MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (FOLGE 93) Illegal nach Deutschland – halten Grenzkontrollen Schleuser auf?
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Audiotranskription
15. Dezember 2023, 12:06 Uhr
Sie hören nichts mehr - und es gibt sie auch nicht mehr - von wilden Verfolgungsjagden. Sie hören nichts mehr von verunglückten Schleuser-Fahrzeugen. Es gibt keine Verletzten mehr. Wir hatten ja sogar eine tote Frau aufgrund dieser halsbrecherischen Fahrten der Schleuser.
Das ist der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU). Schuster hatte schon länger stationäre Grenzkontrollen gefordert. Und sieht sich nun, nach ihrer Einführung bestätigt. Denn nach Einführung der Kontrollen am 16.Oktober sank zB für Novemver die Zahl der illegalen Einreisen um rund ein Viertel.
Was die Grenzkontrollen bringen? Welche Widerstände es gab Und wie die Leute an der Grenze und die Diskussionen um die Zunahme der Migranten wahrgenommen haben und heute sehen. Darum soll es in dieser Folge von MDR investigativ hinter der Recherche gehen. Uns hören sie immer freitags alle zwei Wochen mit einer neuen Folge in der ARD Audiothek und da, wo sie uns gerade hören. Ich bin Secilia Kloppmann. Und zugeschaltet aus Görlitz ist diesmal Jörg Winterbauer.
Hallo Jörg
SK (Secilia Kloppmann)
Du hast dich für das MDR Nachrichtenmagazin exakt schon im Sommer mit dem Thema Grenzkontrollen befasst. Da gab es noch keine Grenzkontrollen. Du hast dann später auch die Entwicklung weiter beobachtet, als die Diskussionen noch mal mehr Fahrt aufgenommen haben - und auch als dann die Grenzkontrollen eingeführt wurden. Dein Film läuft auf YouTube im Channel MDR INVESTIGATIV als exactly und heißt "Jagd auf Schleuser - Wirken Grenzkontrollen?". Jörg, du bist aus Görlitz, Du wohnst also im Grenzgebiet. Lag da das Thema für dich auf der Hand?
JW (Jörg Winterbauer)
Ja, es lag auf jeden Fall so ein bisschen in der Luft. Es war ein Thema, von dem man viel mitbekommen hat. Zum einen, weil ich auch für die Onlineredaktion arbeite, und es da immer wieder Meldungen gab. Pressemitteilungen von der Bundespolizei, die berichtet hat von Unfällen mit Schleusern oder von irgendwelchen Schleuser-Fahrten. Und dadurch war das immer so in meinem Bewusstsein zum einen. Und dann habe ich es teilweise auch gesehen. Wenn ich irgendwo hingefahren bin, dann sah ich am Straßenrand, dass die Polizei wieder ein Schleuser-Fahrzeug gestoppt hat. Ich weiß nicht, ob das jetzt ein Zufall war, dass ich das da gerade gesehen habe. Ich will jetzt nicht behaupten, das war so oft, dass es jetzt ständig hier passiert ist und jeder das dauernd gesehen hat. Aber man hat davon schon was mitbekommen, auf jeden Fall hier in der Gegend.
SK
Und die Flüchtlinge sind dann über die Grenze gekommen in größeren Autos, in Transportern oder in Minibussen. Wie sind die gekommen?
JW
Also ganz unterschiedlich. Es wurden Menschen in PKWs geschleust, in LKWs, aber besonders häufig in Transportern, die eigentlich für Waren vorgesehen sind. Und oft war es so, dass wirklich 30 Menschen oder mehr Leute für eine Fahrt zum Beispiel aus der Slowakei ungesichert auf der Ladefläche saßen und da so richtig reingequetscht wurden. Es gab einen Fall im Landkreis Görlitz, wo 49 Menschen in so einen Transporter gequetscht wurden. Wir haben das selbst auch gesehen.
Also wir haben nicht in Sachsen gedreht, das hatte so kurzfristig nicht geklappt. Dann haben wir in Südbrandenburg in Forst gedreht und wir waren dabei ganz kurz nachdem das Fahrzeug gestoppt wurde. Und wir waren dabei, in dem Moment, als die Türen aufgemacht wurden, zum ersten Mal. Und das war schon ein komischer Moment, weil da saßen so 30 bis verängstigt blickende, überwiegend Männer. Es war auch eine Frau drin und zwei kleine Kinder, aber auf jeden Fall 30 Personen. Die saßen da drin und wussten gar nicht, wo sie sind und konnten einem wirklich leid tun in dem Moment. Ich meine, die haben sich selbst dafür entschieden.
SK
Denn die haben ja auch ziemlich viel Geld dafür bezahlt. Für diese Schleusung, richtig?
JW
Ja, ich habe mit mehreren von diesen Leuten gesprochen. Die allermeisten kamen aus Syrien und einer hat mir gesagt, dass die so zwischen acht und 10.000 € für die gesamte Schleusung nach Deutschland gezahlt haben pro Person. Und der Bundespolizist dort, der uns da Auskunft gegeben hat, der hat gesagt, für die Fahrt aus der Slowakei bekämen die Fahrer 500 bis 1.000 € pro Person. Also da geht es um viel Geld.
SK
Da geht es also eher ums Geschäft als darum, Leuten wirklich zu helfen. Und es ist ja auch gefährlich, die sind da ungesichert auf dieser Ladefläche, da gibt es keinen Sicherheitsgurt oder irgendwas. Was ich noch wissen wollte, Jörg. Weiß man denn, aus welcher Richtung die kommen? Also es gab ja auch vor allem in den letzten Wintern auch immer wieder Berichte, dass Flüchtlinge über Russland Belarus gekommen sind?
JW
Ja, also in dem Fall kamen die wohl über die Balkanroute und der Transporter kam konkret aus der Slowakei, hatte auch slowakische Kennzeichen und ich habe die Migranten befragt. Einer hat mir zum Beispiel erzählt, der kam über die Türkei, dann Serbien, Ungarn und dann eben Slowakei, Polen, Deutschland. Und ich habe mir sagen lassen, das so seit Juli glaube ich, die Balkanroute, also die Westbalkanroute, die deutlich höher frequentierte war.
Bis zum Sommer ungefähr war die Belarus-Route ein Riesenproblem. Da kamen die Leute über Moskau. Von Moskau haben die Visa bekommen, russische Visa offiziell zum Studieren. Aber es wird auch immer gesagt, ich kann es jetzt nicht nachweisen, aber es wird auch immer gesagt, dass eben Russland es aktiv und bewusst unterstützt. Die sind dann von Moskau nach Minsk weiter und von Minsk ging es dann an den Grenzzaun zu Polen oder Litauen.
Und ich habe auch aus sehr vertrauenswürdigen Quellen mir sagen lassen, dass die belarussischen Grenzbeamten auch zeigen, wo sie über den Zaun kommen oder helfen oder den Zaun durchschneiden oder eine Leiter mitgeben oder wie auch immer. Und zwar nicht, weil sie so nett sind, sondern einfach um es Europa schwerer zu machen. Und die sollen auch die Leute bedroht haben, dass sie, wenn die zurückkommen, weil die Polen wiederum sie eben zurückschicken, dass die dann eben dort mit einer Waffe bedroht werden oder in der Kälte mit Wasser übergossen werden. Also Sachen habe ich mir schildern lassen von Hilfsorganisationen. Aber ich habe das selbst nicht gesehen, kann es nicht belegen.
SK
Wir hatten tatsächlich und das ist quasi ganz genau zwei Jahre her einen Podcast genau darüber, wo Kollegen da auch vor Ort waren, an der Grenze in Polen und haben das damals auch geschildert, diese furchtbaren Zustände. LINK!!!! Und das ist ja jetzt auch ein Grund, weshalb Finnland seine Grenzen zu Russland komplett dicht gemacht hat. Unter diesem gleichen Vorwurf, dass darüber sehr viele Migranten geschickt werden, eigentlich auch um den, ja, um den Westen zu destabilisieren.
