MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE Die SPD in Sachsen: Kampf um die 5%-Hürde?
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Audiotranskription
09. Februar 2024, 11:53 Uhr
Sie kommen gerade aus der Fraktionsklausur. Hatte denn der Kanzler eine Idee, wie die Umfragen nach oben gehen? Detlef Müller: Ich werde aus der internen Klausur nichts berichten. Aber, dass die Situation in Ostdeutschland vor allen Dingen Thüringen und Sachsen für die SPD mehr oder weniger dramatisch ist, ist ihm wohl bewusst.
Moderation: Secilia Kloppmann
Mein Kollege Frank Wolfgang Sonntag hat in Berlin Detlef Müller getroffen. Der Chemnitzer gehört zur Führungsriege der Bundes-SPD. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Der gelernte Eisenbahner hat als einziger SPD-Kandidat bei der Bundestagswahl 2021 ein Direktmandat in Sachsen geholt. Denn: SPD- Kandidaten haben es in Sachsen schwer, dazu Gerhild Kreutziger, Landtagskandidatin der SPD (LK Görlitz).
O-Ton
Es ist tatsächlich so: Wir müssen sichtbar sein, da brauchen wir uns über Relevanz vorher gar nicht unterhalten. Wenn wir nicht sichtbar sind, können wir überhaupt niemanden ansprechen.
Secilia Kloppmann (SK)
In dieser Folge soll es also um die SPD gehen. Vor allem in Sachsen, aber auch im Osten und damit herzlich willkommen zur "MDR Investigativ - Hinter der Recherche“. Zu hören immer freitags alle zwei Wochen, in der ARD Audiothek und da, wo sie uns gerade hören. Mein Name ist Secilia Kloppmann.
Im September sind Landtagswahlen in Thüringen, in Sachsen und auch in Brandenburg. Die Umfragewerte - besonders für die SPD in Sachsen - sehen nicht gut aus. Wie die Genossen damit umgehen, das haben Inga Klees und Frank Wolfgang Sonntag für das MDR Nachrichtenmagazin exakt recherchiert. Hallo Inga - Hallo, Hallo Frank – Hallo.
Bevor wir darüber sprechen, wo ihr gewesen seid, was ihr erfahren habt... Frank, wie ist denn überhaupt im Moment der aktuelle Stand? Wie ist die Prognose für die SPD in Sachsen?
Frank Wolfgang Sonntag (FWS)
Ausgangspunkt für unseren Beitrag war eine drei Prozent-Umfrage für die SPD. Damit würde sie erstmals aus einem deutschen Landtag fliegen. Inzwischen gibt es auch eine zweite Umfrage, die der MDR selbst in Auftrag gegeben hat, wo die SPD bei sieben Prozent liegt. Die zweite Umfrage, die aktuellere sieben Prozent, die ist repräsentativ, hat aber bloß tausend Befragte. Die erste von Civey mit der "Sächsischen Zeitung" ist nicht repräsentativ, weil es da mehr oder weniger die Zeitungsleser es sind, hat aber eine fünfstellige Teilnehmerzahl. Also ich würde mal prognostizieren, die Wahrheit liegt irgendwo zwischen den beiden Umfragen. Zwischen drei und sieben Prozent und damit im gefährlichen Bereich für die SPD.
SK
Inga, du bist für die Recherche in Görlitz gewesen. Görlitz, muss vielleicht noch mal sagen, ist ganz im Osten von Sachsen. Das ist eine zweigeteilte Stadt. Zgorgelec auf der polnischen Seite - Görlitz auf der deutschen Seite. Es ist auch der Wahlkreis von Tino Chrupalla, dem AfD-Co-Vorsitzenden. Warum habt Ihr die SPD in Görlitz besucht?
Inga Klees (IK)
Na ja, wir haben geguckt, wo ist denn die SPD besonders schwach? Und das ist schlicht und ergreifend besonders im Landkreis Görlitz. Und da hatte sie eben halt bei den letzten Landtagswahlen - also der Landkreis - das ist in verschiedene Wahlkreise aufgeteilt ... da hatten die zwischen 4,2 und 5,8 Prozent, also wenn man es mal runterrechnet, ziemlich genau fünf Prozent. Und in der Stadt Görlitz selber, bei den Gemeinderatswahlen 2019, lag die SPD in der Stadt Görlitz bei lediglich 2,3 Prozent. Also es sind schon sehr desaströse Ergebnisse 2019 gewesen ist. Daher haben wir gesagt, da gehen wir einfach mal hin und schauen, wie es ist
SK
Die Genossen vor Ort, die sich da engagieren, die machen sich da schon einen Kopf. Also sie nehmen das nicht einfach so hin. Da gab es einen Wochenend-Workshop in einem Hotel. Da bist du dabei gewesen. Wie war denn da so die Stimmung?
IK
Die Stimmung war .. ich würde denken, das war so ein bisschen Galgenhumor. Aber auch Motivation, die haben einfach gesagt, wir müssen jetzt! Das kam immer wieder raus, zu sagen, wir dürfen uns jetzt nicht kleinkriegen lassen. Wir müssen Wahlkampf machen, und wir müssen vor allen Dingen wieder, also einfach als Partei sichtbar werden. Und das ist eben auch das große Problem in der Region, dass die Mehrheitsverhältnisse einfach so sind, dass die SPD in bestimmten, das gilt auch sachsenweit, in bestimmten kommunalen Vertretungen einfach keine Rolle mehr spielt. Und dass sie jetzt mal abgesehen von den großen Städten, einfach auch in der Fläche Probleme hat. Das gilt nicht nur für die SPD. Das ist bei anderen Parteien auch so. Aber das ist eben halt das Problem: Das Politik von der SPD zu wenig wahrgenommen wird.
SK
Und bei diesem Workshop Inga – man muss ja sagen, bei diesen schlechten Umfragewerten, da geht es ja schon auch ums Eingemachte. Ihr seid mit der Kamera dabei gewesen. War das so einfach? Waren die Leute in Görlitz von der SPD da offen von Anfang an?
IK
Die SPD war da offen, ja. Wir durften an diesem Workshop teilnehmen. Es gab bestimmte Bereiche, wo sie gesagt haben, da würden sie sehr gerne ohne Kamera miteinander reden. Aber bei diesem Workshop, der stand unter dem Titel "Motivation, Selbstwirksamkeit und Resilienz in der Kommunalpolitik“, da konnten wir mit dabei sein. Das, was gemacht worden ist, weil es ein Workshop war, war keine Fehleranalyse. Also wo man sagt, wir als Partei haben die und die Fehler begangen, sondern es ging um die Methodik. Es ging also darum, wie machen wir gezielt einen guten Wahlkampf? Was brauchen wir dafür für Ingredienzien? Und dazu haben die sich einen eigenen Coach besorgt. Der ist zwar auch SPD-Mitglied, berät aber auch alle anderen Parteien, sagt er, außer der AfD, was er extra noch einmal betont hat. Es waren 14 Leute anwesend, vier Frauen, zehn Männer. Das waren Kreis-Vorsitzende, Landtagskandidaten, aber auch Kandidaten für die Kommunalwahl und Ortsvereinsvorsitzende. Also im Prinzip das Team, was die SPD-Basis im Landkreis Görlitz dann für den Wahlkampf motivieren soll. Das war im Prinzip wie eine Schulung. Wie machen wir erfolgreich Wahlkampf?
SK
Da hören wir auch gleich noch mal rein. Zum einen hören wir da den Coach Philipp Wesemann. Und auf seine Frage antwortet Harald Baumann-Hasske, Landtagskandidat der SPD in Görlitz
Für wen sind wir eigentlich da? Für wen machen wir Politik? Und wo sind die? Wie sprechen wir die an, was für Probleme haben die eigentlich unterm Strich? Um was müssen wir uns eigentlich kümmern? Deswegen ist Zielgruppen- Diskussion enorm wichtig. Harald Baumann-Hasske: Volkspartei sind alle. Und wenn wir für alle stehen, dann stehen wir eigentlich für keinen so richtig. Also niemand identifiziert sich mit uns und sagt ich wähle die, weil der meine Interessen vertritt oder die meine Interessen vertreten. Bedeutet, wir müssten eigentlich für uns, vielleicht auch hier im im Landkreis, mal definieren, für welche Zielgruppen stehen wir eigentlich? Das können zum Beispiel die abhängig Beschäftigten sein. Das können die Eltern sein, die was weiß ich dafür sorgen wollten, dass ihre Kinder eine gute Bildung kriegen und so weiter.
SK
Was ich mich gefragt habe bei eurem Film. Es geht um eine Partei, die älteste in Deutschland mit einer Gecshichte von über 160 Jahren. Wie kann es sein, dass die im Jahr 2024 dasitzen und noch immer ihren Markenkern suchen und noch immer eine Zielgruppe definieren müssen?
IK
Das ist jetzt eine ganz schwierige Frage. Also, ich meine, es ist ja eben gerade die Frage aufgeworfen worden, sind wir eigentlich noch eine Volkspartei? Also die SPD war ja früher eine Arbeiterpartei. Dann kam das Godesberger Programm. Seit dem definiert sie sich eben halt soweit ich das weiß, auch als Volkspartei, also mit einer sehr viel breiteren Basis, will nicht nur für die Arbeiter da sein. In dieser ganzen Diskussion ging es dann natürlich einfach darum, zu sagen okay, was sind unsere Zielgruppen? An wen treten wir ran, um im Wahlkampf auch erfolgreich zu sein, um um unsere Inhalte an die Wähler zu bekommen? Und das ist eben dort diskutiert worden. Mit welcher Methodik wir machen wir das. Was ist die Zielgruppe? Was ist der Markenkern der SPD? Darüber ist quasi diskutiert worden.
SK
Und ein gutes Beispiel, da habe ich die Töne auch gerade noch mal rausgesucht, es ja auch, wie man kommuniziert nach außen? Welches Slogans man hat und ob die ankommen - oder eben auch nicht...
Ihr habt ihr da einen Slogan: "Die Lausitz ist die Lösung." Ist diese Botschaft deutlich und verständlich für eure Zielgruppe? - Nein. Und zwar bewusst nicht. Wir haben ja lange diskutiert. Zum Beispiel, "Die Lausitz kann die Lösung sein." Wir haben dann am Ende gesagt, mit einer starken Behauptung gehen die provozieren wir eben den Effekt, dass die Leute nachfragen müssen. Ja, wofür denn eigentlich? Coach: Dieser Kampagne fehlt ein: "denn Punkt, Punkt, Punkt.“ Das ist der Knackpunkt . Da fehlt nämlich die Erzählung. Wenn ich den Punkt setze, hört es da auf. Die Lausitz, die Lösung, Da würde ich die Frage stellen, für was?
IK
Ob es noch mal zu sagen: Ganz, ganz wichtig war wirklich diese Zielgruppen-Analyse. Wobei ich tatsächlich nach all dem, was ich da gehört habe, gar nicht genau sagen kann, was ist denn jetzt die Zielgruppe? Das haben die aber am nächsten Tag noch weiter diskutiert, und sie haben es auch in Arbeitsgruppen vertieft. Das waren vier Arbeitsgruppen, wobei wir natürlich nur an einer das exemplarisch dann mal uns angeguckt haben. Und da ging es eben halt um die Zielgruppe Rentner, in dem Fall Rentner und junge Leute. Daran haben die in Arbeitsgruppen noch einmal methodisch quasi vertieft, was sie für diese Leute tun können mit ihrer Politik. Dann ging es natürlich auch eben halt darum, dass sie einfach sichtbar werden. Da waren eben halt so Tipps wie wir müssen erkennbar sein durch gleiche Kleidung. Wir brauchen so ein Erkennungsmerkmal, die Farbe Rot, roter Schal, rote Mütze... und so weiter. Also, dass ist das eine. Und das nächste war, dass Politik immer mehr mit Emotionen zu tun hat. Und dass der Coach den also einfach mal salopp gesagt: Klinkenputzen, statt am Stand zu stehen. Also geht zu den Leuten geht hin, redet mit denen, schaut, wo die Probleme sind, was die Leute euch erzählen. Auch wenn sie euch die Tür vor der Nase zu machen, könnt ihr eben halt hinterher sagen, wir waren aber da. Und das kriegen die Leute ja auch mit, wenn man zu ihnen hingeht. Das ist eigentlich eine ganz alte Methode. Ich habe das mal im Wahlkampf mit einer CDU-Politikerin so um die 2000er-Jahre auch erlebt. Also das machen Parteien ja auch, dass sie also wirklich zu den Leuten hingehen.
SK
Ich hatte schon das Gefühl, die waren schon auch sehr bemüht, das auch umzusetzen und das aufzunehmen. Detlef Müller, Frank, von der SPD, den du in Berlin getroffen hast, der sagt ja auch, dass das total wichtig ist:
... dorthin zu gehen, wo sie sich vielleicht nicht trauen, hinzugehen. Also raus aus der eigenen Blase, wo man sich wohlfühlt. Es ist von Sozialdemokraten immer einfacher, ich gehe zu Gewerkschaften, zur Arbeiterwohlfahrt, zu Sozialverbänden, Kulturverbänden.... Sie müssen woanders hingehen. Sie müssen mal zu den freiwilligen Feuerwehren gehen. Sie müssen in die Betriebe gehen. Und da nicht zur Geschäftsführung, so normal ans Band. Vielleicht mal eine Schicht mitmachen. Reden mit den Leuten, im normalen Tagesablauf. Das kann anstrengend sein. Das ist so nicht alles angenehm. Aber anders geht es aus meiner Sicht nicht.
SK
Mit dem, was Detlef Müller da sagt, legt er da auch so ein bisschen den Finger in die Wunde? Frank
FWS
Absolut. Und Detlef Müller hat das ja auch mit Erfolg untermauert. Er hat ja bewiesen, dass das der richtige Weg ist. Er selbst macht das so. Er ist von Haus aus Lokführer, und er spricht die Sprache der einfachen Leute. Und er scheut auch nicht, sich in Betriebe zu stellen und mit den Leuten zu sprechen. Er hat ein Direktmandat geholt mit seiner Art, der Herangehensweise an Politik und für mich, der ich Ihnen ja als Reporter beurteilen soll: Er ist überzeugend, authentisch, und der überzeugt mich.
SK
Die Probleme, die Inga gerade umrissen hat, die SPD auf dem Land, zum Beispiel in Görlitz - sind die Deiner Meinung nach in Berlin angekommen. Ist ihm (Detlef Müller) bewusst, wie es seinen sächsischen SPD-Genossen in der Provinz geht?
FWS
Ja, das war ihm bewusst. Und er kam auch gerade aus der Fraktionsklausur, und ich habe ihn explizit gefragt, hat da die drei Prozent Umfrage eine Rolle gespielt? Ja, und der Bundeskanzler hat sich dazu auch geäußert. Also Detlef Müller, der ja nun selbst Bundestagsabgeordneter ist, hat unumwunden zugegeben, dass die Umfrageergebnisse für Landtagswahlen vor allen Dingen eigentlich eine Abrechnung mit der Bundespolitik sind. Und ich glaube, dass die Bundespolitik, das der Bundeskanzler die Probleme schon sieht. Aber Detlef Müller hat auch gesagt ja, der Bundeskanzler hat eine Richtlinienkompetenz, aber die kann man ein oder zwei Mal gebrauchen. Dann fliegt einem möglicherweise die Koalition auseinander. Bei den AKWs., bei der Kernkraft-Debatte hat er die gebraucht gegen die Grünen. Das hätte er beim Heizungs-Gesetz möglicherweise nicht noch mal machen können, weil ihm die Grünen dann von der Stange gegangen wären. Die Umfragen für die SPD sind schlecht. Alle drei Parteien hätten bei einer Neuwahl verloren. Also auch der Bundeskanzler und die Bundespolitik bewegt sich innerhalb von Zwängen.
SK
Lasst uns mal so ein bisschen auch über den Start der SPD im Osten sprechen. Wenn wir zurück denken, 1990 war die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl. Der damalige Kandidat der SPD Kanzlerkandidat hieß Oskar Lafontaine. Der hat nicht unbedingt das erzählt, was die Ostdeutschen sich gewünscht haben. Der hat auch darauf hingewiesen, welche Schwierigkeiten es geben könnte. Kann man sagen, begann damit vielleicht schon auch der Fehlstart der SPD im Osten eurer Meinung nach?
FWS
Ja, also, das hast du völlig richtig gesehen. Mit Oskar Lafontaine hatte die SPD für die erste gesamtdeutsche Wahl den falschen Kandidaten. Der Amtsinhaber. Helmut Kohl hatte nicht nur den Amtsbonus, sondern er hat auch mit seiner Frau jemanden gehabt, der aus dem Osten kommt. Helmut Kohl war die deutsche Einheit eine Herzensangelegenheit. Für Lafontaine waren vor allen Dingen die Probleme im Vordergrund gestanden. Und das hat den Erdrutschsieg der CDU bei der ersten gesamtdeutschen Wahl verursacht.
IK
Ich könnte es nochmal ergänzen. Also ich habe mir mal die Zahlen noch einmal angeguckt. Also bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl war es tatsächlich so, dass die SPD im Westen 35,7 Prozent hatte und im Osten 24,3. Also das heißt, die ist natürlich vor einem ganz anderen Niveau gestartet im Osten als im Westen,
SK
Vielleicht auch noch mal zur Einordnung, Frank. Die Parteienlandschaft direkt nach dem Fall der Mauer, wie sah die denn aus? Also gab es da eigentlich Unterschiede für den Start in das Gesamtdeutschland bei den Parteien?
FWS
Ja. Natürlich gehört zur Wahrheit auch, dass die SPD quasi eine Neugründung im Osten war. Die hieß zunächst SDP, ist dann gemeinsam mit der West-SPD in der SPD aufgegangen, also die Logistik, die Funktionäre und so weiter auf die die - jetzt sage ich mal das böse Wort - "Blockflöten-CDU" zurückgreifen konnte, die hatte die SPD nicht. Und die hatten auch Bündnis 90/Die Grünen nicht. Also die hatten schlechtere Startchancen. Nur hat sich das für die SPD dann im Laufe der Zeit doch etwas relativiert, weil die SPD dürfen wir nicht vergessen, ist eine reiche Partei. Weil: Historisch gesehen das geht über hundert Jahre zurück, sie hat Zeitungsverlage gehabt, hat Immobilien erworben, weil Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die Zeitungen waren alle konservativ. Die Arbeiterbewegung und die SPD mussten eigene Zeitung gründen. Ansonsten wären sie in der Medienlandschaft nicht vorgekommen. Und das wäre eine Wettbewerbsverzerrung gewesen. Diese Immobilien hat die SPD zum Teil wieder erhalten, in der ehemaligen DDR. Und im Westen die ganze Zeit behalten. Und somit unterm Strich beläuft sich das Gesamtvermögen der SPD auf mehrere hundert Millionen Euro. Das hat die CDU oder eine andere Partei nicht aufzuweisen.
SK
Wenn ich an meiner Familie denke, ich bin in der DDR aufgewachsen, SPD-Politiker wie Willy Brandt oder auch Helmut Schmidt, die haben da schon auch eine große Rolle gespielt. Offenbar hat es aber gar nicht so richtig eingezahlt in Wählerstimmen. Was ist denn da im Umgang der "westdeutschen SPD" mit dem Osten schief gegangen?
IK
Ja gut, ich meine, das ist ja im Prinzip die gesamte Ostpolitik gewesen, die von der SPD damals geprägt worden ist. Die Wiederannäherung, dann der Besuch in Erfurt und ähnliche Sachen. Aber ich glaube nicht, dass das eingezahlt hat. Letztlich.
FWS
Also ich kenne das aus eigenem Erleben. Ich weiß noch, wie Helmut Schmidt zurücktreten musste und Helmut Kohl Kanzler wurde. Ich habe das damals bedauert. Brandt und Schmidt, das waren Ikonen im Osten für uns. Nur das waren offensichtlich doch andere Persönlichkeiten, als es die späteren SPD-Politiker gewesen sind. Und deshalb hat der alte Bonus der SPD nicht in die Neunziger oder gar 2000er-Jahre weitergetragen.
SK
Trotz alledem. Die Geschichte der SPD im Osten ist ja nicht nur eine Geschichte der Misserfolge. Da kann man nach Brandenburg schauen oder nach Mecklenburg-Vorpommern. In Brandenburg war es, glaube ich, durchgängig eine SPD-Regierung, in Mecklenburg fast durchgängig. Allerdings in Sachsen ist es immer besonders schwierig gewesen, habe ich das Gefühl...
FWS
Der Grund dafür liegt in der Ausgangssituation. 1990 in Brandenburg hat die SPD bei den ersten Landtagswahlen Manfred Stolpe aufgestellt. Ein Kirchen-Mann, der im Land verwurzelt war. Die SPD in Sachsen hat Anke Fuchs als Spitzenkandidatin aufgestellt, die auch vorher schon hat durchblicken lassen, dass im Falle eines Misserfolgs sie zurück nach Nordrhein-Westfalen geht.
SK
Und so ist es auch gewesen. Anke Fuchs hat nur wenige Tage nach der Wahl Sachsen wieder verlassen. Es gibt Leute, die sagen bis heute, dass das der Glaubwürdigkeit der SPD nicht gerade geholfen hat.
FWS:
Das war die falsche Kandidatin. Die CDU hat Kurt Biedenkopf aufgestellt, der vorher schon an der Uni in Leipzig gelehrt hat, also jemanden, der ganz ähnlich wie Manfred Stolpe den Typ Landesvater verkörpert hat. Diese Bindungen an eine Partei sind damals gelegt worden. Dann kommen noch ein paar andere Sachen dazu, dass Brandenburg sicherlich weniger konservativ geprägt ist, als Sachsen mit dem christlichen Erzgebirge und auch viele ehemalige DDR – Noimemklatur-Kader und Günstlinge um Berlin, in Brandenburg in ihren Datschen und Villen gelebt haben. Aber im Großen und Ganzen ist es diese Zweierkonstellation Stolpe und Biedenkopf, die die Grundlagen für die unterschiedlichen Erfolge der SPD in Sachsen und Brandenburg gelegt hat.
SK
Jetzt lasst uns mal wieder auf die kommenden Landtagswahlen schauen. 2021 hat die SPD in Sachsen bei der Bundestagswahl noch über 19 Prozent geholt. Jetzt hatten wir eingangs gesagt, Prognose schwankt zwischen drei und sieben Prozent, ist also sehr, sehr einstellig. Es ist ja die große Frage: Warum konnte die Partei das nicht halten?
FWS
Ja, dass die SPD bei der Bundestagswahl 2021 in Sachsen mit 19 Prozent so stark abgeschnitten hat, das hat natürlich auch mit der Kandidatenauswahl der anderen Parteien zu tun. Die Grünen haben Umfragen zunächst bei 28 Prozent gehabt. Dann haben sie Annalena Baerbock aufgestellt als Kanzler-Kandidatin und nicht Robert Habeck. Das hat fast zu einer Halbierung geführt. Die CDU hat Armin Laschet aufgestellt, wo der sächsische Landesverband nahezu geschlossen für Friedrich Merz als Kanzlerkandidaten gestimmt hat. Das hat zu Frustrationen geführt. Die Parteien haben sich so entschieden, aber die Parteien müssen eben auch drauf schauen, dass sie nicht einen Kandidaten aufstellen, den sie selber gut finden, sondern der Wähler muss ihn gut finden. Der Wurm, der muss nicht im Angler schmecken, sondern dem Fisch. Und Scholz war von den dreien der beste Kandidat. Und das haben gerade Wähler, die eher unentschlossen sind, ja, die zwischen verschiedenen Parteien jonglieren, die hatten sich dann zu Scholz bekannt und für Scholz entschieden.
SK
Da sind wir ja eigentlich auch schon bei der jetzigen Bundesregierung. Wir haben seit 2021 eine Ampelkoalition. Die SPD regiert zusammen mit den Grünen und der FDP. Und wenn man auf diese beiden Koalitionspartnern schaut, dann kann man schon ja auch feststellen, dass die im Osten eher man könnte sagen, ein bisschen schwach auf der Brust sind. Also, so sagt es zumindest, der Bestseller-Autor Dirk Oschmann bei meinen Kollegen und Podcast „Wahlkreis Ost“, den ich an dieser Stelle auch sehr empfehlen möchte. Alle zwei Wochen geht es bei Anja Maier und Malte Pieper um den Politikbetrieb in Berlin und vor allem darum, welche Rolle der Osten da spielt. Zu hören ebenfalls so wie wir in der ARD-Audiothek. So nun aber zu der Meinung von Dirk Oschmann, über die ich danach mit Euch sprechen möchte.
Und wenn sie das Parteienspektrum aufzählen, dann ist es ja ganz klar, dass die FDP und die Grünen noch nie im Osten irgendeinen Fuß auf den Boden bekommen haben, weil sie sich übrigens auch noch nie für den Osten interessiert haben. Ja, sie haben noch nie darüber nachgedacht, wie man da gescheite Politik machen kann. Ja, die FDP findet da überhaupt keine Klientel in der Regel. Und die Grünen haben keine Ideen, wie sie im Osten auf die Leute zugehen sollen, weil sie im wesentlichen natürlich Politik für die gut gebildeten akademischen Städter machen.
FWS
Das ist sicherlich eine zutreffende Analyse von Herrn Oschmann. Ich teile die. Das hat allerdings nicht von Anfang an so angefangen. Uunächst war ja noch ein Genscher, der leider tot ist, in der FDP, der aus Halle kam und der diesen Halle-Bonus auch gespielt hat. Es gab Bündnis 90, was dann in den Grünen mit aufgegangen ist. Viele davon sind aus der Partei rausgegangen. Jetzt bieten die Grünen ein Bild, was sich mehr für Gendersternchen und städtische Akademische interessiert nicht so sehr für die bodenständigen Probleme normaler Leute.
SK
Jetzt seid ihr ja beide schon lange im Geschäft, arbeitet schon sehr lange beim MDR für die politischen Magazine, habt auch schon viele, viele Landtags- und Bundestagswahlen mitgemacht. Wofür steht eigentlich die SPD in Sachsen für dich ganz persönlich? Frank
FWS
In den letzten beiden Landesregierungen ist die SPD als Juniorpartner dabeigewesen. Vorher hat sie sich in Untersuchungsausschüssen profilieren können, mit Karl Nolle und so weiter, und die CDU vor sich hergetrieben. Jetzt macht sie die Politik der CDU im Wesentlichen mit. Dadurch ist es schwieriger ein eigenständiges Profil der SPD zu haben. Viele Dinge werden sowieso im Bund entschieden. Zum Beispiel das große Thema Migration/ Grenzkontrollen. Da hat die sächsische SPD nämlich gemeinsam mit dem CDU Innenminister Armin Schuster Grenzkontrollen gefordert. Also es ist schwer, ein eigenständiges Profil zu finden, wenn man in der Regierung der kleine Partner ist.
SK
Inga wie siehst du das? Hat es die SPD in Sachsen schwer, ein eigenständiges Profil zu finden?
IK
Wir müssen einfach mal sehen, welche Ministerien hat sie denn? Sie hat extrem schwierige Ministerien in Sachsen, das Gesundheitsministerium, Sozialpolitik, Arbeitspolitik, das sind die Bereiche, für die die SPD steht. Und das sind alles keine einfachen Ressorts. Also wenn man sich überlegt, wie das gewesen ist. Corona-Pandemie … Petra Köpping ist ja Gesundheitsministerin zu der Zeit im während der Pandemie auch gewesen. Und ich kann mich gut erinnern, ich habe sie Interviewt. Da hat sie gesagt, na ja, normalerweise gibt es ja immer irgendwelche Leute, die mit den Hufen scharren und am Stuhlbein sägen. Und sie sagte, das ist etwas, was sie in dieser Legislaturperiode überhaupt nicht kennt. Diesen Job wollte einfach niemand haben. Und ich sage mal, mit der Wirtschaftspolitik sichtbar zu werden, in dem Fall Martin Dulig ist auch nicht so ganz einfach, wenn die großen, sag ich mal jetzt Ansiedlunge, Industrieansiedlungen quasi über den Ministerpräsidenten laufen. Und der da die die Pfründe für sich einheimsen kann. Und das macht es natürlich schwierig. Das sind keine einfache Ressorts, die die SPD da hat. Sie muss natürlich in dieser Koalition auch drinbleiben, wegen der Bedrohung durch die AfD. Das heißt, sich da zu profilieren, aus dem Schatten rauszukommen der CDU mit eigenen Themen ist schon eine besondere Herausforderung.
SK
Petra Köpping ist die Spitzenkandidatin der SPD für die Landtagswahl. Ist Sie die richtige Kandidatin, Eurer Meinung nach?
FWS
Petra Köpping ist sicherlich vom Typ her relativ ähnlich wie Detlef Müller, also sehr den Leuten zugewandt, persönlich sympathisch. Aber wie Inga schon sagt, sie hatte ein streitbefangenes Ministerium. Sie war für die Corona-Politik in Sachsen zuständig. Wollte anfangs die Corona-Maßnahmen-Verweigerer in die Psychiatrie sperren. Da ist sie gebremst worden. In dieser Klientel wird sie keine Wählerstimmen ziehen.
SK: Naja. Die würden sie wohl auch sonst nicht wählen, muss man mal so sagen. Denn Petra Köpping ist ja vor allem in ihrer Funktion als Gesundheits- und Sozialministerin in der Corona-Pandemie extrem zur Reizfigur geworden für die in Sachsen ja relativ große Masse der Impfgegener und Demonstrierenden. Es gab ja sogar Versammlungen vor ihrem privaten Wohnhaus.. Ansonsten muss man vielelicht auch nochmal sagen, Frank, gegen diese Vorwürfe „in die Psychiatrie sperren“, da hat sich Frau Köpping später verwahrt. Und vielleicht muss man das auch nochmal einordnen. Das war gleich Anfang April, Ostern, 2020. Es ging darum, dass die Leute, die im Ausland waren und zurück kamen frewillig 14 Tage in Quarantäne gehen sollten. Und: Es gab tatsächlich Pläne aus dem sächssichen Sozialministerium, es sind Zimmer in solchen Einrichtungen frei geräumt worden. Das kam aus dem Sozialministerium unter der Veranwtolrtung von Frau Köpping – das ist schon richtig. Es ist aber so gewesen, dass das schon. Es ikst aber schon einen Tag später vom sächsischen Miknisterpräsidenten zurück genommen worden. Ich glaube, man muss das wirkllich in diesem Zusammenhnag sehen: Damals waren alle unter Schock. Es gab diese schrecklichen Bilder aus Bergamo mit den vielen Toten .
SK:
Wir haben es schon ein paar Mal angesprochen im Podcast. Da geht es um den Einfluss des Bundestrainers, auch auf die Stimmung in den Bundesländern. Einfluss auf Landtagswahlen dazu habe ich jetzt auch noch mal das rausgesucht, was Detlef Müller gesagt hat.
„Der Wähler allgemein bei Umfragen, wen würden Sie denn wählen, wenn am nächsten Sonntag Landtagswahlen wären? Und er macht dann sein Kreuz oder seine Meinung trotzdem von der allgemeinen politischen Stimmung abhängig. Und das ist fast immer Bundespolitik. Also wenn die Bundespolitik nicht irgendwo einen positiven Rahmen vorgibt, jetzt hier für die SPD, wenn die SPD in der Bundesumfrage, im Bundestrend nicht gut dasteht, hat sie auch in Sachsen keine Chance.“
SK:
Wie sehen das die Leute in Görlitz? Bestätigten die das, was Detlef Müller sagt, Inga?
IKS:
Also das ist von dem, was ich mitbekommen habe, war immer die Geschichte das, was da im Bund passiert, das fällt uns hier auf die Füße. Wenn ich mich mit den Leuten dann unterhalten habe, war das schon so. Man wünscht sich da eine klarere Politik. Es ging ganz viel um Kommunikation also, wo sie gesagt haben: Eigentlich machen wir eine gute Sozialpolitik, wir sind eigentlich als Ampel relativ erfolgreich. Gerade auch die SPD. Mindestlohn ist da immer ein Thema gewesen. Und das Problem ist eben halt, dass die Politik, die die Ampel macht, aus Sicht der Görlitzer SPD ein riesengroßes Kommunikationsproblem ist, unter dem sie jetzt also quasi im Wahlkampf leiden.
SK
Frank, ganz zum Schluss, am 1.September 2024 wird in Sachsen gewählt, mit Blick auf die SPD: Bleibt die einstellig oder glaubst du, sie kann sich noch berappeln?
FWS
Also einstellig bleibt die SPD bei der Landtagswahl im September in Sachsen bestimmt. Wie sie den Trend umkehren will... Es geht eigentlich nur darum, ob sie in den Landtag kommt. Ja oder nein. Und da würde ich schon sagen sie kommt rein. Vieles wird bundespolitisch bestimmt, weil die Entscheidungen, die Rahmenbedingungen, fallen alle auf Bundesebene. Sachsen konnte er nicht mal alleine Grenzkontrollen einführen. Aber ich glaube, dass sich die großen bundespolitischen Problemlagen, wenn sie nicht gelöst werden, so hat sich der Wähler schon etwas mehr daran gewöhnt, bis zum September. Also Inflation ist weit weg, Migration wird vielleicht ein bisschen besser werden, dass Heizungsgesetz ist weit weg, so dass die Aussichten für die SPD nicht so schlecht sind.
SK
Und dann haben wir ja eine Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Das hebt ja oder kann - kommt ja immer ein bisschen darauf an, wie die Ergebnisse sind - die Stimmung im Land heben und noch mal einiges verändern. Es ist ja noch ein bisschen hin bis September...
FWS
Also ich glaube, dass die Lage der deutschen Nationalmannschaft noch aussichtsloser ist, als die der sächsischen SPD. Da Rückenwind zu erwarten, das passiert sicherlich nicht.
SK
Inga, willst du noch ne Prognose abgeben für die Landtagswahl?
IK
Ist schwer zu sagen. Ich würde denken, dass es extrem wichtig ist, dass die SPD als Partei die Fünf-Prozent-Hürde schafft. Also wenn wir uns mal vorstellen, was das bedeuten würde, dass ein wesentlicher Koalitionspartner für die CDU ausfällt in Sachsen, dann wird das mit der Regierungsbildung, über die wir jetzt noch nicht so geredet haben. Aber dann wird es natürlich immer schwieriger. Prognose fällt mir schwer, aber ich denke auch, dass sie unter zehn Prozent bleiben werden. Allerdings muss man dann eben halt auch sagen, es ist ja noch eine ganze Weile hin. Und wer im Februar 2021 gesagt hätte, Olaf Scholz wird Bundeskanzler, der wäre ausgelacht worden. Insofern sind Umfragen auch immer nur so ein bisschen begrenzt. Es kommt jetzt einfach auf den Sommer an. Da müssen dann ganz klar die Themen gesetzt werden, und das muss dann durchgehalten werden. Da müssen die Spitzenkandidaten vor allen Dingen also hier im Falle der SPD. Da muss Frau Köpping ziehen, das weiß sie auch. Das ist eine Herkulesaufgabe. Aber das gilt letztlich nicht nur für die SPD, es gilt letztlich für alle Parteien.
SK
Im September sind wir schlauer. Herzlichen Dank Inga Klees und Frank Wolfgang Sonntag.
Podcast "MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche"