MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (FOLGE 56) Wie Dänemark DDR-Flüchtlinge an die Stasi auslieferte
Hauptinhalt
Audiotranskription
16. Juli 2022, 11:35 Uhr
1988 besetzten 18 DDR-Bürger die dänische Botschaft in Ost-Berlin. Sie wollten in den Westen ausreisen. Doch statt ihnen zu helfen, lieferten die Dänen die Männer, Frauen und Kinder an die Staatssicherheit aus. Sie kamen in Haft. Der Fall sorgte im Nachgang für viel Aufregung – in der BRD und auch in Dänemark. Fast 30 Jahre später sind Dokumente öffentlich zugänglich, die Hinweise darauf geben, wer damals seitens der Dänen die Entscheidung traf, mit den DDR-Behörden zu kooperieren.
Einstieg O-Töne
Ich habe mir gedacht ist die größte Hürde ist, in diese Botschaft reinzukommen. Wenn ich das geschafft habe, bin ich sicher da kann mir nichts mehr passieren.
Ich habe eigentlich mit dem Ausgang unseres Besuchs in der dänischen Botschaft hatten wir alle nicht gerechnet.
Und ich hatte panische Angst. Richtig panische Angst. Ich habe immer zwei an meiner Tochter denken müssen, den diesen Scheißdreck mit rein gezogen habe.
Moderation Secilia Kloppmann (SK)
Was diesen Menschen 1988 passiert ist, das war bis dato eigentlich undenkbar. Sie hatten sich in Ost-Berlin in die Botschaft des Staates Dänemark geflüchtet, und sie wurden von den Dänen an die Staatssicherheit ausgeliefert. Ein Vorgang, der laut Hans Otto Bräutigam, dem Leiter der Ständigen Vertretung in Berlin, bis dato undenkbar war.
Nach politisch moralischen Maßstäben war das Verhalten der dänischen Botschaft, die Stasi ins Haus zu lassen, um diese Leute abzuholen, absolut unakzeptabel. Deswegen bin ich sehr überrascht, dass die denen sich so verhalten haben.
SK
Um eine misslungene Flucht mit verheerenden Folgen. Darum geht es in dieser Folge von "MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche", zu der ich Sie herzlich begrüße. In diesem Podcast sprechen wir mit Journalistinnen und Journalisten über ihre Recherchen. Es geht um das Thema und darum, wie die Reporter und Reporterinnen zum Beispiel Protagonisten gefunden haben, sowie um persönliche Eindrücke und Erlebnisse während der Dreharbeiten und der Arbeit an ihrem Bericht. Ich bin Secilia Kloppmann und ich arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks.
Am 9. September 1988 versuchten 18 DDR-Bürger, sieben Männer, sechs Frauen und fünf Kinder, ihre Ausreise aus der DDR zu erzwingen, indem sie Zuflucht in der Botschaft von Dänemark suchten. Doch dort bekamen sie nicht wie erhofft Schutz, sondern die Dänen haben sie an die Staatssicherheit der DDR ausgeliefert. Mit einem der Flüchtlinge von damals spreche ich auch noch in diesem Podcast. Zunächst aber soll es erst einmal um den Dokumentarfilm zu den Ereignissen gehen: "Verrechnet oder verraten? - Flucht über die dänische Botschaft", so heißt der Film, den Matthias Hoferichter für den MDR und das Erste gemacht hat. Matthias ist diesmal zu Gast bei mir, und wir wollen über diese unglaubliche Geschichte sprechen. Hallo Matthias, Hallo
SK
Also ich habe tatsächlich zum ersten Mal überhaupt von dieser Geschichte gehört, von der Quasi-Besetzung der dänischen Botschaft 1988. Und ehrlich gesagt, bevor ich deinen Film gesehen habe, hätte ich das überhaupt nicht geglaubt. Mich hat es auch wirklich schockiert. Wie ist dir das gegangen? Als Du diese Geschichte des erste Mal gehört hast?
Matthias Hoferichter (MH)
So ähnlich wie dir auch. Ja, also klar, ich war überrascht, um es vorsichtig zu sagen. Und hätte es auch nie vermutet, dass gerade die Skandinavier in dem Fall die Dänen, dass da so eine Geschichte abläuft. Das heißt, dass da Leute, die eine Botschaft aufsuchen, um Hilfe bitten, dass die letzten Endes nach 15 bis 16 Stunden dann einfach an die DDR-Behörden, in dem Fall an die Staatssicherheit, ausgeliefert werden. Das ist auch ein Vorgang, den gab es nicht noch mal nach meinem Wissen - also zumindest nicht in den westlichen Botschaften, die irgendwie DDR-Bürger aufsuchen konnten. Und es gab auch eine klare Vereinbarung eigentlich unter diesen westlichen Diplomaten, was man macht, in einem solchen Fall. Also, da hieß es, man kontaktiert zunächst das eigene Außenministerium, sucht dort Schutz oder Hilfe. Und der zweite Schritt ist der, dass man einfach sagt, man geht zur Ständigen Vertretung. Also die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in der DDR in Ost-Berlin. Das war eigentlich eine klare Verabredung. Aber nicht, dass man DDR-Behörden einschaltet.
SK
Lass uns bitte noch einmal für alle, die den Film noch nicht kennen - der ist übrigens auch zu sehen in der ARD Mediathek - die Ereignisse vom 9. September rekapitulieren. Das begann morgens ….
MH
Genau, die haben sich wohl frühmorgens getroffen. Die sind einfach auf unterschiedlichen Wegen von Ilmenau, manche waren auch im Urlaub, sind sie nach Berlin gekommen, haben sich am Ostbahnhof getroffen, und zwar in einer kleinen Wohnung, die in ein Pfarrer zur Verfügung gestellt hat. Den kannte Wolfgang Mayer, das war sozusagen der Denker, derjenige, der die Sache im Griff hatte und organisiert hatte, der kannte diesen Pfarrer. Und der Pfarrer war übrigens von der Gethsemane-Kirche. Der hat ihnen die Wohnung zur Verfügung gestellt, hat im Anschluss dann auch großen Ärger bekommen, musste zum Generalstaatsanwalt der DDR, wurde vorgeladen. Und keiner von denen - also nur Wolfgang Mayer - der Chef der Gruppe, der Planer der Gruppe, wusste, welche Botschaft man aufsucht. Also es gab auch die Überlegung, die Ständige Vertretung aufzusuchen. So eine Idee gab es auch, so wie viele andere Leute das auch gemacht haben. Das wollten sie aber nicht. Und Wolfgang Mayer hatte einfach durch Zufall mitbekommen, in der Zeitung, das drei Tage später der dänische Ministerpräsident Poul Schlüter in die DDR kommen wird. Der erste Staatsbesuch eines dänischen Ministerpräsidenten. Und dann haben sie gedacht, das ist eine gute Möglichkeit, um einfach unsere Dinge da auch mal zu Gehör bringen zu können. Und dann sind sie vormittags los und sind zur Botschaft, und die Botschaft war unter den Linden. Da war auch die Komische Oper, da gab es auch die Büros der Komischen Oper, und sie war nur mäßig bewacht. Da gab es einen ein Volkspolizisten, der davor stand und auch nicht richtig kontrolliert hat..
SK
Weißt du, ob das normal war für diese Botschaft, dass da nur einer stand?
MH
Nein, ich weiß, bei der Ständigen Vertretung war es natürlich mehr. Da waren deutlich mehr. Es gab ja auch schon Botschaftsbesetzungen davor. Beispielsweise die französische Botschaft wurde besetzt, die amerikanische Botschaft … da war dann danach erheblich mehr Personal. Das war deutlich mehr. Aber der dänischen Botschaft – ein kleines Land - war eben nur einer, der da stand. Und der war einfach im ersten Moment ein bisschen verdutzt, hat einfach nicht richtig aufgepasst und kontrolliert. Da war auch die Kasse, da konnte man auch die Karten kaufen für die Komische Oper. Und dann sind die reib, ins erste Stockwerk der dänische Botschaft, haben an der Tür geklingelt, da wurde die Tür aufgemacht und dann sind sie einfach rein, schwubb...
SK
... und dann wie ging es dann weiter? ...
MH
Sie waren in einem Vorraum, also sie durften auch die anderen Räume nicht betreten. Und dann hat das ein Stück gedauert, bis dann eben ein Botschaftsrat, Becker-Hansen hieß der, der kam als Vertreter des Botschafters, obwohl er da war, und dem haben sie sozusagen ihr Anliegen erklärt. Dass sie einfach um Hilfe bitten bei der Unterstützung ihre Ausreiseanträge, weil sie gesagt haben wir haben die jetzt schon seit langer Zeit gestellt. Hier passiert nichts, wir werden einfach nur veräppelt. Und wir möchten gerne einfach mit kompetenten, mit wirklich wichtigen DDR-Behörden reden, also möglichst weit oben angesiedelt, das einfach unsere Ausreiseanträge endlich bearbeitet werden. Das war ihr Anliegen. Daraufhin hat der dänische Botschaftsrat gesagt, das ist nicht unser Ding, das können wir nicht machen, da steht uns gar nicht zu. Und sie mögen bitte sofort sofort die Botschaft verlassen. Aber die sind dann eben nicht rausgegangen. Weil sie auch gewusst haben, wenn sie jetzt rausgehen, dann werden sie verhaftet, wenn sie nichts Schriftliches haben, nichts in der Hand haben. Sie haben dann daraufhin angerufen. Es gab ein Telefon, dort in einem Vorraum angerufen, bei der Ständigen Vertretung. Dann hat ein Mitarbeiter von der Ständigen Vertretung gesagt, er kommt sofort vorbei. Das hat er auch gemacht, denn die Ständige Vertretung waren nicht weit weg. Ja, das war ein Katzensprung. Das war Ecke Torstraße, glaube ich, unter den Linden. Das kann man zu Fuß in 10 Minuten erledigen, den Weg und der kam an. Und dann waren sie aber alle bitter enttäuscht, weil der einfach auch nichts für sie hatte. Die hatten nur gesagt, ich kann jetzt ihre Namen, ihre Daten erfassen und sie mögen aber bitte dann die Botschaft verlassen und wir können jetzt auch nichts für sie tun. So, das war's. Also mehr ist da nicht passiert. Die haben natürlich einfach auch irgendwie Hoffnung gehabt, dass da irgendwie Hilfe kommen kann. Und daraufhin ist dann erst mal das Telefon abgestellt worden. Das wurde abgestellt, die Türen wurden verschlossen, die konnten den Raum nicht mehr verlassen. Es gab noch eine Toilette, wo sie hingehen konnten, und ein Wasserhahn, den sie nutzen konnten. Es gab nichts zu essen und zu trinken. Über viele Stunden ..
SK
Da kann man an dieser Stelle nochmal daran erinnern, dass da auch Kinder dabei waren. Deswegen ich finde das schon wirklich ein sehr erstaunlichen Umgang mit Leuten, die Zuflucht suchen...
MH
Vor allem, wenn man sich auch überlegt. Ich weiß nicht, ob wir noch später dazukommen, aber ich kann es auch jetzt gleich erzählen, wenn man sich überlegt, schräg gegenüber der dänischen Botschaft befand sich damals die britische Botschaft und kam es wenige Wochen zuvor auch zu einer Botschaftsbesetzung. Und das ging völlig anders aus. Es waren ein übrigens auch Thüringer, die dort es waren, auch Thüringer, die dort die Botschaft aufsuchten, auch mit kleinen Kindern. Und es gab auch noch irgendwelche Hunde, die mit dabei waren. Und der amtierende britische Botschafter Colin Munro, den haben wir auch für den Film interviewen können. Der hat uns erzählt, na gut, wir haben erst mal überlegt was machen wir denn mit denen? Und er hat uns erzählt, wir haben unten im Hof so eine kleine Kantine gehabt, dann haben wir also für die Leute gekocht. Wir haben Schlafsäcke gekauft. Die waren also drei Tage glaube ich insgesamt dort in der britischen Botschaft, dann ist er zur Ständigen Vertretung. Und dann wurde geregelt, dass die Leute, die Botschaft verlassen und durften dann aber wenig später ausreisen. So ist es bei denen ausgegangen, und man muss auch noch wissen, dass die britische Botschaft sehr engmaschig verfolgt hat, nachdem die aus der Botschaft raus waren, was ist denn aus denen geworden? Sind die möglicherweise doch verhaftet worden oder nicht? Da haben die sehr genau geguckt und und wirklich bis zu dem Zeitpunkt, als dann diese Gruppe das Land verlassen konnte. Anders als bei den Dänen, als sie dann später verhaftet worden sind. Die Dänen haben sich überhaupt nicht dafür interessiert. Die ersten Tage null, nichts. Es gab dann auch im Nachhinein auch keine Kontakte. Die haben auch nachdem die freigelassen worden sind. Nach vier Wochen gab es da keinerlei Interesse seitens der Dänen
SK
Lass uns mal bei dem Tag bleiben. Die sind die ganze Zeit in diesem Vorraum. Die bekommen nichts zu essen, quasi nichts zu trinken. Außer einen Pappbecher, damit sie überhaupt aus dem Wasserhahn was trinken konnten. Und dann ging das ja weiter, dass sie - es gab ja diesen berühmten Anwalt Wolfgang Vogel - das ihn versprochen worden ist, dass es eine Lösung gibt. Also zwei aus der Gruppe wurden von dem Botschaftsrat zu in das Büro, das Anwalt Vogel gefahren.
