MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (FOLGE 78) Strukturen, Finanzen, Arbeitsteilung – Einblicke in die "Letzte Generation"
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Audiotranskription
19. Mai 2023, 11:32 Uhr
Diese maximale Störung der öffentlichen Ordnung an das klingt im ersten Moment nach Erpressung und nach einer Drohung. Das soll aber einfach nur symbolisieren das ist das, was wir jetzt anscheinend brauchen, damit wir überhaupt mal ins Gespräch kommen.
Wir haben so viel Respekt für den Rechtsstaat. Wir erinnern ihn daran, dass er sich selber zur Pflicht gemacht hat, unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Eben Artikel 20 Arten. Es geht uns darum, das wir der Feueralarm sind, der vor dem drohenden Klimakollaps warnt.
Und ich bin auch für Klimaschutz. Ich nehme mir nicht das Recht raus, alle Menschen hier an ihrem alltäglichen Leben in der Gesellschaft zu behindern.
Moderation, Secilia Kloppmann (SK)
Die Protestaktionen der "Letzten Generation vor den Kipppunkten" sorgen und sorgten für erhitzte Gemüter. Denn durch ihre Straßenblockaden, für die sie sich zumeist auf dem Asphalt festkleben, sorgen sie für eine große Störung im Straßenverkehr. Der Druck ist enorm. Menschen müssen zur Arbeit ihre Kinder abholen, zum Flughafen Rettungswagen haben Probleme durchzukommen
Secilia Kloppmann (SK)
Und damit herzlich willkommen zu einer neuen Folge von MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche, zu der ich Sie herzlich begrüße. In diesem Podcast sprechen wir mit unseren Autorinnen und Autoren über ihre Recherchen und persönliche Eindrücke während der Arbeit am Thema. Immer freitags, alle zwei Wochen gibt es in der ARD Audiothek und überall da, wo Sie diesen Podcast gerade hören, eine neue Folge. Ich bin Secilia Kloppmann und arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks. Dieses Mal ist unser Thema die Letzte Generation. Seit die Protestaktionen der letzten Generation massiv zugenommen haben, ist auch die Diskussion, wie weit Protest gehen darf und zu wessen Lasten, in vollem Gange. In dieser Podcast-Folge aber, wollen wir vor allem hinter die Kulissen der Bewegung der Letzten Generation schauen. Also: Wer sind die Aktivistinnen und Aktivisten? Wie sind sie organisiert? Welche Ziele haben Sie? Wer finanziert sie? Meinem Kollegen Ben Arnold gelang es als Journalist, tief in die Strukturen der Aktivistenbewegung einzutauchen. Ben hat dazu einen Film gemacht. Der ist zu sehen auf YouTube und heißt "Inside letzte Generation". Und was Ben bei den Aktivistinnen und Aktivisten erlebt hat, darüber wollen wir diesmal sprechen. Hallo Ben Arnold
Hallo, Secilia
SK:
Ben, du konntest eine Gruppierung der Letzten Generation begleiten mit der Kamera. Was waren das für junge Leute? Wo kamen die her? Und was war das für ein Filmprojekt?
Ben Arnold (BA)
Also im Fokus dieses Films sind eine Aktivistin und ein Aktivist der Gruppe "Letzte Generation vor den Kipppunkten". Die Aktivistin ist 22 Jahre alt, der Aktivist 19 Jahre, also relativ junge Leute. Die sind beide verortet in Sachsen, nämlich in Leipzig und Dresden. Sind aber beide auch so committet zum Klimaprotest, dass sie tatsächlich deutschlandweit auf Protestaktionen unterwegs sind. Ja, und mit denen habe ich mich über einen längeren Zeitraum - ich glaube, das waren dann insgesamt rund sechs Wochen - immer wieder getroffen, auch an verschiedenen Orten. Und der Lars ist tatsächlich auch in der letzten Generation auf einer Entscheidungsebene. Also er ist jetzt nicht nur jemand, der sich auf die Straßen klebt, sondern er ist auch in Planungen involviert. Ich habe mich dann tatsächlich auch in Hamburg und in Berlin mit ihm getroffen.
SK
Standen da von Anfang an die Türen offen, für deine Idee?
