MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche (Folge 64) Razzia in Arztpraxis - Was steckt hinter den Vorwürfen gegen das Kopfzentrum?
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Im Oktober haben Polizeibeamte Praxen, Geschäftsräume und Wohnungen durchsucht, die in Verbindung mit der Kopfzentrum-Gruppe stehen. Der Journalist Albrecht Radon recherchiert schon seit eineinhalb Jahren zum Kopfzentrum. Was steckt hinter den Vorwürfen?
Esther Stephan (ES): Im Oktober haben Polizeibeamte Praxen, Geschäftsräume und Wohnungen durchsucht, die in Verbindung mit der Kopfzentrum-Gruppe stehen. Die Kopfzentrum-Gruppe betreibt in mehreren Bundesländern HNO-Praxen. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wiegen schwer: Es geht unter anderem um Behandlungsfehler und unnötige Operationen. Auch Abrechnungsbetrug und Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz soll es gegeben haben. Mein Kollege Albrecht Radon recherchiert seit eineinhalb Jahren zum Kopfzentrum. Sie hören den Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Und wir sprechen hier mit Journalist*innen über ihre Recherchen. Es geht um das Thema, und es geht darum, welche Erfahrungen die Journalist*innen während der Dreharbeiten gemacht haben. Ich bin Esther Stephan, und ich arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks. Hallo Albrecht!
Albrecht Radon (AR): Hallo, Esther!
ES: Ich vermute mal, dass unsere Hörer*innen, die aus Leipzig kommen, das Kopfzentrum, die Kopfzentrum-Gruppe, schon kennen. Die sind hier ja total breit vertreten. Aber erzähl nochmal für alle anderen, was das Kopfzentrum eigentlich ist. AR: Das Kopfzentrum, das sind in allererster Linie HNO-Praxen, die in mehreren Bundesländern betrieben werden. Allein in Leipzig gibt es acht Standorte. Dann gibt es Standorte in anderen sächsischen Städten. Es gibt Standorte in Sachsen-Anhalt, in Thüringen, in Berlin ist man vertreten, und mittlerweile gibt es wohl auch einen Standort in Nordrhein-Westfalen. Genau, das Ganze nennt sich letzten Endes Kopfzentrum-Gruppe. Unter diesen Begriff Kopfzentrum-Gruppe laufen auch mehr oder weniger diese Praxen. Und zur Kopfzentrum-Gruppe gehören so viele kleine weitere Unternehmen. Das nennt sich Unternehmensverbund. Und dazu gehört halt eben auch die Acqua Klinik, und in der Acqua Klinik wird operiert. Das heißt, wenn in einer dieser HNO-Praxen eine OP-Indikation gestellt wird, dann wird meist in der Leipziger Acqua Klinik dann operiert. Und das ist so grob das Konstrukt, so kann man sich das ungefähr vorstellen.
ES: Und jetzt recherchierst du ja schon seit eineinhalb Jahren, nach einer ganzen Zeit schon, am Kopfzentrum, und zwar eben auch zu verschiedenen Vorwürfen. Wie es das denn überhaupt losgegangen, dass du da gemerkt hast: okay, dann muss ich mich mal reinarbeiten?
AR: Ja, wie hat alles angefangen? Eine Kollegin von mir kam damals vor zirka zwei Jahren auf mich zu und berichtete von einer Freundin, damals wohl auch Patientin im Kopfzentrum. Und die hatte wohl Folgendes erlebt: Die fragte nach einem Rezept für Ergotherapie. Und am Tresen, und da hieß es: "Ne, das Rezept können wir dir leider nicht aushändigen, mehr. Das machen wir nicht mehr. Du kriegst das Rezept nur, wenn du das bei unseren eigenen Ergotherapeuten einlöst." Dazu muss man wissen, dass das Kopfzentrum in einigen Filialen eben auch Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie anbietet. Alles mit Bezug zur HNO-Heilkunde. Und es war also, wie gesagt, die Aussage: "Rezept ja, aber nur, wenn du das bei unseren eigenen Therapeuten einlöst." Wenn das zuträfe, wäre das natürlich ein ganz klarer Verstoß gegen das Recht auf freie Therapeutenwahl.
ES: Okay, das heißt grundsätzlich ist das so: Wenn ich jetzt eine Logopädie möchte, dann kann ich mir egal wo das Rezept holen und dann mir auch eine entsprechende Therapeutin suchen?
AR: Genau! Also ich kann mir immer aussuchen, bei wem ich dann diese Heilmittelverordnung – so heißt das ganz korrekt - dann letzten Endes einlöse, genau. So fing das letzten Endes an und wir hatten dann also angefangen, also ich fand das erste Mal extrem spannend und dachte mir: ja, das ist auf jeden Fall eine Recherche wert. Wir haben dann angefangen, mit verschiedenen Therapiepraxen in Leipzig zu sprechen. Also mit Physiotherapiepraxen, versucht mit Patienten ins Gespräch zu kommen, und haben da sehr schnell festgestellt, dass da wohl was dran ist, weil ich habe auch mit meiner Physiotherapiepraxis gesprochen. Und auch da hieß es: ja, es kämen vermehrt Patienten, die sagen: "Ich kann gar nicht mehr zu euch kommen, in die Praxis, würde das gerne er bei euch wieder einlösen, das Rezept, aber ich kriege kein Rezept mehr ausgehändigt. Ich muss das jetzt im Kopfzentrum machen." Und also das war wirklich erstaunlich. Und so fing das wie gesagt an. Wir haben dann zu diesen Vorwürfen recherchiert. Und dann hat man immer mehr über dieses Kopfzentrum und das Geschäftsmodell erfahren. Wir haben also auch mit Ärzten dann letzten Endes gesprochen, also nicht nur mit HNO-Ärzten, auch mit anderen Ärzten, die alle die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben, als sie hörten Kopfzentrum. Da hieß es auch immer: "Wollt ihr euch wirklich mit dem Kopfzentrum anlegen? Wollt ihr euch mit dem Professor Strauß, dem Geschäftsführer, anlegen? Da kommen sofort die Anwälte und schießen zurück." Und genau, dann haben wir auch mit vielen Betroffenen, sind dann ins Gespräch gekommen. Und so ging das wirklich… Es gab dann letzten Endes den ersten Beitrag. Da haben wir eben dieses Thema Verstoß gegen das Recht auf freie Therapeutenwahl thematisiert. Und auch schon das Thema unnötige Operationen hat dabei eine Rolle gespielt. Und danach haben sich dann nach Ausstrahlung des Beitrages ganz viele Betroffene gemeldet. Die melden sich übrigens immer noch. Es sind, glaube ich, mittlerweile fünf Beiträge gelaufen. Haben sich Betroffene gemeldet, die also von angeblich misslungenen Operationen berichten, von unnötigen Operationen berichten. Also wir haben da so viel zusammengetragen in relativ kurzer Zeit, das fand ich wirklich sehr erstaunlich. Das habe ich auch in dieser Form ehrlich gesagt, auch noch nie so richtig erlebt. Und ich mache das jetzt auch schon so ein paar Jahre. Aber dass wir so viel zusammentragen konnten und so viele Vorwürfe da aufploppten letzten Endes, das war schon wirklich außergewöhnlich.
ES: Ja, ich habe das damals mitbekommen in der Redaktion, als du auch dazu recherchiert hat, zu einem der Beiträge. Da ging es um möglicherweise Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz. Kannst du noch einmal erzählen, worum es damals ging?
AR: Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz. Das ist ein Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft jetzt erhoben hat. Und das ist auch einer der Vorwürfe, dem wir damals nachgegangen sind, den wir recherchiert hatten. Letzten Endes geht es darum, oder man muss wissen, die Kopfzentrum-Gruppe stellt auch Arzneimittel her. Das sind zum Beispiel Nasentropfen, das sind Nasensprays oder Ohrentropfen. Und die sollen wohl, zum Beispiel bei den Nasensprays, heißt es auf der Internetseite, eine "Regeneration der Nasenschleimhäute verbessern" und den Patienten wurde dann, also wir hatten mit mehreren gesprochen, eine war auch im Interview. Und die eine Frau erzählte uns nach einer OP an der Nase wurde ihr eben ein Nasenspray empfohlen, was die Selbstheilungsprozesse des Körpers oder der Stammzellen in der Region anregen sollte. Und das sind Produkte, die auch relativ teuer sind. Also ich glaube, so 25 bis 30 Euro. Und die Patienten aber im guten Glauben haben das dann letzten Endes gekauft. Und das haben wir uns näher angeschaut. Wir waren da mit einem Experten der Uni Leipzig im Gespräch, der sich das Ganze angeschaut hatte, der dann auch relativ schnell zu der Einschätzung gekommen ist, dass die Wirkstoffe oder die Wirkstoffkombination, die da angegeben war, eigentlich nicht in Zusammenhang zu bringen ist mit dem versprochenen, mit der versprochenen Leistungen oder mit der versprochenen Wirkung. Und also das war das eine. Das ist jetzt noch kein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz, aber gehört letzten Endes zu unserer Recherche mit dazu. Dann hatten wir uns mal zwei dieser Arzneimittel näher angeschaut. Das waren einmal Nasentropfen und Nasenspray und wollten wissen, ob die Wirkstoffe überhaupt da drin sind, die laut Internetseite drin sein sollen. Einer dieser Wirkstoffe ist ein Protein, das nennt sich EPO. Nach dem haben wir letzten Endes in einem Labor suchen lassen. Und das erstaunliche Ergebnis war, dass in beiden Proben kein EPO nachgewiesen werden konnte. Und jetzt kommen wir zu dem Straftatbestand zu dem möglichen. Diese Arzneimittel brauchen keine Zulassung. Dafür müssen sie aber individuell für einen bestimmten Patienten hergestellt werden und dürfen auch nur – so komisch wie das klingen mag – in der Praxis vor Ort verabreicht werden. Das klingt bei Nasensprays ein bisschen merkwürdig, so ist aber die Gesetzeslage. Aber in diesem Fall hat das Kopfzentrum diese nicht zugelassenen Arzneimittel verkauft, sprich nach Draußen gegeben, den Patienten ausgehändigt. Und die Landesdirektion Sachsen, die die Einhaltung des Arzneimittelgesetzes hier überwacht, hat uns damals mitgeteilt, dass das unerlaubte in Verkehr bringen nicht zugelassener Arzneimittel bei Vorsatz eine Straftat darstellt. Und ich weiß, dass dann auch zwischendrin Professor Strauß, der Geschäftsführer der Landesdirektion, wohl versprochen hatte, diese Arzneimittel nicht mehr an Patienten auszuhändigen. Und wir konnten aber mit versteckter Kamera in ein, zwei Filialen dann belegen, dass diese Arzneimittel zu dem damaligen Zeitpunkt nach wie vor an Patienten verkauft worden sind oder uns ausgehändigt worden sind in dem Fall, genau.
ES: Es ist tatsächlich wirklich wahnsinnig kompliziert. Ich erinnere mich, dass wir damals auch gesprochen hatten zu dieser Recherche, zu den Nasensprays. Und ich hatte da ehrlich gesagt so ein bisschen Probleme, das nachzuvollziehen. Also ich musste da echt viel drüber nachdenken, um zu verstehen, was da jetzt eigentlich alles los sein soll. Wie war denn das für dich? Ist meine, du bist ja auch kein Mediziner.
AR: Das stimmt. Ich musste mich in viele Dinge einlesen. Hatte zum Glück viele Experten an meiner Seite, die mich da wirklich gut beraten haben. Ich hatte jederzeit eine Möglichkeit, jemanden zu kontaktieren, zu fragen: "Wie schätzt denn du das ein? Ist das richtig, was das Kopfzentrum dort behauptet? Wie sieht denn das und das aus? Was hältst du von den Wirkstoffen? Wenn wir jetzt bei Behandlungsfehlern - sprechen wir vielleicht noch drüber – sind, bei möglichen: ist das ein Behandlungsfehler? Wie sieht da eigentlich eine OP-Indikation aus?" Also das hätte es sonst auch gar nicht funktioniert. Also ohne die tolle Zuarbeit von den Experten im Hintergrund wären niemals diese Beiträge zustande gekommen.
ES: Ich kann mir auch vorstellen, also so, um diese Komplexität dieser Recherche noch einmal aufzufächern: Wenn du mit mutmaßlich Betroffenen reden willst, dass es vielleicht gar nicht so einfach ist. Also zum einen geht es da ja um sensible Themen: Medizin, Gesundheit. Und zum anderen setzen die sich ja auch einem juristischen Risiko aus, wenn die da sitzen und in die Kamera behaupten: "Das und das ist passiert."