Seit dem 16. Oktober gibt es jetzt an den Grenzübergängen Kontrollen. Da gab es auch lange Diskussionen drum. Bundesinnenminister Nancy Faeser wollte das lange vermeiden und hat noch einen Monat vorher im September gesagt:
Wenn Sie stationäre Grenzkontrollen machen, brauchen Sie wahnsinnig viel Personal und haben nur an dieser eine Stelle Kontrolle. Was bedeutet natürlich für die Menschen, dass sie ihre Pflegekräfte, die Handwerker, es jeden Tag sehr, sehr schwer haben, den Grenzen durchzukommen. Und das führt zu massiven Belastungen der Menschen im Alltag.
SK
Wir haben es ja gesagt Du wohnst in Görlitz, da gibt es ja den deutschen Teil und den polnischen Teil. Da gibt es viel Grenzverkehr. Kannst du dieses Argument von Nancy Faeser aus dem September, was wir gerade gehört haben … kannst du das nachvollziehen?
JW
Ja, ich kann das Argument nachvollziehen. Also ich persönlich finde Grenzkontrollen grundsätzlich auch nicht toll oder nicht sympathisch. Erst mal, weil ich einfach überzeugter Europäer bin. Und ich finde hier in der Grenzregion, das Zusammenleben mit den Polen und Tschechen funktioniert einfach sehr gut und ich glaube, alle profitieren davon und es gibt relativ viel Austausch. Für manche ist es dann auch nur das Tanken oder so, aber auch das ist ja ganz schön. Und Grenzkontrollen stören dabei natürlich ein bisschen. Es ist aber jetzt nicht so schlimm, wie sie das damals so gezeichnet hat. Also sie hat dann immer so ganz große Bilder ausgepackt von den Schlagbäumen und sie hat dann immer gewarnt, die Pflegekräfte kommen da nicht mehr rüber und die Handwerker und so oder kommen nur noch ganz schwer rüber. Und ganz so ist es nicht. Also klar, jetzt zum Beispiel in Görlitz, da entstehen manchmal schon ein bisschen Wartezeiten, aber es hält sich in Grenzen. Also es ist wirklich nur zu den Hauptverkehrszeiten - und selbst da ist es relativ überschaubar. Es ist ja jetzt keine Grenzkontrolle, wie es die mal gab in dem alten Sinne, dass jeder da kontrolliert wird und jeder muss seine Papiere vorzeigen. Sondern es ist überwiegend eine Sichtkontrolle des Autofahrers. Es wird mal reingeschaut und wenn dann ein Auto irgendwie den Polizisten verdächtig vorkommt oder man kann da nicht so gut reinschauen, dann wird es eben noch mal rausgezogen, wird noch mal genauer angeschaut. Bei den Transportern zum Beispiel wird dann öfter mal hinten reingeschaut, aber die Behinderung oder die Verzögerungen an der Grenze halten sich einigermaßen in Grenzen.
Ich habe es mir angeschaut in Görlitz, da staut sich tatsächlich manchmal. Ich habe es mir angeschaut in Zittau, als wir da waren, hat sich fast gar nicht gestaut. Wir waren vormittags da. Ich weiß es nicht, ob es nachmittags manchmal anders ist. Und auch in Ludwigsdorf, als wir da rüber gefahren sind, über die A4, über den Grenzübergang von Polen nach Deutschland, auch da hat sich, als wir da waren, überhaupt nicht gestaut. Ich habe dann mal geguckt, in Stau-Apps, da habe ich dann schon ab und an mal gesehen, dass es sich so zehn oder 20 Minuten gestaut hat. Aber es ist nicht so schlimm.
SK
Lass uns doch mal darüber sprechen, wie das vor diesen Grenzkontrollen war und welche Handhabe die Polizei eigentlich hatte. Da gab es ja die sogenannten Schleierfahndungen. Da war ja das Problem bis zum 16. Oktober, wenn man die Leute nicht direkt an der Grenze abweist/zurückweist. Und ich finde, der sächsische Innenminister Armin Schuster, den wir am Anfang schon mal gehört haben und der sich ja auch explizit für diese Kontrollen ausgesprochen hat und die auch schon lange gefordert hat, der hat das in deinem Film ganz gut erklärt.
