MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (FOLGE 107) Tatort Fußballplatz - Gewalt gegen Schiedsrichter
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Audiotranskription
28. Juni 2024, 13:48 Uhr
Zuschauer: Ey, du Pappnase! +++ Wenn ein Schiri scheiße baut, dann kann man auch was sagen von draußen. +++ So ein Assi. Schiedsrichter Fabian Stegner : Wir haben echt ein riesen Problem, was Anerkennung und auch Gewalt und Diskriminierung im Fußball angeht.
Moderation Secilia Kloppmann (SK)
Während großer Turniere, wie jetzt der Europameisterschaft schauen sehr sehr viele Augen auf sehr wenige Mannschaften und Spieler. Dabei rollt der Ball vor allem an den Wochenenden tausendfach. Neben der Bundesliga, gibt es Regionalligen, Landesligen bis hin zu Kreisliegen. Allein in Thüringen gab es in der letzten Saison über 27.000 Spiele, in sachsen Anhalt knapp 25.000 und in Sachsen fast 54.000. Und jedes dieser Spiele braucht Schiedsrichter.
Und jedes dieser Spiele braucht Schiedsrichter.
Und damit herzlich willkommen zu MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche, jeden zweiten Freitag in der ARD Audiothek und da, wo sie uns gerade hören. Ich bin Secilia Kloppmann und freue mich, dass Sie dabei sind. In diesem Podcast sprechen wir mit Autorinnen und Autoren über ihre Recherchen, persönliche Eindrücke bei den Dreharbeiten und was noch passierte, als die Kamera aus war. Diesmal müssen und wollen wir über Gewalt sprechen. Über Gewalt auf dem Fußballplatz, gegen Schiedsrichter. Meine Kollegin Jana Maier hat einen Film gemacht. "Gewalt gegen Schiedsrichter" heißt der und ist zu sehen als exactly in der ARD Mediathek und auf YouTube
Hallo Jana, ich grüße dich!
Jana Maier (JM)
Hallo, vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich sehr.
SK
Jana, du arbeitest als Investigativjournalistin am MDR-Landesfunkhaus in Thüringen. Da frage ich mich, wieviele Schiedsrichter lernt man denn da kennen bei dieser Arbeit?
JM
Ja, also, ich arbeite hier wirklich im Landesfunkhaus Thüringen. Und da ist Fußball auch ein großer Teil - Regionalliga und auch darunter. Prinzipiell kommt man sehr, sehr häufig mit Schiedsrichtern ins Gespräch. Wenn man mal zu einem Fußballspiel geht. Es ist auch einfach persönliches Interesse, wie läuft so ein Spiel ab? Wie fühlt sich so ein Schiedsrichter? Ich spiele auch selbst Fußball in Thüringen, in der Verbandsliga. Und da komme ich natürlich jedes Wochenende mit Schiedsrichtern und Schiedsrichterinnen ins Gespräch.
SK
Ah, okay. Und hattest Du auch schon mal Wut auf einen Schiedsrichter, eine Schiedsrichterin?
JM
Ja, also als Spieler... Es sind immer Emotionen. Dabei fiebert man mit, man will alles mögliche leisten, alles auf den Platz bringen. Und wenn eine Entscheidung von einem Schiedsrichter einem nicht gefällt, stößt das auf. Bei uns ist es auch so, dass wir tatsächlich in der Frauen-Verbandsliga keine Linienrichter und Linienrichterin haben. Das heißt, es ist ist ein Schiedsrichter ganz alleine. Man muss das managen, der kann das Abseits nicht sehen. Manchmal meint man, dass es eindeutig ist oder eben eindeutig kein Abseits war oder wenn zu häufig auf Abseits entschieden wird. Irgendwie fühlt man sich immer ungerecht behandelt. Aber ich glaube, das geht beiden Mannschaften dann auf dem Feld so.
SK
Das ist ja eigentlich auch ein ein bekanntes Problem. Also sowohl für Leute, die sich für Fußball interessieren und zuschauen, als auch für Spieler/Spielerinnen auf dem Platz: der Schiedsrichter - das ist zumindest mein Gefühl - der ist irgendwie immer der Buhmann. Da gibt es immer verschiedene Meinungen: war das ist eine Fehlentscheidung? War das woirklcih Abseits? Wirklich ein Elfmeter? Und natürlich zieht der Schiedsrichter/die Schiedsrichterin da immer den Unmut auf sich. Aber worüber wir sprechen wollen, ist die Grenze, die man da setzen muss. Und daher die Frage für dich am Anfang: Ab wann ist für dich denn eine Grenze überschritten?
JM
Ich finde, man kann mit Schiedsrichtern schon ins Gespräch kommen, wenn man mal unzufrieden ist mit einer Entscheidung. Aber das muss alles auf Augenhöhe passieren. Das muss alles ein faires Level haben und Beleidigungen, Beschimpfungen gehören überhaupt nicht auf dem Platz. Zumal wir hier auch im Hobbybereich sind. Jeder macht das freiwillig, die Personen zahlen Beitrag dafür, dass sie dem Hobby nachgehen können. Und da sind Beschimpfungen, Beleidigungen und dann auch bis hin zur körperlichen Gewalt eine absolutes No Go.
SK
Müssen wir vielleicht auch gleich noch mal sagen, der Film, den du gemacht hast "Gewalt gegen Schiedsrichter“, der spielt ausschließlich im Amateurbereich. Und der Anlass für die Recherche ist ein tragischer, da geht es gar nicht um einen Schiedsrichter. Aber es geht um eine ziemlich tragische, krasse Geschichte....
JM
Ja, also der Film spielt ausschließlich im Amateurbereich. Da gibt's eine DFB-Statistik dazu, die sich wirklich nur mit dem Amateurbereich Fußball befasst und ausschlaggebend war: Im Juni letzten Jahres gab es einen drastischen Vorfall in Frankfurt am Main. Das war ein internationales Jugendturnier. Da war eine Mannschaft aus Berlin da und eine aus Frankreich. Die waren 15 bis 16 Jahre alt, die Spieler, und dann kam es zu einem Gerangel auf dem Platz, und ein Spieler hat einen Kinnhaken in der Halsgegend abbekommen und blieb danach regungslos auf dem Platz liegen. Und ein paar Tage später ist er dann eben auch im Krankenhaus verstorben, weil da eine Arterie geplatzt war. Irgendwas Hirnblutungen in diese Richtung. Und das war eben ganz, ganz tragisch. Und so fing unsere Recherche an.
SK:
Dass wir erst mal eine Idee haben, Jana: Was ist denn auf den Fußballplätzen los? Es gibt es denn da aussagekräftige Zahlen/ Statistiken?
JM
Ja, es gibt die DFB-Statistik, das jährliche Lagebild. Und danach gab es in der letzten Saison 2022/23 961 Spielabbrüche. Nur fünf Jahre zuvor in der Saison 2017/18 waren es noch 672 Spielabbrüche,
SK
Was heißt Spielabbruch?... Da war so viel los auf dem Platz, dass man das Spiel nicht zu Ende führen konnte?
JM
Genau. Das heißt, es geht entweder so schlimm in verbale Beschimpfungen oder eben dann auch in körperliche Auseinandersetzungen auf dem Platz.
SK
Dein Film heißt "Gewalt gegen Schiedsrichter“ - Wie sieht es denn da konkret aus? Mit Gewalt gegen Schiedsrichter? Gibt es da auch eine Statistik? Gibt es da Zahlen?
JM
Ja. Auch die werden erfasst in einer Liste, da geht es um Beschuldigte und Geschädigte. Und auch diese Zahl ist angestiegen. In der Saison 2022/23 waren es etwa 2.700 gemeldete Fälle gegen Schiedsrichter. Das heißt, Schiedsrichter sind in dem Fall die Geschädigten. Und einer Saison davor waren es noch 2.400. Im Gegensatz dazu sind nur 87 Schiedsrichter Beschuldigte in der vergangenen Saison. Die Zahlen der Spieler, die als Beschuldigte genannt werden, sind da aber schon in der vergangenen Saison bei über 4000. Tatsächlich kann man schon raus erkennen, wer hauptsächlich Beschuldigter ist - das sind die Spieler. Und wer Geschädigter ist - das sind dann die Schiedsrichter.