BA
Wir haben da im Vorfeld natürlich viel darüber diskutieren müssen. Ich musste da auch klarmachen, was will ich denn überhaupt mit dem Film. Was ist mir wichtig daran. Und ich habe schon das Gefühl bekommen, das erstmal von dieser Gruppe her auch ein Bedürfnis da ist, sich transparent zu machen, auch einen Einblick zu gewähren. Das ist dann natürlich auch immer irgendwo eine Vertrauensfrage, weil sie ja auch ganz genau wissen. Es wird schnell das, was sie sagen, auch gegen sie verwendet. Es gab auch nicht immer gleich ein Ja. Ich musste auch das eine oder andere Nein akzeptieren. Und dann weiter schauen, was gibt es für Wege? Wo können wir uns treffen? Die letzte Generation blockiert ja keine Straßen, weil sie den Autofahrern eins auswischen wollen oder sowas, sondern sie blockieren Straßen, weil sie sich dadurch die größtmögliche Aufmerksamkeit erhoffen. Eine Aktivistin hat, das mal mir gegenüber so beschrieben, sie seien so etwas wieder Feueralarm. Also eine schrille, nervige Sirene, die die ganze Zeit einfach tönt. Und diese Aufmerksamkeit bekommen sie natürlich nur, wenn das medial aufgegriffen wird. Das heißt, wenn die Presse vor Ort ist, wenn Kameras vor Ort sind. Und deshalb ist man natürlich erst einmal auch als Journalist sehr willkommen, wenn man anklopft und sagt, man möchte berichten, man möchte dabei sein. Allerdings muss man dazu auch wissen, dass die Letzte Generation sehr gezielt sich auf diese Pressekontakte vorbereitet. Also die einzelnen Aktivisten -Aktivistinnen durchlaufen auch Pressetrainings, wo sie ganz genau üben, wie reden wir mit den Journalisten? Was sagen wir? Es geht dann so weit, dass sie zum Beispiel bestimmte Dinge, also Sachverhalte, einfach framen. Es wird zum Beispiel dann nicht mehr vom Klimawandel gesprochen, sondern von der Klimakrise oder der Klimakatastrophe. Das klingt viel dramatischer. Das bedeutet, wenn man dann als Journalist mit den -Aktivistinnen spricht, bekommt man eigentlich sehr glattgebügelte Antworten. Es geht immer nur darum, die Message sozusagen zu droppen. Und das war dann letztendlich auch meine Rechercheaufgabe, da länger dabei zu sein, tiefer ranzukommen, auch zu sehen, was sind das eigentlich für Menschen und eben hinter diese Fassade des Protests zu schauen.
SK
Ben, über die Ziele der letzten Generation ist ja wirklich schon viel gesprochen worden. Gerade im Zuge der aktuellen Proteste, also ganz vorne, wird immer genannt das 9-Euro-Ticket, Tempolimit… dafür gibt es eben auf der anderen Seite diese ganz extremen Störungen der Öffentlichkeit. In welchem Verhältnis, deiner Meinung nach, stehen da eigentlich Ziele und Aktionen der letzten Generation?
BA
Es wird ja letztendlich viel darüber diskutiert, wie radikal der Protest eigentlich ist. Und das Spannende ist wenn man auf die Ziele an sich guckt, dann sind die alles andere als radikal. Tempolimit: Wenn man auf die Landkarte in Europa schaut, dann gibt es ein Land, das kein Tempolimit auf der Autobahn hat und das ist Deutschland. Alle anderen Länder in Europa haben ein Tempolimit - irgendwo zwischen 100 und 140 km/h. Jetzt kann man sich darüber streiten, ob Tempolimit, 100, 130, 120 wie auch immer, aber was statistisch auch nachweisbar ist durch Umfragen nachweisbar ist, ist das auch ein Tempolimit auf der Autobahn in Deutschland spätestens seit der Energiekrise auch eine Mehrheit hätte. Und ich glaube, das ist ein zentraler Punkt, um diese Proteste an für sich auch zu begreifen. Weil, auch wenn die Methoden radikal sind, dann sind die Ziele welche, wo man eigentlich sagen kann ja, das will die Gesellschaft doch längst. Die Gesellschaft ist doch längst soweit, dass sie diesen Schritt der Transformation bereit ist zu gehen. Und die einzigen, die das verhindern, das sind eben die politischen Entscheidungsträger. Also erfährt der Protest genau dadurch, so eine Art Legitimation, also aus Sicht der Aktivistinnen und Aktivisten. Wir setzen das durch, was die Gesellschaft eigentlich schon lange will, wo nur eben die Politik nicht ihren Job tut. Und das zieht sich sozusagen durch alle Ziele. 9-Euro-Ticket.. wir haben jetzt das 49 Euro Ticket. Jeder, der nicht zuerst auf die Wirtschaftlichkeit von Nahverkehrsunternehmen schaut, würde wahrscheinlich sagen 9 Euro wäre auch okay.
SK :
Genau für solche Ziele wie 9- Euro-Ticket oder Tempolimit werden Straßen lahmgelegt. Du warst bei einer Aktion in Dresden dabei. Da hat sich eine wie ich fand, sehr interessante Diskussion entsponnen. Die habe ich gerade noch einmal rausgesucht zwischen einer Autofahrerin und einer Aktivistin.
O-TON aus Film
Bürgerin: Ihr behindert die Leute beim Arbeiten. Ihr behindert die Kinder, dass sie in die Schule gehen können.
Aktivistin: Darf ich ihnen sagen, dass das hier die Möglichkeit ist, wie wir es schaffen, dass Menschen sich überhaupt für den Klimaschutz wieder interessieren. Unser Ziel ist es, dass die Menschen wieder begreifen, wie wichtig die Zivilisation ist, und dass der Klimawandel und der Klimakollaps unser komplette Überleben bedrohen.
Bürgerin: Aber jetzt mal ganz ehrlich. Wie groß ist Deutschland?
Aktivistin: Historisch gesehen sind wir der sechstgrößte CO2 Emittent der Welt.