Armin Schuster (CDU), Innenminister Sachsen
Wir könnten die Schleusung am Grenzübergang unterbinden, bevor überhaupt deutsches Hoheitsgebiet erreicht wird. Das ist ein entscheidender Vorteil und nur dort darfst du zurückweisen. Ein schon Eingereister, der aufgegriffen wird nach zehn Kilometer auf deutschem Hoheitsgebiet, darf nicht mehr zurückgewiesen werden. Er muss dann den langwierigen Weg einer Rückführung, der oft Monate dauert und oft nicht klappt, gehen. Deswegen sind wir für dieses Schleierfahndung plus Grenzkontrolle.
SK
Jörg habe ich jetzt Armin Schuster richtig verstanden, dass jetzt alle, die zum Beispiel in solchen Transportern oder Kleinbussen kommen, dass die dann auch abgewiesen werden oder abgewiesen werden können?
JW
Nicht unbedingt. Also wenn es Grenzkontrollen gibt und die sind bei der EU angemeldet. Es ist ja so, in der in der EU gibt es ja eigentlich, oder Im Schengenraum sind ja Binnengrenzkontrollen eigentlich nicht vorgesehen. Wenn aber ein Land sagt, wir brauchen jetzt aus einer bestimmten Situation heraus jetzt eben doch diese Binnengrenz-Grenzkontrollen an unseren Landesgrenzen, dann müssen diese Grenzkontrollen bei der EU angemeldet werden.
Und wenn die angemeldet werden, nur dann ist es im rechtlichen Sinne auch eine Grenzkontrolle. Und auch nur dann können Personen, die nicht die erforderlichen Reisedokumente haben, an der Grenze dann auch zurückgewiesen werden. Aber auch das mit Einschränkungen, weil es nach wie vor - auch wenn es Grenzkontrollen gibt - die Personen kommen über die Grenze: Dann werden die befragt, was es damit auf sich hat und dann sagen die zum Beispiel, wir brauchen Schutz, weil wir in unserem Land verfolgt werden. Dann werden die trotzdem nicht zurückgewiesen. Aber wenn die nicht die erforderlichen Reisedokumente haben und in der Befragung kommt heraus, die wollen nach Deutschland, weil sie mehr verdienen wollen zum Beispiel oder was auch immer. Und die stellen eben kein Asylgesuch, dann können die zurückgewiesen werden und dann werden die eben den polnischen oder tschechischen Behörden oder den Schweizer Behörden werden die dann eben übergeben an der Grenze.
SK
Du hast es ja schon mal ganz kurz gesagt und hast auf die EU hingewiesen, was ich mich auch gefragt habe, bei deinem Film "Jagd auf Schleuser - wirken Grenzkontrollen?" Da wird ja auch erzählt, dass es diese Grenzkontrollen in Bayern schon seit 2015 gibt und jetzt für Sachsen und für Brandenburg, die ja diese Grenzen haben, war das da so ein Riesentheater? Also wir haben eine EU und wir haben aber auch in Deutschland unterschiedliche Regelungen, wie kann das eigentlich sein?
JW
Ja, das ist eine sehr gute Frage. Habe ich mich auch gefragt, hätte ich auch gerne die Bundesinnenministerin Faeser gefragt. Die hat ein Interview aber abgelehnt und ich habe das auch schriftlich nachgefragt und auch diese Frage wurde mir leider nicht beantwortet. Also ich habe im Bundesinnenministerium angefragt, warum sie die temporären Grenzkontrollen von Bayern zu Österreich immer wieder um halbes Jahr verlängert hat und zu Tschechien und Polen, wo zum Beispiel der sächsische Innenminister und der Brandenburger Innenminister schon lange auch Grenzkontrollen gefordert haben, hat sie es immer wieder abgelehnt. Und das war nicht so ganz schlüssig. Das war aber, muss man auch sagen, auch Teil Ihre Begründung, warum sie jetzt eben doch auch diese temporären Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien einführt.
SK
In deinem Film kann man das sehen, wie das funktioniert. Dann werden alle Autos über einen Parkplatz geleitet und dann wird kontrolliert, diese Sichtkontrolle. Ich habe mich gefragt, bindet das nicht eigentlich unheimlich viel Personal auch bei der Polizei?
JW
Ich kann dir leider keine so ganz klare, genaue Antwort geben, weil jeder, den man fragt, sagt was anderes. Also wenn man bei der Gewerkschaft der Polizei fragt die SPD-nah ist, dann bindet das viel zu viel Personal und ist keine sinnvolle Maßnahme. Und wenn man bei der Deutschen Polizeigewerkschaft fragt, dann ist es genau andersherum.
Dadurch wird Personal gespart. Es ist eine großartige Maßnahme, weil die Schleierfahndung ja viel personalintensiver sei. Und wenn man quasi an den Grenzübergängen schon Kontrollen hat und da schon ganz viele Leute rausfiltern kann, quasi, die eigentlich nicht einreisen sollten, dass man dadurch dann im Hinterland quasi Personal sparen kann. Zurzeit ist es aber so, dass die Schleierfahndung eben weiterläuft. Und es gibt noch die Kontrollen an den Grenzen. Das heißt, ich würde sagen ja, das bindet sehr viel Personal. Ich kann dir jetzt aber keine genauen Zahlen sagen. Es ist auf jeden Fall so, dass da, wo ich war, zum Beispiel in Zittau, waren Polizisten aus Frankfurt am Main oder in Görlitz habe ich es mitgekriegt, da waren Polizisten aus Nordrheinwestfalen. Das heißt, Bundespolizisten aus anderen Regionen kommen hier an die Grenze, weil auf jeden Fall viel Personal gebraucht wird. Das war aber vorher auch schon so, also auch als ich in Forst gedreht habe, da war auch schon die Schleierfahndung intensiviert worden. An den Grenzen zu Polen und Tschechien. Da habe ich auch mich mit einem Polizisten unterhalten, der aus Nordrheinwestfalen kam.
SK
Als du dich unterhalten hast, mit den Beamten vor Ort, Zoll, Polizei.. und natürlich auch mit den Leuten, die da hin und her pendeln. Wie ist da so die Stimmung nach Einführung der Grenzkontrollen? Sind die Leute zufrieden oder finden es eher als Belastung?
JW
Wir haben in Zittau einige Leute gefragt, wie die die Kontrollen finden. Und da fanden eigentlich alle, die wir gefragt haben, fanden die gut. Ein Handwerker, glaube ich, war es, der hatte Kunden in Tschechien und er hat gesagt, der fährt jeden Tag da rüber und der fand es extrem nervig. Aber der fand es nicht nervig, dass es die Grenzkontrollen überhaupt gibt, sondern dass sie ihn jedes Mal wieder kontrollieren. Der hat dann gesagt, man könne auch mal das Nummernschild aufschreiben. Aber da sagt die Bundespolizei, na ja, aber der kann ja auch 15 mal rüberfahren und beim 16. Mal Leute reinpacken. Ich halte ich es für unwahrscheinlich. Der sei schon wirklich sehr echt aus, quasi so als Handwerker. Aber klar, theoretisch ist es möglich. Und der war extrem genervt und hat da auch so ein bisschen sauer auf die Polizisten reagiert. Aber sonst fanden es eigentlich alle gut. Und weil viele auch so ein bisschen das Gefühl hatten, dass der Staat hier ein bisschen wenig präsent ist und seine Aufgabe nicht so richtig gut erfüllt. Und insofern hatte ich das Gefühl, die meisten Leute finden es eigentlich eher gut.
SK
So wie der sächsische Innenminister Armin Schuster. Den hast du ja nach Einführung der Grenzkontrollen noch mal getroffen. Und da hat er gesagt.
Sie hören nichts mehr und es gibt sie auch nicht mehr von wilden Verfolgungsjagden. Sie hören nichts mehr von verunglückten Schleuser Fahrzeugen. Es gibt keine Verletzten mehr, ja sogar eine tote Frau. Aufgrund dieser halsbrecherischen Fahrten der Schleuser. Es gibt auch kaum noch diese mal orientierungslos im Grenzraum herumirren. Kleingruppen von jungen Männern, wo die Bürger sagen Was ist denn hier los?
SK
Also Herr Schuster zeigt sich zufrieden, dass diese Grenzkontrollen was gebracht haben. Das zeigen jetzt ganz aktuelle Zahlen, sind gerade erst rausgekommen, da gab es eine Anfrage von der linken Bundestagsfraktion, vermutlich eine der letzten dieser Fraktion. Und die sind deutlich, die Zahlen.
JW
Ja, die sind ziemlich deutlich. Danach hat die Bundespolizei vom 1. bis zum 23. November an den Landesgrenzen insgesamt 4.353 unerlaubte Einreisen festgestellt und im Oktober waren es noch 18.000, also ungefähr viermal so viele. Das heißt also, es ist deutlich weniger geworden.
SK
Die Frage ist: Hat es was mit den Grenzkontrollen zu tun oder nicht? Also das sind ja offizielle Zahlen. Was ich mich auch frage: Grenzkontrollen, das ist also da, wo man mit einem Auto durchfährt. Aber es gibt ja keinen Grenzzaun. Man könnte ja die Leute auch einfach durch den Wald schicken, also über die grüne Grenze, da hat man ja keine Kontrolle drüber, oder?
JW
Absolut. Und ich denke, das wird auch weiter passieren. Tatsächlich ist das sehr wahrscheinlich. Also es deutet sehr, sehr viel darauf hin, dass auch das deutlich zurückgegangen ist. Zum Beispiel war ich in einem kleinen Ort, das kam jetzt nicht in die Reportage, ich habe da nicht gefilmt, nur für meine Recherche. In einem kleinen Ort bei Görlitz, da kamen ganz oft eben Migranten über die Fußgänger- und Fahrrad Brücke und ungefähr ab Ende Oktober kamen auch da keine Leute mehr. Das haben zumindest die Anwohner berichtet. Und die Bundespolizei hat auch festgestellt, zumindest da, wo ich gedreht habe, zum Beispiel bei Zittau oder bei Ludwigsdorf, das auch die Bürgerhinweise ganz, ganz, ganz deutlich zurückgegangen sind. Ungefähr 50 % der Aufgriffe kamen über Bürgerhinweise zustande, also dass Anwohner oder Passanten oder Menschen, die im Auto vorbeigefahren sind, gesehen haben, hier ist eine Gruppe von 20 Migranten oder Flüchtlingen unterwegs. Nach Auskunft der Bundespolizisten, mit denen ich gesprochen habe, gab es das seit Ende Oktober fast gar nicht mehr. Das heißt, es deutet ganz, ganz viel darauf hin, dass nicht nur die offiziellen Zahlen zurückgegangen sind, sondern dass die Einwanderung oder die illegale Einwanderung, wenn man so will, nach Deutschland insgesamt deutlich zurückgegangen ist.
SK
Heiko Teggatz von der Bundespolizei-Gewerkschaft DPolG sagt, dass es da ja offenbar so eine Art Dominoeffekt gibt…
In dem Moment, wo Deutschland signalisiert hat: Liebe europäische Nachbarn, wir schauen jetzt mal genau nach an unserer Grenze, wer denn da von euch Richtung Deutschland kommt, wollen die natürlich auch vermeiden, dass durch die zahlreichen Zurückweisungen, bei denen im Land ein Stau entsteht, also sowohl die Polen als auch die Tschechen, aber auch die Slowaken und die Ungarn haben in Kettenreaktion natürlich auch Binnengrenzkontrollen an die Anrainerstaaten umgesetzt. Und das führt dazu, dass insgesamt der Migrationsdruck nach Deutschland logischerweise nachlässt.
JW
Ja, also so ganz hundertprozentig korrekt ist es nicht, was er sagt. Ich will jetzt nicht sagen, dass er Quatsch erzählt. Aber die haben tatsächlich vor Deutschland noch die temporären Grenzkontrollen zur Slowakei eingeführt. Also Österreich, Polen, Tschechien haben die temporären Grenzkontrollen zur Slowakei Anfang Oktober eingeführt. Deutschland hat seine temporären Grenzkontrollen zur Schweiz, Polen und Tschechien am 16. Oktober eingeführt. Aber ich gehe auch davon aus, dass es da einen Zusammenhang gibt, also dass die in Voraussicht der deutschen Grenzkontrollen - die Diskussion gab es ja das schon länger und es hat sich ja schon so ein bisschen abgezeichnet, dass es kommen wird - dass die tatsächlich in Voraussicht der deutschen temporären Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien sich dann gesagt haben okay, dann führen wir eben zur Slowakei auch temporäre Grenzkontrollen ein. Die Slowakei fand das nicht so gut, hat dann einen Tag später temporäre Grenzkontrollen zu Ungarn eingeführt. Und Ungarn hat ja sowieso schon seit 2015 einen Grenzzaun zu Serbien. Und ich habe dann den Hinweis bekommen, dass in Serbien sich zurzeit viele Migranten und Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa eben stauen oder da eben feststecken und nicht weiterkommen. Also es kann sein, dass auch dadurch, dass es jetzt eben auf der Route deutlich mehr Grenzkontrollen gibt, dass auch dadurch einfach weniger Menschen nach Deutschland kommen, weil es dadurch einfach für die Schleuser jetzt auch riskanter geworden ist und schwieriger geworden ist. Aber ich habe mich auch mit einer Anwältin von einer serbischen Flüchtlingshilfe Organisation unterhalten und die hat mir von Schießereien zwischen rivalisierenden Schleuser Gruppen erzählt. Und auch das bzw die Reaktion der serbischen Polizei darauf könnte auch eine sehr große Rolle spielen. Dafür, dass jetzt zu Zeit nach Deutschland viel viel weniger Migranten kommen. Aber was es damit auf sich hat, kann man sich ja dann in der Reportage anschauen.
SK
Ja , das kann man sich da ansehen. Und was man sich da auch ansehen kann, das reißen wir jetzt auch nur ganz kurz an, fand ich aber super spannend, dass es dir ja auch gelungen ist bei einer Gerichtsverhandlung gegen zwei Schleuser dabei zu sein. Nur ganz kurz, was erwartet denn Leute an Strafen, wenn sie, wenn sie Menschen über die illegal Grenze bringen?
JW
Also das kann mit bis zu fünf Jahren bestraft werden. Und wenn dabei eine Lebensgefahr für die Eingeschleusten ausgeht, kann es mit bis zu zehn Jahren bestraft werden. Das passiert aber selten. Also viele, die zum ersten Mal jemanden einschleusen, kommen auch mit Bewährung davon. Also ich war dabei bei einer Gerichtsverhandlung im Amtsgericht Görlitz gegen zwei Schleuser und das waren meiner Meinung nach oder nach meiner Einschätzung waren es ziemlich kleine Fische. Das waren zwei Männer, die in der Nähe von Frankfurt wohnen, beide spanische Staatsbürger marokkanischer Herkunft und der eine war 29, der andere 24. Der 29-jährige war nach eigener Aussage war es so: Der hat für Amazon gearbeitet, hat dann Unfall gebaut, hatte dadurch ein paar hundert Euro Schulden, hat das seinem Kumpel erzählt. Der hat gesagt, ja, wenn du Geld verdienen willst, ich kenne da jemanden, der hat da eine ganz gute Möglichkeit. Komm mal in die Shisha Bar, so und so und dann hat er da seinen Auftraggeber getroffen und der hat ihm dann Koordinaten gegeben, hat gesagt fahr nach Warschau, übernachte da und am nächsten Tag fährst du zu diesen und diesen Koordinaten und das war ein Ort in der Nähe der belarussischen Grenze. Dann ist er da hingefahren und dann kam da, ich glaube 14 waren es, bei der ersten Fahrt. Vielleicht waren es auch mehr, aber 14 wurden dann festgestellt. Später, wenn er von der Polizei kam, dann 14 Menschen aus den aus den Büschen und sind in das Auto gestiegen. Und dann ist er bei Ludwigsdorf, also bei Görlitz über die A4, dann über die Grenze gefahren und dafür hat er dann wohl 350 € bekommen. Also das war seine Aussage. Aber die Polizei hat auch seine Chats ausgewertet und hat das auch bestätigt. Also das waren wirklich nur 350 € für die ganze Fahrt. Das war vor zwei Jahren. Dann hat er noch eine Fahrt gemacht nach Görlitz und da wurde er dann erwischt und bei der ersten Fahrt war noch ein Bekannter von ihm dabei. Die kannten sich über ihre Schwestern, ein 24-jähriger und der war dann auch vor Gericht. Also zu den Nationalitäten. Ist jetzt nicht so, dass es nur irgendwie Marokkaner oder Araber oder so sind. Das waren öfters Syrer, aber auch Ukrainer, Polen, Deutsche habe ich auch immer wieder mal gesehen. In den in den Meldungen der Bundespolizei. Also relativ bunt gemischt quasi wer diese, wer diese Schleuser Fahrten macht.
SK
Und in deinem Film habe ich auch erfahren, dass gerade 90 Schleuser in Untersuchungshaft in Görlitz sitzen. Das fand ich ganz schön viel.
JW
Ja, absolut. Also es ist jetzt schon ein paar Tage her, dass ich da bei der JVA Görlitz angefragt habe. Ich hoffe, diese Zahl ist jetzt noch aktuell. Aber als ich vor ein paar Wochen bei der JVA Görlitz mal nachgefragt habe, da saßen über 90 Schleuser in Untersuchungshaft und die JVA war auch komplett voll, also zu 104 % belegt. Die haben ganz schön zu schaffen und die Justiz hat auch ganz viel zu schaffen. Also ich lasse mir auch immer vom Amtsgericht Görlitz und vom Land Landesgericht lasse ich mir auch immer die die Verhandlung schicken, die in den nächsten Tagen anstehen. Und da gibt es jetzt eigentlich keine Woche ohne eine Verhandlung gegen Schleuser.
SK
Das muss man sich, glaube ich, einfach weil man, wenn man über diese ganzen hier, über dieses ganze Thema spricht, auch wirklich immer noch mal vor Augen führen. Also es geht darum, dass Leute auf Kosten anderer sehr, sehr viel Geld verdienen wollen, nämlich diese Schleuserbanden. Die benutzen Leute, die hilflos sind, also benutzen, zumindest um Geld aus den herauszupressen. Und die beschäftigen unsere Justiz, die Beschäftigen, die Justizvollzugsanstalten, die Beschäftigten, die Polizei, den Zoll. Und so weiter. Und auf der anderen Seite ist es eine schwierige Situation, dass Menschen hierher kommen wollen und ein besseres Leben haben wollen. Das kann man ja menschlich auch total verstehen. Jetzt ist es so, das heißt, die Gefahr ist natürlich auch groß, gerade wenn sie aus Richtung Polen oder Belarus kommen, dass sie das nicht überleben, weil es einfach jetzt Winter ist. Wie ist denn jetzt dein persönliches Fazit, Jörg, Nachdem du dich so lange mit diesem Thema beschäftigt, dass hast du deine Meinung.
JW
Ja, das ist echt ganz ganz schwer, finde ich. Genau aus dem Grund, den du nennst. Es geht da um Menschen und ob das jetzt alles wirklich Flüchtlinge sind oder ob die die Kriterien erfüllen, um als Flüchtlinge anerkannt zu werden, sei noch mal dahingestellt. Aber ich glaube, niemand verlässt seine Heimat ohne einen guten Grund. Und gleichzeitig kann man eben kaum jeden reinlassen und jedem helfen und jeden integrieren. Ich habe auch vor ein paar Wochen Beitrag gemacht darüber, wie überlastet die Kommunen sind und die sind wirklich am Limit
Ich glaube, man muss etwas gegen die illegale Migration tun, weil es sonst völlig aus dem Ruder läuft. Und dass nur Rechtsextreme am Ende dient, wenn die Menschen das Gefühl haben, ihre Sorgen werden nicht ernst genommen. Und gleichzeitig glaube ich aber, dass es gut ist, legale Möglichkeiten zu schaffen, Flüchtlingen oder Menschen in Not oder Menschen, die sich auch positiv einbringen wollen und hier arbeiten wollen und sich integrieren wollen. Dass man da legale Möglichkeiten schafft, dass die hierherkommen können.
SK
Ein schwieriges, komplexes Thema. Spannende Einblicke gibt es in dem Film von Dir, Jörg Jagd auf Schleuser wirken Grenzkontrollen zu sehen auf YouTube bei MDR INVESTIGATIV. Ich danke dir sehr für dieses interessante Gespräch, Jörg Winterbauer.
Ich danke dir.
MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche