MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche (Folge 46) Podcast-Transkript: Reporter im Krieg
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20. März 2022, 19:12 Uhr
In der Nacht auf den 24. Februar hat Russland die Ukraine angegriffen. Arndt Ginzel und Gerald Gerber waren in der Ukraine, als der Angriff begann. Die beiden sind dann sofort aufgebrochen und mittlerweile wieder in Deutschland. Wie haben sie den Rückweg durch das Kriegsgebiet erlebt? Wie geht es ihnen jetzt?
Esther Stephan (ES): Sie hören den Podcast "MDR Investigativ -Hinter der Recherche" heute mit einer Bonus-Folge. Ich bin Esther Stephan und arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks.
In der Nacht auf den 24. Februar hat Russland angefangen, die gesamte Ukraine anzugreifen. Die Lage ist extrem unübersichtlich. Nachrichtensender schalten Sondersendungen, auf Social Media reihen sich Fotos von Verletzten und Videos brennender Gebäude. Mein Kollege Arndt Ginzel war mit seinem Kameramann Gerald Gerber in der Ukraine, als der russische Angriff begann. Die beiden sind dann sofort aufgebrochen. Drei Tage haben sie gebraucht, bis sie wieder in Deutschland waren.
Hallo Arndt!
Arndt Ginzel (AG): Hallo!
ES: Wie geht’s dir jetzt?
AG: Naja, wir sind alle noch ein bisschen erschöpft. Klar, man merkt die Anstrengung der letzten Tage. Aber es geht ja weiter, ne? Also man muss ja dann in den Schnitt und man muss die Filme fertig machen. Und so weiter. Also viel Zeit zum Ausruhen bleibt da nicht.
ES: Wie ist denn eigentlich die ganze Situation losgegangen? Wo wart ihr in der Nacht auf den 24.?
AG: In der Nacht auf den 24.? Wir waren ja schon quasi eine Woche dort gewesen. Wir sind sozusagen eine Woche vorher mit dem Flugzeug in die Ukraine geflogen. Noch alles ganz gewöhnlich. Also wenn ich jetzt auch die Bilder hier im Schnitt sehe, am Flughafen hat man ein Taxi, die Stadt ist intakt. Also nichts lässt eigentlich ahnen, dass so etwas über dieses Land und über diese Menschen hereinbrechen könnte. Und um auf deine Frage zu antworten, wo ich jetzt in der Nacht war oder an dem Tag da vom 23. Auf den 24., nach vielem Hin und Her waren wir dann wieder im Donbass gewesen. Am 23. haben wir gedreht in einem Ort nahe der Frontlinie zur Ostukraine.
ES: Darüber wolltet ihr da auch berichten? Deswegen seid ihr dahin?
AG: Genau, wir waren für den MDR dann dort gewesen. Ganz normal, Stimmungsbilder, wie ist die Situation? Und so weiter. Es ist ja immer so schwierig, das wieder aus der Erinnerung hochzuholen. Ich glaube am Abend oder am Nachmittag kam dann die Meldung, die Separatisten bitten jetzt Russland um militärische Unterstützung. Und in dem Augenblick, als ich davon erfuhr, war für mich klar: es ist jetzt nur noch eine Frage der Zeit, bis etwas passiert. Und meine Hoffnung war eigentlich, dass wir noch den darauffolgenden Tag haben werden, um weiterzudrehen. Wir hatten bereits Termine vereinbart und so weiter. Und dann bekamen wir, ich sage jetzt mal so gegen 05:20 Uhr etwa, bekam ich dann aus Leipzig in der Nacht, einen Anruf: "Die Offensive hat begonnen." Und in dem Moment hörte ich auch schon die erste Detonation, bin dann rüber in den Nachbarraum von meinem Kollegen und hab gesagt: "Du Gerald, wir müssen los!" Und dann gab es noch so ein bisschen Diskussion, kann man vielleicht nicht doch bleiben? Lassen wir uns von den russischen Soldaten quasi - in Anführungsstrichen - "überrollen"? Können vielleicht noch hinter der Linie drehen? Aber es war klar, das kommt überhaupt nicht in Frage, das ist zu riskant und unser Hotel lag unmittelbar am Bahnhof. Das ist ein militärisch interessanter Punkt, der gerne auch unter Beschuss genommen wird, sodass wir gesagt haben: wir müssen sofort weg.
ES: Okay, ihr wart euch da dann auch sofort einig?
AG: Wir waren uns dann einig. Es kam dann ein Taxifahrer, der glaube ich noch gar nicht verstanden hat, was da los ist. Weil die Stadt war ja noch tot. Der kam an, hat sich eher so ein bisschen amüsiert über den Stress, den wir dort gemacht haben. Dann brauchten wir noch ein bisschen Bargeld, waren am Automaten. Da kam auch kein Geld mehr raus. Die Bargeldauszahlung war da gestoppt. Und der hat uns dann, der Taxifahrer hat uns dann 170 Kilometer erstmal rausgebracht, aus der Ostukraine. Also aus der unmittelbaren Gefahrenzone. Und dann sahen wir aber auch schon auf der Fahrt dahin, also raus aus dem Gebiet, da bilden sich lange Schlangen an Bankschaltern, an Lebensmittelgeschäften. An einer Tankstelle werden die Schlangen immer länger und es war klar: hier kommt was ganz Gefährliches. Und dann trafen aber auch schon die Meldungen bei uns ein, dass auch Kiew unter Beschuss liegt. Und auch Mairupol, die Stadt, in der wir noch vor ein paar Tagen davor waren und gedreht haben.
ES: Der hat euch dann 170 Kilometer dort rausgefahren. Es war dann früher Morgen, nehm ich an. Wo wart ihr dann? Wie seid ihr dann von dort aus weiter?
AG: Ja, das war in der Tat ein total großes Problem für uns, weiterzukommen. Der Taxifahrer bekam dann von seinem Chef einen Anruf. Der hat gesagt: hier komm zurück, ich will nicht noch ein Auto verlieren. Und dann standen wir mit der ganzen Technik, mit unseren eigenen Sachen und wussten natürlich auch nicht mehr so richtig, wie es jetzt weitergeht. Und glücklicherweise gab es dann noch einen Taxifahrer, der bereit war für sehr viel Geld uns weiterzufahren. Unser erstes Ziel war Kiew, weil wir wiederum über unsere Kontakte und die Leute, die sich auch von Leipzig aus um uns kümmerten, die Information hatten, Journalisten werden über Kiew evakuiert. Also da werden Leute über einen Kollegen von der Deutschen Welle, der hat glaub ich 20 Leute rausgebracht, Richtung Grenze, da werden Transfers organisiert. Und wir seien erstmal in Kiew – obwohl dort quasi früh die Raketen einschlugen und auch am Tag immer mal was war – aber insgesamt sicherer, als irgendwo umherirrend, wo niemand so richtig weiß, wo dort in dem Moment und in diesem Chaos, was dort herrschte, die Frontlinien verlaufen.
ES: Wie habt ihr euch denn überhaupt dann vor Ort informiert, wenn niemand irgendetwas weiß?
AG: Wie alle anderen auch. Also dadurch, dass wir schon ein paar Tage dort waren, waren wir auch in einer WhatsApp-Gruppe gewesen, mit anderen Journalisten, die bereits seit längeren dort waren. Einige hatten nähere Informationen auch von der Ukraine Armee. Und das ist dann immer wieder geteilt worden, um bestimmte Informationen an die Kollegen weiterzugeben. Das war für uns eine gute Informationsquelle. Und ansonsten muss ich sagen, ganz klar und ganz logisch: Man hat manchmal, sagen wir mal, einen besseren Überblick, wenn man weit weg ist. Also wenn man in einer Redaktion sitzt und man bekommt hier in Deutschland die Nachrichtenticker, dann ist man da schon relativ gut aufgestellt. Weil darüber verfügen wir dort nicht. Da sind wir viel zu weit weg. Wir haben ein Handy oder mehrere Handys, haben auch entsprechendes Netz, um mal was nachzugucken. Aber die Agenturmeldungen, schlagen eben als erstes bei den Kollegen in der Nachrichtenredaktion auf. Und die sind wahrscheinlich doch am dichtesten dran, zu so einem Zeitpunkt. Weil ansonsten, was hat man ansonsten? Twitter? Ja, okay. Facebook, okay. Aber dort jede Information, jedes Mal wieder verifizieren zu müssen, ist halt wahnsinnig kompliziert. Und dann ist man schon mal auf der sicheren Seite, wenn man eine Agentur hat.
ES: Ihr wart dann in Kiew. Und von da aus?
AG: Nene, das war noch ein bisschen komplizierter. Also man muss sich das so vorstellen: Das ist ja ein riesen Land. Also es waren knapp, wenn ich mich jetzt nicht täusche, wären es 800-900 Kilometer bis nach Kiew gewesen. Und ich sage jetzt mal so über den Daumen gepeilt 300-400 Kilometer vor Kiew waren wieder unsere MDR-Kollegen hier in Leipzig, die gesagt haben: Bitte, bitte bitte bitte, nicht nach Kiew fahren. Die Situation hat sich verändert. Es sind Hubschrauber gesichtet worden in den Vororten. Es kann durchaus sein, dass ihr nicht mehr rauskommt. Außerdem herrscht Chaos in der Stadt, weil alle rauswollen. Sodass wir viele, viele Kilometer vor Kiew, dann Richtung Westen abgebogen sind. Wir haben dann einfach das Ziel geändert. Haben wieder mit dem Taxifahrer gesprochen. Haben gesagt: "Wie sieht es aus? Können Sie uns dann doch vielleicht Richtung Westen bringen? Richtung Lwiw, also sprich zu Deutsch Lemberg. Dort gibt es einen Grenzübergang, dort können wir das Land verlassen", und das war dann für den Mann okay. Und der ist dann noch mal tausend Kilometer gefahren. Tausend Kilometer, wir saßen immer wieder mit dem Handy da, haben geguckt, gibt es Neuigkeiten? Welche Gegenden sollte man meiden? Wo kann man fahren? Was geht? So inzwischen sah man auch aus dem Auto, wie die ersten Barrikaden gebaut wurden, die ersten Checkpoints, es herrschte tatsächlich auch totales Chaos. Wir haben wahnsinnig viele Unfälle gesehen, auch mit Toten drin. Also weil alle Menschen raus aus dem Land und standen unter Druck. Und uns ist dann auch noch ein Fahrzeug hintendrauf geknallt auf das Taxi. Eine Frau mit vielen Kindern, also wahrscheinlich Töchtern, die genau wie wir eben unbedingt Richtung Westen will, Richtung polnische Grenze. Und der Taxifahrer wollte dann, das war dann schon fast irgendwie verrückt, der wollte dann den Schaden regulieren, rief die Polizei an, und währenddessen zogen Militärtransporter an den, ja an den Flüchtlingsströmen vorbei, mit Raketenteilen. Mit was weiß ich, mit Rüstungs-…natürlich gab es keinen Polizisten, der in diesem Chaos dort in irgendeiner Weise bereit war, einen Schaden zu regulieren. Gut, also das dauerte dann alles ein bisschen. Und dann rollte das Auto weiter, ein alter, klappriger Lada, der jetzt hinten noch eingefahren war. So ging es dann weiter, tausend Kilometer bis in die Westukraine.
ES: Und dann an der Grenze konntet ihr einfach so ausreisen? Weil sehen hier ja die ganzen Bilder von den Schlangen. Tausende Menschen, die ausreisen wollen. Jetzt seid ihr ja keine Ukrainer. Konntet ihr einfach raus?
AG: Also mit dem Pass natürlich schon. Das ist ja klar. Und wir waren ja, oder wir sind ja auch als Reporter erkennbar. Und das war ja jetzt unübersehbar. Man muss sich vorstellen, wir waren ja jetzt nicht auf einen Fußmarsch eingerichtet, als wir in das Land eingereist waren. Sondern das übliche, du kommst mit dem Flugzeug an, räumst deine Technik in ein Auto ein und bist eigentlich immer unterwegs. Und dein eigenes Gepäck, du hast nie dir die Situation wo du jetzt wirklich viel Gepäck, außer vom Flughafen zum Taxifahrer oder zum Fahrer transportieren musst. Jetzt standen wir aber plötzlich mit dem ganzen Kram da. Und es war halt für jeden erkennbar, da ist Technikequipment dabei. Und so weiter. Das sind Journalisten. Sodass das jetzt weniger ein Problem war. Das größere Problem war einfach genau die Frage: Wie kommt man jetzt… die Leute standen dort, ich weiß nicht, zig Kilometer lange Reihen. Die Leute haben teilweise schon zwei Tage auf die Ausreise gewartet. Wie kommt man jetzt da rüber? Wie funktioniert das? Und da war es dann wiederum fast günstig, dass wir eben nicht mit dem Auto ausreißen wollten, sondern eben zu Fuß ausreisen mussten. Das heißt, wir brauchen uns jetzt nicht da an diesen kilometerlangen Stau hinten anstellen. Sondern sind wie alle anderen, die dort zu Fuß aufgeschlagen sind… Da haben sich dann so Gruppen gebildet, wir haben mit den Geflüchteten dort zusammengestanden. Und sind dann mit den Geflüchteten…Ja, das muss man auch sagen, das ist hart, ne? Die stehen da über Stunden, bei Minustemperaturen in der Nacht. Kinder, die permanent weinen, heulen. Es gibt nichts, außer einer –ich sage jetzt mal einer Box - wie so eine Wärmebox, wo man mal kurz reingehen kann, um sich aufzuwärmen. Und es ist verdammt kalt zur Zeit. Es sind Minustemperaturen und die Mütter… es war bewundernswert, wie die das alle da hinbekommen haben. Das war herzergreifend. Wie die ihre Kinder dort beschützt haben und irgendwann, konnten wir dann mit so einer Flüchtlingsgruppe, ich weiß nicht, wie viele Leute wir da waren, vielleicht 30 – 40, eben loslaufen. Und dann gab es wieder einen Stopp, dann standest du wieder vor dem vor dem Abfertigungsgebäude, wieder zwei Stunden, drei Stunden. Und es war bitterkalt. Also es hat sehr lange gedauert, bis man dann wirklich auch in Polen war, letzten Endes.
ES: Ja. Wie lange?
AG: Es ist schwierig, weil das sind, ich sage jetzt mal, ich will jetzt überhaupt nichts Falsches sagen, ich müsste jetzt nachgucken. Aber ich glaube, wir waren frü zwischen 4 Uhr, also am 26., das war Sonnabend, etwa zwischen 4, 4:30 Uhr waren wir auf der polnischen Seite gewesen und da hat uns dann ein Kollege aus Leipzig abgeholt mit einem Auto. Sodass wir dann ja relativ gut, doch wieder zurückgekommen sind. Blöd war, ich hatte mein Auto natürlich in Prag stehen, weil wir von Prag aus nach Kiew geflogen sind. So dass wir dann nochmal von der polnischen Grenze über Dresden, noch einmal nach Prag fahren mussten, um mein Auto dann zu holen. Und dann waren wir irgendwann am Sonnabend abend dann wieder hier.
ES: In dieser Situation, als ihr so lange an der Grenze gewartet habt, da gibt es ja wahrscheinlich auch einfach wahnsinnig viele Gespräche mit den Menschen, die dort auch warten, ausreisen zu können. Was haben die denn erzählt?
AG: Offen gestanden gab es da wenig Gespräche. Es ist wirklich so… Ich weiß gar nicht, wie man das erklären soll… Wir haben natürlich haben wir dort auch gedreht. Oder natürlich versucht, ein paar Eindrücke festzuhalten. Weil wir jetzt eine ganz andere Perspektive hatten. Wir hatten die Perspektive der Geflüchteten und nicht mehr die Perspektive der Journalisten. Wir waren halt tatsächlich auf der Flucht. Noch in der Woche davor sind wir selber unter Beschuss geraten. Da hat man Granaten auf uns… also ich weiß nicht, 15 Minuten Granatenbeschusses hatten wir in der Woche davor, noch bevor der Krieg der regulär… [lacht] der reguläre… bevor der Krieg ausbrach. Wir waren einfach durch diese ständige Hin- und Herfahren und durch die Arbeit auch, wir waren einfach erschöpft. Wir haben einfach die letzten Tage dann, bevor wir bis zur Grenze gekommen sind. Wir haben ja auch nicht mehr geschlafen. Wir haben ja nur noch aufrecht im Auto gesessen. Wir haben auch nichts mehr gegessen, weil der Fahrer unbedingt, der wollte uns rausbringen dort. Der hat kaum noch gehalten. Wir waren eigentlich völlig am Ende, als wir dann dort waren. Geralds Hand war, die war dann entzündet. Der ist, als sie uns da beschossen hatten, ist der quasi ziemlich hart aufgeschlagen, mit der Hand. Und hatte die sich aufgerissen. Wir hatten kein Verbandsmaterial mehr. Er hat das dann schon mit Tesafilm, also wir sahen ziemlich runtergerockt aus, als wir da an der Grenze waren. Der hatte das mit Tesafilm abgeklebt, die Wunde. Damit die nicht jedes Mal wieder aufreißt. Und ehrlich gesagt ich war, ich war paralysiert. Wenn ich jetzt hier im Schnitt die Bilder sehe, ich war da nicht mehr fit, nach den Tagen.
ES: Dieser Beschuss, bevor der Krieg losgegangen ist - ich sage das in ganz großen Anführungszeichen, weil es war ja auch schon vorher Krieg - dieser Beschuss, den konnte man auch in der Exakt-Sendung vom 23. Sehen. War das eigentlich ein gezielter Angriff auf euch?
AG: Also es ist ja total schwer einzuschätzen. Das war ein Dorf bei Mariupol. Unmittelbar an der - ich sage es mal in Anführungsstrichen - sogenannten Kontaktlinie. Ein dorf, was wahrschenlich früher mal überwiegend, Leute, die am Wochenende, da ihr Wochenende verbracht haben, aus Datschen bestand. Und wo man gesehen hat: Da wird gekämpft. Seit Jahren finden dort Kämpfe statt. Aber das ist halt so ein Stellungskrieg. Also die verharren alle seit vielen, vielen Jahren. Die Separatisten sind da drüben auf dem Hügel, hier rennen mal da, mal dort ein paar ukrainische Soldaten rum. Aber so richtig viel ist da nicht los. Es war, als wir in den Ort kamen, war es recht ruhig. Und wir haben die Stellung, wir haben ja einen Veteranen begleitet, der uns seine Stellung zeigen wollte, in der er war, in den Jahren, ich sage jetzt mal 2018, 2019, wahrscheinlich so. Die wir dann auch gefunden haben. Die war auch leer. Da waren noch Schützengräben und so weiter von denen da zu sehen. Und wir machen mit dem da ein Interview und drehen da ein bisschen. Und ich würde schon denken, es war Tag. Wir waren gut erkennbar. Auf der Kamera ist ein Popschutz, also dieser Schaumstoff mit dem Logo des Senders drauf. Wir waren also gut erkennbar. Und es gab sonst nichts dort in unserer unmittelbaren Nähe. Also von wegen, da waren eben keine ukrainischen Soldaten, die waren an einer anderen Seite des Dorfes. Ich wüsste jetzt nicht, was sie da ins Leere hätten beschießen wollen. Das ist mir schleierhaft. Zumal die Einschläge auch jedes Mal näher kamen. Und als wir dann schon das erste Mal versucht haben, rauszukommen aus der Hütte, feuerten die sofort da los. Also ich…wie gesagt…kann sein…alles Zufall… kann sein, dass die es unmittelbar auf ans abgesehen haben. Beides ist möglich.
ES: Wie seid ihr dann rausgekommen?
AG: Na, das war dann halt das Risiko. Irgendwann hat die ukrainische Armee, oder die Soldaten, es ist ja nicht viel los dort, hat dann das Feuer erwidert von ihrer Seite. Ich sage jetzt mal ganz blöd, von der anderen Seite, also des Dorfes quasi über unsere Köpfe hinweg. Und wir mussten über ein relativ ungedecktes, ungeschütztes Gebiet drüber laufen, mit unserem ganzen Equipment, an dem Friedhof vorbei, und währenddessen schossen die da hin und her. Aber wenn man so will, dadurch, dass die ukrainische Armee oder die Soldaten, die da im Ort waren, eben das Feuer erwidert haben, war dann von der anderen Seite erst mal für einen Moment nichts zu hören. Und als wir dann aus dem Dorf rauskamen, sahen wir dann eben auch oben auf dem Feld Einschläge größerer Natur. Also Granatentreffer. Das heißt, die haben da noch eine ganze Weile hin- und hergefeuert. So also das war die Situation, die haben zurückgeschossen, und den Augenblick, den die anderen dann in Deckung gehen müssen den haben wir genutzt, um schnell, also mit schnellem Schritt, mit der ganzen Technik und dem ganzen Kram, irgendwie da rauszukommen.
ES: Jetzt ist die ganze Situation vor Ort, dir ja auch eigentlich gar nicht unbekannt. Du warst 2015 schonmal in der Ostukraine. Wie hat sich denn seitdem die Stimmung da verändert?
AG: Naja, wenn ich sage, es ist nicht viel passiert, dann…Wir waren auch in den Jahren danach noch mal mit der OSZE dort unterwegs. Mit "Es ist da nicht so viel passiert", meint eher, es gab keine großen Verschiebungen mehr von Gelände. Also es gab keine Geländegewinne mehr, weder für die eine, noch die andere Seite. Und es herrscht ja im Prinzip auch eigentlich das Minsker Abkommen. Das heißt, es hätte eigentlich eine Waffenruhe geben müssen. Und an die sich jede Seite zu halten hatte. Aber dem war eben nicht so. Es gab immer mal Scharmützel und immer mal Schießereien und das konnte man ja alles auch in den Tagesberichten der OSZE nachlesen, was da so alles passierte. Auch in den Jahren davor. Es war ein Stellungs-… wie soll man es erklären… Man hat aus den Stellungen heraus, gelegentlich immer noch aufeinander geschossen, Mal mehr, mal ein bisschen weniger. Aber es gab jetzt keinen Sturm auf irgendwas. Auf eine andere andere Stellung oder irgendetwas. Sondern es war eingefroren, wenn man so will. Und die Intensität nahm aber deutlich zu in der Zeit, als wir dort waren. Und meine Wahrnehmung, weil ich kann ja nicht überall sein, meine Wahrnehmung: Die Ukrainer waren wahnsinnig vorsichtig in dieser Zeit. Weil man muss sich vorstellen, als wir da ankamen, jetzt, im Februar, standen ja draußen schon 150.000 russische Soldaten an den Grenzen zur Ukraine. Und jeder befürchtete, und es war ja auch so das, was Analysten und Experten gesagt haben, hier geht es darum, Putin sucht einen Anlass. Man braucht einen Vorwand. Diesen Vorwand wollten die Ukrainer, das ist meine Lesart und meine Interpretation aus dem, was wir gesehen haben, diesen Vorwand nicht liefern. Also wir haben es nicht einmal erlebt, dass zum Beispiel großen Truppentransport, oder dass große Technik, da irgendwo Militärtechnik, irgendwo in der Zeit hin und hergeschoben wurde. Sondern, wenn man dort an einen Checkpoint gekommen ist, die waren alle wahnsinnig vorsichtig. Und die Provokation, oder das, was ich an Schüssen hörte in dieser Zeit, kam immer aus der Separatisten-Ecke. So, dass ich vermute, dass dort ein Vorwand geschaffen werden sollte, dass die Ukrainer zurückfeuern, dass es zu Auseinandersetzungen kommt. Und Putin kann dann sagen, oder die Rebellen können dann sagen: "Hier Freunde, die Ukraine greift uns an, es gibt Verstöße gegen das Minsker Abkommen. Die Menschen fliehen aus der Ostukraine. Lieber Vater Putin, du musst jetzt hier eingreifen." Und so ist es ja dann letzten Endes auch gekommen.
ES: Planst du, in der nächsten Zeit wieder zurückzureisen?
AG: Ich meine, wir sind ja Journalisten und ich meine, niemand kommt zurzeit an diesem Thema vorbei, in jeder Hinsicht. Es ist ein sehr einschneidendes Ereignis für uns in Europa. In vielerlei Hinsicht. Man hat viele Menschen, die jetzt auch fliehen müssen. Man hat viele Menschen, die dort ums Überleben kämpfen. Und ich glaube, wir sollten auf keinen Fall uns an diese Bilder, die dort im Augenblick zu sehen sind, gewöhnen. Wir sollten auch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern ich glaube, wir müssen weiter darüber berichten. Wir müssen dranbleiben, was für mich bedeutet: Ja natürlich, sobald es möglich ist und es wieder geht und wir auch wieder fit sind, denke ich, werden wir auch auf welche Art und Weise auch immer, wieder darüber was machen. Und wenn es sein muss, dann werden wir natürlich auch wieder hinfahren. Klar!
ES: Lieber Arndt Ginzel, danke, dass du dir die Zeit genommen hast und ich hoffe, du kannst vorher erstmal noch ein bisschen ausruhen!
AG: Gerne!
ES: Das war eine Bonus-Folge des Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Auf mdr.de finden Sie regelmäßige Updates zum Krieg in der Ukraine. Die nächste reguläre Folge erscheint kommende Woche. Und in der spreche ich mit der Journalistin Natalie Meinert über das ehemalige Frauengefängnis Hoheneck. Die Gedenkstätte des Ortes soll in diesem Jahr neu eröffnen. Wie genau das aber aussehen soll, darüber gibt es eine heftige Debatte. Falls Sie bis dahin mit uns in Kontakt treten wollen, dann können Sie das sehr gerne tun. Sie erreichen uns per E-Mail unter investigativ@mdr.de. Bleiben Sie gesund und bis zum nächsten Mal!
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exakt | 04. März 2022 | 14:33 Uhr