AR: Das stimmt. Wobei ich sagen muss, mit den Betroffenen zu sprechen, war gar nicht so kompliziert gewesen. Ich hatte ganz oft das Gefühl, das vielen ein Stein vom Herzen gefallen ist, dass da nun mal jemand drüber berichtet, dass Dinge jetzt ins Rollen gekommen sind. Ganz viele Patienten haben sich letzten Endes, ich muss es einfach so deutlich sagen, ausgeheult am Telefon. Ich habe ganz bewegende Gespräche geführt mit Patienten, die mir ihren Leidensweg geschildert haben, die also von mutmaßlichen Behandlungsfehlern gesprochen haben, teilweise auch von Lebensgefahr berichtet haben. Ganz viele E-Mails habe ich bekommen. Also das war wirklich... Und das passiert ja immer noch. Also ich kriege nach wie vor Anrufe und und E-Mails von Betroffenen. Das hat mich teilweise sehr bewegt. Ich habe mit Betroffenen gesprochen, die in psychologischer Behandlung gewesen sind. Die also eine misslungene Nasenoperation hatten, sich monatelang nicht auf die Straße getraut haben, die sehr aufwendig rekonstruiert werden mussten, die Nasen der Frauen. Und ja, also das war kein Problem. Aber tatsächlich war es ein Problem, die Leute, die Patienten, die ehemaligen Patienten zu überzeugen, vor eine Kamera zu treten. Einige haben das anonymisiert gemacht. Das fand ich ganz toll. Dass war in unserem zweiten Beitrag. Genau, also für die Frauen war das trotzdem ein großer Schritt noch mal zu rekapitulieren, was da eigentlich passiert ist. Und für mich war das aber letzten Endes auch völlig okay, dass das anonym passiert, klar.
ES: Kannst du denn von einer der Betroffenen noch mal ein bisschen mehr erzählen? Um dann noch mal konkreter zu werden, was die dir erzählt hat, was ihr passiert sein soll?
AR: Ja, mir ist die Geschichte von drei Frauen vor allen Dingen hängengeblieben. Das war, glaube ich, im zweiten Beitrag. Die berichteten davon, dass sie zu Schönheitsoperation angeblich von Professor Strauß überredet worden sind. Das war wohl so, dass alle mit einer krummen Nasenscheidewand in die Acqua Klinik gekommen sind oder ins Kopfzentrum gekommen sind. Und es war also klar: Die Nasenscheidewand muss begradigt werden, weil es Nasenatmungsprobleme gab. Und dabei soll Professor Strauß wohl bei dem Vorgespräch gesagt haben: "Naja, wenn Sie einmal hier sind, dann können wir doch gleich so einen Schönheitseingriff mitmachen. Und sie bereuen das, wenn Sie das nicht gleich mitmachen. Weil auch die Ästhetik ist ja ganz wichtig. Und wie gesagt, das würden Sie bereuen, wenn sie es nicht gleich mitmachen." Und letzten Endes war das so überzeugend, dass die Frauen zugestimmt haben. Ihnen wurde dann auch die äußere Nase korrigiert. Also ein Höcker wurde da wohl abgetragen. Und mussten sie auch selber bezahlen. Also Schönheitsoperation ist keine Kassenleistung. Ich glaub 1.800 Euro ungefähr hat dieser Eingriff gekostet. Moralisch, ethisch natürlich sehr bedenklich, wenn es denn so stattgefunden hat. Aber die Frauen haben auch eine Eidesstattliche Versicherung dazu unterschrieben, dass es genauso abgelaufen ist. Ich habe das übrigens im Nachgang dann auch noch von anderen ehemaligen Patienten gehört. Genau das. Also zu Schönheitsoperationen überredet: "Wenn Sie einmal hier sind, machen Sie’s doch gleich mit." Genau, so soll das passiert sein. Und dann ist es wohl bei dem Eingriff dazu gekommen, dass es dann wohl zu einem Behandlungsfehler gekommen sein soll. Also, dass die Operation schiefgelaufen sein soll. Die Frauen wurden teilweise zwei, teilweise dreimal, glaube ich, dann operiert. Also nachoperiert, Nachoperationen haben dort stattgefunden. Es ist wohl, laut Aussage der Frauen, immer schlimmer geworden. Und letzten Endes haben sie dann irgendwann die Reißleine gezogen, sind zu einem anderen HNO-Arzt in einem anderen Bundesland gegangen. Die Nasen mussten dort aufwendig rekonstruiert werden. Den Frauen wurde ein Teil der Rippe entnommen, und aus Rippenknorpel hat man dann letzten Endes die Nase wieder rekonstruiert. Mit den Frauen bin ich immer noch in Kontakt. Einige sind jetzt mittlerweile ganz zufrieden mit dem Ergebnis. Und bei einer, die wurde jetzt vor kurzem noch mal operiert. Also man hört, wenn man mit ihr spricht, immer noch, dass mit der Nase noch immer nicht alles hundertprozentig in Ordnung ist. Und ich glaube, die sind auch ein Leben lang gezeichnet. Ja, das muss man so sagen. Also die haben nach wie vor Probleme mit ihrer Nase.
ES: Aber also diese Nasenoperationen - Ich meine, es kann ja theoretisch bei jeder Operation auch zu Komplikationen kommen. Das ist ja quasi immer mit inbegriffen.
AR: Absolut!
ES: Das Kopfzentrum behandelt ja total viele Menschen. Da kann es eben auch immer wieder mal zu Problemen kommen, oder?
AR: Das ist absolut korrekt. Also nicht jede Operation, die nicht das gewünschte Ergebnis bringt, ist jetzt gleich ein Behandlungsfehler. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Es ist wohl aber die gehäufte Anzahl an Fällen, die dort auf fällig ist oder merkwürdig ist. Also ich hatte im Zusammenhang mit dieser Recherche auch mit einem Arzt in den alten Bundesländern gesprochen, der [ist] also ein absoluter Spezialist im HNO-Bereich, der selber also auch operiert. Der erzählte, dass eben vermehrt Patienten aus Acqua Klinik gekommen sind, die todunglücklich gewesen sein sollen. Und der hat halt eben festgestellt, dass dort Dinge passiert sein müssen während der OP, die nicht so ganz erklärbar sind. Das heißt also, dass Knochen und Knorpel glaub ich gefehlt haben, an einer Stelle, wo sie eigentlich nicht fehlen sollten. Dessen Eindruck war gewesen, dass dort ein klares Konzept wohl fehlte, um eine bestimmte chirurgische Fragestellung zu lösen. Das war so seine Einschätzung gewesen, und wir hatten in diesem Zusammenhang auch ein Gespräch oder ein Interview geführt mit einer Fachanwältin für Medizinrecht, die also auch einige ehemalige Patienten des Kopfzentrums betreut. Und die sprach halt auch von ganz schlimmen Fällen, die da passiert sein sollen. Unter anderem hat sie von einem älteren Herrn berichtet, dem wurde wohl bei einer Mandeloperation zu viel Gaumensegel entfernt und der konnte danach wohl nicht mehr sprechen, sondern nur noch krächzen. Und das war wohl auch ein Behandlungsfehler, und die Operation war wohl auch nicht indiziert gewesen. Das konnte man wohl in einem gutachterlichen Verfahren dann irgendwie feststellen, genau. Man muss sagen, um noch einmal auf deine Frage zurückzukommen: ist denn immer alles ein Behandlungsfehler? Also Nein, es ist nicht immer alles ein Behandlungsfehler. Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn es eine Abweichung von den Standards, beziehungsweise von den Richtlinien gibt. Das heißt, wenn es zu einer Unterschreitung von fachärztlichen Standards kommt, dann spricht man von einem Behandlungsfehler. Und das ist letzten Endes das Entscheidende. Dann spricht man, wenn das eingetroffen ist, von einem Behandlungsfehler, genau.
ES: Jetzt taucht in diesen Vorwürfen immer wieder der Name Professor Gero Strauß auf. Der ist der Geschäftsführer der medizinischen Einrichtungen, gegen die jetzt ja auch ermittelt wird. Und den hast du eben auch im Zuge seiner Recherchen getroffen? Was hat er dir damals erzählt?
AR: Professor Strauß hat sich einmal einem Interview gestellt. Das war im Rahmen des ersten Beitrages, danach dann nie wieder. Das war ein etwas - wie soll ich sagen – zähes Interview gewesen. Also wir hatten eine Stunde Zeit, oder das Interview ging ungefähr eine Stunde. Ich hatte gar nicht so viele Fragen. Es ging dabei um den Vorwurf Verstoß gegen das Recht auf freie Therapeutenwahl, was wir vorhin hatten. Also Patienten, die angeblich kein Rezept ausgehändigt bekommen haben. Und das Thema unnötige Operationen. Und ich kann mich erinnern, dass er ein sehr eloquentes Auftreten, sehr überzeugend von sich und von den Leistungen, die das Unternehmen halt anbietet. Er hatte für alles eine Begründung gehabt. Das ist übrigens auch das, was ich von vielen Patienten gehört habe, die zum Beispiel nach einer angeblich misslungenen Operation dann das Gespräch mit Professor Strauß gesucht hatten. Dass er immer für alles eine Begründung hat. Und es immer so darstellen konnte, als ob das genauso seine Richtigkeit hätte. Und alles wäre doch in bester Ordnung. So war das auch bei unserem Interview. Hat also, kann ich mich erinnern, keinen einzigen Fehler irgendwie eingesehen. Hat Begründungen versucht zu finden, ohne aber konkret die Fragen irgendwie zu beantworten. Also es war extrem zähflüssig, und ich musste immer wieder nachfragen. Habe ihn also nie so richtig zu greifen bekommen. Es war ein bisschen anstrengend und hat dann, kann ich mir auch noch dunkel erinnern, dann so Begründungen aufgeführt, die ich vor Ort überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Und dann auch nach Rücksprache, zum Beispiel auch mit der KV Sachsen, hieß es auch, die wüssten ehrlich gesagt auch nicht so richtig, was er damit meint. Und das ist das, woran ich mich da noch so erinnern kann, ja.
ES: Ich kann mir aber vorstellen, wenn du da jetzt sitzt, und der Professor Gero Strauß sagt das eine und ist dabei eloquent und dann hast du auf der anderen Seite die mutmaßlichen Betroffenen, die sagen was komplett anderes. Das kann auch schwierig sein, oder?
AR: Für die Betroffenen ist es vor allem schwierig, ja. Die sind ja in einem Abhängigkeitsverhältnis. Die müssen ja ihrem Arzt letzten Endes Glauben schenken. Und wie gesagt, das habe ich immer wieder gehört: Professor Strauß mit seinem sehr überzeugenden Wesen hat die Patienten ja dahingehend gebracht, dass sie glaubten: Ja, das kann halt mal passieren. Und das sei alles völlig normal, was da gerade passiert ist. Also zum Beispiel misslungene Nasenoperationen, die wär gar nicht misslungen oder das kann halt mal passieren, oder das kriegen wir mal in den nächsten Operationen schon alles wieder hin. Und viele dachten dann halt: "Oh Gott, das liegt dann vielleicht wirklich an mir selber." Erst durch die Beiträge ist vielen klar geworden: Oh, ich bin ja gar kein Einzelfall. Das geht noch ganz vielen anderen letzten Endes so.
ES: Und du als Journalist, für dich ist das kein Problem?
AR: Wie meinst du?
ES: Wie gehst du damit um, als Journalist? Wenn du dann eben diese schweren Vorwürfe auf der einen Seite hast und dann jemand anderes, der dir sehr überzeugend sagt: "Das hat alles so seine Richtigkeit."?
AR: Naja, ich gehe erst mal mit einer journalistischen Neutralität an das ganze Thema ran, versuche beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. Wie gesagt, Professor Strauß hat sich einmal einem Interview gestellt. Bei den anderen Beiträgen gab es dann schriftliche Antworten. Im Kern wurden die Vorwürfe von ihm immer zurückgewiesen, natürlich mit Argumenten. Das ist dann eben die Recherchearbeit, die da drinsteckt, nämlich die Vorwürfe einerseits und die Stellungnahmen dazu andererseits immer wieder zu überprüfen und gegenzuchecken. Das habe ich dann auch gemacht. Und das soll dann auch so in den Beiträgen für die Zuschauer so rüberkommen, eben, wie gesagt, beide Seiten. Und aber ich glaube, wenn man mit so vielen Betroffenen spricht, die immer wieder dasselbe erzählen, wenn man mit Experten spricht, die dem zustimmen oder andere Vorwürfe letzten Endes auch bestätigen, ergibt sich dann schon irgendwann ein Gesamtbild letzten Endes, wo man schon das Gefühl hat, dass da einige Dinge nicht so laufen im Kopfzentrum, wie sie eigentlich laufen sollten. Wichtig ist es mir aber auch noch mal an der Stelle zu sagen: Es gilt, obwohl da jetzt eine Durchsuchung stattgefunden hat, und es Ermittlungen gibt, die Unschuldsvermutung. Also noch ist überhaupt nichts bewiesen. Das wird wohl auch noch ein paar Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern, bis man da letzten Endes alle Beweismittel ausgewertet hat. Und ob dann Anklage erhoben wird, das muss man dann auch sehen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung, klar.
ES: Gleichzeitig muss man sagen: Also, du selbst bist jetzt eben schon seit eineinhalb Jahren am Kopfzentrum dran. Und du hast kürzlich noch mal mit Dr. Andree Schwerdtner gesprochen. Der ist Vorsitzender des Berufsverbands der HNO-Ärzte. Und der sagt eben auch, dass diese viele der Vorwürfe schon länger in der Welt seien. Das sagt auch Gabriele Mayer, die hast du eben schon erwähnt, die ist Anwältin für Medizinrecht. Und die sagt auch eben, das hast du auch schon gesagt, sie hat schon zirka 20 Fälle betreut, die eben mit der Kaufzentrum-Gruppe zu tun haben. Und sie sagt, dass nachdem die Razzien bekannt geworden sind, hätten sich viele Mandant*innen auch nochmal bei ihr gemeldet:
Und alle sagen: Wie toll! Endlich wird da nachgeschaut und es soll nicht einfach so weitergemacht werden. Es wird überprüft und viele sagen: Da muss das Handwerk gelegt werden.
ES: Bewiesen ist da natürlich noch nichts. Aber man muss ja eigentlich fragen: Wieso kam es denn dann erst jetzt zu den Razzien?
AR: Ist eine gute Frage. Also zum einen muss man wissen, dass so eine Razzia oder so eine Durchsuchungsmaßnahme, die macht man nicht einfach mal so. Da braucht es viel Vorarbeit. Es braucht viel Ermittlungsarbeit im Vorfeld. Weil ein Richter muss das Ganze letzten Endes absegnen. Und ein Richter wird das nur unterzeichnen, wenn dort wirklich konkrete Tatvorwürfe, wenn die existieren, weil der Schaden, der damit angerichtet werden kann, mit so einer Durchsuchungsmaßnahme für die Gegenseite liegt ja auf der Hand. Das ist ja eine absolut maximale Rufschädigung. Da muss es schon wirklich konkrete Tatvorwürfe geben, so. Und das muss also alles wasserdicht sein, Hand und Fuß haben. Und das dauert halt eine gewisse Zeit. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, das weiß ich von der Landesärztekammer und auch von der KV Sachsen. Das es natürlich in den vergangenen Jahren auch immer mal wieder ehemalige Patienten oder Patienten des Kopfzentrums gab, die sich mit irgendeinem Vorwurf gemeldet haben, teilweise aber nur anonymisiert. Und das ist dann natürlich ganz schwierig für diese Einrichtung, diesen Sachen nachzugehen. Die brauchen Ross und Reiter. Erst dann können die Dinge versuchen zu recherchieren. Wobei auch da muss man sagen, die haben keine Ermittlungshoheit. Also sie können keinen Ermittlungen führen wie eine Staatsanwaltschaft oder wie eine Polizei. Die sind da also sehr limitiert in dem, was die eigentlich machen können. Aber was ich trotzdem auch sagen muss, ist, dass viele der Vorwürfe, wie gesagt, seit Jahren bei Ärzten bekannt waren oder sind und eben auch bei verschiedenen Institutionen und ich mich schon gefragt habe, warum da nicht eher Dinge angeschoben worden sind. Und ich glaube, dass man vielleicht - das ist, aber nur eine Vermutung - manchmal das Gefühl hatte, das sind nur Einzelfälle. Man hat vielleicht das große Ganze nicht gesehen, das hat man dann vielleicht erst gesehen, nachdem die Medien darüber berichtet haben. Wir viele verschiedene Fälle aufgezählt haben, dass man dann vielleicht nochmal genauer hingeschaut hat, als man das vielleicht vorher getan hat. Und ich will da keinem Unrecht tun. Es ist nur eine Vermutung. Und denke, dass das alles dabei irgendwie eine Rolle gespielt hat, letzten Endes. Und vielleicht hat auch der gewisse mediale Druck, auch dazu geführt, das dann Dinge ins Rollen gekommen sind.
ES: Jetzt wird es natürlich auch Patientinnen und Patienten geben, die deinen Beitrag zum Beispiel gesehen haben, deine Beiträge oder eben von den Razzien durch andere Medien erfahren haben. Und ich kann mir vorstellen, dass die jetzt ganz schön verunsichert sind. Was kann man denn tun, wenn man als Patientin vermutet, dass man - sei es jetzt im Kopfzentrum oder auch woanders - falsch behandelt worden ist?
AR: Ja, da gibt es verschiedene Wege, was man tun kann. Ich empfehle dringend, das ist der beste Weg, sich an die zuständige Landesärztekammer zu wenden. Im Fall des Kopfzentrums ist die Landesärztekammer Sachsen zuständig. Die können ein sogenanntes Schlichtungsverfahren anstrengen. Im Rahmen dieses Verfahrens wird dann ein Fachgutachten angefertigt und dieses Schlichtungsverfahren, das ist kostenlos für die Patienten. Und wenn ein Gutachter tatsächlich zu dem Schluss kommt, dass ein Behandlungsfehler vorliegt, dann hat man tatsächlich auch sehr gute Karten, dass der Haftpflichtversicherer der Gegenseite, also des Kopfzentrums, in dem konkreten Fall, dann auch für den Behandlungsfehler aufkommt. Der zweite Weg ist es, sich an die Krankenkassen zu wenden. Also die gesetzlich Versicherten können sich an ihre Krankenkassen wenden. Da gibt es den MDK, den medizinischen Dienst der Krankenversicherungen. Und auch die können ein Gutachten erstellen lassen. Auch das ist kostenlos, hat aber nicht diese Gewichtung wie das Gutachten von der Landesärztekammer. Und wenn man eine Rechtsschutzversicherung hat, dann kann man natürlich auch zum Fachanwalt gehen. Und der kümmert sich dann um alles weitere.
ES: Jetzt hat es im Oktober diese Durchsuchungen gegeben, und da folgt jetzt natürlich ein riesiger juristischer Prozess, wahrscheinlich. Was erwartet denn dann die Beschuldigten im schlimmsten Fall? AR: Ja, das ist schwierig zu sagen. Also auch hier möchte ich noch mal betonen, dass momentan die Unschuldsvermutung gilt für alle Beschuldigten. Wenn man denn alles belegen kann, da wird dann schon einiges zusammenkommen. Alleine für den Vorwurf Abrechnungsbetrug drohen im schlimmsten Fall theoretisch bis zu zehn Jahre Haft. Aber das muss man dann wirklich am konkreten Beispiel dann sehen. Und was dann auch passiert, wenn einem Beschuldigten mehrere Tatvorwürfe bewiesen werden können, wie das dann zu einer Gesamtstrafe zusammengefasst wird. Aber das ist zu früh, da zum jetzigen Zeitpunkt darüber zu spekulieren. Das kann ich momentan wirklich ganz schwer einschätzen. Nun müssen erst mal die Auswertung der Durchsuchung weiteren Ermittlungen folgen und dann wird sich irgendwann klären, ob sich der Tatverdacht bestätigt oder nicht. Aber ich bin selber gespannt, was am Ende dann dabei rauskommen würde.
ES: Albrecht Radon, ich danke dir, dass du dir die Zeit genommen hast!
AR: Danke dir!
ES: Das war der Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Alle Informationen zum Kopfzentrum, die finden Sie auf mdr.de. Da finden Sie auch die Filme von Albrecht Radon. Dazu geben Sie in der Suche "Kopfzentrum" ein und können dann zu den Videos herunterscrollen. Die nächste Folge dieses Podcast, die erscheint in zwei Wochen und zwar am 18. November. Bis dahin freuen wir uns, wenn Sie diesen Podcast abonnieren. Sie können das zum Beispiel in der ARD Audiothek und in allen Podcatchern tun. Wenn Sie uns über Apple Podcast hören, dann können Sie da auch eine Rezension hinterlassen. Oder Sie schicken uns einfach eine E-Mail an investigativ@mdr.de. Machen Sie es gut und bleiben Sie gesund!
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 19. Oktober 2022 | 20:15 Uhr