Bürgerin: Und was ist mit den ganzen Ländern China, USA, Indien. Was tun die für den Klimaschutz? Was können wir als alleiniges Land bewirken?
Aktivistin: Aber was bringt ihnen die anderen Länder zu kritisieren und nicht selber zu handeln.
Bürgerin: Die lachen über uns.
Aktivistin: Wir sind in Deutschland und ich bin Deutsche. Deswegen möchte ich auch, dass meine Regierung die Ziele umsetzt.
Bürgerin: Und ich bin auch für Klimaschutz. Und ich bewege mich auch ganz normal wie jeder andere Bürger. Aber ich nehme mir nicht das Recht raus, alle Menschen hier an ihrem alltäglichen Leben in der Gesellschaft zu behindern.
SK
War das jetzt was Symptomatisches für das, was dort passiert?
BA
Diese Blockaden sind ja letztendlich eigentlich eine Inszenierung von Protest. Inszenierung in dem Sinne, jeder hat da seine klare Rolle. Auch die Autofahrer. Manchen gehen die Nerven durch, andere diskutieren. Die Polizei ist dann vor Ort mit einem großen Räumungskommando. Die Journalisten springen drum herum mit ihren Kameras. Also das ist ein Setting, was eigentlich fast immer gleich abläuft. Bei diesem speziellen Moment fand ich die Diskussion zwischen der Autofahrerin und der Aktivistin schon auch sehr besonders. Im Film sieht man ja nur einen kleinen Ausschnitt. Die Diskussion ging sicherlich 5 Minuten lang würde ich schätzen, und das kann man natürlich in so einem Film auch nicht komplett spielen. Also es ging an der Stelle tatsächlich zwischen den beiden ein Stück weit in die Tiefe. Erst einmal kamen halt die Argumente, die eben schnell auf dem Tisch liegen: Deutschland kann doch gar nichts machen. Und wir machen doch eh schon genug. Und die kamen in einen sehr intensiven Austausch. Und ich hatte das Gefühl, dass während dieser Diskussion die Autofahrerin, die ich so ein bisschen in einer Mutterrolle gesehen habe, so eine Art Generationen-Konflikt, der da entsteht, so: Ihr Kinder, was macht ihr eigentlich? Was fällt euch ein? Aber im Laufe dieser Diskussion hat halt tatsächlich auch eine Annäherung stattgefunden, wo dann am Ende des Gesprächs auch das Gefühl überwogen hat, auch wenn die Autofahrerin die Methoden absolut nicht gut heißt, dass sie doch zumindest nachvollziehen kann, was die jungen Leute auf die Straße treibt.
SK
Die junge Frau, die da diskutiert, das ist übrigens Hannah, also eine von deinen Protagonistinnen. Hannah ist auch in dem Film zu sehen, bei Besprechungen vor einer Aktion. Und da wurde mir auch erstmals klar, dass es bei der Letzten Generation eine ganz klare Funktionsaufteilung gibt und das ist für die Funktionen auch jeweils eigene Begriffe gibt. Also da gibt es zum Beispiel Hummeln und Bienen und eine Bienenkönigin. Es klingt erst mal so ein bisschen lustig. Aber weißt du, woher das kommt und was es zu bedeuten hat?
BA
Ist schon ganz süß … also diese Verniedlichung in dem politischen Protest dort reinzuziehen, also im einen strafrechtlich relevanten Protest. Das sind einfach die Selbstbezeichnungen. In der letzten Generation gibt es auch für viele Dinge spezielle Wörter, eben auch für die Funktionen der einzelnen Aktivistinnen und Aktivisten. Jemand, der vielleicht neben der Straße steht und unterstützend tätig ist, indem er vielleicht versucht, bei Wutanfällen von Autofahrern zu deeskalieren oder Fotos macht oder so was, ist in der Sprache der letzten Generation eine Hummel. Die Menschen, die sich dann letztendlich auf der Straße festkleben, das sind die Bienen. Dann gibt es immer jemanden, der für eine Blockade die Fäden in der Hand behält und die Planung realisiert, also sich Gedanken macht, wo wann wie genau, und das ist dann die Bienenkönigin. Die Steigerung von Protest-Biene ist dann die Wildbiene. Wildbiene ist jemand, der bereit ist, auch höhere Repressionen auf sich zu nehmen, also höhere Strafen, dann auch vielleicht mehrfach ins Gefängnis zu gehen oder eben bei Protestaktionen dabei zu sein, die dann zu höheren Strafen führen könnten. Beispielsweise die berühmten Würfe mit Lebensmitteln auf Gemälde in Museen würden mir da jetzt als Beispiele einfallen oder das Zudrehen von Ölpipelines. Das sind Aktionen, die noch ein Stück weiter eskalieren, als nur diese Straßenblockaden es tun.