SK
Werden diese Vorfälle nach nach tätlichen Übergriffen, nach rassistischen Übergriffen oder verbal erfasst - gibt es da eine Einteilung?
JM
Also man muss sich vorstellen ein Schiedsrichter geht nach dem Spiel an seinen Computer und hat dann eine Liste, wo er Kreuze macht. Da wird erst mal gefragt gibt es einen Vorfall, dann kreuzt er JA an - wenn es einen gab. Wenn er NEIN ankreuzt, ist der Fragebogen schon beendet. Wir stellen uns mal vor, er kreuzt JA an, dann geht es weiter. Gab es Störungen? Nein, ja. Wie viele davon sind eine Gewalthandlung? Und wie viele davon sind Diskriminierung? Das sind die Sachen, die er ankreuzen kann. Also Beleidigung ist gleich Diskriminierung oder Gewalthandlung. Da geht es dann um die körperlichen Auseinandersetzungen.
SK
Ich würde an dieser Stelle gleich auch noch mal für alle, die es interessiert, einen Podcast Hinweis in eigener Sache machen. Und zwar meine Kollegin Esther Stefan hat mit dem Kollegen Albrecht Radon gesprochen – über ein extrem krasses Beispiel, wo Gegner und Schiedsrichter richtig Angst haben vor einer Fußballmannschaft. Und zwar Eintracht Gladau aus Sachsen-Anhalt. Da geht es vor allen Dingen um Rechtsextremismus. Die Folge ist erschienen im Januar und heißt "Angst bei Spielern und Schiris - Rechtsextreme im Fußball“.
SK
Jana, lass uns wir weiter sprechen über deinen Film "Gewalt gegen Schiedsrichter“ den man in der ARD-Mediathek und auf YouTube als exactly sehen kann. Da begleitest du ja einen Schiedsrichter. Fabian Stegner heißt der, der pfeift in der Landesklasse Sachsen-Anhalt, und der hat einen wirklich krassen Angriff erlebt. Richtig?
JM
Genau. Fabian hat im vergangenen Herbst, das war am 1. Oktober 2023, eine schlimme Erfahrungen gemacht. Damals hat er das Spiel Kine em Halle gegen den Reideburger SV gepfiffen. Und es war schon ein Spiel .. es gab schon fünf Rote Karten, und dann, kurz vor Schluss, ist es eskaliert. Er hat noch mal eine Rote Karte ausgeteilt, und dann sind die Spieler von Kine em auf ihn zugerannt, und er hat eben auch von hinten einen Faustschlag abbekommen. Ich habe mit ihm das Video auch im Film noch einmal angeguckt, und er schildert, wie die Situation verlaufen ist. Und da können wir gern noch mal reinhören.
Da sind wir schon in der Szene, ich glaube da liege ich dann schon am Boden. Da müsste ich am Boden liegen, wir hatten ein rotes Trikot an daran kann ich mich so ein bisschen orientieren. Da liege ich. Also ich habe es in die Reideburger Bank geschafft. Sie sind rausgekommen, haben sich schützend vor mich gestellt. Das siehst Du hier super. Also die kommen alle raus, alle schützend zwischen den aufgebrachten Spielern von Kine und den Fans von Kine.
SK
Um das noch einmal genau zu erklären, was da passiert ist: Also der Fabian Stegner hat einen Schlag auf den Kopf bekommen, von hinten. Er lag dann auf dem Boden, und er wurde auch, während er auf dem Boden lag, noch mehrfach getreten. Er ist dann am Ende auch ins Krankenhaus? Jana richtig?
JM
Ja, genau. Er ist dann in die Notaufnahme, weil man bei einem Kopfschlag natürlich auch immer vorsichtig sein.
SK
Hm. Ich fand erschreckend - in einem Film wird das ja auch zitiert - dieser ganze Hass, der da im Internet auch noch auf ihn zugekommen ist. Also das eine ist ja der tätliche Angriff. Aber dann hat es auch im Internet noch einmal echt viel Häme und Hass geregnet...
JM
Ja, da gibt es zwei (Richtungen).. Er ist natürlich auch durch seinen Vater ...
SK
… er ist der Sohn von Ralf Stegner von der SPD. Der war sehr, sehr lange SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag....
JM
Genau. Er ist der Sohn von Ralf Stegner, und dadurch scheint auch ein politischer Kampf, irgendwie online ausgetragen zu werden. Was aber diesbezüglich eigentlich gar nichts zur Sache tut - das ist das eine Lager. Das sagt: der ist linksversifft, er hat es verdient. Auf der anderen Seite gibt es dann das andere Lager, die sagen hier ist Fußball, und da hat Gewalt überhaupt nichts zu tun. Da ist schon Beleidigungen rotes Tuch.
SK
Aber Fabian Stegner ist irgendwie ein ganz cooler Typ. Und ich finde, der ist auch ziemlich, der geht auch ziemlich cool mit dieser Situation
Ich hatte einfach wirklich Glück. Mir ging es danach gut, es geht mir heute gut und ich hatte danach auch keine Angst auf dem Fußballplatz. Habe es bis heute nicht. Ich freue mich jedes Mal wieder. Ich lasse mir das auch nicht kaputt machen. Ich will mir das auch nicht wegnehmen lassen.
JM
Ja, man muss dazu sagen als er ist wirklich ein entspannter Typ, auch ein sehr kommunikativer Typ und geht das Thema auch offen an. , Er weiß, dass man dagegen vorgehen muss. Und deshalb ist er auch der passende Protagonist für unseren Film eben gewesen.
SK
Im Film sieht man auch einen 12-jährigen Schiedsrichter Wanja Pook, der pfeift in der D-Jugend. Als ich das sah, dachte ich, eigentlich sehen die doch ganz nett aus. Da gab es auch eine kleine Auseinandersetzung auf dem Platz. Aber das war eigentlich ja total harmlos…?
JM
Am Ende sagt er ganz klar: Du hast mir zu folgen. Du hast meine Richtlinien, meine Regeln zu achten. Ich wünsche mir Respekt von dir. Das ist ein schöner Ton. Und da ist er auch ganz klar. Das ist schon (jetzt) ein Schiedsrichter, und viele vermuten, dass aus dem mal was wird. Die Statistik für die Jugendmannschaften zeigt auch deutlich, dass die Gewalt in der Jugend zugenommen hat. Das bestätigt auch noch einmal die DFB-Expertin im Film. Das liegt aber nicht daran, dass die Jugendlichen und Kinder gewalttätiger werden oder mehr Aggressionen in sich tragen. Das liegt hauptsächlich an den Eltern, an den Trainern, an allen, die am Rand stehen. Und das ist, weshalb da die Gewalt und Beleidigung auch zugenommen hat.
SK
War es denn eigentlich schwer Schiedsrichter zu finden, die sich vor der Kamera zu dieser Problematik Gewalt gegen ihre Person, Gewalt auf dem Fußballplatz äußern?
JM
Es waren tatsächlich viele Schiedsrichter in der engeren Auswahl, wir haben da vorher gebrainstormt. Wir haben uns eine Liste dazu fertig gemacht. Wir waren zum Beispiel im Dezember bei einem Deeskalationstraining in Sachsen-Anhalt, dass man auch im Film sieht. Und da haben wir ganz viele Schiedsrichter, Funktionäre und auch Verantwortliche, die noch alle recht jung waren, kennengelernt und auch schon Erfahrungen gemacht haben. Wir haben mit vielen, vielen Schiedsrichtern gesprochen, die sind auch viele im Film zu sehen. Da ist nicht nur Fabian, dann zu sehen - haben uns aber am Ende für Fabian entschieden.
SK
Ich entnehme Deiner Antwort, dass es da einen gewissen Druck gibt, dass die Schiedsrichter da schon drüber sprechen wollen über das, was da passiert. Richtig?
JM
Genau. Also, die wollen alle gern offen darüber sprechen.
SK
Führen diese Erfahrungen eigentlich auch dazu, dass es zu wenig Schiedsrichter gibt, gerade im Amateurbereich?
JM
Ja, der Amateurbereich hat einen großen Schiedsrichter-Mangel. Das endet dann natürlich darin, dass Schiedsrichter ganz weite Strecken in ihrem Bundesland zurücklegen müssen oder spontan mal eingesetzt werden oder angerufen werden, kannst du nicht. Das ist natürlich nicht schön. Man muss dazu sagen letztes Jahr war das "Jahr des Schiedsrichters" ...
SK
.. das hat der DFB extra ausgerufen aufgrund des Problems …
JM
Richtig. Da gab es verschiedene Initiativen, auch von Bundesligavereinen und verschiedene DFB-Initiativen, um Schiedsrichter zu schulen, um das Ganze wieder attraktiv zu machen. Und die Zahlen haben wirklich zugenommen, auch im Jugendbereich. Und jetzt muss man natürlich gucken, dass man die auch hält. Dass man die jugendlichen Heranwachsenden, die jetzt Schiedsrichter werden, in der Ausbildung sind, dann auch über die Jahre hält. Weil im ersten Jahr ist es tatsächlich so, dass viele Erfahrungen mit Beleidigungen, Beschimpfungen, machen und dann sagen, das muss ich mir nicht antun an meinen freien Wochenenden.
SK
Zumal das ja auch ein ich sage mal "krasser Job" ist. Also gerade was Du gesagt hast. Zum Beispiel in der Liga, wo du spielst, bei den Frauen, da gibt es nur eine Schiedsrichterin/einen Schiedsrichter auf dem Platz. Auch bei dem 12-Jährigen aus Deinem Film, der war auch ganz alleine auf dem Platz. Die müssen echt super superschnell sein, super fit, müssen auch fit im Kopf sein ... Das ist ja auch mega-anstrengend, oder?
JM
Du sagst es. Die müssen fit körperlich sein. Sie müssen immer auf Ballhöhe sein, Immer hin und her flitzen. Sie müssen fit im Kopf sein. Die müssen auch immer einen Schritt weiter denken oder noch mit dem Blick auf der vergangenen Situation bleibe, die gerade war. Da ist ein Spieler der versucht, den anderen zu provozieren, obwohl die Spielszene schon weitergeht. Also eigentlich bräuchten die zwei paar Augen am und am Ende, das sagt auch Fabian, sollen sie zwar alles sehen und am besten noch korrekt entscheiden, aber nicht alles hören. Also, wenn sie beschimpft werden, wenn irgendwie mal einen Spruch fällt, da sollen sie lieber nicht hinhören- aber alles sollen sie sehen.
SK
Ja, da kann man wirklich nur froh sein, dass sich da junge Mädchen und Jungen für diese Laufbahn entscheiden. Weil natürlich ist es auch schöner, der Stürmer zu sein, auf dem Platz und die Tore zu schießen als derjenige, der immer die Wut abkriegt…
JM
Ich könnte es nicht. Ich bin froh, dass ich Spielerin bin, muss ich sagen, ich würde mich da nicht zwischen zwei Mannschaften stellen wollen.
SK
Jetzt bist du ja auch mit Fabian Stegner unterwegs gewesen. Du warst bei einem Fußballspiel in Zörbig. Wer hat da gespielt? Jana
JM
Das war Zörbig gegen Brehna, das war tatsächlich erster gegen zweiter in der Liga. Das war Landesklasse. Brehna will, wollte aufsteigen -haben es auch geschafft am Ende. Und Zörbig, hatte eine sehr gute Bilanz immer gegen Brehna und hatten natürlich gehofft, dass sie da drei Punkte daheim holen konnten. Hat am Ende nicht geklappt, Es war aber ein recht friedliches Spiel.
SK
Lag das daran, dass ihr mit der Kamera da wart?
JM
Das kann natürlich sein, das kann man am Ende nie sagen, ob es daran lag. Fakt ist, beim Hinspiel in Brehna gab es Ausschreitungen, da wurde auch der Schiedsrichter deutlich mehr kritisiert. Das war auch ein Punkt, weshalb die Fabian extra für dieses Spiel angesetzt haben - aufgrund seiner Erfahrung, dass er auch in höheren Ligen an der Linie steht. Also da wollte man einen erfahrenen Schiedsrichter, der eine ganz klare Körpersprache vertritt, weil es beim Hinspiel eben auch da ja nicht ganz so funktioniert hat und auch hitzig wurde, Ausschreitungen gab. Und um noch mal auf die Kamera zurückzukommen klar, wir stehen da mit einer großen Kamera. Wir hatten sogar zwei Kameras dabei, und da kann es schon sein, dass der eine oder andere sich dann eher zügelt.
SK
Du hast ja auch mit Zuschauern gesprochen, auch bei dem Jugendspiel. Die Antworten waren ja okay. Gab es da jetzt auch Antworten, die du besser nicht gesendet hast?
JM
Also wir haben schon alles gesendet, was gesagt wurde. Was wir nicht gesendet haben, waren die Rufe gegen die Presse. Das sind inzwischen leider die klassischen Lügenpresse -Rufe.
SK
Das habt ihr auch erlebt? Auch auf einem Amateur-Fußballspiel?
JM
Das haben wir im Amateurfußball erlebt. Das schwingt natürlich mit. Das nimmt zu, mit steigendem Alkoholpegel. Dann trauen sich die Leute mehr, fühlen sich selbstbewusster. Das hat aber in dem Sinne auch nichts mit dem Film zu tun. Im Film geht es um die Schiedsrichter - nicht um uns als Presse.
SK
Alkohol ist natürlich ein Problem. Man hat so das Gefühl, für viele Fußballzuschaue gehört das Bier zum Fußball wie der Baum zu Weihnachten. Das merkt man dann schon, je länger das Spiel dauert, um so aggressiver wird es, kann man das so sagen?
JM
Natürlich sind da immer Emotionen dabei, wenn da eine Entscheidung getroffen wird vom Schiedsrichter, die einem nicht gefällt. Klar. Manche reagieren aggressiver, manche mit Sprüchen. Ich bin auch gerne jemand, der am Wochenende beim Fußball zuschaut und auch mal ein Bierchen dabei trinkt. Aber man sollte sich doch auch immer noch beherrschen können und da nicht irgendwie ausfällig werden. Und wenn man jetzt zum Beispiel mal in der Statistik von Anfang noch mal reinschaut, da sieht man, dass es in der letzten Saison 2.200 Beschuldigte Zuschauer gab. Da muss man auch immer noch dazu sagen, dass das größte Dunkelfeld ist, weil die Schiedsrichter so fokussiert sind, auf das Fußballspiel auf so viel achten müssen, dass sie häufig wirklich nicht mitbekommen, was bei den Zuschauern passiert, was für Rufe von dort kommen. Deshalb ist die Zahl schwierig, und es ist schwer von einer validen Statistik zu sprechen. Zumal bei der Statistik kann auch immer nur ein Fall ermittelt werden. Es wird pro Spiel nur ein Vorfall erfasst. Es kann bei einem Spiel natürlich zehn Vorfälle geben – ab er es wird nur einer erfasst. Der Schiedsrichter kann in seinem Fragebogen am Ende nur ein Kreuz setzen. Wer ist Beschuldigter? Das heißt Zuschauer. Die Zuschauergruppe ist zum Beispiel dann Beschuldigter.
SK
Ah, okay, heißt, wenn man es realistisch sieht., sind es viel, viel mehr?
JM
Genau. Genau das ist das Minimum. Das sagt auch Thaya Vester, die DFB-Expertin im Film, das ist das absolute Minimum, von dem man ausgeht.
SK
Was gibt's denn jetzt eigentlich für Möglichkeiten, um die Stimmung auf dem Platz und auch am Spielfeldrand im Zaum zu halten und so etwas wie Gewalt gegen Schiedsrichter zu vermeiden?
JM
Also einmal gibt es das frontale Training für Schiedsrichter, das heißt Deeskalationstraining zum Beispiel. Wie trete ich als Schiedsrichter auf? Wie kann ich deeskalierend wirken? Manchmal müssen die das gleich von Anfang an machen. Wenn sich die beiden Mannschaften nicht leiden können, wie agiere ich mit Trainern, wenn die mal ein bisschen lauter am Rand werden? Christian Streich aus der Bundesliga war da das beste Beispiel - wie gehe ich mit solchen Personen um? Wie setze ich denen eine Grenze ..? Das geht bis hin bis zur Selbstverteidigung. Wenn ein Spieler auf mich zu gerannt kommt und eindeutig mich körperlich angehen will - wie verteidige ich mich am Ende als Schiedsrichter, um heil aus der Sache rauszukommen? Und auf der anderen Seite. In Thüringen hat man eine neue Richtlinie Regel eingeführt. Da können Schiedsrichter das Spiel zweimal gezielt unterbrechen, wenn es laut wird, wenn es hitzig wird, wenn der Schiedsrichter sagt okay, jetzt brauchen die Mannschaften hier mal 5 Minuten, um sich runter zu beamen. Dann schickt er die in ihre jeweiligen Strafräume, holt sich die Kapitäne ran, spricht mit denen und kann dann Karten verteilen. Und dann geht's weiter. Das kann er zweimal anwenden. Danach bricht er das Spiel ab. Das ist die sogenannte Stopp-Regel, die wird auch deutschlandweit eingeführt, nachdem sie in Baden-Württemberg, Hessen und auch in Thüringen getestet wurde.
SK
Ja, es gibt ja auch immer mal wieder neue Regeln, der Videobeweis wurde eingeführt. Jetzt, bei der Europameisterschaft ist es so, dass nur noch der Kapitän der Mannschaft mit dem Schiedsrichter in Kommunikation treten darf. Sind das Sachen, die Sinn machen?
JM
Ja – und naja, es ist schwierig. Das sind Sachen, die werden zum Beispiel im Rugby und im Eishockey eingesetzt. Natürlich ist es fragwürdig, weil die Spieler das seit Jahren anders gewohnt sind und häufig rennen alle direkt auf den Schiedsrichter zu. Deshalb glaube ich tatsächlich, dass es bei dieser EM in Deutschland sehr schwierig wird, das auch durchzusetzen. Denn es verlangt, dass die Schiedsrichter komplett alles durchsetzen und Karten verteilen. Wenn jemand anderes außer der Kapitän oder der Stellvertreter, wenn es der Torhüter ist, auf die zukommen, das glaube ich es ganz schwierig.
SK
Ist auch ein bisschen schade. Ich mochte das immer, wenn alle ganz aufgeregt gestikulieren, aber wahrscheinlich für den Schiedsrichter nicht so schön. Für den ist es wahrscheinlich dann schwierig.
Für den Film bist Du auch beim Fußballverband Thüringen, hast auch angefragt in Sachsen und Sachsen-Anhalt . Welchen Stellenwert hat denn das Problem „Gewalt gegen Schiedsrichter“ bei den Verbänden?
JM
Also prinzipiell war ich im Austausch mit allen Fußballverbänden Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen. Auch Sachsen-Anhalt habe ich kennengelernt und war dann eben am Ende in Thüringen. Für diesen Film habe ich gesprochen mit Volker Westhaus, der ist verantwortlich für das Schiedsrichterwesen, für Diskriminierung beziehungsweise Antidiskriminierung und Gewaltprävention. Das ist eine hauptamtliche Stelle, die der Thüringer Fußballverband dort geschaffen hat. Und auch bei anderen Verbänden, wenn man sich mit denen unterhält, die haben alle diese Einstellung: Eine hauptamtliche Stelle, die sich wirklich mit diesen Spielberichtsbögen, den Sonderberichten befasst, und den Sportgerichtsentscheidungen, dass das die Lösung des Problems ist. Ich habe da schon eine Wichtigkeit erkannt. Natürlich mahlen da die Mühlen recht langsam, weil wir uns auch immer im Ehrenamt bewegen. Und da muss viel von den Vereinen kommen. Wichtig ist, dass die Trainerausbildung, die Schiedsrichter-Ausbildung, auch weitere Ausbildung und Fortbildungen von den Verbänden angeboten wird und dass dann die Vereine das am Ende tatsächlich auch wahrnehmen. Und natürlich müssen Sportgerichte schnell handeln, da müssen Strafen auf dem Fuß folgen, so wie wir das im Beispiel im Film in Thüringen hatten.
SK
Dennoch. Ich glaube, das kann man schon so sagen, dass es auf den Fußballplätzen in Deutschland Rassismus, Antisemitismus, Diskriminierung und so weiter gibt. Da ist ja schon die Frage, ob es dann reicht, das auszuwerten, irgendwelche Spielbögen - muss man da nicht doch mehr machen?
JM
Ja, natürlich muss man mehr machen. Man muss Prävention schaffen. Und Thema Sportgerichte: Man muss dazu wissen, das ist nach Bundesländern aufgeteilt in 21 Landesverbände, und jeder Landesverband hatten eigenes Sportgericht. Das heißt, jedes Gericht urteilt ein bisschen anders. Auch das finde ich, muss man vereinheitlichen. Und dann muss man da auch Strafen aussprechen. Man muss die Schiedsrichter auch unterstützen, dass sie selbstbewusst werden, so wie zum Beispiel den zwölfjährigen Wanja aus dem Film, der da wirklich schon mit in seinen jungen Jahren durchgreift.
Und gerade da muss der Fußballverband unterstützen und alles, was gegen Schiedsrichter geht - Gewalt, Diskriminierung. körperlich angegangen zu werden, da muss der Verband hinterher. Und da gehören auch Ordner dazu, die Ordner, die an Spieltagen vor Ort sind. Das muss alles gestellt werden, und da sind natürlich die Vereine verantwortlich. Da sind wir wieder im Ehrenamt. Es sollte vielleicht mehr Kontrollen geben, ob und wie es eingehalten wird.
SK
Ja, und den Spielern und Spielerinnen muss natürlich auch klargemacht werden, dass das einfach gar nicht geht - Gewalt gegen Schiedsrichter. Wie ist es denn jetzt bei dir? Nachdem du diesen Film gemacht hast? Du hast gesagt, du stehst selbst auf dem Platz. Gehst du jetzt anders um mit dem Schiedsrichter/ Schiedsrichterin, wenn du spielst? Siehst du die jetzt anders nach der Beschäftigung mit dem Thema?
JM
Ja, also, ich sehe das Ganze tatsächlich etwas entspannter, so nach dem Motto es sind ja auch nur Menschen. Wenn man das mal geschildert bekommt, was es auch mit einer Person macht, wenn sie sich da freiwillig hinstellt und dann gewissen Aussagen auch einfach aussetzt und die am Ende irgendwie abtut hört, aber es schluckt und immer mehr schluckt und immer mehr schluckt. Jedes Wochenende also, da bin ich schon entspannter. Ich will jetzt nicht sagen, ich bin freundlicher. Nein, ich war auch vorher nie ausfällig gegenüber Schiedsrichtern. Das wäre übertrieben. Aber ich komme häufiger mit Schiedsrichtern ins Gespräch. Tatsächlich, da bin ich viel offener, auch nach dem Spiel.
SK
Liebe Jana Maier hat vielen Dank für das Gespräch.
Podcast: "MDR Investigativ - Hinter der Recherche"