MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (FOLGE 87) 50 Jahre Militärputsch in Chile: Das Ausmaß deutscher Beteiligung
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Audiotranskription
22. September 2023, 10:38 Uhr
Deutschland war vom ersten Tag an an dem Putsch stark beteiligt. Also der Geheimdienst, vom damaligen Deutschland. Und das ist wohl die Angst. Es sind viiele Informationen, die Deutschland nicht gern in der Öffentlichkeit hätte.
Moderation Secilia Kloppmann (SK)
Erick Zott war linker Studentenführer in Chile, als das Militär 1973 gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende putschte. Zott wurde damals verhaftet und in der deutschen Sekt Colonia Dignidad gefoltert. Der Zeitzeuge Erick Zott und die Recherche in lange Zeit nicht zugänglichen Akten zeigen ein bisher nicht bekanntes und erschreckendes Ausmaß der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am Putsch in Chile und die Duldung von Menschenrechtsverletzungen wie Folterungen bis hin zur Ermordung politischer Gegner. Und damit herzlich willkommen zu einer neuen Folge von MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche. Jeden zweiten Freitag werbefrei in der ARD Audiothek und da, wo sie uns gerade hören. Ich bin Secilia Kloppmann und arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks
Zu Gast in dieser Folge ist mein Kollege Christian Bergmann.
Es ist jetzt im September, genauer gesagt am 11. September 50 Jahre her, dass der Putsch in Chile war. Da ist jetzt schon einiges auch gelaufen in den Medien aufgrund dieses 50. Jahrestages … aber kannst du bitte noch mal ganz kurz zusammenfassen: Was ist da passiert an diesem 11. September 1973 und mit welchen Folgen?
Christian Bergmann (CB)
Am 11., September 1973 hat sich das Militär unter Augusto Pinochet gegen den rechtmäßig gewählten Präsidenten Salvador Allende erhoben, und Salvador Allende hat sich dann im Präsidentenpalast La Moneda verschanzt und sich verteidigt. Und das Militär hat ihn dann umstellt und ein Ultimatum gestellt, das er sich ergeben sollte, was er nicht getan hat. Und dann hat Augusto Pinochet die Luftwaffe aufgefordert, den Präsidentenpalast der LaMoneda zu bombardieren. Und kurz daraufhin hat sich dann Salvador Allende erschossen. Und dann kam es zur Machtübernahme der Militärs, und es folgte eine 17-jährige Militärdiktatur.
SK
17 Jahre war Pinochet an der Macht - bis es dann wieder eine demokratische Wahl gab?
CB
Genau. Es gab dann die ersten demokratischen Wahlen. Pinochet hatte immer noch enorme Sonderrechte. Also man kann sich das nicht so vorstellen, dass von einem Tag auf den anderen er dann mit Schimpf und Schande ...oder verhaftet wurde, sondern er war immer noch bis 1998 Oberbefehlshaber der Armee, war später noch Senator in chilenischen Parlament. Also er genoss sehr lange, sehr viele Sonderrechte.
SK
Die Menschenrechtsverbrechen, über die wir ja jetzt noch sprechen werden, die waren ja nicht nur direkt in den Tagen des Putsches, sondern das hat sich ja auch über Jahre hingezogen. Richtig?
CB
Ja. Es war eine Jahrzehnte lange Folterpolitik. Wir haben zum Beispiel ein Beispiel aus dem Film den Besuch von Norbert Blüm 1987, wo er sich stark macht, für zum Tode verurteilte Gegner des Pinochet Regimes- Wo nicht nur diese Gegner gefoltert wurden, sondern sogar ihre Familienangehörigen. Das kann man im Film dann auch hören. Das sind sehr eindrückliche Schilderungen, wo auch teilweise auch schwangere Frauen gefoltert wurden, also es sind sehr, sehr schlimme Dinge passiert. Und das ist noch 1987 passiert - also während der gesamten Militärdiktatur kam es zu solchen Vergehen.
SK
Diese Beispiele habe ich später auch nochmal rausgesucht. In dem Film, über denen wir jetzt sprechen - den hast du zusammen gemacht mit dem Kollegen Tom Fugmann -, der lief bei Fakt im Ersten und ist zu sehen in der ARD Mediathek, "BND gegen Stasi, Chile '73" heißt der, da geht es vor allem - nicht nur - aber vor allem, um die Rolle Westdeutschlands in dieser Zeit. Du bist in Chile gewesen, Christian, du hast dort recherchiert, Akten durchforstet. Wo warst du? Und was waren die zentralen Erkenntnisse deiner Recherche?
CB
2019, also vor vier Jahren, wurde durch einen Anwalt, der auch Opfer der Colonia Dignidad war, erwirkt, per Gerichtsbeschluss, dass das Archiv der Colonia Dignidad der Öffentlichkeit zugänglich sein sollte. Und als wir das mitbekommen haben, habe ich gedacht, okay, jetzt nutzen wir die Chance, Und bin hingeflogen und habe angefangen im chilenischen Nationalarchiv - dort liegen diese Akten - zu recherchieren und Fotos davon zumachen. Das war erlaubt. Man durfte Fotos machen. Ich glaube, ich habe über 4000 Fotos auf meinem Rechner gehabt, die ich dann maschinenlesbar gemacht habe, durchsuchbar gemacht habe. Es war alles nicht so leicht, weil es waren viele Handschriften dabei, die man natürlich nicht dokumentenlesbar machen kann. Ich musste auch mit Handschrift-Experten zusammenarbeiten teilweise, weil manche Dinge nicht zu entziffern waren. In der Colonia war keine gute Handschrift. Das war ein sehr aufwendiger Prozess. Es war eine intensive Zeit. Ich glaube, zehn Tage, die ich vor Ort war. Davon fünf bis sechs Tage im Archiv.