MH
Genau, das war in Lichtenberg. Vorher gab es immer mündliche Vereinbarungen. Also man sagt ihnen zu, ihr könnt jetzt mit den Dienststellen des Kreises reden, dann mit den Dienststellen des Bezirks. Aber sie sagen nichts Handfestes. Also nichts, wo die Ilmenauer sagen konnten, damit können wir etwas anfangen, jetzt geht es voran, und es passiert etwas. Und dann kam es eben ganz überraschend, dass es ein Treffen geben sollte, eben mit dem berühmt-berüchtigten Wolfgang Vogel. Sie fuhren dann in die Kanzlei, das heißt sie fuhren in die Kanzlei mit dem Botschaftsrat Becker-Hansen,eskortiert von der Staatssicherheit - unten der ganze Hof wimmelte schon von Staatssicherheitsleuten und Polizei. Der Teil unter den Linden war schon abgesperrt , da konnte man nicht mehr durch. Und dann sind sie dahin, abends um 21/ 22 Uhr und letzten Endes ging dieses Treffen aus wie das Hornberger Schießen. Also es war nicht Vogel da, sondern es war einer seiner Mitarbeiter da. Und er hat gesagt okay, wenn sie bis 23 Uhr die Botschaft verlassen würden, dann könnte man einfach schauen, dass gleich am nächsten Montag die Gespräche beginnen können, wieder auf Bezirksebene. Und wenn das nicht passiert, dann haben wir auch andere Möglichkeiten, wie wir mit ihnen umgehen kann. Also das war halt nichts.
SK
Dann sind sie wieder zurück in die Botschaft und hatten dann irgendwann auch vermutlich gemerkt okay, wir kommen jetzt hier nicht weiter und haben auch gesagt, sie verlassen die Botschaft ...
MH
Ja, das war dann nachts. Nach mehr als zwölf 13 Stunden haben sie dann angeboten, dass sie die Botschaft verlassen würden. Aber aufgrund der Tatsache, dass es eben diese kleinen Kinder gab und in Ost-Berlin nachts um eins, wo sollte man da irgendwie schlafen können oder ein Hotel auftreiben können? Das war sicherlich sehr schwierig. Und dann haben Sie gesagt, gut, sie würden am nächsten Morgen die Botschaft verlassen. Aber darauf hat sich der Botschaftsrat Becker Hansen - immer ein Vertretung seines Botschafters - der war ja da, den haben die bloß nicht zu Gesicht bekommen, den Botschafter selbst. Es wurde ihnen eigentlich versprochen, das sie straffrei ausgehen. Aber das ist dann so nicht gewesen. Also es war so, dass nachts zwischen zwei / halb drei tauchte auf einmal ein Offizier der DDR-Volkspolizei auf. Der hat ihnen erklärt, dass sie sofort den Raum verlassen sollen. Und zwischendurch muss man auch sagen, hat Becker Hansen mit dem DDR-Strafgesetzbuch gedroht. Sie hätten Hausfriedensbruch begangen. Sie sollen sofort den den Raum verlassen. Hinter dem DDR-Polizist stand ein Mann der Staatssicherheit, das waren auch noch andere, die dann in den Raum. Das muss man sich vorstellen, das war eine Botschaft. Die sind dann rein in die Botschaft in die Räume. Und da wurde noch einmal gefragt also, ob die Straffreiheit weiterhin gelten würde. Und da hat dieser Mann gesagt hat, ja, die gilt.
SK
Das war dann aber ganz anders, weil am Ende, um das nochmal kurz zu Ende zu erzählen, was ist mit den Leuten passiert?
MH
Die Männer und die Frauen kamen in Untersuchungshaft. Die Kinder in ein Kinderheim der Staatssicherheit. Die Kinder wurden da auch teilweise ausgehorcht. Also wo war denn das Haus, wo ihr zuerst wart? Da am Ostbahnhof? Könnt ihr euch noch daran erinnern? Wo war denn das? Ganz genau? Und den Männern und Frauen wurde einfach angedroht, dass sie jetzt einfach mit einer mehrjährigen Haftstrafe zu rechnen haben.
SK
Am Ende war es denn gar nicht so lange....
MH
Folgendes ist passiert: Der dänische Ministerpräsident kam dann drei Tage später auf Staatsbesuch, und das ist ja eigentlich so, der der wirklich interessante Punkt an dieser Geschichte. Poul Schlüter war ein ganz wichtiger Mann. Ein dänischer Historiker hat uns gesagt, Poul Schlüter, dieser dänische Ministerpräsident war so etwas wie Angela Merkel für die Deutschen. Über viele Jahre war er Regierungschef. Hoch anerkannt, und der hat bis zu seinem Lebensende gesagt, er hätte von dieser Besetzung in der Botschaft nichts gewusst. Er hätte erst während seines Besuchs davon erfahren. Und das war dann so, das muss man sagen, dass die Presse mobil gemacht hat. Das ist bis zum heutigen Tag nicht geklärt, wer eigentlich die Meldung durchgesteckt hat, dass es eine Botschaftsbesetzung gab und dass die Leute im Gefängnis sitzen. Das ist dann wenige Tage nach dem Staatsbesuch passiert, und stand wiederum zunächst in westdeutschen Zeitungen. Das führte dann dazu, dass die Frauen zuerst entlassen worden sind, und auch die Kinder konnten raus aus dem Kinderheim. Aber die Männer haben weiter eingesessen. Und dann, zwei Tage zwei, drei Tage später, ging der Sturm auch in Dänemark los. Alle großen wichtigen dänischen Zeitungen haben darüber berichtet. Es gab eine unglaubliche Empörung, nicht nur im dänischen Parlament, sondern eben auch in der dänischen Öffentlichkeit. Weil gerade die Dänen sozusagen auf der Fahne zu stehen hatten, dass sie eben sich sehr, sehr einsetzen für die Menschenrechte und für die Freizügigkeitsrechte.
SK: Wobei, Matthias, im Vorgespräch hattest Du mir erzählt, Du hattest Dich für den Film noch einmal mit einer Juristin getroffen, mit einer Völkerrechtlerin. Und die hatte Dir auch erklärt, dass da zB jetzt kein Schutz durch die Flüchtlingskonvention bestanden hat. Weil, die Botschaft des Staates Dänemark war auf dem DDR-Gebiet. Und damit hat sie auch mit so einer weit verbreiteten Annahme aufgeräumt, dass man sich auf dem Gebiet des Staates befindet, wenn man in dem Botschaftsgebäude ist. Ich hab das so nicht gewusst – hast Du das gewusst, Matthias?
MH
Nein,ich habe das nicht gewusst. Das haben auch die Ilmenauer nicht gewusst, und das haben viele, viele andere Menschen nicht gewusst. Und wir haben gedacht, wenn man also eine Botschaft betritt, ist das sozusagen exterritoriales Gebiet, und es ist Hoheitsgebiet, dann des jeweiligen Staates den diese Botschaft vertritt, aber das stimmt einfach nicht. Das ist einfach nicht so. Aber es gibt und gab international die Vereinbarung, dass zum Beispiel Ordnungskräfte oder Sicherheitskräfte eines Landes niemals eine Botschaft betreten. Das war sozusagen Usus. Das war eine klare Verabredung, obwohl rein rechtlich gesehen, hätten sie das machen dürfen. Aber so etwas tut man nicht. Und wenn ich noch was sagen darf, was auch ein hochinteressanter Punkt ist in den vielen Dokumenten, die ich einsehen konnte im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts. Das umfasste die Akten des Auswärtigen Amts, der Bundesrepublik, aber auch die des DDR-Außenministeriums im Bundesarchiv in Koblenz. Hochinteressant ist, dass selbst das DDR-Außenministerium die Dänen gewarnt hat. Und hat gesagt, dass ist keine schlaue Idee, keine gute Idee, mit DDR-Leuten, mit Polizei oder Stasi-Leuten die Botschaft zu betreten. Die wollten das nicht. Die wollten das nicht. Und die haben versucht, den Dänen das auszureden. Aber die Dänen haben darauf bestanden, um endlich das Problem zu lösen. In drei Tagen kommt der dänische Ministerpräsident ins Land. Die wollten die Leute da raus haben. Es ist wirklich ein Unding. Das kann man wirklich in den Akten finden.
SK
Okay, also, die sind dann in dieser Nacht vom neunten auf den 10. September abgeholt worden von der Staatssicherheit, dass heißt die waren aus der dänischen Botschaft raus. Wie ging es denn dann auf dänischer Seite weiter, für die war der Fall irgendwie erledigt?
MH
Richtig. Für die war der Fall erledigt. Aber man darf nicht vergessen, als es dann in einer Presse war, als es im öffentlichen Raum war, zuerst in der Bundesrepublik und dann in Dänemark. Da ging auf einmal die Diplomatie in Gang und los. Also was man in den Akten findet, das ist hochinteressant. Wer hat da mit wem geredet? Also beispielsweise auch der dänische Ministerpräsident Poul Schlüter, der sucht Kontakt zu ostdeutschen Diplomaten. Er spricht auf einmal davon, naja, es ist ein bisschen hier zu freie Presse in meinem Land - das muss man sich mal überlegen! Und der dänische Außenminister Uffe Ellemann-Jensen, der spricht auch mit DDR-Diplomaten und sagt naja, könnt ihr nicht mal schauen, dass wir irgendwie die Sache geregelt bekommen. Gleichzeitig gibt es auf der bundesdeutschen Seite eine große Empörung. Es gab da einen Staatssekretär Jürgen Sudhoff. Der war im Ministerium derjenige, der für Hans-Dietrich Genscher, der eigentliche Außenminister, viele Sachen geregelt hat. Genscher war zu der Zeit oft krank. Und Sudhoff war auch derjenige, der sich damals dahinter geklemmt hat. Der war oft auch in Vertretung von Genscher mit bei den Kabinettsrunden dabei. Und dann wurde eben Kohl auch informiert. Und selbst Helmut Kohl, damals Bundeskanzler, sagte okay, er wird schauen, dass er mit Poul Schlüter, also dem dänischen Kollegen, einfach mal sprechen wird. Und dass man die Dinge regelt. Das hat Kreise gezogen, bis hin zur Uno-Vollversammlung, wo am Rande ostdeutsche Diplomaten und westdeutsche Diplomaten und dänische Diplomaten miteinander im Gespräch waren, um einfach irgendwie zu schauen, wie kann man den Fall lösen?
SK
Matthias, lass und mal über die Leute reden, die damals in der dänischen Botschaft in Ost-Berlin saßen und gehofft haben, dass ihre Ausreiseanträge jetzt schneller oder überhaupt erst einmal bearbeitet werden. Ich habe noch einmal ein paar Töne rausgesucht von den Flüchtlingen von damals, mit denen du gesprochen hast.
Wir hatten auch noch eine Bittschrift an die dänische Königin geschrieben. Die wollte er dann gar nicht so richtig nehmen, der Becker Hansen. Der wurde zunehmend nervös und wurde auch rabiater in seinem Auftritt.
Also diese Straffreiheit. Die wurde uns noch bis zum Schluss zugesichert, auch noch, als dieser Stasi Typ in dem Zimmer stand und hat uns da praktisch rausgeführt. Da hat jemand von unsrer Gruppe gerufen, gilt die Straffreiheit noch. Und er hat gesagt ja, die gilt.
Und es ist schiefgegangen. Und ich konnte an dem Tag, als wir verhaftet worden sind und in dem Bus saßen, die Familien saß. Ich konnte meiner Frau nicht in die Augen gucken.
SK
Matthias gehört haben wir jetzt. Gisela Pudras, Cornelia Küpper und Jörg Dressler - insgesamt hast du mit sechs Zeitzeugen gesprochen. Von den damals 18 Flüchtlingen. War das eigentlich schwierig, die dazu zu bringen, mit ihr zu sprechen?
MH
Teils teils. Manche haben sofort zugesagt, weil sie gesagt haben, jetzt endlich wird unsere Geschichte auch erzähl nach mehr als 30 Jahren. Es gab aber auch welche, die sehr zögerlich waren, weil sie einfach gesagt haben, da wird auch möglicherweise doch noch etwas aufgerollt in mir, was mir vielleicht nicht gut tut und was ich vielleicht nicht möchte. Sie haben es dann glaube ich, letzten Endes alle auch ein bisschen sozusagen auch als Pflicht verstanden. Einfach, diese Geschichte noch einmal zu erzählen, weil mit dieser Geschichte, kannst du einfach gut in die Gegenwart verlinken. Es ist ja nicht etwas, wo du sagst, das gab es irgendwie mal, ist halt mal passiert, sondern das hat auch so eine Gegenwärtigkeit wenn man sich die Welt heute anschaut. Und insofern waren sie, glaube ich, alle bereit. Vor allem muss man ja auch einmal wissen. Es gab ja dann seitens von einigen der Protagonisten, also von einigen der Ilmenauer, die die Botschaft aufgesucht haben gab es im Nachhinein dann nochmal einen Antrag. Sie haben den dänischen Staat aufgefordert, um endgültige Aufklärung und auch um Schadenersatz.Und sie haben gleichermaßen auch Beschwerde eingereicht beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Beides ist abgelehnt worden.
SK
Da noch mal eine Empfehlung, diesen Film auch anzusehen, da gibt es ganz, ganz intensive Momente. Ich erinnere mich an den einen Zeitzeugen, der so sagte ich habe irgendwie die ganze Zeit an meiner Tochter gedacht. Das ist ja dieses Gefühl von ausgeliefert sein. Gab es denn auch welche, die gesagt haben das mache ich nicht. Ich möchte da gar nicht nochmal drüber sprechen. Hast du Absagen bekommen?
MH
Nein, gab es nicht. Dazu muss man auch wissen. Diese 18 Leute waren nicht vorher eine eingeschworene Gruppe. Da gab es freundschaftliche Beziehungen von einigen untereinander, aber manche zwar auch ganz lose, die kamen einfach mit dazu. Es war ja auch so, dass Jörg Dressler zum Beispiel, der ist einen Tag vorher gefragt worden, von einem Freund, also von Uwe Küpper, ob er nicht mitkommen möchte, der hatte mit dieser ganzen Gruppe nichts zu tun gehabt. Also insofern sind die eben auch heute in alle Winde verstreut, und ein paar von denen haben eben auch noch untereinander Kontakt. Was ich noch interessant fand, sie sind also dann im Oktober freigelassen worden. Die Männer, die Kinder waren schon frei, und die Frauen auch. Und am 12. Oktober gab es noch eine öminöse Gerichtsverhandlung, 1988 auch mit Wolfgang Vogel war der Verteidiger. Aber gleichzeitig hatte er ja auch die Interessen der DDR wahrnehmen müssen. Ja also was für eine merkwürdige Situation. Und es kam eben aufgrund dieses Drucks, von dem ich vorhin erzählte, den die Diplomaten, dem Bundeskanzler, dem Ministerpräsident, dem dänischen, kam es auf einmal ganz plötzlich dazu: Die sind freigesprochen worden, haben eine Bewährungsstrafe erhalten und wurden dann am gleichen Tag von Stasi-Leuten getrennt. Voneinander nach Ilmenau gefahren. Was ich zum Beispiel nicht erzählt habe oder erzählen konnte, aufgrund der Zeit: Uwe Küpper zum Beispiel, als der nach Hause kam, erst mal zwei, drei Tage konnte der nichts mehr machen. Er sagt, er hat wie eine Vergiftung gehabt, hat sich ständig übergeben müssen, war völlig desolat, körperlich völlig desolat, wo man nicht weiß, was ist da eigentlich vorher passiert in der Haftanstalt. Und natürlich war es auch so, dass die Staatssicherheit die Leute weiter bewacht hat. Arco Hoffmann hat mir auch erzählt es ist auch mal passiert, dass er verprügelt worden ist von Stasi-Leuten, schon vor der Besetzung. Und sie sind dann alle im Frühjahr so im März war das 1989 ausgereist. Aber man muss eben auch sagen, die galten ja im Westen zunächst ja auch als vorbestraft. Das heißt, die hatten erst mal eine Zeit lang zu tun gehabt. Ich glaube, bei Arco Randy Hoffmann hat es ein halbes Dreivierteljahr gedauert, bis sie erst einmal rehabilitiert worden. Die galten als vorbestraft. Also, es war nicht so einfach. Nicht, die kommen da an und dann mit der Arbeit, und es geht sofort los. Nein, solche Probleme gab es auch.
SK
Ja. Und mit Arco Randy Hoffmann, also einem der Flüchtlinge, der damals 1988 in der dänischen Botschaft saß, habe ich auch gesprochen. Den hab ich jetzt am Telefon. Ich grüße Sie, Herr Hoffmann. Hallo Herr Hoffmann, sie waren damals bin ich richtig gerechnet, habe 24 Jahre alt. Was war für Sie der Hauptgrund für diesen Fluchtversuch aus der DDR?
Arco Randy Hoffmann (AH)
Also der Hauptgrund war, ich hatte keine Zukunftsperspektive mehr in dem Land gehabt und habe daraufhin am 1. Juli 1987 einen Ausreiseantrag gestellt, der natürlich ignoriert wurde und auch nicht bearbeitet wurde. Das hatte dann zur Folge, dass ich immer wieder Repressalien erfahren musste. Das ging dann so weit, dass man mich zur NVA einziehen wollte und dass mir angedroht wurde, wenn ich den Wehrdienst verweigere, dass mir zwei Jahre Haft in Schwedt drohen würde. Also ich war dann schon mit dem Rücken zur Wand und war eigentlich froh, mich der Gruppe mit anschließend zu können, um die letzte Hoffnung über diplomatische Wege eventuell zu meiner Ausreise zu gelangen
SK
Lassen Sie uns mal ein bisschen über diese dramatischen Stunden, die sie da ja erlebt haben, in dieser Botschaft, reden. Es heißt zum Beispiel in dem Film, dass sie da nichts zu essen bekommen haben, nichts zu trinken. Es gab zwar einen Wasserhahn in der Toilette, aber zum Beispiel auch keine Decken, als die Kinder dann abends müde wurdennzum Schlafen legen. Sie wurden auch eingesperrt. Also der Raum war abgeschlossen, indem sie gewesen sind. Hatten sie das erwartet, als Sie da reingegangen sind, das so mit ihnen umgegangen wird?
AH
Überhaupt nicht. Und ich muss auch von Anfang an sagen das Gespräch war in keinster Weise, nicht eine Sekunde, auf Augenhöhe. Also man hat uns wirklich nicht ernst genommen. Das hat man gespürt ...
SK
Ich frag doch mal nach. Es gab nicht zu essen? nichts zu trinken? Man hat Ihnen überhaupt keine normale Menschlichkeit zuteil werden lassen?
AH
Nein, also, das haben wir von vornherein erfahren. Als auch nachgefragt wurde, ob wir wenigstens was zu trinken bekommen können, ist die Sekretärin immer wieder zu dem Botschaftsrat Becker Hansen gegangen , Henning Becker Hansen hieß der, und der hat es verboten. Und die Empfangssekretärin hat uns auch mitgeteilt, dass sie das nicht darf. Ich kann mich nur erinnern, dass sie dann freundlicherweise ganz heimlich mal drei Becher, drei Tassen uns gegeben hat, damit wir die Möglichkeit hatten, wenigstens in der Toilette in einem Behältnis Wasser zu füllen, um um da was zu trinken.
SK
Die große Frage war ja über viele Jahre, wer jetzt letztendlich verantwortlich war für ihre Situation und für die Auslieferung an die Staatssicherheit. Und erst Jahrzehnte später gibt es jetzt den durchaus begründeten Verdach, das es wohl auch der damalige dänische Ministerpräsident Poul Schlüter selbst gewesen sein könnte, der nämlich damals auf Staatsbesuch war bei Erich Honecker. Wann haben Sie eigentlich davon erfahren, dass es sozusagen von allerhöchster Stelle angeordnet worden ist, was da mit ihnen passiert ist?
AH
Also, ich habe es eigentlich erfahren, als ich in Verbindung mit dem Herrn Jesper Holm, das ist ein Journalist und Dokumentarfilmer, der hatte mich dann, kontaktiert, per Mail und hat mir dann mitgeteilt, dass die Witwe des Botschafters Erik Kroog Meyer, auf ihn zugekommen ist und ihm brisante Unterlagen übergeben hätte. Ob ich bereit wäre, an einem Film, den er machen möchte, mitzuwirken. Ich war ziemlich aufgewühlt. Ich selber oder wir selber haben uns persönlich gefreut, dass es nun endlich mal jemanden gab, der sich dafür interessiert hat. Wir waren ja überall und haben überall versucht, dass darüber berichtet wurde. Aber man hat uns ja nicht geglaubt, das nicht wir die Täter waren, beziehungsweise Kriminelle, sondern dass wir eigentlich Opfer dieser ganzen Geschichte sind.
SK
Haben Sie sich so gefühlt, als würden sie kriminalisiert durch diese Zuflucht, diese da gesucht haben in der dänischen Botschaft?
AH
Auf jeden Fall. Also natürlich nicht in dem Moment, wo wir drinnen waren. Aber spätestens nachdem wir von diesen Behörden, nachdem der Herr Becker Henning Hansen gesagt hat, ab jetzt gelten die DDR-Gesetze, und sie werden hier rausgeholt, oder sie müssen gehen. Ab da habe ich schon gemerkt, aha, man versucht uns jetzt zu kriminalisieren.
SK
Es gibt noch eine Stelle - im Film wird es kurz angesprochen - da wird erzählt, dass es Ihnen gelungen ist, bei der ständigen Vertretung anzurufen und dass auch ein Mitarbeiter gekommen ist. Wir haben das vorhin in der Einleitung gehört, da hat Hans-Otto Bräutigam, der hat damals die Ständige Vertretung geleitet. Der hat das Verhalten der dänischen Botschaft, als es dann rauskam, als absolut unakzeptabel bezeichnet. Aber trotzdem war einer seiner Mitarbeiter bei ihnen in der dänischen Botschaft .. Und was haben die eigentlich dann gemacht?
AH
Gar nichts haben Sie gemacht! Ich glaube beide, sowohl die deutsche Regierung als auch die dänische Regierung, hatten versucht, den Mantel des Schweigens über das Ganze zu stülpen. Man wollte versuchen, das unter Verschluss zu halten. Also praktisch, als ob das gar nicht stattgefunden hat. Wir stellen uns auch die Frage, was hat denn die Bundesregierung gemacht? Wir wissen zum Beispiel, dass der Sekretär, Herr Stab, noch am selben Abend eine Depesche nach Bonn gesendet hat und berichtet hat, was mit uns passiert ist. Und danach ist gar nichts passiert. Erst zehn Tage, nachdem die Berliner Morgenpost erstmalig über uns berichtet hat, hat sich dann erst was getan.
SK
Ich will noch mal ein bisschen zurückgehen in diese Zeit 88/89. Das Ganze war ja im September 1988. Sie sind dann verhaftet worden, saßen in Haft und sind im Frühjahr 1989 wieder zurück gekommen nach Ilmenau. Wie war das, Herr Hoffmann, da wieder zurückzukommen? Wie haben denn Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen auf sie reagiert?
AH
Ja also, als wir zurückgekommen sind, haben natürlich viele Leute über uns geurteilt. Und dass wir Nestbeschmutzer sind und Vaterlandsverräter. Also das war quer durch den Gemüsegarten. Ja, viele haben dann versucht, den Kontakt zu uns zu meiden, weil wir natürlich von dem Tag an unter Kontrolle der Staatssicherheit waren. Also vor meinem Haus stand immer ein Lada oder ein Wartburg. Und wenn ich das Haus verlassen habe, habe ich immer eine Begleitung gehabt. Wir wurden dann kontrolliert, weil man wollte natürlich auch den Kontakt zur westlichen Presse verhindern, weil, wie Sie ja wissen, hat ja dann ein Untersuchungsausschuss getagt. Die haben sich ja im September dann zusammengesetzt in Kopenhagen und haben einen Untersuchungsausschuss, darüber gebildet. Und da hatten natürlich Journalisten viele Fragen. Und diese Fragen konnten man ja leider dann nur immer im Pfarrhaus beantworten, weil dieses Telefon konnte man da nicht so einfach kapern. Also wir haben da viele Interviews per Telefon gegeben an die dänische Presse.
SK
Aber Sie sind dann alle noch ausgereist, vor dem Fall der Mauer. Richtig?
AH
Genau. Zug im Zug durften wir dann ausreisen. Also jede Woche einer, obwohl ich natürlich mündlich Absage bekommen habe. Und es hatte gehießen, Sie müssen erst einmal ihre Bewährungsstrafe beenden. Und erst wenn die Bewährungsstrafe beendet ist, wird man weiter über meinen Antragverfahren. Man hat nach wie vor weiter versucht, uns in der Situation zu lassen. Ihr kommt hier nicht raus, nicht eher, bis die Strafe erloschen ist.
SK
Der Kontakt der Flüchtlinge untereinander, Herr Hoffmann, hat der noch Bestand gehabt? Besteht der eigentlich noch bis heute?
AH
Er besteht noch, aber eigentlich auch nur durch die Geschichte, dass eben der Herr Hoferichter mit uns Kontakt aufgenommen hatte. Und auch, wie gesagt, dieser Jesper Holm. Aber vorher war der Kontakt nicht so da, weil jeder natürlich sein Leben gelebt hat. Beziehungsweise viele haben natürlich erst einmal zusehen müssen, hier wieder zurechtzukommen. Und dann gibt es auch Familien, wie zum Beispiel der Familie Urban, die wollen von all dem nichts mehr wissen, weil die das hinter sich lassen wollten. Und da ist auch der Mann krank. Also, es sind schon einige Schicksale, auch innerhalb unserer Gruppe entstanden.
SK
Wohnt dann überhaupt noch jemand von denen in Ilmenau? Die meisten Adressen, die ich gesehen habe, die waren alle im Westen.
AH
Es wollte eigentlich keiner mehr zurück ..
SK
und Sie haben auch nie darüber nachgedacht, zurückzukehren nach Ilmenau?
AH
Nein, ich habe da eigentlich keine große Verbindung mehr. Ich bin damals mit so einem Frust habe ich die Stadt verlassen, dass ich da eigentlich gar nichts mehr damit zu tun haben wollte.
SK
Aus dramatischen Ereignissen kann man ja auch manchmal auch gute Lehren ziehen - haben Sie irgendetwas, wo sie sagen, es hat sich jetzt trotzdem für mich gelohnt, diese diese dramatische Zeit, die Haft und diese Enttäuschung dort durchlebt zu haben?
AH
Ja, klar, also, das kann ich schon bestätigen. Es hat sich trotzdem gelohnt. Ich habe nur nicht gedacht, dass wir so viel dafür investieren mussten. Also wir waren uns eigentlich sicher, dass wir freitagabends die Botschaft verlassen und mit dem Ergebnis im Gepäck das über diplomatische Wege über unsere Ausreiseanträge verfügt wird. Und das hat halt nicht geklappt. Das da waren wir wahrscheinlich zu blauäugig,
SK
Herr Hoffmann, ich danke Ihnen sehr, dass es sich Zeit genommen haben für unser Gespräch. Alles Gute
AH
Danke. Danke auch für Ihr Interesse
SK
Von Arco Randy Hoffmann wieder zurück zu Matthias Hoferichter. Matthias, weißt du denn eigentlich, wie diese Geschichte in der dänischen Öffentlichkeit aufgenommen wurde?
MH
Ja, also die Empörung war damals sehr groß in Dänemark, nicht nur im dänischen Parlament, nicht nur von seiten der Opposition, wo man sagt okay, gut, das gehört mit dazu, sondern wirklich in der dänischen Öffentlichkeit. Ich habe mich neulich auch nochmal mit Leuten unterhalten, die das als blutjunge Menschen erlebt haben und denen diese Geschichte bis zum heutigen Tag auch gegenwärtig ist. Und der Punkt ist der, dass das auch nicht so schnell wieder rauszukriegen ist aus Öffentlichkeit. Dass das nicht mal in einer Zeitung steht, heute und morgen. Und in drei Tagen redet kein Mensch mehr darüber. Das war nicht so. Die Geschichte ging einfach nicht weg. Wir haben auch ja auch einen dänischen Historiker bei uns im Film. Thomas Wegener Friies, der sagt es ist eine Geschichte, die nie weggehen wird. Also es wird immer sozusagen auch das dänische Außenministerium und die Mitarbeiter Diplomaten beschäftigen. Das ist nicht weg.
Man hat in Dänemark nie dieser Geschichte richtig aufarbeitet, und deshalb kommt diese Geschichte auch wieder und wieder und wieder zurück. Es ist gewissermaßen der Erbschuld des dänischen Außenministeriums. Es wird von Generation zu Generation, von von Diplomaten und Ministern weitergereicht.
SK
Nach wie vor ist die große Frage, wer letztendlich dafür verantwortlich ist. Wir hatten es schon mal angesprochen. Es gab den Botschafter, der hieß Henning Kroog Meier. Es gab diesen Botschaftsrat, mit dem die Flüchtlinge immer zu tun hatten, da hieß Becker-Hansen, und die Geschichte ist ja schon auch nie so richtig zu den Akten gelegt wurden, weil es sind ja noch mal viele Jahre später, 20 bis 25 Jahre später, nochmal Akten geöffnet worden, sowohl auf deutscher Seite als auch auf dänischer Seite.
MH
Noch ein bisschen später, also 28 Jahre später. Ja. Nun war Folgendes: Also auch auf dänischer Seite war es so, dass es immer Leute gab, auch in den Jahren danach, die immer auch an dem Thema dran waren. Ich habe einen Bekannten - mittlerweile ist er ein Freund von mir geworden - der heißt Michael Kuttner, ein dänischer Journalist, der übrigens als blutjunger Mensch mit auf Reise von Paul Schlüter in der DDR mit dabei war. Der hat das wirklich von Anfang an begleitet.
SK
Aber hat er das damals mitbekommt diese Geschichte, als er dabei war, auf dieser Reise? ...
MH
Nein, das nicht. Das hat er eben später mitbekommen. Aber er ist die ganzen Jahre immer an dieser Geschichte dran geblieben. Und es war in Dänemark über lange lange Zeit sehr, sehr schwierig an die Akten ran zukommen. Es hieß zunächst immer, wir müssen die Interessen Dritter schützen. Wer immer das sein mag .. Der entscheidende Weg führt eigentlich über das politische Archiv des Auswärtigen Amts. Und da sind die Akten seit 2016 eben zugänglich. Und dort hat auch dieser Michael Kuttner, von dem ich eben gerade gesprochen habe. Der hat eben ein Dokument gefunden, was sozusagen diese Geschichte noch einmal völlig neu aufwirbelt. Und zwar ein Dokument des Auswärtigen Amts, aus dem hervorgeht, dass der Ministerpräsident Poul Schlüter, der Zeit seines Lebens immer gesagt hat, er hätte nichts von diesem Vorfall gewusst. Er hätte nichts von dieser Botschaftsbesetzung gewusst, hätte erst beim Mittagessen in seiner Botschaft während des Staatsbesuchs von seinem Botschafter eben davon erfahren, dass aus diesem Dokument zu entnehmen ist, dass er das nicht nur vorher gewusst hat, sondern er soll auch noch die Räumung der Botschaft angeordnet haben, also nochmal oben eins draufgesetzt. Und wenn ich noch etwas sagen darf, was sehr interessant ist, ich habe mehrfach mit dem ehemaligen dänischen Außenminister. Uffe Ellemann-Jensen korrespondiert. Er ist jetzt Ende Juni gestorben und und wir haben per E-Mail einfach Dinge ausgetauscht. Ich habe eben Fragen gestellt. Er hat mir auch sehr klar und präzise geantwortet. Was ich interessant fand, war das Ellemann-Jensen mir oder uns mitgeteilt hat - Ellemann-Jensen war während der Botschaftsbesetzung auf Dienstreise im Nahen Osten - und er hat, ohne dass ich ihn gefragt habe, hat er mir mitgeteilt, dass in einem solchen Fall, wenn der dänische Außenminister im Ausland ist, der dänische Ministerpräsident die Aufgaben des Außenministers übernimmt. Was natürlich total die Fährte und die Spur unterstützt und erzählt, von der wir dann auch berichten. Aber dass er das ungefragt mir mitgeteilt hat, ist ein Hinweis. Es geht um die Ambivalenz von Macht und Moral. Es geht um Staatsraison und um Menschenrechte und Freizügigkeitsrechte. Die Dänen waren damals in den 80er Jahren Vorreiter, ganz starke Kämpfer für die Menschenrechte und Freizügigkeitsrechte. Ich habe den dänischen Historiker auch gefragt, wie ist das heute? Und er hat mir mitgeteilt, mittlerweile inserieren wir im Nahen Osten. Was weiß ich im Libanon in großen Zeitungen und teilen da mit, ihr könnt es gern versuchen, euch auf den Weg zu machen nach Europa. Aber ihr kommt nicht rein zu uns. Aber man muss eben auch andererseits sagen, wen interesiert das heutzutage, wenn irgendwo eine Botschaft besetzt wird. Damals ging das natürlich an die Presse, wie andere Botschaftsbesetzungen auch. Es sind ja die Vorboten der friedlichen Revolution von 1989. Aber natürlich waren Botschaftsbesetzungen, gerade von Ostdeutschen, damals, in der Zeit des Kalten Krieges, in der Zeit der Teilung Deutschlands, immer ein Thema in der Öffentlichkeit.
Wen interessiert das heute? Hast du irgendwie mal gehört, ob irgendwie in Südamerika oder Afrika oder in Asien heute irgendwo eine Botschaft besetzt wird?
SK
Poul Schlüter, der dänische Ministerpräsident ist 2021 verstorben. 2016 sind diese Akten an die Öffentlichkeit gekommen. Was sagt uns das jetzt am Ende eigentlich? Matthias, wer verantwortlich gewesen ist für diesen Vorfall, dass die Leute an die Staatssicherheit ausgeliefert worden sind durch die dänische Botschaft?
MH
Es bleibt letzten Endes offen. Wir haben dieses Dokument, von dem ich schon erzählt habe, was eben eindeutig und als sehr verlässlich gilt, und was eben aussagt, dass der dänische Ministerpräsident das nicht nur gewusst hat, sondern die Räumung der Botschaft auch noch angeordnet hat. Es gibt das klare Nein von Poul Schlüter dazu. Es gibt noch einmal diesen kleinen Hinweis vom Außenminister Ellemann-Jensen. Und es gibt diese Version, dass der Botschafter sozusagen selbständig entschieden hat, die Leute da rauszuholen und die Staatssicherheit in die Räume der dänischen Botschaft reingelassen hat. Die einen sagen, der war ein Bauernopfer. Der musste den Kopf hinhalten. Wir haben im Film den letzten noch lebenden Botschaftsrat aus der damaligen Zeit an der dänischen Botschaft. Den haben wir auch zu Wort kommen lassen. Mit dem haben wir auch ein längeres Interview geführt. Der ist auch derjenige, der bei der These bleibt. Poul Schlüter hat es nicht gewusst, also Poul Schlüter kam an in der DDR. Dann gab es ein Treffen mit Erich Honecker, und dann mittags war er in der Botschaft zum Mittagessen, und davon erzählt dann dieser Botschaftsrat. Herr Schelde heißt er auch bei uns im Film ausführlich.
Wir standen da, derBotschafte, Poul Schlüter und ich mit einem Glas. In diesem Gespräch konnte der Botschafter verstehen, dass Poul Schlüter über diese Episode nichts wusste. Und dann sagt der Botschafter, aber wissen Sie doch... über dies. Und dann sagt Poul Schlüter nein, das er überhaupt keine Information bekommen hat.
MH
Also wir können es nicht wirklich letzten Endes bis zum Schluss belegen. Aber diese Ambivalenz macht es ja vielleicht auch ein Stück spannend. Weißt du, dass wir uns jetzt nicht hinstellen können und sagen wir sind jetzt die ganz Klugen und haben es jetzt bis zum Ende herausbekommen, sondern dass beides möglich ist und dass beides letzten Endes nichts Gutes erzählt.
SK
Matthias, ich danke dir, dass du dir Zeit genommen hast und und diese spannende Geschichte erzählt hast.
Danke dir auch schönen Tag.
SK
Das war MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche. Haben Sie ganz herzlichen Dank fürs Zuhören. Unseren Podcast können Sie überall da hören, wo Sie Ihre Podcast am liebsten hören. Zum Beispiel in der ARD-Audiothek bei Apple oder Spotify oder auch auf YouTube. Wir freuen uns, wenn Sie uns regelmäßig hören. Alle 2 Wochen, immer freitags, gibt es eine neue Folge, und um die nicht zu verpassen, ist es am besten, wenn sie uns abonnieren. Weiterführende Links, Infos und auch Kontaktmöglichkeiten für Feedback gibt es übrigens immer in unseren Shownotes. Die nächste Folge ist dann wieder mit Esther Stephan. Wir hören uns, so sie mögen in vier Wochen wieder bis dahin machen Sie es gut.
MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche