MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche (Folge 62) Endlich Frau - Wer bestimmt mein Geschlecht?
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Fast 40 Jahre lang hat Melanie als Mann gelebt. Mit Ende 30 hat sie sich als trans* geoutet und lebt seitdem als Frau. Aber immer wieder gibt es Hindernisse auf dem Weg zu einem neuen Pass oder der geschlechtsangleichenden Operation. Pauline Vestring und Michaela Reith habe Melanie zwei Jahre lang begleitet und erzählen, welche Hürden sie auf ihrem Weg nehmen musste.
Schon in der Grundschule habe ich das gemerkt, dass mir die Mädchen-Dinge sehr, sehr gefallen haben. Sei es mit Puppen spielen, mit Pferdchen oder irgendwas. Aber man hat gemerkt, dass man halt anders ist. Und man hat dann auch ziemlich schnell gemerkt, dass man zwischen den Stühlen sitzt. Weil für Männersachen wenig Interesse gezeigt, sage ich mal, und von Mädchen wurde man dann aber leider auch distanziert, teilweise auch gehänselt. Und das ist halt schlimm.
Esther Stephan (ES): Das ist Melanie. Sie lebt in Glauchau und ist trans. Jahrelang hat sie als Mann gelebt und ihre Identität versteckt. Jetzt, mit Anfang 40, kann Melanie endlich als Frau leben. Wir sprechen hier heute darüber, wie sie diesen Weg gemeistert hat. Sie hören den Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". In diesem Podcast sprechen wir mit Journalist*innen über ihre Recherchen, über das Thema und die Erfahrungen, die sie während der Dreharbeiten gemacht haben. Ich bin Esther Stephan und ich arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks. Und ich bin heute mit Pauline Vestring und Michaela Reith verbunden. Sie haben Melanie zwei Jahre lang begleitet. Hallo!
Pauline Vestring (PV): Hi!
Michaela Reith (MR): Hallo!
ES: Wer ist denn Melanie eigentlich? Pauline, stell sie uns doch vielleicht mal vor.
PV: Ja, Melanie ist 41 Jahre alt momentan, sie ist Vater von zwei Kindern, also das sagt sie selbst so. Sie liebt Musik. Also Musik ist wirklich ihre große Leidenschaft. Sie spielt selbst Gitarre und singt tatsächlich auch viele Kinderlieder. Melanie schminkt sich gern, beschäftigt sich überhaupt sehr gern mit ihrem Aussehen. Also, das haben wir auch gemerkt. Kleidung ist ihr total wichtig, was sie anzieht. Sie probiert da auch Sachen aus. Sie arbeitet als Anlagenfahrerin in einer richtigen Männerdomäne, kann man sagen. Außerdem ist sie Fan der dänischen Nationalmannschaft. Da findet sich auch die eine oder andere dänische Flagge bei ihr wieder, und sie hat 38 Jahre als Mann gelebt.
ES: Und wie habt ihr sie gefunden? Also wie seid ihr auf sie aufmerksam geworden?
PV: Ja, das war tatsächlich ein bisschen ungewöhnlich, weil oft ist es ja bei uns Journalist*innen so, dass wir ein Thema haben oder ein Thema sehen und dann Protagonistinnen oder Protagonisten suchen. In dem Fall war es so, dass ein Kollege auf mich zukam und sagte: "Pauline, du machst doch gern gesellschaftliche, soziale Themen. Ich kenne eine Frau, eine Transfrau, die gerade vor diesem langen Weg steht, also sowohl Namens- und Geschlechtsänderung, als auch Operation. Hast du nicht Lust, mit der mal zu sprechen und über die was zu machen?" Und dann haben Melanie und ich lange telefoniert, und ich habe gemerkt: okay, da steckt total viel drin und bin auch darüber mit Michaela ins Gespräch gekommen. Wir haben das ja dann zu zweit gemacht. Wir haben festgestellt bei einer Recherche, dass eben gerade die politische Debatte auch groß ist, weil eben diskutiert wird, wie das zukünftig aussehen soll. Da gibt's Gesetze, die über 40 Jahre alt sind, die jetzt im Gespräch sind, geändert zu werden. So dass wir gesagt haben: okay, das auf jeden Fall ein großes Thema. Und dann mussten wir eine Redaktion finden, also sozusagen in dem Fall ein bisschen umgekehrt und sind dann auf "Exakt - die Story" beziehungsweise exactly gekommen und haben uns an die gewandt und hatten dann ja auch Glück, dass das geklappt hat.
ES: Ihr habt sie jetzt zwei Jahre lang begleitet. Was war das denn für eine Zeit? Es muss ja auch eine totale Achterbahnfahrt gewesen sein. Das sieht man ja auch im Film, dass das total Auf und Ab ging immer.
MR: Ja, also es war Gottseidank so, dass Melanie uns in ihr Leben reingelassen hat. Also das bedeutet eben auch die Momente, als sie sehr niedergeschlagen war und sie Rückschläge erlebt hat. Und es kam halt sehr häufig vor. Wir haben jetzt auch in unserer Reportage mit dem dem Mittel vom Videotagebuch gearbeitet. Also auch, um besonders nah und auch bei den Zwischenschritten dabei zu sein, sowohl beim medizinischen Prozedere, wozu wir nachher bestimmt noch mal was sagen, und auch dem bürokratischen. Und Melanie hat uns das ganz ungeschönt, ungefiltert gezeigt, also von den ersten Ablehnung. Das hat sich natürlich auch in Frust und Tränen geäußert, und da hat sie uns, das muss man auch sagen, fast so ein bisschen Reporterglück sie gefunden zu haben. Oder Sie uns ja besser gesagt gefunden hat, weil sie dann doch sehr uns hat mitnehmen lassen, welche Freuden aber auch welche Hürden sie dort durchleben musste.
ES: Ja, ich finde, das merkt man auch so richtig, wenn man den Film sieht, also, dass es auch einfach eine total anstrengende Zeit gewesen ist. Aber bevor wir jetzt auf diese Einzelheiten kommen. Melanie hat sich ja auch recht spät erst geoutet, also mit Anfang 40 erst. Wie hat denn ihr Umfeld eigentlich reagiert? Also speziell jetzt auch zum Beispiel ihre Familie?
PV: Also, wir müssen dazu sagen: Melanies Familie wollte nicht mit uns vor der Kamera sprechen und auch nicht telefonieren. Insofern, da können wir nur das wiedergeben, was uns Melanie gesagt hat. Zum Beispiel, sodass ihr Bruder zunächst gesagt hat ach, warum nimmt man eine höhere Macht meinen Bruder weg? Sie hat dann aber auch erzählt, dass ihr Bruder mittlerweile sehr bewusst immer sagt meine Schwester, meine Schwester und damit also sehr d‘accort geht und damit jetzt auch sehr gut umgeht. Insofern war sie da auch sehr glücklich und sehr erleichtert, dass ihre Familie dann letzten Endes doch so positiv reagiert hat.
ES: Und ihre Kinder? Sie hat ja auch Kinder, oder?
PV: Genau ja. Wir haben uns mit ihr darauf geeinigt, dass wir die Kinder weitestgehend auch zu deren Schutz rauslassen. Ich sag mal auch aus der Reportage. Ich kann so viel sagen: Sie hat das ihren Kindern auch im Grunde Step by step vermittelt, indem sie sich femininer angezogen hat. Und da hat dann ihre Tochter zum Beispiel auch gesagt: "Papa, du siehst aus wie ein Mädchen." Und insofern ist das das auch Stück für Stück gekommen und war so, wie sie das gesagt hat, haben die darauf auch dann sehr positiv reagiert.
ES: Gut, dann lasst uns mal auf diesen ja doch recht langen Weg kommen, der ja bei Melanie mit der Personenstandsänderung anfängt. Also das bedeutet im Grunde bekommt sie einen neuen Pass. Das kann man aber ja jetzt nicht so ganz einfach so durchführen lassen. Also da braucht man zum Beispiel Gutachten. Was steht denn in diesen Gutachten drin?
MR: Also diese Gutachten, die sind natürlich streng vertraulich. Also wir haben da jetzt auch im Zuge unserer Recherche in kein Gutachten reinschauen dürfen, die gehen immer direkt ans Gericht. Also das Gericht benennt quasi die zwei Gutachter. Deshalb berufen wir uns auf Sekundärquellen. Und da kann man davon ausgehen, dass die Gutachten, die eben für die Vornamens- und Personenstandsänderung nötig sind, vor allen Dingen die persönliche Lebenssituation der Antragsteller genau unter Augenschein nimmt. Eben unter diesen Aspekt der transidenten Entwicklung. Also wie hat der Antragsteller oder die Antragstellerin ihren Alltag bestreitet, besteht ein Leidensdruck? In die Richtung geht das.
ES: Aber es gibt da jetzt nicht einfach so einen Fragebogen, der immer gleich ist, den die Menschen, die diesen Antrag stellen, dann einfach bekommen und der immer gleich ist. So ist das nicht. Oder?
MR: Nein, das ist eine gute Frage, weil es gibt wirklich keinen Schema F, also nicht diesen einen für alle geltenden Leitfaden. Das ist, ja man kann sagen, einfach schlichtweg nicht einheitlich. Wir haben zum Beispiel im Zuge unserer Recherche mit verschiedenen Gutachtern Kontakt gehabt und manche benutzen Fragebögen. Manche machen Gespräche, andere Tests und Alexander Naß, der Gutachter aus unserer Reportage beispielsweise, der arbeitet mit vier Fragebögen nach wissenschaftlichen Standards und auch zusätzlichen Gesprächen. Aber das ist jetzt nicht ein Guss, ein Leitfaden, den alle Gutachter oder Gutachterinnen benutzen. Das ist quasi jedem freigestellt, wie er das durchführt. Am Ende muss eben nur diagnostiziert werden: Ist derjenige trans oder nicht?
ES: Alexander Naß, du hast ihn gerade schon erwähnt, der hat euch aber auch erzählt, dass es immer noch viele Gutachter in gibt, die halt auch extrem intime Fragen stellen.
Es ist leider bei vielen Gutachter*innen immer noch Teil der Befragung oder des Gesprächs auch nach sexuellen Fantasien, nach sexuellen Praktiken zu fragen, was ich an der Stelle wirklich als viel zu weitgehend und viel zu sehr in die Intimsphäre der Person gehend empfinde.
PV: Ja genau, es gibt einige, die diese Fragen stellen. Da muss man jetzt auch nochmal unterscheiden, das macht eben nicht jeder und nicht jede. Die Frage ist einfach: Wozu sollen diese Fragen gut sein? Und dementsprechend reden auch gerade Betroffene davon, dass sie sich dadurch sehr diskriminiert fühlen, wenn beispielsweise gefragt wird, was Betroffene erzählt haben, wie oft ziehen sie ihr Oberteil aus? Wo man sich auch fragen kann: Was hat das mit einer Diagnosestellung zu tun? Und dadurch, dass diese Sachen eben nicht so einheitlich geregelt sind, kann so etwas passieren. Melanie, das muss man jetzt auchmal sagen, ist das zum Beispiel nicht passiert. Also die Gutachter*innen, die sie besucht hat, haben das nicht gefragt. Die haben tatsächlich auch nur ein persönliches Gespräch geführt. Das ist eben einfach sehr unterschiedlich, wie das gehandhabt wird.
MR: Vielleicht noch mal zu der Frage, was da drinsteht oder was sie dann herausfinden sollen. Also alle Gutachten haben gemein, dass sie ausschließen sollen, ob bei der Person eine psychische Störung vorliegt, etwa Schizophrenie. Und sie sollen natürlich am Ende feststellen, ob eine transsexuelle Geschlechtsidentität auch über einen längeren Zeitraum vorliegt, dass man eben diese Entscheidung am Ende guten Gewissens treffen kann. Und was Pauline gerade eben noch mal angesprochen hatte mit der sexuellen Orientierung. Das wird selbst vom Gutachter Alexander Naß auch in unserem Film kritisiert. Weil natürlich die Frage im Raum steht, was meine Identität also, mit welchem Geschlecht ich mich identifiziere, jetzt beispielsweise mit meinem IQ oder meiner sexuellen Orientierung zu tun hat.
ES: Der andere große Schritt, bei dem ihr sie begleitet, das ist die geschlechtsangleichende Operation oder eine der geschlechtsangleichenden Operationen. Was passiert denn bei solchen Operationen eigentlich?
MR: Also zuerst muss man unterscheiden: lässt die Transperson ihre Geschlechtsteile auf die männlichen oder auf die weiblichen angleichen. Das ist auch vom Komplexitätsgrad ganz unterschiedlich. Also von Frau zu Mann ist die OP beispielsweise etwas komplizierter und dauert auch länger als von Mann zu Frau. Bei unserer Protagonistin Melanie aber musste sie, beispielsweise, bevor sie operiert wurde, schon Monate vorher, gegengeschlechtliche Hormone nehmen, also weibliche Hormone. Und bei ihr wurden die primären und die sekundären Geschlechtsteile entfernt. Das heißt also der Hoden kommt weg, damit das Testosteron nicht mehr produziert wird. Dann wird der Penis quasi ausgehöhlt, also die Schwellkörper auch entfernt. Spannend ist aber, dass die Eiche mit allen Gefäßen und Nerven behalten wird, weil da wird später dann daraus der Kitzler rekonstruiert. Und das interdisziplinäre Ärzteteam, also da sind Urologen, Gynäkologen, plastische Chirurgen dabei, die rekonstruieren dann oder präparieren dann noch eine Höhle zwischen Blase und Darm. Und in dieser Höhle wird quasi der vorher ausgehöhlte Penis hineingestülpt. Und dann ist quasi die Außenhaut des Penis, die spätere Vaginalhaut. Und dann wird mit dem, was vom Hodensack übrig ist, der ist ja weggekommen, noch nach Wunsch der Patientin größere oder kleinere Schamlippen konstruiert. Dann näht man das noch zusammen und dann ist es fertig. Das ist jetzt natürlich sehr stark zusammengefasst. Aber ich glaube, daran sieht man schon ja, wie hochgradig komplex diese Art, dieser operative Eingriff eigentlich ist.
ES: Ja, das klingt wahnsinnig komplex. Das klingt für mein Gefühl auch wahnsinnig gefährlich. Also so komplexe Operationen sind ja auch immer mit einem bestimmten Risiko verbunden. Wie ist denn das bei geschlechtsangleichenden Operationen?
MR: Genau, das ist da natürlich auch nicht ausgeschlossen. Also der behandelnde Arzt in unserer Reportage, Professor Doktor Infanger vom Uniklinikum Magdeburg, der hat uns erzählt, dass beispielsweise im schlimmsten Fall Gefäße oder Nerven absterben können. Das bedeutet dann auch für den Patienten oder die Patientin, dass sie vielleicht später gar keine Orgasmen erleben kann. Bei einer geglückten OP geht das schon auch recht gut. Aber es können auch operativ Komplikationen auftreten wie verletzte Harnröhre, Blase, Darm. Genau, das ist ja alles da sehr sensibel. Man kann viele Organe treffen, es kann zu heftigen Nachblutungen kommen. Infektion kann auftreten. Das klingt jetzt nach einem Horrorszenario, aber das ist nur eine von vielen Risiken. In vielen Fällen läuft es auch sehr gut.
ES: Also, wenn ich als cis-Frau, also als Frau, die sich mit dem Geschlecht identifiziert, das bei der Geburt eingetragen wurde, wenn ich als cis-Frau eine Brust-OP zum Beispiel haben wollte, dann könnte ich die wahrscheinlich ziemlich einfach bekommen, habe ich mir gedacht, als ich den Film gesehen habe. Wie ist denn das bei Transpersonen? Also für die Personenstandsänderungen, da braucht es ja Gutachten. Wie ist denn das bei den OPs?
MR: Also bei der Brust-OP, die du ansprichst, kann ich das mit einem klaren Jein beantworten. Also zum Beispiel Melanie Brüste sind durch die Hormontherapie ja schon gewachsen. Allerdings braucht es eben für die Hormontherapie auch eine Indikation durch einen Therapeuten und auch einen Arzt. Also insofern wenn man sagt, mittels der Hormontherapie größere Brüste, dann jein. Wenn du jetzt aber auch als Transfrau zum plastischen Chirurgen gehst und deine Brüste vergrößern lässt, dann geht das schon. Du kannst ja viel an deinem Körper machen. Das übernimmt dann aber in den seltensten Fällen die Krankenkasse, weil das als Eingriff an gesunden Organen gilt. Hier kommt es aber auch ein bisschen auf die Größe an. Weil das Bundessozialgericht in Kassel hat zum Beispiel 2012 einen Präzedenzfall geschaffen. Da müssen Krankenkassen, privat wie gesetzlich, den operativen Eingriff auch an der Brust bezahlen. Wenn, und das ist dann sozusagen die Einschränkung, wenn sie durch die Hormonbehandlung im noch keinen Busen mit mindestens Körbchengröße A haben. Also da hängt das auch so ein bisschen mit dem Leidensdruck zusammen, den diese Person, die Transfrau ja führt, weil die Brüste ja nicht sichtbar, nicht da sind. Und man definiert sich ja dann doch schon sehr über Äußerlichkeiten.
ES: Und wie ist das bei den restlichen Kosten? Also gibt es da zum Beispiel Zuschüsse von den Krankenkassen? Oder müssen die Personen das alles selbst zahlen?
MR: Also wenn die Diagnose gesichert ist und der sogenannte schon vorher erwähnte krankheitswertige Leidensdruck vorliegt, dann sind die gesetzlichen und auch die privaten Krankenversicherer per Gesetz verpflichtet, die Kosten zu übernehmen, gilt eben nicht für rein kosmetische Operation.
ES: Okay, und kann man das prinzipiell in jeder Klinik machen? Oder gibt es da Spezialkliniken? Und wenn ja, wie viele?
MR: In Mitteldeutschland gibt es zwei Kliniken, die die geschlechtsangleichenden Operationen durchführen. Das ist das Uniklinikum in Leipzig und das Uniklinikum in Magdeburg. Die Hormonbehandlungen, die vorher stattfinden, muss mindestens schon über eine Dauer von sechs Monaten, das machen auch mehrere Endokrinologen im Moment.
ES: Wenn es jetzt in Mitteldeutschland nur zwei Kliniken gibt, dann muss man da wahrscheinlich auch relativ lange warten, bis man dann einen Platz bekommt?
PV: Ja genau, die Wartezweit alleine jetzt in Melanies Fall, also sozusagen von Mann zu Frau, beträgt alleine in Magdeburg zwei Jahre. Und ich sage mal, von Frau zu Mann sind es sogar bis zu vier Jahre. Und wir reden hier die ganze Zeit auch nur von untenrum. Also Melanie hat an ihren Brüsten chirurgisch nichts machen lassen. Wir reden die ganze Zeit von der Vagina. Also alleine dafür, für diese Operation zwei Jahre zu warten, war für sie natürlich auch ein Riesenschritt.
ES: Jetzt gibt es auch Transpersonen, die sich entscheiden, keine geschlechtsangleichende Operation durchführen zu lassen. Was hat denn diese Operation für Melanie bedeutet also für Sie ganz persönlich?
PV: Also wir haben Sie das auch am Anfang gefragt, ob das für Sie sozusagen überhaupt in Frage kommt, diese OP zu machen, diese Risiken, die wir jetzt auch alle gerade beschrieben haben, auf sich zu nehmen. Und sie hat wirklich am Ende gesagt, als sie in diesem Krankenhausbett lag. Also wir haben Sie bei der Visite direkt nach der OP quasi sie besuchen können: "Ich bin jetzt ein echtes Mädchen!" Also das war so ein krasser Satz, der uns auch lange im Kopf geblieben ist. Natürlich super emotional. Da war sie unglaublich glücklich. Es ist eine riesige Last von ihr abgefallen. Für sie war das wirklich das Ende eines ganz, ganz langen Weges und auch das Gefühl: Jetzt bin ich fertig. Das war einfach ihr persönlicher Eindruck davon.
ES: Ja, ich fand das im Film auch total bewegend. Lass uns da nochmal kurz reinhören.
Ich könnte wirklich heulen vor Freude. Und jetzt, jetzt bin ich ein echtes Mädchen. Ein echtes. Ich bin echt so happy!
ES: Wisst ihr, wie es ihr heute geht?
PV: Wie es ihr heute geht? Ja, also tatsächlich total gut. Sie hat selbst gesagt im Grunde ist sie wie neugeboren. Es ist für sie auch immer noch aufregend. Sie hat da jetzt dieses neue Körperteil und entdeckt ja ihren Körper dadurch auch gerade wieder ganz neu. Das ist wahrscheinlich was, was andere er noch aus ihrer Pubertät kennen. Für Melanie ist das jetzt alles noch mal wieder, sie durchläuft das jetzt in ihren Vierzigern quasi. Es geht ihr total gut. Sie sagt, sie ist absolut mit sich im Reinen und da sehr happy.
ES: Sehr schön! Ihr habt vor über einem Jahr mit eurer Recherche begonnen und aus dem Transsexuellengesetz, über das wir vorhin schon gesprochen haben, das eben auch diese Gutachten beinhaltet, das soll wahrscheinlich noch im kommenden Jahr das Selbstbestimmungsgesetz werden. Was ändert sich denn damit für Menschen, die trans sind?
PV: Ja genau. Also erstmal dieses Transsexuellengesetz, beziehungsweise das Selbstbestimmungsgesetz, bezieht sich ja allein auf Namens- und Geschlechtsänderung. Wir haben während der Recherche und jetzt auch in den Diskussionen auf YouTube gemerkt, dass das manchmal verwirrend ist. Also es bezieht sich nicht auf die OP, dass das ja zwei sehr unterschiedliche Wege sind. Und für diesen Teil, Namens- und Geschlechtsänderung, soll es zukünftig, oder könnte es so laufen, dass dann Transpersonen einfach ihren Namen und ihr Geschlecht beim Standesamt ändern lassen können. Das heißt, die gehen dahin und können einfach sagen: "Morgen bin ich nicht mehr Pauline, sondern ich bin Paul." Heißt also, diese Gutachtertermine würden wegfallen. Es würde kein Gericht mehr entscheiden, dass man im anderen Geschlecht lebt. Es würden damit viele Kosten, das muss man auch sagen, für Transpersonen wegfallen, weil diese Gutachtertermine insgesamt pro Termin, also pro Gutachten mehrere hundert Euro kosten. Und die Frage ist natürlich, die immer so ein bisschen dabei mitschwingt, die auch von Kritikerinnen, Kritikern kommt: Wie sieht es denn dann aus? Ändert dann jeder ständig sein Geschlecht und seinen Namen? Es ist so vorgesehen, dass es eine Sperrfrist geben soll von einem Jahr. Für eine erneute Änderung, das heißt wenn ich morgen Paul bin, muss ich auch mindestens ein Jahr Paul sein. Man kann nicht übermorgen wieder Pauline sein.
MV: Und vielleicht noch in Ergänzung: Da gibt es natürlich auch noch ein paar Schaltstellen, was das Alter betrifft. Also bei erwachsenen Transpersonen, ist das der einfache Gang zum Standesamt. Bei Minderjährigen sind da Eltern und Familiengerichte zum Teil im Zwischeninstanz.
ES: Ganz am Anfang von allem Film stellt ihr die Frage: Wer bestimmt, in welchem Geschlecht ich leben darf? Euer Film heißt ja auch so. Jetzt nach eurer Recherche: Was würdet ihr sagen? Wer bestimmt das?
MR: Also wenn wir das jetzt auf den offiziellen Eintrag beim Standesamt beziehen, dann ist es aktuell so, dass man es einfach selber nicht bestimmen und festlegen kann, mit welchem Geschlecht man sich identifiziert und eingetragen sein möchte. Da ist es ganz klar vorgegeben über die Gutachter, die das Gericht bestimmt. Das heißt, ich als Person bestimme es in dem Moment selbst nicht. Aber durch das anvisierte Selbstbestimmungsgesetz soll das ja zumindest einfacher werden.
PV: Wenn man sich zwei Jahre mit so einem Thema beschäftigt, dann merkt man natürlich auch, wie so gesellschaftlich insgesamt so die Debatte, die Haltung ist. Und wir haben uns ja auch viel damit beschäftigt: Wie sieht es mit transphob motivierten Straftaten aus? Wie sieht es insgesamt aus? Und wir haben festgestellt beispielsweise, dass die transphob motivierten Straftaten angestiegen sind. Wobei wir auch ein großes Interesse in unserem Umfeld für das Thema festgestellt haben, insgesamt in der Debatte bei der Recherche mit Gesprächspartner*innen festgestellt haben und gemerkt haben, dass das natürlich auch viel mit Nichtwissen zu tun hat. Da kann ich mich selber auch am Anfang der Recherche anschließen. Und auch damit nicht in Berührung sein, was Menschen ja teilweise auch Angst machen kann. Und die Frage ist ja immer: Selbst wenn ich jetzt mein Geschlecht morgen bestimmen kann, akzeptiert es mein Umfeld? Also ordnet mich mein Umfeld diesem Geschlecht zu. Und da muss ich jetzt nach zwei Jahren Recherche an dieser Stelle sagen: wahrscheinlich morgen dann noch nicht. Ist die Frage, ob wir da dann mal hinkommen.
ES: Um noch einmal auf diese Debatten zu schauen. Also, du hast gerade schon gesagt, das ist immer auch eine Frage, wie das Umfeld reagiert, wie die Gesellschaft reagiert. Und jetzt hat es ja in den letzten Jahren immer wieder mal Debatten darum geben, Diskussionen darüber, dass manche Menschen vor allem Transfrauen unterstellen, einfach nur in Frauentoiletten zu wollen, in Frauenumkleiden zu wollen. Und das eben ausnutzen zu wollen, das in ihrem Pass steht, dass sie Frauen sind. Und da geht es dann eben um die Sorge vor Übergriffen. Nach eurer Recherche: Wie schaut ihr auf solche Diskussionen?
MV: Die Debatten und die Kritik kennen wir natürlich. Aber wenn man das jetzt einfach auf die klaren Zahlen beruft, dann muss man feststellen, dass gerade Länder im europäischen Ausland wie Irland, Portugal, Dänemark, Norwegen, es sind noch ein paar mehr, die haben diese selbstbestimmte Änderung des Geschlechtseintrags schon. Und da zeigt sich eben nicht, dass es einen signifikanten Anstieg von Personen gab, die jetzt ihren Geschlechtseintrag ändern wollten und dann auf kurze Zeit wieder zurück. Also auch mehrmalige Änderungen gehen gegen null selbst in Ländern, die bereits vor zehn Jahren ein Selbstbestimmungsgesetz eingeführt haben. Und man kann das ja quasi so auf den Satz runterbrechen: Wer sich entscheidet, in im anderen Geschlecht zu leben, der tut das meist wohlüberlegt und auch langfristig.
PV: Und wenn man das jetzt auch mal in der Praxis durchspielt, gedanklich, dann ist ja auch die Frage: Was bleibt dann trotzdem noch an Hürden für die Menschen? Also beispielsweise den Personalausweis in Deutschland zu ändern, den Führerschein zu ändern. Das heißt, man müsste alle Dokumente beim Finanzamt und der Krankenkasse ändern. Also auch im Praktischen bleiben da trotzdem noch zahlreiche Hürden. Und da ist dann einfach die Frage: Wie realistisch ist das, dass jemand diese Hürden aufnimmt, um diese Räume zu durchbrechen?
ES: Pauline Vestring und Michaela Reith. Dankeschön! MR: Gerne! ES: Das war der Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Den Film "Trans*: Wer bestimmt mein Geschlecht?" Den finden Sie in der ARD Mediathek und bei YouTube. Wie immer freuen wir uns über Feedback. Das können Sie zum Beispiel per E-Mail an investigativ@mdr.de schicken oder über die Apple Podcast App. In zwei Wochen gibt es dann hier wieder eine neue Folge dieses Podcast, dann wieder mit Secilia Kloppmann. Da geht es um eine Razzia in der Villa eines russischen Oligarchen am Tegernsee und Vorwürfe der Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Umgehung der Sanktionen. Ich verabschiede mich bis dahin. Machen Sie es gut und bleiben Sie gesund!
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exakt - die Story | 28. September 2022 | 20:45 Uhr