SK
Und diese Unterlagen, über die wir noch im Detail sprechen ... sind die beschlagnahmt worden im Zuge von der damaligen Schließung der Colonia Dignidad? Oder wie muss man sich das vorstellen?
CB
Im Film ist der Leiter der Ermittlungskommission gegen die Colonia Dignidad zu sehen. Luis Henrique Seguel und seine Männer haben im Jahr 2005 diesen spektakulären Fund gemacht. Das war verscharrt und vergraben. Das ist das Archiv von Paul Schäfer - also dem damaligen Sektenführer der Colonia Dignidad, der dort im Prinzip das komplette "Gedächtnis" dieser Colonia Dignidad in Schriftform hinterlassen hat. Schäfer war ein sehr misstrauischer Mensch. Er hat alle Telefonate, zum Beispiel die aus der Colonia Dignidad abgingen, verschriften lassen in Telefonprotokollen und hat sich das dann vorlegen lassen. Also auch wenn zum Beispiel seine Nummer 2, Hartmut Hopp, aus so einem Telefonprotokoll zitieren wir auch, wenn der telefoniert hat, wie zum Beispiel damit Gerhard Mertins, dem Waffenhändler, dann hat das Paul Schäfer auf seinen Tisch bekommen und hat gesehen, worüber die geredet haben. Und das ist heute ein großer Schatz, weil man weiß, was damals passiert ist, was damals am telefonisch gesprochen wird. Man hat also den gesamten wirtschaftlichen Schriftverkehr, das heißt Warenbestellungen wie diese Waffenbestellungen, die wir dann im Film zeigen, aber auch verschiedene Zeitungsartikel, andere Dokumente .. und was vielleicht am verblüffendsten war, was zum Beispiel im Film nicht vorkommt, aber mich bei der Recherche sehr verblüfft hat war, dass alle Akten aus der wetsdeutschen Botschaft in Santiago de Chile sofort auf dem Tisch von Paul Schäfer lagen. Er hatte Kopien von allen Vorgängen, und und es gab dann ein späteren Botschafter Mitte der 80er-Jahre Herr Kullak-Ublich, der das gemerkt hatte und auch eher kritisch der Colognia gegenüber eingestellt war - im Gegensatz zu seinen Vorgängern oder zumindest teilweise kritisch - und der hat dann einen Erlass erlassen, dass kein Mitarbeiter der deutschen Botschaft mehr private Kontakte mit der Colonia Dignidad pflegen darf. Und diesen Erlass findet man natürlich auch sofort in dem Nachlass von Paul Schäfer - also es gab da eine ständige Verbindung.
SK
Die Colonia Dignidad spielt in dem Film und auch bei den Vorgängen rund um den Putsch eine zentrale Rolle. Für all diejenigen, die noch nicht so viel darüber wissen... es gab mal ein Spielfilm … du selbst hast auch für uns (FAKT im Ersten/ Exakt) über die Vorgänge in der Colonia berichtet. Christian, sag doch bitte nochmal drei, vier Worte: Was sind das für Leute? Was ist dort vorgefallen? Wie lange gab es die Colonia?
CB
Also die Colonia Dignidad war einer der unrühmlichsten Sekten, die man sich so vorstellen kann. Es war eine christliche Sekte, die von Paul Schäfer gegründet und geleitet wurde. Und der in den 60er-Jahren, als er schon in Deutschland wegen Kindesmissbrauchs gesucht wurde, nach Chile die Flucht antrat. Mit Kindern, Menschen, die ihm gefolgt sind … und er hat in Chile ein neues Missionsgebiet gegründet. Er hat es getarnt als eine Art Mustergut. Das war die vorgespielte deutsche, heile Welt. Mit Krankenhaus, Restaurant mit traditioneller Musik, bayrischer Folklore und ähnlichem. Und in Wirklichkeit hat er in dieser Zeit bis 1998 massiv Kinder missbraucht. Es wurde ein Foltergefängnis - später, in Zeiten der Diktatur, auf dem Gelände der Colonia Dignidad errichtet. Die Menschen wurden gegen ihren Willen dort teilweise festgehalten. Sie wurden zu Zwangsarbeit eingesetzt. Sie wurden getrennt nach Frauen und Männern, die mussten in Frauen- und Männerhäusern schlafen. Es gab keine persönlichen Beziehungen. Zweierbeziehungen waren nicht erwünscht. Also im Prinzip ein totales System der totalen Unterjochung.
SK
Das sollte man jetzt immer im Kopf behalten, wenn wir darüber sprechen, mit wem Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zusammengearbeitet haben. Diplomaten, der Bundesnachrichtendienst - fangen wir an mit dem Thema Waffenlieferungen. Da hast du Unterlagen gefunden. Welche Rolle hat die Colonia Dignidad bei diesen Waffenlieferungen gespielt? Welche Waffen sind geliefert worden, in welchem Umfang und von wann bis wann? Kann man das sagen?