SK
Das war auch eine Stelle in deinem Film, wo ich ehrlich sagen muss, da hatte ich auch ein bisschen Bauchschmerzen. Du warst dabei, bei einem Strategieteam bei der Besprechung, da ging es darum., "Wir brauchen mehr Wildbienen", also mehr Leute, die wirklich risikofreudig sind und bereit sind, solche Strafen einzugehen…
BA
Da muss man sagen, tut sich die Letzte Generation schwer darin, solche Wildbienen zu finden. Menschen zu finden, die auch diese Überzeugung mitbringen. Zum großen Teil sind es sehr junge Menschen, für die das natürlich einen riesen Effekt hat, wenn sie sich jetzt, in jungen Jahren, Anfang 20 hoch verschulden oder eben auch tatsächlich ins Gefängnis gehen.
SK
Was ich mich gefragt habe, diejenigen, die da sitzen - wir reden ja später noch mal auch über die Strukturen in der Letzten Generation - in dem Fall war es das sogenannte Strategie Team Ost, die dann da sitzen und sagen, wir brauchen mehr Wildbienen. Sind die eigentlich selbst auch bereit, diese hohen Risiken einzugehen?
BA :
Der Lars, mit dem ich länger unterwegs war, der kriegt ab vom Staat. Das muss man so sagen. Dieses Treffen, von dem du eben gesprochen hast, war am 22. März. Und am 25. März ist der in Hamburg in den Knast gegangen. Das war bei der Blockade der Elbbrücken Hamburg. Die Hamburger Polizei hat da gar nicht gut drauf reagiert. Die haben Lars erst mal für zehn Tage im Präventivhaft stecken wollen. Jetzt auch nicht einfach Polizeigewahrsam auf der Polizeiwache oder so, sondern wirklich Untersuchungsgefängnis, wirklich Knast. Er konnte sich dann da raus klagen. Also nach drei Tagen wurde er dann entlassen, statt nach eigentlich zehn. Aber das war so, wie ich ihn erlebt habe, auch für ihn wirklich krasse Erfahrung, dann wirklich im Gefängnis zu sein. Nichtsdestotrotz ist er gleich weitergefahren nach Berlin und hat sich da dann erst mal die nächste Abreibung bei einem Polizeieinsatz abgeholt. Es ist schon auch eine harte Nummer, was die Leute da auf sich nehmen…
SK
Das, was du gerade ansprichst, das ist ein Video, das ist auch viral gegangen. Das ist bei einer Protestaktion in Berlin gewesen. Da ist der Lars von der Polizei ziemlich hart angefasst worden ...
BA
Das war kurz nach der Protest-Eröffnung in Berlin. Die Letzte Generation hatte ja deutschlandweit mobilisiert und wollte dann ab dem 19. April sehr lange Protestwellen in Berlin fahren, mit so vielen Leuten, wie sie eben irgendwie aufbringen konnten. Und da war der Lars natürlich ziemlich weit vorne mit dabei. Ich hatte dann von ihnen auch Koordinaten für eine Straßenblockade bekommen. Die Polizei war natürlich auch super wachsam. Die waren auch schon vor der Straßenblockade vor Ort haben die ersten Gruppe von Aktivisten sofort festgesetzt. Was dann aber den Lars und sein Umfeld 20 bis 30 Leute, die dabei waren, absolut nicht daran gehindert hat, dann vor den Augen der Beamten diese Blockade dann doch noch irgendwo durchzuziehen. Da waren die natürlich schon ziemlich angefressen, muss man sagen.
SK
Zwischenfrage: Wenn ich es richtig gesehen habe, die waren nicht festgeklebt? Lars war nicht festgeklebt?
BA
Das war an dem Tag eine andere Strategie. Die wollten eigentlich gar keine Klebe- Blockade machen, sondern die wollten einen sogenannten Slow-Walk machen, dass heißt, dass sie ganz langsam auf der Straße laufen. Die hatten aber einen Rollstuhlfahrer dabei, und aus dem Grunde haben sie sich entschlossen, nicht weiter diesen Protestmarsch zu praktizieren, sondern sich auf die Straße zu setzen. Die meisten haben sich nicht festgeklebt, einige haben sich festgeklebt, und die Polizei hat dann aber auch schon sehr aggressiv darauf reagiert, wenn sie gesehen haben, dass sich jemand festkleben will. Die haben die sofort von der Straße gezogen, auch relativ unsanft. Nichtsdestotrotz hat die Polizei die Gruppe da auch erst einmal gewähren lassen. Also die saßen da bestimmt anderthalb Stunden auf der Straße des 17. Juni in Berlin und haben diese Straße blockiert, bis dann eben die Polizei die Räumung bekannt gegeben hat. Und dann wurde gesagt, wenn sie sich nicht freiwillig bewegen, wird geräumt und wird Zwang ausgeübt. Man hat das schon so richtig gespürt, dass mit dem Voranschreiten dieser Räumung die Polizei da auch irgendwie genervter und aggressiver reagiert hat. Und der Lars war halt eben einer der Letzten, der dann noch auf der Straße saß. Und es wurde dann auch gefragt, gehen Sie hier freiwillig oder müssen wir Zwang anwenden? Lars hat gesagt, ich möchte bitte sitzen bleiben. Der Polizist hatte noch einmal gedroht und gesagt, Sie werden drei Tage lang Schmerzen haben und nicht kauen können. Und dann haben Sie bei ihm sogenannte Schmerzgriffe angewendet. Also gezielt Druck auf Nerven ausgeübt und zu zweit ihn, also von außen würde ich sagen, sehr brutal, von der Straße geräumt.
SK
Man darf auch nicht vergessen: Es ist aus nächster Nähe gefilmt worden, nämlich von dir…
BA
Wir waren ja sogar mit einem Team dran, also mit Ton-Angel, mit Kamera. Mit mir waren wir drei Leute, das hat die Polizei nicht abgehalten.
SK
Eigentlich geht es ja den Aktivistinnen und Aktivisten der letzten Generation darum, die Politik in die Verantwortung zu nehmen. Da sieht man ja auch immer wieder Transparente mit dem Verweis auf Artikel 20 Art des Grundgesetzes, wo steht, der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen. Und so bekräftigt das auch die Aktivistin Hannah
Wir haben so viel Respekt vor dem Rechtsstaat. Wir erinnern ihn daran, dass er sich selber zur Pflicht gemacht hat, unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Eben Artikel 20 A es geht uns darum, dass wir der Feueralarm sind, der vor dem drohenden Klimakollaps warnt, der eigentlich jetzt schon im Laufen ist. Es geht darum, dass wir jetzt noch zwei, drei Jahre lang die Möglichkeit haben, wirklich etwas zu verändern und das ganze Unheil zumindest zu einem gewissen Grad abzuwenden.
SK
Ben, wie siehst du das? Ist dieser Bezug auf das Grundgesetz für dich schlüssig und rechtfertigt es Deiner Meinung nach die Aktivitäten?
BA
Ich würde das anders darstellen. Man muss erst einmal differenzieren. Also ja, der Protest hat eine gewisse Legitimität. Das ist politischer Protest. Er stellt den Rechtsstaat nicht in Frage, er ist in dem Sinne nicht verfassungsfeindlich. Aber es ist ziviler Ungehorsam, der in dieser Form ja auch den Rechtsbruch mit einkalkuliert. Und im Falle einer Straßenblockade ist dieser Gesetzesübertritt eben die Nötigung anderer Verkehrsteilnehmer. Und das ist eine Straftat, und das muss von der Polizei auch verfolgt werden. An der Stelle würde ich jetzt gar nicht mal der Polizei unterstellen, dass sie da zu weit geht. Oder auch nicht der Justiz. Das ist auch sehr unterschiedlich in unterschiedlichen Bundesländern, in unterschiedlichen Städten, kann man sehen, dass auch die Polizisten nicht immer gleich agieren. Das sieht man ja auch in dem Film relativ gut. Zum Beispiel in Dresden, trägt ein halbes Dutzend Polizisten die Leute weg, und in Berlin werden die einfach am Kragen gepackt und von der Straße herunter geschleift. Da gibt es schon große Unterschiede. Was ich aber glaube, was halt definitiv fehl am Platz ist und was zu weit geht, ist diese Unterstellung, das sind Klimaterroristen oder das ist eine entstehende Klima-RAF, wie das von politischer Seite manchmal kommt, oder eben von der Presse, wie zum Beispiel der Springer-Presse, weil das überhaupt nicht den Kern der Sache trifft. Also diese Protestaktion berufen sich auf das Grundgesetz, und die Aktivistinnen und Aktivisten respektieren den Rechtsstaat, erwarten aber von dem Rechtsstaat, dass er sich mehr um ihre eigenen Interessen kümmert. Und das ist per se erst mal alles andere als verfassungsfeindlich
SK
Ich habe das Gefühl, diese Bewegung letzte Generation gibt es noch gar nicht so lange .. sind die aus einer anderen Bewegung entstanden?
BA
Es gibt ja in Deutschland mehrere Klimabewegungen - manche radikaler, manche gemäßigter, also Extinction Rebellion beispielsweise, ist auch eine Organisation, die diese Methoden des zivilen Ungehorsams praktiziert. Fridays for Future ist jahrelang den Weg des angemeldeten Protestes gegangen. Ich glaube, dass letztendlich die Erkenntnis, dass Fridays for Future trotz der großen Mobilisierung, tzrotz der großejn Solidarität in der Bevölkerung, dass durch diese Demonstrationen kaum etwas angestoßen wurde. Und dass dann viele Aktivistinnen und Aktivisten, die auch in diesem Fall im Fridays for Future-Umfeld schon aktiv waren, sich zu der Erkenntnis durchgerungen haben, dass das eigentlich nicht reicht, dass es darüber hinaus einen Schritt weitergehen muss. Dass, wenn eben die friedliche Demonstration nicht weiterbringt, nicht gehört wird, nicht gesehen wird oder vielleicht schon gehört wird, aber eben nicht zu einer Veränderung führt, dass es eben auch andere Protestformen braucht. Dann ist da auch noch Corona reingeknallt. Was sowieso erstmal die Demonstrationssituation sehr stark verändert hat und ein großer Dämpfer gewesen ist. Auch für Fridays for Future. Und in dieser Zeit haben sich dann aber auch andere Gruppen herausgebildet und es haben sich radikalere Wege auch ein Stück weit mehr und mehr durchgesetzt,
SK
Hast Du während der Recherche herausfinden können, ob die auch Vorbilder haben von anderen vielleicht länger zurückliegenden Protestbewegungen? Oder auch, was die vielleicht bewusst anders machen als andere Bewegungen?
BA
Ich glaube, die letzte Generation sieht sich selbst sehr stark in einer Tradition von Protestgruppen, die zivilen Ungehorsam einsetzen. Da gibt es historisch viele Beispiele: Bewegungen für Frauenwahlrecht, Bürgerrechtsbewegung in den USA oder auch die Revolutionsbewegung in Osteuropa, 1989/90. Alles Bewegungen, die sich Methoden des zivilen Ungehorsams angeeignet haben. Ob man jetzt die letzte Generation da in eine Reihe stellen will, das lasse ich mal dahingestellt sein. Aber letztendlich ist die Gemeinsamkeit in diesen Protestformen eben der gezielte, aber friedliche Gesetzesbruch, um gesellschaftliche Veränderungen in Gang zu setzen. Und da ist es für mich tatsächlich auch eine spannende Frage, weil man eben bei diesem Aspekt des zivilen Ungehorsams auf diesen friedlichen also sprich, gewaltfreien Protest schaut, ob das überhaupt so für die letzte Generation zutrifft. Da sind wir in einer großen Diskussion, weil natürlich aus der juristischen Perspektive die Form der Nötigung, die bei der Straßenblockade ja dann relevant ist, schon auch eine Form der Gewaltanwendung darstellt. Aber in der Selbstwahrnehmung der letzten Generation sind sie natürlich gewaltfrei, weil sie nicht mit militanten Mitteln irgendwie versuchen, Protest durchzuziehen.
SK
Gerade bei linken Protestbewegungen, denkt man oft auch an Basisdemokratie. Wir haben es schon angesprochen.. Hummeln Bienen, Bienenkönigin, das klingt so ein bisschen lustig. Aber diese Aktivistinnen und Aktivisten der letzten Generation, die sind total straff organisiert. Du hast dazu gesprochen, mit Maria-Christina Nimmerfroh. Die ist Wirtschaftspsychologin und hat sich sehr intensiv mit der letzten Generation beschäftigt und hat unter anderem zu Forschungszwecken an Blockadetrainings teilgenommen. Und sie sagt
O-Ton Nimmerfroh
Die letzte Generation ist sehr zentralistisch organisiert. Wir haben für den deutschen Bereich ein dreiköpfiges Führungsteam, und dann gibt es noch einen Strategie Erweiterungs-Team von einigen Mehrpersonen, und dort werden die wesentlichen Entscheidungen getroffen die Formen der Proteste, Zeit und Maßnahmenplanung, die Budgetreform und auch die Mobilisierung vor Ort
SK
Erklärt sich daraus auch diese Schlagkraft der Aktionen, die die durchführen?
BA
Die letzte Generation selbst nennt ihre Organisationsform eine funktionelle Hierarchie. Das heißt, die haben Zuständigkeitsgruppen, die an bestimmten Themen arbeiten und die letztendlich die Widerstandsgruppen, die diese Proteste durchziehen, die sich dann auf die Straße kleben, die haben nichts zu tun mit der Strukturierung, mit der Konzeption. Die findet anderweitig statt, und die wird in dem Sinne auch recht hierarchisch delegiert. Also es gibt tatsächlich ein national agierendes Strategieteam, die dann eben definieren, das sind unsere Ziele. Wir wollen zum Beispiel einen Gesellschaftsrat Klima, und das wird dann auch durch die gesamte Hierarchie durch delegiert, so dass da alle am selben Strang ziehen und alle einfach auch dieses Commitment brauchen, sich eben darauf einzulassen, dass die letzte Generation, egal wo sie auftritt, auch immer ein einheitliches Gesicht wahrt, dieselben Ziele fordert und dieselben Formen des Protestes ausübt. Und das ist schon ein großer Unterschied zu vielen anderen Graswurzelbewegungen, wo Sachen oft auch basisdemokratisch ausdiskutiert werden, wo erst mal ein Konsens gefunden werden muss. Das ermöglicht der letzten Generation auch eine schnellere Anpassung der Strategie, ein schnelleres Agieren, ohne in große Diskussionen hineinzukommen. Und ich denke schon, dass das auch zu dieser Durchschlagskraft führt, die sie ja entfalten, auch mit relativ wenigen Leuten. Das muss man auch sagen. Das ist ja keine Gruppe von Zehntausenden Leuten, sondern eine niedrige vierstellige Zahl von Aktivistinnen und Aktivisten, die dort vernetzt ist und diese Proteste auf die Straße bringt. Das also diese niedrige Zahl, so eine hohe Schlagkraft an öffentlichkeitswirksamen Blockaden auch realisieren kann, hat schon auch damit zu tun, dass sie sich eben organisatorisch sehr klar strukturieren.
SK
Aber Ben vielleicht ganz konkret, wie läuft es denn so ab? Diese Treffen, wie gehen denn die jungen Leute miteinander um?
BA
Vielleicht eine lustige Geschichte: Ich konnte ja bei diesem regionalen Strategieteam dabei sein, beim Strategieteam Ost der letzten Generation. Eine kleine, vierköpfige Gruppe, die sich Gedanken macht, wie diese vom nationalen Strategieteam ausgearbeiteten Protestformen und Ziele in den Regionen, in den einzelnen Städten, umgesetzt werden. Und auch an die Gegebenheiten vor Ort angepasst werden. Das Strategieteam Ost ist dann zuständig für Ostdeutschland. Von Greifswald bis runter nach Thüringen gibt es dann verschiedene Widerstandsgruppen. Wir konnten da über zwei Stunden dabei sein und einfach mal zugucken. Und die meinten dann so, wenn du irgendwelche Wörter nicht verstehst oder nicht weißt, was damit gemeint ist, dann frag, dann erklären wir dir das.Dieser ganze Wortschatz ist voll mit Begrifflichkeiten. Wo man dann erst mal stolpert, beispielsweise die Mobilisierung ist die Mobi oder die Bienenkönigin, dass ist dann die BieKö in Kurzform. Und da merkt man schon, dass das ein relativ enger geschlossener Kosmos ist mit so einer ganz eigenen Sprache, mit einer eigenen Umgehensweise, mit einem ganz eigenen Konsens des Miteinanders
SK
Ist denn eigentlich die Letzte Generation Teil von einem internationalen Verbund? Gibt es ähnliche Bewegungen international?
BA
Ja, es gibt tatsächlich ein internationales Netzwerk. Das wird das A22-Netzwerk genannt. Das sind derzeit elf "Widerstandsgruppen" in Nordamerika, Australien und Europa. Und das sind alles Gruppen, die Formen des zivilen Ungehorsams anwenden und sozusagen auf diese maximale Störung der öffentlichen Ordnung abzielen. Das heißt, in diesem Netzwerk werden sehr ähnliche Protestmethoden angewandt. "Just stopp Oil" in Großbritannien wäre so ein Beispiel. Da gab es ja auch dieses Bewerfen von Gemälden mit Tomatensuppe in dem Fall, wo sehr große Parallelen da sind, einerseits in den Protestformen, aber auch in der Organisationsform.
SK
Lass uns mal kurz über das Thema Geld reden. Wofür wird Geld gebraucht? Und woher kommt es?
BA
Der Bedarf ist natürlich da. Jede Blockade kostet ja in dem Sinne Geld. Es gibt gedruckte Transparente, es gibt Sekundenkleber, manchmal werden auch Autos gemietet, um dann irgendwo die Aktivistinnen und Aktivisten auch auf eine Brücke bringen zu können, wo sie eine Straße blockieren. Und es sind auch Geldgeber da, also Spender im engen Sinne. Und da haben wir festgestellt, dass ein Großteil des Geldes tatsächlich auch aus den USA kommt, von einem Fund, dem sogenannten Climate Emergency Fund. Die können nicht direkt an die Letzte Generation Geld überweisen, weil die Letzte Generation ja für sich genommen keine natürliche oder juristische Personen ist. Das heißt, es werden sozusagen gemeinnützige Vereine dazwischengeschaltet, an die erst mal das Geld geht. Und von diesen Vereinen wiederum wird das Geld weitergegeben, nicht nur für Protestmittel, sondern auch tatsächlich für Einkommen, für Aktivistinnen und Aktivisten, die politische Arbeit machen. Also es gibt tatsächlich Aktivistinnen und Aktivisten, die sozusagen auf der "Gehaltsliste" der Letzten Generation stehen. Allerdings muss man sagen, nicht für die Blockade oder für den Gefängnisaufenthalt. Dafür kriegt niemand Geld. Rein rechtlich würde das gar nicht funktionieren. Trainings beispielsweise oder Strategieplanungen, die werden aber schon entlohnt über dieses Konstrukt gemeinnütziger Verein.
SK
Wahrscheinlich darf man es nicht sagen oder weiß es gar nicht... Aber wer bezahlt denn? Wer steht denn hinter diesem Fall hinter diesem Fund?
BA
Eine interessante Frage. Es sind renommiertere Persönlichkeiten, die den ins Leben gerufen haben. Filmemacher beispielsweise und vor allem eine wesentliche Geldgeberin ist eine Erbin eines Ölimperiums. Das bedeutet also, das Geld, das mit dem Fördern von Öl verdient wurde, geht jetzt direkt zurück in die Proteste, in den Klimaprotest. Das hat tatsächlich zeitweilig auch für kontroverse Diskussionen innerhalb der aktivistischen Szene gesorgt. Mit der Frage, kann man dieses Geld überhaupt annehmen. Aber letztendlich ist es tatsächlich eine Säule derzeit bei der Finanzierung von Protestgruppen, die eben diese Formen des zivilen Ungehorsams auf die Straße bringen.
SK
Das ist gegen Ende noch einmal über das Thema Umgang der Politik mit dieser Protestbewegung sprechen. Du hattest zwischendurch auch schon immer mal angesprochen, da fallen auch gerne mal so Worte wie "Klima-RAF". Der FDP Verkehrsminister Volker Wissing der hat sich Anfang Mai getroffen mit Vertretern der Letzten Generation. Deren Reaktionen waren, ich würde es als vorsichtig positiv bezeichnen, die haben das als ersten Schritt bezeichnet. Herr Wissing hingegen sagt, so etwas wie die Machenschaften und sind nicht tolerabel. Die Aktionen der Letzten Generation sind unerträglich und kriminell. Es macht keinen Sinn, ich möchte die nicht wiedertreffen. Was ist deine Meinung? Was sagt das eigentlich über unser Land und über unsere Demokratie aus?
BA
Na ja, ich glaube, FDP-Verkehrsminister, der am Verbrennermotor festhalten will, ist generell erst mal sozusagen Feindbild Nummer 1 einer klimaaktivistische Gruppe. Die Letzte Generation formuliert ja immer, dass sie das Gespräch wollen, dass sie den Dialog suchen, auch eben mit den politischen Entscheidungsträgern. Da gibt es tatsächlich auch nicht nur negative Beispiele. Es gibt auch positive Beispiele, weniger auf Bundesebene, sondern auf lokaler Ebene. Beispielsweise hat es konstruktive Gespräche gegeben zwischen den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der Städte Hannover oder Lüneburg. Belit Onay, der hannoveranische Oberbürgermeister, äußert sich auch in meinem Film zu der Geschichte, wo eben die letzte Generation tatsächlich mit einem Schreiben auf ihn zugekommen ist, das dann erst mal sehr erpresserisch klang. So unter dem Motto: Wenn sie nicht mit uns ins Gespräch gehen und unsere Forderungen unterstützen, dann werden wir auch ihre Stadt lahmlegen. Das klingt natürlich erst mal nach Erpressung. Aber Belit Onay hat gesagt, ich bin bereit mit jedem Bürger dieser Stadt zu reden. Also reden wir miteinander und hat in dem Gespräch auch festgestellt okay, das, was ihr wollt, das will ich ja eigentlich auch. Also ihr zwingt mir hier nichts auf. Das ist nicht, dass ich mich euren Forderungen anschließe, sondern ich muss einfach anerkennen wir haben da an der Stelle dieselbe Sicht auf die Dinge - nämlich, das einfach mehr passieren muss. Und das mit gewissen, auch teilweise einfachen Maßnahmen, das auch schon jetzt und heute geschehen könnte. Also schlägt er quasi zwei Fliegen mit einer Klappe. Er unterstützt das in dem Sinne, dass er sich mit einem Schreiben an den Bundeskanzler auch dafür einsetzt, für genau die Durchsetzung dieser Ziele. Und damit hat er auch das Agreement der letzten Generation, das dann in der Stadt Hannover nicht weiter protestiert wird.
SK
Aber Frage: Wirklich konkret umsetzen kann er ja als Oberbürgermeister von Hannover auch nichts. Also er kann kein 9-Euro-Ticket einführen. Er kann kein Tempolimit einführen. Hat er sich da jetzt einfach nur so etwas wie ein bisschen Zeit erkauft, indem er das unterstützt? Am Ende sind ja diese Forderungen bundesweite Forderungen, der keine kommunalen..?
BA
Ich würde das erstmal als eine Suche nach Verbündeten begreifen. Das hat ja auch schon eine gewisse Außenwirkung und gibt an der Stelle der letzten Generation auch in ihren Anliegen einen gewissen Rückenwind. Ich war bei diesen Gesprächen nicht dabei. Aber so, wie ich das im Nachgang in Erfahrung gebracht habe, ging es in dem Austausch auch schon darum, was macht die Stadt? Was macht die Kommune? Wie ist denn die Wahrnehmung hier? Was habt ihr denn vor?
SK
Wir haben es gehört, die machen einiges anders als andere Protestbewegungen. Die sind gut organisiert. Spricht das dafür, dass das eine eher langlebige Protestbewegung ist? Was ist deine Einschätzung? Werden wir in fünf Jahren noch von denen hören?
BA
Na ja, vielleicht heißt die "Letzte Generation vor dem Kipppunkten" in fünf Jahren auch die "erste Generation nach den Kipppunkten". Das Thema Klimawandel wird uns ja erhalten bleiben und aller Voraussicht nach eine der Megakrisen der nahen Zukunft sein. Das rückt und ja je wahrnehmbarer das sein wird in unserer Gegenwart, je stärker, denke ich, werden die Proteste auch weiterhin werden. Ob es dann die letzte Generation ist oder eine andere Gruppe, das ist hypothetisch, das bleibt dahingestellt. Aber ich glaube, der Klimaprotest als solcher wird bleiben. Und ein Aspekt wird auch zunehmend meiner Meinung nach eine große Rolle spielen. Und das ist die der so genannten Klimagerechtigkeit - also hinsichtlich der Frage, wie auch wir global mit dem Klimawandel umgehen, welche Bevölkerungsgruppen der Erde da auf der Strecke bleiben und wie letztendlich auch Klimawandel hier auch in Europa dazu führen kann, dass sich soziale Ungerechtigkeiten noch verschärfen. Insofern bin ich mir relativ sicher, dass auf lange Sicht die Klimaproteste eine große Rolle spielen werden, in welcher Form auch immer.
Vielen Dank, Ben Arnold.
MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche