen umzukrempeln und zu sagen: ich mache jetzt nichts mehr. Aber ein wichtiger Punkt ist eben, dass dieses Institut für Wirtschaftsforschung berechnet hat, dass ein Grunderbe die Vermögensungleichheit in Deutschland deutlich reduzieren würde.

ES: Weil du eben meintest, dass es eigentlich gar nicht so wahnsinnig viel Geld ist. Wenn man überlegt, zum Beispiel ein Studium, wenn man jetzt kein Bafög bekommt oder so, dann dauert das Bachelorstudium mindestens drei Jahre. Und dann mit 60.000 Euro kommt man über diese drei Jahre aber auf jeden Fall nicht mit noch ganz vielen Urlauben oder so dazu. Also so wahnsinnig viel ist das nicht um die 2000 Euro im Monat.

PV: Ich glaube, es geht wirklich auch darum, dieses Gefühl zu haben, erst mal eine Chance zu haben. Das macht ja viel mit einem. Und darüber dann die Möglichkeit zu haben, sich was zu ermöglichen.

ES: Das Grunderbe ist aber ja eigentlich gar nicht so eine wahnsinnig neue Erfindung. Also, du hast du es eben auch schon gesagt, das wird immer wieder ausgepackt. Letztes Jahr erst durch den Ostbeauftragten, dieses Jahr durch die Jusos. Wie wahrscheinlich ist das denn, dass das irgendwann kommt?

PV: Es ist vor allen Dingen auch keine deutsche Erfindung, wie ich dann auch festgestellt habe. Ich habe ja Stefan Bach getroffen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, der sich schon lang damit beschäftigt. Und der hat mir dann erzählt, dass das eigentlich ursprünglich aus einem anglophonen Raum irgendwo kommt. Ich habe ihn auch gefragt, wie wahrscheinlich ist denn das, dass das irgendwann kommt? Er hat gesagt, es gibt immerhin Vorschläge aus Parteien wie eben der SPD. Ich hatte jetzt Carsten Schneider schon angeführt, aber auch von der Union, die sich damit befassen. Also die Union hatte beispielsweise jetzt auch vorgeschlagen, vor nicht allzu langer Zeit mit 10.000 Euro Startkapital vom Staat für jedes neugeborene Kind, hatten sie einen Vorschlag gemacht. Und die Jusos hast du ja schon erwähnt. Ich persönlich, ich glaube trotzdem, ich habe ja schon mal erwähnt, Deutschland hat 1997 die Vermögenssteuer ausgesetzt. Die wird seitdem nicht mehr erhoben. Vermögende an sich haben eine ganz gute Lobby. Der Knackpunkt am Ende bei diesem Grunderbe wird sein: wie wird das finanziert. Und eben durch so eine höhere Erbschaftsteuer oder auch andere Regelungen bei der Erbschaftsteuer, ich glaube, da stehen die Zeichen jetzt aktuell nicht auf einer superschnellen Umsetzung mit der Ampelkoalition. Die FDP beispielsweise ist jetzt kein Verfechter des Grunderbes. Aber wer weiß, vielleicht werden unsere Kinder das ja erleben.

ES: Jetzt, nach einer Recherche - kannst du deine selbstgestellte Frage eigentlich beantworten, wie fair ist Erben?

PV: Ich habe da natürlich sehr viel darüber nachgedacht. Also, dass einige Menschen erben, im Grunde ja per Geburt, weil sie in eine bestimmte Familie reingeboren wurden und andere nicht, würde ich sagen ist an sich kein gerechter Vorgang. Aber gut, da greift die Gerechtigkeitsfrage ja auf vielen Ebenen, finde ich. Nicht nur beim Erbe. Gleichzeitig kann ich schon verstehen, dass Menschen, die was von ihren Verwandten erben oder die auch ein Familienunternehmen erben, das behalten wollen. Es ist ja oft nicht nur ein finanzieller Besitz, es ist ja auch ein ideeller Besitz.

ES: Und es ist ja auch was, wo Familien sagen: okay, ich habe mir das jetzt selber vielleicht erarbeitet, also wenn es jetzt nicht um dieses über Generation wahnsinnig angehäuftes Vermögen geht. Sondern wo die Eltern sagen: Ich habe dafür gearbeitet, dass es meine Kinder irgendwann besser haben als ich. Und deswegen möchte ich jetzt auch, dass die das bekommen. Ist ja auch absolut verständlich.

PV: Genau. Aber ich glaube, es geht bei der Frage ja nicht darum, diesen Menschen ihren Besitz wegzunehmen, sondern um Besteuerung von wirklich, wirklich großen Vermögen. Da reden wir nicht von irgendwelchen Einfamilienhäusern. Und wenn wir gucken, im westeuropäischen Vergleich, andere Länder nehmen, dann besteuern wir in Deutschland ziemlich gering. Also das Vermögen bleibt da eben immer in denselben Kreisen. Da klafft die Schere auseinander und am Ende ist vielleicht die Frage gar nicht unbedingt: Wie fair ist Erben, sondern eher: Wie es sein kann, dass sehr viele Menschen in Deutschland so wenig haben und der Kreislauf immer weitergeht. Und an der Stelle haben wir in Deutschland eben keine Chancengleichheit. Gerade beim Thema Vermögen.

ES: Pauline Vestring, ich danke dir!

PV: Sehr gerne!

ES: Das war der Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Den Film "Erbe - wie fair ist das?", den finden Sie in der Reihe Exactly in der ARD Mediathek. In zwei Wochen hören Sie dann an dieser Stelle wieder meine Kollegin Secilia Kloppmann. Und am Ende dieser Folge habe ich natürlich noch einen Podcast-Tipp für Sie. Die Kollegen vom Podcast "Sanieren mit Plan" besprechen jede Woche einen Aspekt zur Frage: Was muss ich eigentlich machen, wenn ich mein Haus oder meine Wohnung energetisch auf Vordermann bringen will? Wie funktioniert der Einbau einer Wärmepumpe und lohnt sich eine Solaranlage mit Speicher? "Sanieren mit Plan" ist ein Podcast von MDR-Thüringen. Und Sie finden ihn in der ARD Audiothek und natürlich überall da, wo Sie sonst Ihre Podcasts hören.

Und wenn Ihnen "MDR Investigativ - Hinter der Recherche" gefällt, dann folgen Sie uns doch gerne in der ARD Audiothek. Ich bin dann wieder in vier Wochen hier zu hören. Machen Sie es bis dahin gut und bleiben Sie gesund!

MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche

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