CB
Also, das war mit der interessanteste Fund. Und auch der wichtigste. Es geht ja wirklich los im September 1970. Da wurde Salvador Allende gewählt. Und bereits im Oktober 1970, also einen Monat danach, finden sich diese Waffenbestellungen und auch der Schriftverkehr. Was man sozusagen beabsichtigt mit diesen Bestellungen, dass man von einem Staatsstreich ausgeht. Das man schon damals in konservativen Kreisen in Chile - und die "Colonias" waren alle sehr konservativ - eigentlich davon ausgeht, dass man diesen sozialistischen Präsidenten sofort loswerden musste. Und das war im Endeffekt allen klar. Aus diesen Begleitschreiben, die 1970 verfasst sind, geht klar hervor, dass es auch Absprachen gab mit den lokalen konservativen Kräften und Unterstützern Pinochets oder des Militärs damals noch, die sich gleich gegen Allende gewendet haben. Man wollte sozusagen sich auch an einer Vorbereitung des Staatsstreichs beteiligen. Es ist auch klar, dass es Verbindungen zu den Unterstützern der Militärs gab. Und man hat das auch massiv immer weiter vorangetrieben. Man sprach ja zum Beispiel da auch in den Unterlagen davon, dass man davon ausgeht, dass "sehr viel rotes Blut verloren ginge". Also es wird darauf Bezug genommen, das Sozialisten und Kommunisten getötet werden. Es ging im Prinzip sozusagen vier Wochen nach der Wahl Allendes im Prinzip sofort los, und es wurden Waffen verschiedenster Waffengattungen bestellt in Deutschland. Es geht los bei einfachen Handfeuerwaffen, die berühmte Walther Pistole, aber auch Luger-Pistolen, Handfeuerwaffen, verschiedenste Munitionsarten, halbautomatische Gewehre, vollautomatische Gewehre und verschiedene schwere Waffen. Bei einigen Bestellungen muss man dazu sagen, dass bei schweren Waffen vor allem auch mit Codewörtern gearbeitet wurde. Es gab ein ausgeklügeltes Codesystem, wo nicht immer mit Klarnamen operiert wurde. Und uns hat es dann am Ende sehr überrascht, dass zum Beispiel die klassischen Schusswaffen alle nicht mal unter Codename oder der Verheimlichung bestellt worden, sondern ganz offiziell in Bestelllisten nach Deutschland aufgetaucht sind. Das war sehr überraschend.
SK
Im Film kann man eine Bestellung sehen. Ich glaube, 126.000, DM. Und das war ja nur eine Bestellung. Wie haben die das alles bezahlen können? Von der Colonia Dignidad? Also wer hat denn diese Waffen bezahlt?
CB
Ja, das ist eines der großen Geheimnisse der Colonia Dignidad, die bis heute nicht gelöst sind. Die Colonia Dignidad verfügte über viel Geld. Um das muss man sagen, sie hatten Konten in den USA und Kanada, auf Steuerinseln. Wie genau und woher das Geld kam ist heute ganz, ganz schwer nachvollziehbar. Man weiß, dass die verschiedenen Arbeiten, die ausgeführt wurden, auf der Colonia, auch Geld brachten. Also das Krankenhaus brachte Geld ein. Auch Arbeiter wurden teilweise ausgeliehen, für andere Projekte aus der Colonia in Chile und in anderen Ländern. Dadurch kam auch Geld rein. Aber es wurde immer auch vermutet, dass es auch Unterstützerkreise gab. Später, also ab 1970, waren die zumindest laut diesen Dokumenten sehr gut finanziell ausgestattet. Und in den Achtzigerjahren, später dann, nach der Militärmacht ergreifung, waren Sie auch an verschiedenen Minenprojekt beteiligt. Also sie waren auch begünstigt vom chilenischen Regime. Und damit wurde anscheinend dann auch Geld verdient.
SK
Und dass das offenbar bekannt war, zumindest bei einigen deutschen Vertretern, dafür hast du ja auch Beweise. Du hast eine Rechnung gefunden, ausgestellt von einer Firma namens Siegfried Peters in Krefeld. Und es ist Dir gelungen, mit diesem Inhaber Kontakt aufzunehmen. Der wollte nicht vor die Kamera, ist wohl inzwischen auch verstorben, wenn ich das richtig in Erinnerung habe?...
CB
.. zumindest, was mir aus Familienkreisen zugetragen wurde, ist er mittlerweile verstorben...
SK
.. der hat es ja im Prinzip bestätigt, dass der deutsche Staat davon wusste.?
CB
Genau also. Siegfried Peters war am Telefon sehr verdutzt, dass ich anrufe. Natürlich, nach so langer Zeit. Ich habe auch nicht erwartet, dass er noch lebt. Es war ja fast 50 Jahre später, als ich mich da telefonisch bei ihm gemeldet habe. Aber er lebte damals noch und war sehr verblüfft, dass ich dieses Detailwissen habe über diese Bestellung. Er hat aber sofort reagiert und gemeint, er hätte ja auch nie irgendwelche Geschäfte gemacht, ohne Ausfuhrgenehmigungen zu haben. Und da war er auch sehr klar und fest in seiner Aussage. Als Journalist will man sich natürlich persönlich mit solchen Personen unterhalten. Als ich ihm gesagt habe, dass ich ihn dann gerne besuchen würde und persönlich mit ihm sprechen möchte, hat er dann halt darauf verwiesen, dass man ja erst mal mit dem BND reden müsse. Ob die das denn überhaupt genehmigen oder ihre Zustimmung geben. Vorher würde er nicht reden. Und so sind wir auseinander gegangen. Und für mich ist das ein klarer Hinweis, dass er da zumindest in gewissen Abstimmungen mit dem BND anscheinend gewesen ist.
SK
Und der chilenische Ermittler, den du bereits erwähnt hast, Luis Henriquez Seguel, der hat das ja auch noch mal bestätigt und hatte offenbar auch Anhaltspunkte dafür, dass der BND durchaus unterrichtet war.
Der deutsche Geheimdienst BND hat vor allem observiert. Sie haben diese Transaktionen geschehen lassen, sich zurückgehalten und nicht eingegriffen.Daraus kann man schließen, dass die Waffenlieferungen und die Herstellung der Waffen ganz im Sinne des Bundesnachrichtendienstes waren.
SK
Inwieweit ist das eigentlich überraschend, dass ein deutscher Geheimdienst, nicht mal 30 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges offenbar - so sind zumindest die Anhaltspunkte – aktiv in den Sturz einer demokratisch gewählten Regierung verwickelt war?
CB
Das ist so überraschend nicht, wenn man sich einarbeitet in die Geschichte des BND und die Geschichte Südamerikas. Also es sind ja extrem viele Nazi-Kriegsverbrecher nach Südamerika geflohen, und der BND war ja de facto in der Führungsebene von Nazi-Kriegsverbrechern besetzt. Also im Prinzip die Leitung, Gehlen und so weiter, waren alles Menschen, die in der NS-Hierarchie weit oben waren. Und das hat natürlich auch zu Synergieeffekten anscheinend geführt, dass zum Beispiel auch Kriegsverbrecher wie Walter Rauff, der ja in Chile war, auch beim BND war und anscheinend ja auch beim chilenischen Militärgeheimdienst unter Pinochet, später der DINA, und dort verschiedene Techniken beigebracht hat. Aber wichtig ist, dass der BND, glaube ich, ein starkes Eigenleben hatte. Also, dass man dort extrem, wenn kann es konservativ nennen, oder vielleicht schon ideologisch sehr, sehr weit rechts außen war. Und dass man natürlich solchen Operationen wie dem Sturz eines sozialistischen Präsidenten da auch ideologisch nahestand, ist eigentlich nicht verwunderlich. Und darüber hinaus muss man natürlich auch wissen, dass die Amerikaner natürlich auch massiv den den Sturz Allendes gefördert haben. Es kam ja dann zu diesen Streiks im Vorfeld des Putsches und so weiter. Da wurden dann zum Beispiel die streikenden Lkw-Fahrer vom amerikanischen Geheimdienst bezahlt. Und der BND war ja strukturell auch dem CIA fast schon weisungsbefugt. Also man hat sehr eng zusammengearbeitet. Die Führungsebene des BND wurde ja damals auch von den Amerikanern angeworben. Das man da zumindest an einem Strang gezogen hat, erscheint sehr, sehr, sehr wahrscheinlich.
SK
Trotzdem. Auch wenn du sagst, das war nicht verwunderlich, dass die sich am Sturz einer sozialistischen Regierung beteiligt haben. Aber um das noch mal historisch einzuordnen: 1970, ist Allende gewählt worden. Der Sturz war 1973. Der deutsche Bundeskanzler damals, der hieß Willy Brandt von der SPD. Der galt als sehr linker Sozialdemokrat. Der ist selbst verfolgt gewesen in der Nazizeit. Später war es dann Helmut Schmidt. Da gab es ja diese Verbindungen immer noch. Ich frage mich halt trotzdem, wie kann das sein, dass unter diesen SPD geführten Bundeskanzlern solche Vorgänge stattfinden konnten?
CB
Man muss sicher sehen, dass die deutsche Bundesregierung da sicherlich zum einen nicht aus einem Guss gehandelt hat. Also der BND hat ja auch gegen die Regierung Brandt teilweise intrigiert. Es ist sicherlich anzunehmen, dass der BND da nicht auf einer Linie mit der Regierung Brandt war, im Endeffekt. Und aus späteren Überwachungsskandalen, wie zum Beispiel dem NSA-Skandal kam es ja zum Beispiel raus, oder auch dem Snowden-Skandal, dass der CIA teilweise bis vor kurzem noch sozusagen Weisungsbefugnis hatte, gegenüber dem BND. Also bestimmte Dinge da einfach getan wurden. Und eine ähnliche Konstellation ist durchaus vorstellbar, dass es auch 1970 bis 73 passiert ist, dass möglicherweise die USA auch Interesse hatte an den guten Zugängen des BND. Was man ja auch wissen muss ist, Chile ist ein stark von Deutschen geprägtes Land. Also es gibt eine sehr starke deutsche Einwanderung. Deutsche Familien haben einen sehr hohen Status in der chilenischen Oberschicht, und man kommt da weiter mit einem deutschen Hintergrund. Und umso mehr hatte der BND auch mit der Colonia Dignidad, die ja sozusagen hermetisch abgeschlossenes System war, im Prinzip so eine Art Brückenkopf oder Vorhut anscheinend in Chile, mit denen dann gearbeitet wurde. Sehr interessant würde es mal sein zu wissen, was wirklich damals passiert ist. Aber es ist ja bis heute eine sehr verschlossene Informationspolitik des BND. Und die Akten werden, wenn überhaupt, nur sehr spärlich, oder fast gar nicht herausgegeben. Und die Fristen zur Veröffentlichung teilweise ja immer wieder verlängert.
SK
Du hast ja den Bundesnachrichtendienst auch angefragt zu den Vorgängen, wie war da die Antwort?
CB
Ziemlich pampig, muss man sagen. Sie haben sich teilweise über zu kurze Fristsetzungen geärgert. Dann habe ich noch einmal hingeschrieben und gesagt naja, man kann auch längere Fristen einräumen. Aber dann wurde im Prinzip mitgeteilt, dass man zu nachrichtendienstlichen Aktivitäten keine Aussagen machen muss. Und das hat man dann auch getan.
SK
Das eine sind Geheimdienste - das andere sind aber auch Vertreter der Bundesrepublik in Chile. Also Botschafter, Stichwort Auswärtiges Amt. Und deinem Film habe ich entnommen, das auch die Botschafter in der Zeit dort, salopp gesagt, durchaus oft eine zweifelhafte Rolle gespielt haben und auch teilweise Geschäftsverbindungen hatten zu zweifelhaften Leuten, verwickelt waren in bestimmte Vorgänge. Welche Botschafter hat das betroffen? Gibt es Beispiele?
CB
Ja. Der eine deutsche Botschafter war Herr Lüdde-Neurath, der ja zurzeit des Putsches Botschafter war. Der sich auch in den ersten Wochen nach dem Putsch geweigert hat, Flüchtlinge, die Zuflucht gesucht haben, vor den Verfolgungen des Pinochet-Regimes, aufzunehmen. Das wurde später korrigiert. Aber in den entscheidenden ersten zwei Monaten oder zweieinhalb Monaten kam es immer wieder zur Abweisungen .So das die ihres Lebens Bedrohten keine Zuflucht in der westdeutschen Botschaft erhalten haben. Und das war auch ein Botschafter, der sehr schnell die Nähe zum Militärregime gesucht hat, sich für Waffenlieferungen stark gemacht hat und also voll auf der Linie war, dort positive und gute Beziehungen sofort herzustellen und die Menschenrechtsverletzungen auszublenden. Und der nächstfolgende Botschafter war Erich Strätling, der berühmt berüchtigt gewesen ist, weil er sich immer wieder für die Colonia stark gemacht hat. Er sei dort gewesen und habe da nichts Schlechtes entdeckt, hat die Colognia auch mehrfach besucht. Und wie dann später aus unseren Aktenrecherchen hervorgeht, war er dann später als Pensionär nach Chile zurückgekehrt und in Minenprojekte der Colonia involviert und stand auch im engsten Austausch mit Gerhard Mertins, dem Waffenhändler, der auch über die Colonia Dignidad operierte. Und da ist auch in den Dokumenten darüber zu lesen, dass sie alle im selben Flugzeug mit dann dem aktuellen Botschafter geflogen sind, um ihn dann noch einmal ins Gewissen zu reden bei bestimmten Sachen. Das hat mich sehr irritiert, weil man ja eigentlich einen klaren Interessenkonflikt hier hat. Es kann ja nicht sein, dass deutsche Botschafter und deutsche Diplomaten, auch nach ihrer Pensionierung, einen Freibrief haben, in den Ländern sozusagen Sachen auszunutzen, die sie ja vielleicht vorbereitet haben durch eine bestimmte Politik. Und gerade bei einem Land wie Chile und der Colonia Dignidad, wo es zu Kindesmissbrauch, Menschenrechtsverletzungen, Tötungen kam, da nicht genau hinzuschauen. Das hat mich schon sehr verwundert und verblüfft.
SK
Und auch da noch mal die Frage Auswärtiges Amt, Außenminister damals, wenn ich es richtig informiert habe, war das Walter Scheel. Später war es dann Hans-Dietrich Genscher. Ist es denn vorstellbar, dass all das passieren konnte, ohne dass die davon Kenntnis hatten?
CB
Hans-Dietrich Genscher, hat sich später, Mitte der 80er-Jahre schon dem Thema Menschenrechtsverletzungen in der Colonia Dignidad angenommen. Aber es ist sicherlich denkbar, weil natürlich einen Botschafter dann schon der alleinige Vertreter erst einmal ist in dem Land. Und auch relativ hohe Einflusssphären und Macht besitzt. Ob dann in Berlin, im Außenministerium oder damals in Bonn, da wirklich alles dann Klein-Klein so ankommt und man wirklich da in den zuständigen Referaten, so die Übersicht hat und da immer auch so viel Druck ausüben kann auf den Botschafter vor Ort Dinge dann so zu tun, wie man es gerne hätte. Das ist schon zu bezweifeln.
Also es gab ja dann 1977 eine Pressekonferenz von Amnesty International, die ganz klar darauf hingewiesen haben, dass es in der Colonia Dignidad zu Menschenrechtsverbrechen kommt. Zu dieser Zeit war Erich Strätling westdeutscher Botschafter in Chile und hat dann auch mehrfach die Colonia Dignidad besucht und hat sich dann immerhin gestellt und gesagt, da passiere nichts. Das sind alles ehrenwerte Personen. Da musste man sich keine Sorgen machen. Da kommt es zu keinen Menschenrechtsverletzungen. Wie sich später herausgestellt hat oder eigentlich schon damals, gemäß den Informationen von Amnesty International, war genau das Gegenteil der Fall. Und das ist natürlich aus heutiger Sicht besonders frappierend.
Außerdem muss man auch sagen, das Auswärtige Amt ist auch sehr konservativ strukturiert. Da kommt es auch dann nicht nur auf den Außenminister an, sondern auch auf die langgewachsenen Strukturen. Das kann es dann auch Sympathien geben für so eine Sekte, wenn man auf den ersten Blick denkt, das ist jetzt so eine deutschtümelnde bayerisch-traditionelle Sekte. Und die haben ja auch immer Essenskörbe, zum Beispiel an die Botschaftsmitarbeiter geschickt.
Also man war sozusagen gut eingelullt von denen. Und dass man dann vielleicht nicht den ganz kritischen Blick hat oder Dinge besonders kritisch sieht, wenn man ja alles so angenehm und positiv für sich empfindet, ist sicherlich auch der Fall.
SK
Und dass es Folterungen gegeben hat, in der Colonia Dignidad, dafür gab es ja damals schon Zeitzeugen, und auch ihr habt noch mal einen Zeitzeugen getroffen. Den Mann, den wir eingangs gehört haben. Erick Zott, chilenischer linker Studentenführer, ist verhaftet worden, gefoltert worden.
Die Folterungen waren total gut geplant. Die haben sich alle Zeit genommen. Es gab Strom. Am ganzen Körper, empfindliche Teile wie die Genitalien oder die Zähne. Das war sehr schlimm.
SK
Und außerdem eine Zeugin, die 1987 im deutschen Fernsehen berichtet, was ihr passiert ist.
Mich haben sie mit verbundenen Augen in den Kerker geworfen. Ich war schwanger. Sie legten mir eine Person auf meinen Körper, und als ich die Augenbinde wegriss, sah ich das ist mein Mann. Er konnte nicht sprechen und sich nicht bewegen. Seine Arme und seine Hände waren gebunden. Ein Mann der Gestapo strich die Hände meines Mannes über meinen Körper und sagte,wenn ich nicht kooperieren würde, dann könne ich das Baby nicht mehr lebend aus dem Gefängnis kommen. Dann haben sie meinen Mann in einem anderen Raum geschleppt und von Neuem gefoltert, ich hörte seine unmenschlichen Schreie.
SK
Und außerdem hast du auch getroffen in Chile, vor Ort. Samuel Fuenzalida. Der war früher beim chilenischen Geheimdienst, unter Pinochet bei der DINA. Und der hat auch noch mal bestätigt, dass es dort Folterungen gegeben hat.
Ich habe einen Gefangenen in die Colonia überführt. Er erzählte mir, dass er schon einmal hier war und dass er nie mehr rauskommen würde. Weil ich ein gläubiger Katholik war, beteten wir zusammen. Er sprach von seinen Erlebnissen. Ich sah es ihm an, er war voller Folterspuren. Es war furchtbar, diese Geschichten von Inhaftierten zu hören und zu verstehen, was sie durchmachen mussten. Am Ende erzählten sie mir, die Deutschen haben das getan
SK
Christian, haben nur die Leute vom chilenischen Geheimdienst gefoltert? Oder gab es auch eine aktive Beteiligung der Colonia Dignidad? Und war das überhaupt bekannt auf dem Gelände? Dass es da diese Folterkeller gab …?
CB
Also es gab wohl beides in der Colonia Dignidad. Es gab Chilenen, vom chilenischen Militärgeheimdienst DINA, die gefoltert habe. In dem berüchtigten Kartoffelkeller, der umfunktioniert wurde, zu einem Folterraum in der Colonia Dignidad. Aber es gab anscheinend auch Folterungen durch Deutsche. Also, Samuel Fuenzalida berichtet davon, dass ihm immer wieder zugetragen wurde, die Deutschen haben mich gefoltert. Und es gibt noch weitere Zeugenaussagen, die das nochmal stützen, dass es zu Folterungen von Deutschen an Chilenen dort gekommen ist.
SK
Und in welchem Zeitraum sind die Folterungen durchgeführt worden? Und gab es auch Todesopfer? Und wie viele?
CB
Ja, es gab Todesopfer, man geht von Dutzenden aus. Es ist nicht ganz klar, wie viele jetzt ganz konkret in der Colonia getötet wurden. Es ist aber klar, dass es so eine Art Massengrab gegeben hat oder Massengräber mit Leichen. Die Reste der Leichen wurden Jahre später nochmal umgehoben. Also die Leichenreste wurden in den 1980er-Jahren dann noch mal woanders hingebracht, weil man wahrscheinlich die Spuren beseitigen wollte. Und die Suche nach den sterblichen Überresten wird heute noch in Chile betrieben. Also es gab immer mal wieder Zeugenaussagen aus der Führungsebene der ehemaligen Colonia, die Hinweise auf mögliche Fundorte gegeben haben. Und da wurde auch ziemlich neue Technik eingesetzt, um diese Massengräber zu finden. Da sollte auch Deutschland helfen, und mit bestimmten Technologien unterstützend eingreifen. Das ist sozusagen bis heute im schwange und bis heute wurden auch viele Opfer noch nicht gefunden.
SK
Wussten die Chilenen, was da vor sich geht in der Colonia Dignidad? Hatten die irgendeine Ahnung, was da passiert? Hatte man überhaupt eine Ahnung, dass es eine Colonia Dignidad gab?
CB
Nein, das war so in der Massen-Bevölkerung sicherlich nicht bekannt. Davon muss man ausgehen. Die lebten ja auch der abgeschottet. Es gab zum Beispiel diese berüchtigten Stacheldrahtzäune, die man auch immer wieder als Bilder sieht, wenn es um die Colonia Dignidad geht. Es gab auch Zeugenberichte, wie schwer es war, aus der Colonia zu fliehen. Und auch von außen konnte man nicht so einfach da eindringen. Deswegen waren auch die Informationen, die damals da raus kamen, relativ spärlich.
Verblüffend ist halt, das bis 1998 Paul Schäfer dort residierte und auch bis 1998 weitere Kinder missbraucht hat. Auch von chilenischen Eltern, die ihre Kinder in die Colonia brachten, weil sie immer noch davon ausgingen, dass das ein deutsches Mustergut sei. Und das wird ja auch bis heute stark kritisiert. Dass auch da wieder die bundesdeutsche Regierung nichts unternommen hat, zumindest in den Jahren nach dem Pinochet-Regime. vielleicht auch stärker zu intervenieren und die Menschenrechtsfragen zu thematisieren. Erst als der Fahndungsdruck in Chile so hoch war, das 1998 Schäfer dann nach Argentinien geflohen ist, kam es dann zu einer Art Dammbruch, wo dann alles relativ offen und öffentlich wurde. Und überhaupt das Ausmaß, was da in der Colonia Dignidad passiert, ist erst mal klar war.
SK
Als dann das Ausmaß dieser Menschenrechtsverletzungen zutage trat, auch durch die Ermittlungen der Chilenen, wie ist das in Chile wahrgenommen worden? Wie ist die Sicht heute auf diese Zeit und auf die Rolle der Colonia Dignidad und der Deutschen?
CB
Also die Sicht in Chile auf die Colonia Dignidad ist heute natürlich eine ganz andere. Man hatte ab1998 den Bruch, als Paul Schäfer geflohen ist, dass vieles öffentlich wurde, dass auch immer wieder darüber berichtet wird. Man hatte ja jetzt auch sogar größere Serien auf Netflix. Es gab immer wieder auch in Deutschland Berichterstattung darüber, die natürlich auch in Chile wahrgenommen wird. Also es ist schon relativ klar, dass was dort passiert ist und wie schlimm diese Sachverhalte waren. Ich glaube nicht, dass das die Deutschen generell jetzt ein schlechteres Bild in Chile haben. Weil es eben eine sehr starke deutsche Einwanderung gab. Zum Beispiel das Wort für Kuchen in Chile ist auch Kuchen – so als Beispiel. Ich glaube, das muss man trennen, weil natürlich diese große deutsche Einwanderung Chile prägt und bis heute viele Deutsche da sehr respektiert werden. Und es auch deutsche Familien und deutsche Siedlungen gibt, teilweise ja auch in manchen Dörfern noch Deutsch gesprochen wird oder ein Mischmasch aus Spanisch und Deutsch. Dass man da glaube ich, generell, jetzt nur eingeschränkt sagen kann, dass das Bild der Deutschen insgesamt gelitten hat. Das natürlich die Colonia Dignidad ein ganz schlimmes Beispiel war, ein Beispiel einer extremen Sekte, die allein durch die ihre angebliche Spiritualität und durch die Vorgabe, sich abzuschotten von der anderen der bösen Welt. Dass das so extrem ausgenutzt wurde und so extrem extrem schlimme Sachen hervorgebracht hat. Das ist natürlich auch bis heute ein ganz dunkles Kapitel der chilenischen Geschichte.
SK
Bevor wir noch darüber reden, welche Gründe das eigentlich haben konnte, dass Deutschland sich damals so verhalten hat, wie sie sich verhalten haben? gebe ich nochmal einen kleinen Hinweis auf den Film in der ARD-Mediathek, der heißt „BND gegen Stasi, Chile `73“. Und wenn das Wort Stasi vorkommt, heißt es eben auch, es geht auch um den Geheimdienst der DDR, der dort auch mitgemischt hat in dieser Zeit. Also welche Rolle da die DDR gespielt hat. Und auch die Beziehungen DDR - Chile und die Staatssicherheit. Das kann man alles sehen in eurem Film, Christian, den du mit Tom Fugmann zusammen gemacht hast.
Jetzt noch einmal ganz zum Schluss die Frage: Warum haben sich deutsche, der deutsche Geheimdienst, deutsche diplomatische Vertreter so verhalten, wie sie sich verhalten haben und dafür auch gesorgt, dass viele Menschen ermordet worden und gefoltert worden sind?
CB
Man muss sicherlich sehen, dass Deutschland 1970/ 1980 noch wesentlich konservativer war als heute. Und dass das sicherlich auch deutsche Botschafter beeinflusst hat, bei einer scheinbar heilen deutschen Welt die Augen zu schließen und nicht kritisch hinzugucken, dass ist sicherlich ein Punkt.
Über die Beweggründe des Bundesnachrichtendienstes - da ist es immer schwer, genau ins Detail zu gehen, weil natürlich fast alles verschlossen ist von den eigentlichen Originalakten. Und man bis heute nicht weiß, was eigentlich den BND bewogen hat, da so eng mit so einer verbrecherischen Sekte zu kooperieren. Und das ist sicherlich bis heute für mich und für viele, die zu dem Thema recherchieren, einfach komplett unverständlich, dass Deutschland da keine konkrete Aufarbeitung macht. Und es auch nicht den Anschein hat, das das gewollt wäre. Man will es aussitzen. Man will Jahrzehnte weiter vergehen lassen, bis vielleicht irgendwann wirklich kritische Akten geöffnet werden, und hofft dann das vielleicht nach 70 80, 90 Jahren irgendwann das Interesse nicht mehr so ist oder auch keiner mehr lebt, der an dem Sachverhalt irgendwie beteiligt war. Und das ist sehr ärgerlich und sehr schade.
SK
Es war ja damals auch vor allen Dingen die USA, die ein Problem hatten mit dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Erst recht, so wird das Film ja auch erzählt, als er die Kupferminen verstaatlicht hat. Inwieweit spielte das auch eine Rolle, dass Deutschland da auch sich an der Seite der USA gesehen hat? Als Verbündeter sozusagen nach dem Zweiten Weltkrieg? Ob man„auf deutsch gesagt“, einfach das gemacht hat, was die Amerikaner wollten?
CB
Mehr noch. Also viele der Nazi-Kriegsverbrecher wurden ja auch, wie zum Beispiel Klaus Barbie in Bolivien, und andere wurden vom amerikanischen Geheimdienst angeworben. Später dann erst vom BND, und sie wurden auch teilweise mit Hilfe des amerikanischen Geheimdienstes nach Südamerika gebracht. Und auch die BND-Führungsebene wurde von amerikanischen Geheimdiensten angeworben. Dass man da automatisch schon in einem Abhängigkeitsverhältnis steht, liegt auf der Hand. Auch das ist bis heute ja ein Thema, diese Verbindung zu Nazi-Kriegsverbrechern, die ja auch immer wieder auftaucht. Gerade in Südamerika und dem BND, die, was bis heute auch nicht aufgeklärt ist und immer wieder nur stückchenweise herauskommt durch mühsame Arbeit der Historikerkommission, die aber auch nur teilweise überhaupt in dieser Akten reinschauen können. Und ist da noch ein langer Weg zu gehen,
SK
Das wird ja auch deutlich in eurem Film, dass das ist schwierig ist, mit der Aufarbeitung. Warum ist das eigentlich so? Das ist jetzt 50 Jahre her. Und trotzdem tun sich da offenbar - so habe ich das auch dem Film entnommen - doch die Verantwortlichen schwer damit?
CB
Ja, also, die Aufarbeitung braucht ja auch jemand, der es aufarbeitet. Und das ist sicherlich einfach zu wenig der Fall. Also mir hat neulich jemand erzählt, dass er auch im chilenischen Nationalarchiv war und sich die Sammlung der Colonia Dignidad nochmal angeschaut hat. Und ich war ja vor vier Jahren dort habe große Teile davon abfotografiert. Und er hat auf die Besucherliste geschaut, die es für diese Sammlung gibt. Und dort standen zehn Namen. Als ich dort war hat mich noch ein chilenischer Journalist begleitet und noch eine weitere Person. Also wir waren schon drei. Und das in den vier Jahren, seit dem dieses Archiv freigegeben ist. Es also anscheinend wenige Leute gibt, die wirklich da reinschauen und mit diesem Archiv arbeiten und das ist, glaube ich, auch ein Problem, das natürlich das finanziert werden muss. Das Historiker das aufarbeiten, dass man sagen muss okay, das hat für uns Priorität. Und deswegen ist auch diese Diskussion um eine Gedenkstätte zum Beispiel nicht nur eine Diskussion um eine Gedenkstätte, sondern es soll ja auch ein Aufarbeitungszentrum werden. Das heißt, es sollen sich Historiker dann mit Originalmaterialien beschäftigen. Und das soll finanziert werden, auch vom deutschen Staat. Und dass man das vielleicht auch manchmal gar nicht so will. in gewissen Kreisen, liegt vielleicht ja auch auf der Hand. Also, man fragt sich, warum das nicht geschieht. Und wenn vielleicht auch sich mehr Leute einfach diese Sammlung der Colonia Dignidad im chilenischen Nationalarchiv anschauen würden, und wirklich damit historisch arbeiten würden, denke ich, könnte auch mehr passieren.
SK
Um den Stand der Aufarbeitung geht es auch in eurem Film. Es geht auch darum, dass es durchaus Politiker gab - man kann den Namen auch nennen. Norbert Blüm damals - der das durchaus auf dem Zettel hatte und angesprochen hat. All das ist zu sehen in eurem Film, den ich an dieser Stelle noch einmal empfehle. Und ich danke dir sehr. Christian für das Gespräch.
Danke,
MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche