MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (Folge 103) Essen oder Abnehmen? Lauras Diät-Challenge
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03. Mai 2024, 11:06 Uhr
Ich wiege 117 Kilo, und ich frage mich lohnt es, sich abzunehmen? - Optisch habe ich kein Problem mit mir selbst. Ich fühle mich wohl mit mir. Aber ich habe heftige körperliche Einschränkungen. Ich kann durch meinen Übergewicht nicht mehr Fahrrad fahren, nicht mehr lange stehen. Und das mit 26. Ich will radikal abnehmen, doch ich weiß ohne medizinische Hilfe schaffe ich das nicht.
Moderation Secilia Kloppmann (SK)
Herzlich willkommen zu "MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche". In dieser Podcast-Reihe sprechen wir jeden zweiten Freitag mit Kolleginnen und Kollegen über ihre Recherchen, Hintergründe zum Thema und persönliche Eindrücke. Hier in der ARD Audiothek und überall da, wo sie uns gerade hören ich bin, Secilia Kloppmann.
Das Gewicht ist ja ein Thema, gerade bei Frauen, wo man nicht so gern darüber redet. Meine Kollegin Laura Krodel will aber über dieses Thema sprechen. Und hat es auch getan in ihrem MDR exactly-Film. Den kann man ab 6. Mai auf YouTube im Channel MDR investigativ sehen. Und wir wollen heute schon hier im Podcast über dieses Team Thema sprechen. Ich freue mich, dass du da bist. Laura
Laura Krodel (LK)
Hallo, Hallo, schön, dass ich da sein darf. Wir fangen gleich mal mit dem mit dem Thema Gewicht an. Aktuelles Gewicht im Moment?
LK
Gerade bin ich bei 73 Kilo.
SK
Wow. Wow .. ich habe noch mal geguckt. Es ist genau ein Jahr im Prinzip her, dass du angefangen hast mit der Abnehm-Challenge. Da bist du gestartet mit
LK
beim ersten Dreh bin ich gestartet bei 117 Kilo.
SK
Das macht welchen BMI?
LK
Das war ein BMI von knapp über 40.
SK
Du bist - vielleicht kann man das auch den Zuhörerinnen und Zuhöreren erklären, nicht so unbedingt der unauffällige Typ. Jetzt nicht, und auch vor einem Jahr nicht. Die Laura, die hat Tattoos, ist immer sehr auffällig geschminkt, hat irgendwie ein tolles Make-up um die Augen, hat eine ganz besondere Frisur. Also, du warst ja auch ja eigentlich noch nie so der Typ, der sich versteckt hat, bist immer sehr offensiv aufgetreten ...
LK
Ja, also, ich bin von Haus aus sehr selbstbewusst. Ich habe mich nie wegen meines Körpers geschämt oder für meinen Übergewicht verurteilt. Der tatsächlich ausschlaggebende Punkt war die Gesundheit. In dem Film gibt es ja auch eine Vorher-Fotosession, wo wir vorher Fotos aufgenommen haben, vor meiner Gewichtsabnahme. Da haben mir die Fotos auch sehr gut gefallen. Und wenn es diese gesundheitlichen Probleme nicht gegeben hätte, hätte ich mich auch nicht geschämt. Das liegt mir von Haus aus sehr fern.
SK
117 Kilo hast du gewogen, als das Filmprojekt losging? War denn dein Gewicht schon immer zu hoch? Gab es eine sprunghafte Gewichtszunahme? Gab es da Gründe?
LK
Ich war die ersten 20 Jahre meines Lebens ganz normalgewichtig. Ich wurde dann allerdings im Jahr 2016 krank, musste Medikamente nehmen, die als eine gravierende Nebenwirkungen rasche Gewichtszunahme hatten. Das war so der erste Sprung. Und dann hatte ich eine Beziehung in der Zeit. Und als es da eine Trennung gab, habe ich mich mit Essen getröstet. Tatsächlich ist dann das Essen wie eine Art Beziehungspartner für mich geworden. Ich habe eine Liebesbeziehung zum Essen entwickelt. Und so nahm ich dann ziemlich rasant zu. Und seitdem war ich dann auf jeden Fall immer über 100 Kilo.
SK
Ja, und du hast dich zum Abnehmen entschieden. Darum geht ja auch der Film und auch unser Gespräch jetzt. Ich durfte deinen Film schon sehen. Die Leute, die uns immer schon freitags hören, wenn der Podcast rauskommt, die müssen sich noch ein bisschen gedulden. Also ab 6. Mai. kann man den sehen. Ich lege allen den Film sehr ans Herz. Bevor wir jetzt einsteigen, warum Du den Film gemacht hast, welche Erfahrungen du gemacht hast... Es geht ja viel auch im Film um das Thema BodyPositivity. Für dich ist das auch quasi zum Problem geworden. Für all die, die uns jetzt zuhören und vielleicht noch nie was davon gehört haben. Bevor wir über all diese Sachen reden, sollten wir vielleicht erst mal diesen Begriff klären. Laura was, was ist das eigentlich? Was heißt das eigentlich?
LK
Ja, Bodypositivity also übersetzt Körperpositivität, das ist eine Bewegung, die ihre Wurzeln in der Fat-Positivity -Bewegung oder Fat-acceptance-Bewegung in den USA der 1970er-Jahre hat. Das Motto ist: Liebe dich selbst, du bist gut so, wie du bist, egal mit welchem Gewicht. Und es geht darum, den Körper anzunehmen. Die Bewegung, aus der das Ganze stammt, ist eine eigentliche eine Anti-Diskriminierungsbewegung - also eigentlich was Gutes. Es geht darum, dass man den Körper, so wie er ist annimmt. Das man eine Kultur des Fat-Shamings, also Diskriminierung aufgrund Übergewichts, ablehnt und bekämpft und auch Diäten und intentionale Gewichtsabnahme und alles, was dazugehört. Also den gesamten Apparat von Marketing voll für Diät-Produkte und auch die Scham gegenüber dem eigenen Körper soll bekämpft werden. Und das Motto ist natürlich ein sehr lebensbejahendes positives - liebe dich selbst, so, wie du bist, und du bist gut so, wie du bist.
SK
Für dich ist das ja so ein bisschen zur Falle geworden. Da sprechen wir gleich noch drüber. Also, eigentlich hast du gesagt, warst du in Ordnung, okay, mit dir, mit deinem Körper, mit einem Gewicht. Warum hast du dann trotzdem beschlossen Abzunehmen?
LK
Ja, ich habe mit 26 Jahren tatsächlich angefangen, gesundheitliche Schwierigkeiten aufgrund meines Übergewichts zu bekommen. Da ging es um Füße, ich konnte nicht mehr ohne meine Pantoffeln auftreten. Ich konnte nicht mal mehr in Socken in der Wohnung rumlaufen, weil mir die Füße so weh getan haben, besonders nach langem Sitzen, langem Stehen. Und Fahrradfahren habe ich mich auch ganz lange nicht mehr getraut. Es wäre vielleicht noch gegangen. Jetzt wüsste ich jetzt gar nicht, ob ich es gekonnt hätte, weil ich mich gar nicht in brenzlichen Verkehrssituationen mit meinem dicken Körper, der so schwerfällig ist, gar nicht mehr sicher gefühlt hätte. Also deshalb bin ich auch tatsächlich über zwei Jahre nicht mehr Fahrrad gefahren. Ich hatte sehr große körperliche Einschränkungen. Man steht am MDR S-Bahnhof und fragt sich, warum ist da kein Aufzug? Und das mit 26? Ich wurde durch dieses Gewicht immer unbeweglicher, schwerfälliger und inaktiver. Und das hat mich dann irgendwann dazu bewegt, mich bei einem Adipositas Programm anzumelden, um dem Ganzen mit professioneller Unterstützung zu begegnen.
SK
Und als als sie dann klar war Laura, so geht es jetzt nicht weiter. Ich muss jetzt abnehmen, da hast du dir ja auch Hilfe geholt. Wie wie muss man sich das vorstellen? Wird sowas von der Krankenkasse bezahlt? Es gab ja auch medizinischen Eingriff. Da sprechen wir später auch noch darüber. Welche Hilfe gibt es da?
LK
Ich habe bei dem Adipositas-Zentrum am Klinikum Sankt Georg in Leipzig mal nachgeschaut, auf deren Homepage. Gibt es da irgendwelche Möglichkeiten abzunehmen? Ich habe mich auch schon im Vorfeld über möglicherweise operative Maßnahmen schlau gemacht. Aber da gibt es eben ein multimodales Adipositas-Programm mit Verhaltenstherapie, Ernährungstherapie und Bewegungstherapie. Dafür kommt man ab einem BMI von 35 in Frage. Und das wird unter gewissen Voraussetzungen von der Krankenkasse übernommen. Vom Klinikum St Georg hatte ich einen Infolink zu einer digitalen Infoveranstaltungen bekommen. Und mich darf daraufhin, nachdem ich diese Infoveranstaltung online gesehen hatte, entschieden, dass ich daran teilnehmen will. Normalerweise muss man mit Wartezeiten rechnen für das Programm. Aber ich bin da zum Glück sozusagen schnell untergeschlüpft. Im Februar/ März 2023 ist mir das Ansinnen gekommen und bereits im April 2023 hatte ich schon einen ersten Aufnahme-Kennenlerntermin. Das war wirklich schnell. Da hatte ich tatsächlich Glück. Weil normalerweise kann sich das auch ein bisschen Strecken. Es kommt darauf an, an welchem Wochentag hast du Zeit, wann kann dein Arbeitgeber dich entbehren und ist dann an diesem Wochentag noch in der Abnehm-Gruppe ein Platz frei..
SK
Und ab wann war dir klar, da mache ich einen Film draus? Oder möchte ich, dass jemand mit der Kamera zuschaut?
LK
Diese Idee kam tatsächlich gar nicht selbst von mir. Sondern die ist in der Redaktion aufgekommen. Ich habe erwähnt, dass ich jetzt jeden Dienstag das erste halbe Jahr nicht da bin. Und dann hieß es, wieso, was hast du denn? Naja, Adipositas offensichtlich. Und dann hat meine Kollegin Annett Glatz zu mir gesagt, das wäre aber ein tolles exactly. Also die Reportage war die Idee von meiner Kollegin Annett Glatz. Und dann sind wir damit zu den Redakteurinnen gegangen. Anja Riediger, die mir dann auch gleich eine Mentorin an die Seite gestellt hat und einen Kameramann Niclas Fiegert und meine Mentorin Julia Cruschwitz. Also Niclas und Julia haben mich bei meinem Abnehm-Journey begleitet und waren da sogar länger dabei als ich, weil ich ja sogar mal bewusstlos war, im Sinne von Dämmerschlaf, weil ich hatte ja dann auch eine Art Operation, beziehungsweise Eingriff.
SK
Das sieht man ja auch im Film. Da gibt es Bilder kurz vor der Operation und auch danach. Da dachte ich, das ist ganz schön intim. Ob ich das jetzt so wöllte, nach so einem Eingriff, ich wache da so gerade auf, und dann ist schon eine Kamera auf mich gerichtet. Hast du es manchmal zwischendurch auch bereut? Das jetzt immer jemand dasitzt und die ganze Zeit eine Kamera auf dich hält.
LK
Ich habe das nicht bereut. Nein. Weil ich finde, das gehört genauso zur Geschichte dazu. Auch diese 117 Kilo, auch wie ich aussehe, sehr stämmig, sehr bodenständig. Aber das habe ich von vorne bis hinten nicht bereut. Und ich hatte mit Julia Cruschwitz eine erfahrene Journalistin dabei. Man muss sich vorstellen, ein Krankenhaus ist ja auch ein sehr sensibler Raum, um dort zu drehen. Das war mir selbst in der Rolle als Patientinnen und gleichzeitig auch Macherin des Films eine große Hilfe, dass sie dabei war und selbst Erfahrungen mitgebracht hat mit solchen Drehs in sehr sensiblen Kontexten. Und im Grunde war es natürlich ungewohnt. Ich war noch nie im Krankenhaus, und dann war eine Kamera dabei. Und auch man Kameramann Niclas ist sehr einfühlsam, und da habe ich mich trotzdem wohlgefühlt, obwohl das natürlich eine ungewöhnliche Situation ist, direkt nach dem Aufwachen.
SK
Erklär nochmal, was genau ist da passiert im Krankenhaus? bei dieser Operation, diesem Eingriff?
LK
Mir wurde ein Magenballon eingesetzt. Das ist eine Art Silikon-Ballon, der mit einer Kochsalzlösung aufgefüllt wird und dann zugeklebt wird und den Magen auffüllt, wie so ein Platzhalter, der verdrängt einen Teil des Magenvolumen, damit man das Hungergefühl nicht so stark empfindet. Der wird endoskopisch eingesetzt, über die Speiseröhre wie bei einer Magenspiegelung und wird dann innen aufgefüllt und verbleibt dann ein halbes Jahr im Magen und soll dabei helfen, diese Flüssig-Diät, die dann auf einen zukommt, gut zu bewältigen, ohne dass man unfassbar Hunger bekommt.
SK
Hat man da so ein Fremdkörpergefühl im Magen? Merkt man das?
LK
Absolut. Also die ersten 15 Stunden waren echt hart für mich. Man muss sich das vorstellen, der Körper bekommt diesen Ballon und nimmt ihn als Fremdkörper wahr und versucht dann alles, um ihn wieder loszuwerden, über alle Kanäle. Er versucht es mit krasser Säurebildung. Er versucht es mit rauswürgen, mit zersetzen. Das ist alles kein abgefahrener Spaß. 15 Stunden hat mein Körper mit allen Mitteln erstmal gekämpft und dann gemerkt okay, da soll da jetzt offenbar drinbleiben, dann lassen wir diese schrecklichen Methoden sein, und dann musste ich auch nicht mehr mich übergeben. Dann war nach 15 Stunden etwa alles wieder okay.
SK
Aber dann ging es ja weiter mit der Tortur, die war ja quasi damit überhaupt nicht überstanden. Wenn ich mir vorstelle, jemand würde sagen, ich müsste jetzt zwölf Wochen lang Nahrung, nur in flüssiger Form zu mir nehmen ... Da habe ich gedacht, oh mein Gott, die Arme! Wie schrecklich ist das denn? Aber es gab immerhin verschiedene Geschmackssorten. Habe ich gelernt..
LK
Ja, wir durften uns in diese Shakes tatsächlich nichts, kein Öl, kein Salz, gar nichts reinmischen, außer Kräuter und Gewürze. Das war erlaubt. Aber ansonsten hieß es, wirklich viermal am Tag alle vier Stunden einmal einen Shack und ansonsten nur Tee, ungesüßten Kaffee oder Wasser. Das war die Vorgabe und natürlich fiel mir das schwer, das gleich zu akzeptieren. Denn ich bin von Haus aus auch jemand, der gerne macht, was er will, der sich nicht reinreden lässt. Und dann soll ich mich auf einmal an so strikte Regeln halten? Und ich habe mir gleich gesagt das kann ich nicht so machen wie die das Verlangen von der Klinik.
SK
Essen kann ja auch etwas Tröstendes sein. Es ist auch etwas Sinnliches, auch kauen kann ja auch irgendwie Stress abbauen. Und dann warst Du ja auch in einer Ausnahmesituation .. und dann Flüssignahrung, strenge Regeln. Da kam auch schnell Frust auf, oder?
LK
Also ich habe mich auf die zwölf Wochen Flüssig-Diät mit einer Wirtshaustour vorbereitet. Ich war bei meinen Lieblingslokalen. Vietnamesische oder auch deutsche Lieblingslokale rund um Leipzig und in Leipzig und hab mir gedacht, jetzt haue ich noch einmal so richtig rein. Das war ein bisschen meine Art der mentalen Vorbereitung auf diese krasse sehr strenge Phase zwölf Wochen Flüssig-Diät.
SLK
Zwischendurch warst du ganz schön sauer. Da gibt es auch eine schöne Aufnahme. Die kann man im Film sehen. Eine Insta-Story, und da hören wir jetzt auch gleich
Laura
Also ich will ja auch abnehmen. Und ich freue mich ja auch, dass ich schon fast zehn Kilo abgenommen habe und so. Aber zu welchem Preis.? Ich werde das anders machen als die das vorgeben. Ich kann mich nicht so strikt daran halten. Ich kann mich dann wie gesagt, nicht konzentrieren. Außerdem fühle ich mich ziemlich unauthentisch und entmündigt und auch ein bisschen gedemütigt.
SK
Da merkt man so richtig den Frust ? Man sieht dich dann auch
Film, Du bist dann zu deinem behandelnden Arzt gegangen, ins Sankt Georg Krankenhaus in Leipzig, und das fand ich eigentlich ziemlich cool, wie der mit Dir umgegangen ist.
Na, wir können erst mal sagen, was sie geschafft haben.
Prof. Weimann
Na, wir können erst mal sagen, was sie geschafft haben. Und Sie haben geschafft: Zwölf Kilo. Ja, das ist doch großartig! Innerhalb von sechs Wochen. Fast schon zu schnell. Laura: Ja, wirklich, zu schnell? Prof. Weimann: Ja, es ist schon viel. Laura: Aber ja. Ich habe mich ja nicht mal vollständig an die Diät gehalten. Prof. Weimann: Bisher läuft es aber doch ganz gut. Laura: Ich begebe mich jetzt in so eine Betreuung rein und das hat mir irgendwie so das Gefühl von meiner eigenen Autonomie weggenommen. Prof. Weimann: Das Gefühl haben Sie ja letzten Endes zu Recht. Man hat ihnen ja ein Stück weggenommen, eine Ernährung, die Ernährung umgestellt auf eine Flüssignahrung. Also das kann man schon so sehen. Die Frage ist, ob sie ihre Autonomie, ihre Persönlichkeit daran festmachen, dass sie sozusagen dieses Wegnehmen als eine Bedrohung empfinden. Autonomie ist da, wo ich sage, jetzt gehe ich mal einen anderen Weg mit meiner Ernährung, auch wenn mir der von außen vorgegeben wird und ich dabei begleitet werde.
SK
Laura, als Du da gesessen hast, bei Professor Weimann und der das gesagt hat, Sie haben schon viel geschafft.. . Dann höre ich dich, wie du sagst. Ja, dabei habe ich mich gar nicht so streng an alles gehalten. Hast du in dem Moment gedacht okay, ich mache jetzt doch weiter oder war warst du dir da noch nicht sicher?
LK
Ich war da in der Schwebe. Auf der einen Seite war es ein Teil meiner Identität. Ich wollte mir das nicht wegnehmen lassen. Und das hat Herr Weimann tatsächlich gleich mitgeschnitten. Dass ich eben einen bestimmten Bezug zum Essen habe
SK
.. und dieses: "das ist meine Identität", das hat der Dir ja quasi in dem Moment so ein bisschen weggenommen.
LK
Ja, und ich fand es wirklich sehr gut, dass er mir meine Gefühle zugestanden hat und die eben nicht heruntergespielt hat, sondern ja, das ist klar, man nimmt Ihnen etwas weg. Aber wie man damit umgeht, ist die Frage.
SK
Wann ist denn eigentlich dieser Magenballon wieder wieder rausgekommen und hattest Du dann das Gefühl, jetzt muss ich wieder mehr aufpassen, weil ja jetzt der Ballon weg ist?
LK
Der Ballon ist etwas später als sechs Monate wieder rausgekommen. Im Dezember wurde der mir wieder entfernt. Es wurde mir auch im Vorfeld gesagt, manche merken es krass, manche merken es gar nicht. Ich gehöre zu denen, die es gar nicht gemerkt haben. Also das war wirklich kein Problem. Vor diesem fehlenden Ballon hatte ich dann aber auch Angst davor, dass ich dann wieder so ein Loch im Magen habe, buchstäblich. Die Angst wurde mir dann aber genommen, als ich den los war. Es hat sich gar nicht wirklich was verändert, auch nicht an meinem Appetit. Aber im Grunde am Anfang an war es schon eine Hilfe, weil die Umstellung da eben noch so krass war.
SK
Wie haben eigentlich deine Freunde, deine Familie reagiert auf Dein Abnehm-Projekt?
LK
Meine Freunde haben mich sehr dabei unterstützt, und meine Familie war heilfroh. Denn die hatten bereits im Jahr 2019 immer auf mich eingeredet, Mensch, du nimmst so zu, was ist das mit dir? Haben auch mein Essverhalten sehr kritisch hinterfragt. Und ich habe dann aber so gesperrt und blockiert und gesagt nein, das ist meine Sache. Ich esse, was ich will. Mein Körper, meine Entscheidung und ich war auf dem Ohr total taub. Und die waren heilfroh, dass ich selbst eingesehen habe, dass ich jetzt mal die Reißleine ziehen muss.
SK
Aber schön von deiner Familie, dass sie das Thema angesprochen haben. Ich glaube, das ist ganz oft so, dass das zwar wahr genommen wird und dann auch über hinterm Rücken gesprochen wird, aber das zumindest erst mal zu thematisieren. Oder hast du das damals wahrscheinlich nicht so gut gefunden?
LK
Also da meine Eltern sich auch manchmal im Ton vergriffen haben und dann den einen oder anderen fiesen Seiten -Kommentar auch fallen lassen haben, war ich dann in meiner Haltung, die Welt ist Fat-Shamend und Fettfeindlich bestärkt und habe dann aus Trotz und Protest einfach genauso weitergemacht. Und mein immer problematischer werdendes Essverhalten einfach so weitergeführt. Denn wenn ich gut bin, wie ich bin, warum soll ich dann was an mir ändern?
SK
Du hast es ja gerade auch noch mal gesagt, wir wollen da auch jetzt endlich mal drüber sprechen - über das Thema BodyPositivity -Bewegung. Du bist immer so gut wie du bist immer gut, wie du bist. Das ist ja eigentlich auch was Positives. Und ich finde das auch richtig, dass man nicht irgendwelchen Idealen hinterherrennt. Eigentlich ist es ja oft so, dass Essstörungen in die andere Richtung gehen und junge Frauen unrealistischen Körper-Vorbildern hinterher rennen. Diese Bewegung, du hast auch schon erklärt, worum es da geht. Hast du dich da richtig zugehörig gefühlt? Hattest du Vorbilder?
LK
Ja, in den sozialen Medien. Da waren ein paar Influencerinnen, denen ich gefolgt bin, den deren Leben ich über Instagram partizipiert habe. Die auch Reels von sich gemacht haben und Stories, wie sie mit ihrem Körper im Bikini sind und sich wohlfühlen und damit tanzen und sagen alles ist okay. Und dadurch habe ich mich sehr bestärkt gefühlt. Und da habe ich mich sehr aufgehoben gefühlt in dieser Bewegung und habe auch selbst aktivistische Inhalte aus der Bewegung geteilt gegen die Diät-Kultur, gegen den Schlankheitswahn, gegen die Diskriminierung. Da war ich sehr involviert, zumindest online. Im echten Leben hatte ich nicht wirklich eine Community, aber online.
SK
Für den Film hast du ja eine Bloggerin getroffen, eine Aktivistin für Body Positivity. Die nennt sich Marshmellow-Mädchen. Die hast du in Berlin getroffen, und bevor wir uns über das Gespräch unterhalten, hören wir da erstmal rein.
MMM: Und dass Adipositas eine Krankheit ist. Das ist extrem umstritten. Laura: Okay, warum ist das umstritten? MMM: Weil "adipöse Menschen", kein einheitliches Krankheitsbild aufweisen. Das einzige, was sie gemeinsam haben, ist, dass sie dick sind. Laura: Aber ja doch, das ist ja im Prinzip die die Erkrankungen, also ein krankhafter zu sein. MMM: Also wenn ich dick bin und gesund, dann bin ich ja nicht krank. Laura: Was denkst du denn darüber, über meinen Entschluss jetzt abzunehmen? MMM: Ich kann ihn verstehen, weil wir in einer Welt leben, zu der dicke Menschen nicht gehören. Also ist es schwieriger, Kleidung zu finden. Man muss Angst haben, passe ich irgendwo in den Sitz, bricht der Stuhl unter mir zusammen.. und natürlich die Ablehnung durch andere Menschen. Nur das Problem ist, es funktioniert nicht. Alles, was wir kennen, arbeitet über ein Kaloriendefizit Und was dann passiert ist, du machst ein Kaloriendefizit, und natürlich nimmst du ab. Diese Erfahrung haben wir alle gemacht. Mann hält sich an dieses Programm und nimmt ab, und irgendwann nimmt man nicht mehr ab. Man kommt auf einem Plateau, oder es wird schwierig, die Regeln einzuhalten. Wir kennen einfach keine Methode, mit der wir abnehmen könnten. Langfristig. Laura: Da hat mir aber mein Arzt was anderes gesagt. MMM: Ich weiß, dass dein Arzt, dir was anderes gesagt hat.
SK
Im Prinzip, und das wird ja auch im Film klar, standet ihr auf verschiedenen Seiten: Sie hält weiter die Fahne hoch der Body Positivity -Bewegung und du sagst, das war nicht gut für mich. Ich will jetzt abnehmen. War das für das Gespräch schwierig? Laura?
LK
Das hat das Gespräch tatsächlich für mich sehr aufwühlend und schwierig gemacht, weil ich gemerkt habe, sie sieht sich tatsächlich auf der anderen Seite. Also ich nicht mit mir verbunden, sondern eben genau auf der anderen Seite.
Ich habe den Eindruck gewonnen, es gibt in dieser Bewegung das Bild, entweder du bist dick und stolz und bodypositive, und sobald du aber abnehmen willst, bist du auf der anderen Seite und nicht mehr auf der guten Seite. Da erliegst du der Diät-Kultur, da erliegst du Schönheitsnormen. Ich hab mich immer gefühlt, als würde mir das unterstellt werden, dass ich das mache, aufgrund von gesellschaftlichem Druck oder Zugehörigkeitsbedürfnissen.
SK
So hat sie es da auch aufgezählt. Sie hat zwar gesagt, sie versteht Dich, und dass man eben auch ausgegrenzt würde, weil man so so dick ist - was sicherlich auch die Realität ist auf Fall. Sie hat aber diesem Treffen zugestimmt, war das schwierig, sie zu treffen?
LK
Im persönlichen Umgang sehr schwierig. Ich war auch furchtbar aufgeregt, weil ich genau wusste, dass das möglicherweise ein großer Knackpunkt ist in dem Gespräch. Ich hab ihr das gesagt, ich nehme an einem Adipositasprogramm teil und versuche Gewicht zu verlieren. Und ich habe zu dem Zeitpunkt über 20 Kilo abgenommen gehabt. Das hat sie aufgenommen und mir in dem Gespräch aber im Grunde jegliche Hoffnung genommen und gesagt, das würde zu Essstörungen führen, hat Diäten im Grunde komplett verteufelt. Auf ihrem Instagram schreibt sie wörtlich „Abnehmen bringt dich um“ als ein fetter Fakt in der Kategorie fette Fakten, die Sie als Highlights in Instagram verlinkt hat. Da steht „Abnehmen bringt dich um“ und das fand ich eben eine interessante Perspektive nach dem, was ich gehört habe aus der Klinik, was dem Ganzen komplett zuwiderläuft. Denn Adipositas hat ja äußerst viele Krankheitsrisiken. Wir sprechen von Tumorerkrankungen, wir sprechen von Blutzucker, Arthrose. Wir sprechen von Gelenkverschleiß. Und alle Organe müssen permanent mit Hochdruck vom Herzen versorgt werden. Das ist ein großer Aufwand für den Körper, adipös zu sein. Und hast du schon mal einen adipösen Greis gesehen?
SK
Du hast es ja gerade gesagt, sie hat dich entmutigt. Sie hat ja gesagt, dass es eigentlich sinnlos ist, eine Diät zu machen. Ihre Behauptung war, das 98 Prozent der wieder rückfällig werden. Bist du da vielleicht auch ins Zweifeln gekommen? Weil sie war ja schon auch sehr überzeugend in ihrer Argumentation...
LK
Ich war nach dem Gespräch sehr aufgewühlt. Das hat mich wirklich für Wochen beschäftigt. Ich habe dann auf Instagram mich auch an meine Follower gewendet mit der Frage, was sind eure Erfahrungen damit? Und kennt jemand jemanden, der da schon daran gescheitert ist? Oder dem das gelungenes ist Gewicht zu verlieren. Ich war sehr aufgewühlt. Das Gespräch selbst hat mir viel abverlangt. Man sieht, wie ich da ununterbrochen Kaffee trinke und meine Paprika esse und mich daran festklammere, weil sie mir im Grunde jegliche Hoffnung genommen hat. Sie sagte ja, vielleicht hast du Glück, vielleicht bist du das Einhorn...
SK
ja.. so hat sie das gesagt, als sei das ja ganz, ganz selten, dass jemand das schafft.
LK
Und wer seinen Lebensstil langfristig umstellt, sich gesünder ernährt, sich mehr bewegt, dann geht die Rechnung auf. Wenn man schafft, die Gewohnheiten so einzuüben und so zu festigen, dass die halten, dann hat das langfristig eine gute Chance, dass man es hält. Es scheitern aber natürlich viele daran. Aber es geht im Grunde eigentlich nur darum, dass man nicht mehr Kalorien zuführt, als man verbraucht. Also es ist eine sehr simple Mathematik dahinter, und ich habe es jetzt fünf Monate gehalten. Bislang bin ich das Einhorn.
SK
Wie war denn das Feedback deiner Follower auf Instagram als Du diese Frage Frage gestellt hast?
LK
Es haben sich einerseits Menschen an mich gewendet, die mir Mut machen wollten. Die gesagt haben Laura, du nimmt jetzt erst einmal ab. Und als Nächstes denkst du ans halten. Das ist die Nummer zwei. Aber du bist noch am Abnehmprozess, konzentriere dich darauf, bleibe zuversichtlich. Ich habe sehr viele positive Nachrichten bekommen, auch Leute, die sich durch den Aufruf ermutigt gefühlt haben, mir ihre Bewunderung auszusprechen für das, was ich gerade mache und dass sie es gut finden. Auch, dass ich den Schritt gegangen bin. Und ich habe auch eine Person gehört, die tatsächlich gesagt ha, sie hat schon von Kleidergröße 48 auf 38 sich reduziert und hält das seit 25 Jahren.
SK
Was ist mit dem Thema Jo-Jo-Effekt? Das ist doch sicher trotzdem eine Angst, di bleibt...? Die bleibt ja bei jedem der mal.. ich sage jetzt mal, nicht von so einem hohen Gewicht gestartet ist wie du, sondern auch Leute, die einfach mal ein bisschen paar Kilo zu viel hatten...
LK
Davor habe ich auch hohen Respekt, und ich habe jeden Tag Respekt vor dieser drohenden Gewichtszunahme. Ich nenne es jetzt lieber mal Respekt, mehr als Angst. Davor hatte ich regelrechte Panik. Jetzt, inzwischen ist es ein hoher Respekt, den ich vor diesem Thema habe. Ich weiß, dass ich mein Leben lang diese Erkrankung haben werde. Ich bin Adipositas betroffen, auch wenn ich jetzt 73 Kilo wiege und diese Krankheit ist chronisch lebenslänglich. Und ich muss mein Leben lang auf mein Gewicht und meine Kalorienzufuhr, meinen Lebensstil, meine Bewegungen achten. Jeden Tag, und das ist jetzt meine Lebensaufgabe geworden. Und wenn ich Glück habe, geht es mir in den nächsten fünf Jahren in Fleisch und Blut über. Dann kann man sich glücklich schätzen, wenn man das fünf Jahre gehalten hat sind die Aussichten gut, dass man diese Gewohnheiten so weit gefestigt hat, dass es so weitergehen kann. Ich bin jetzt erstmal zuversichtlich, dass ich das weiterhin schaffen kann. Aber klar, natürlich, mache ich mir Sorgen. Ich mache mir auch Sorgen, wenn ich mal über die Stränge schlage und irgendwie meine geliebte Pistaziencreme etwas zu viel einnehme oder so, dann mache ich mir auch meine Gedanken, ohne mich jedoch dabei zu verurteilen. Denn ich finde, das ist der falsche Weg, sich zu schämen, sich zu verurteilen für Essanfälle oder solche Sachen. Scham ist nie ein guter Ratgeber, und Angst ist nie ein guter Ratgeber. Deshalb versuche ich da immer freundlich zu mir selbst zu bleiben.
SK
Man sieht es im Film. Und auch manchmal habe ich in deinem WhatsApp-Status gesehen , da bist Du Rollschuh gelaufen, man sieht dich im Film Fahrrad fahren .. und da habe ich auch gedacht, Oha, jetzt lässt es die Laura so richtig krachen. Die ist jetzt so ein bisschen auch, wie befreit, von den Kilos befreit. Sie kann sie sich bewegen. Ich habe schon das Gefühl, dass sie das Leben richtig genießt.
LK
Total! Das war schon nach 20 Kilo Gewichtsabnahme krass, wie sich das Problem mit den Füßen, auf denen ich nicht mehr richtig stehen konnte, ohne Schmerzen, dass sich das dann schon entspannt hat. Im Sommer, im August, konnte ich dann ein Kleid anziehen, ohne eine Radlerhose drunter zu ziehen. Meine Beine haben nicht mehr so aneinander gerieben. Ich konnte ja vorher tatsächlich nicht mit nackten Beinen großartig weit laufen, weil die Oberschenkel sehr arg aneinander gerieben haben. Das hat sich dann auch sehr schnell entspannt. Ich wurde wieder beweglicher und das krasseste, was mich am meisten berührt hat, ist, dass ich meine Beine überschlagen kann. Das wäre für mein dickes ich ein großer Flex, sagt man neudeutsch sagt, gewesen.
SK
„Dickes Ich“ jetzt hast du ja diesen Film gemacht. Da beschäftigt man sich ja auch noch mal mit diesem ganze Material. Du siehst dich noch mal, wie du vor einem Jahr gewesen bist. Wie war das? Den Film zu schneiden, an dem Film zu arbeiten, deine ganze Entwicklung noch nochmal Revue passieren zu lassen? Hat es was mit Dir gemacht?
LK
Ja, auf jeden Fall.Vor allem, als wir die Vorher-Nachher-Fotos montiert haben und die nebeneinander gelegt haben, die vorher und nachher Fotos. Das ist wirklich ein krasser Kontrast, auch wenn man den Film von vorne kennt und dann von hinten noch mal sieht. Ich habe das Gefühl, ich bin auch ein anderer Mensch geworden. Ich war vorher eine andere Person und finde es wirklich krass, wie ich mich verändert habe, das so nochmal optisch serviert zu bekommen. Wir haben diese Vorher-Nachher-Fotos ja genau deshalb gemacht. Um diesen Kontrast zu verdeutlichen, das war emotional sehr überwältigend, auch im Schnitt. Das kann ich sagen.
SK
Isst Du jetzt anders als früher? Also achtest Du mehr auf das, was du isst...?
LK
Ja, ich achte nicht nur darauf, was ich esse, sondern was mir über die ganzen, den ganzen Therapiezeitraum am meisten geholfen hat, ist zu fragen warum esse ich das? Das ist das größere Problem gewesen. Ich esse halt jetzt vor allem Haferflocken und Gemüse, oft Pilze oder saure Gurken, Tomaten, so was. Ich esse jetzt viel weniger hochverarbeitete Lebensmittel. Naschen habe ich mir versucht, beinahe ganz abzugewöhnen. Das hat ganz gut geklappt. Aber es ging nicht um das Essen, sondern es ging darum, was bedeutet das Essen für mich? Was ersetzt das Essen? Was ist mein eigentliches Bedürfnis hinter dem Essen? Ist es ein soziales Bedürfnis oder sozialer Hunger ? Oder ist es irgendwie Nähebedürfnis? Oder müsste ich eigentlich nur was trinken? Dass ich alles pauschal mit Essen beantwortet habe, was in mir an negativen Gefühlen oder Bedürfnissen aufgekommen ist, das war der Fehler, an dem ich am meisten arbeiten musste. Und insofern das verstanden zu haben, hat mir eigentlich am meisten geholfen.
SK
Laura, vielen, vielen Dank für das Gespräch. Vielen Dank für deinen Film, der wirklich tiefe und sehr intime Einblicke in so eine Zeit bringt. "Essen oder Abnehmen? Lauras Diät-Challenge" empfehle ich hier noch mal an dieser Stelle auf YouTube im Channel MDR investigativ und in der ARD Mediathek zu sehen ab 6. Mai.
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