MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (FOLGE 112) Gedenken an DDR-Unrecht – Streit um Hoheneck

Audiotranskription

06. September 2024, 11:30 Uhr

Und dann kam Hoheneck, und da war auch ein Schock. Also in meiner Zeit war es halt total überfüllt. Totale Enge. Überall, wo man hintreten wollte, stand schon eine Frau. Also, ich kam in die erste Szene und war Bodenschläfern. Ja, ich sage immer ich halte bestimmt kein gutes Bild von der DDR. Ob es das halte ich nicht für möglich gehalten, wie die Frauen da untergebracht wurden. Es war alles grau, trist, schlechte Ernährung, ja und natürlich Schikane.

Karin Leberwurst MDR exakt, 17.07-2024

 

SK

Das war Karin Leberwurst, 1974, als 19-Jährige saß sie als politische Gefangene im Gefängnis Hoheneck in Sachsen. Erst in diesem Jahr - 35 Jahre nach Mauerfall - gibt es hier eine Gedenkstätte, die an das Leid Tausender zu Unrecht eingesperrter Frauen erinnert. Und damit herzlich willkommen zur MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche jeden zweiten Freitag in der ARD Audiothek und da, wo sie ihre Podcasts am liebsten hören.

In diesem Podcast geht es um die Recherchen von Kolleginnen und Kollegen, was noch passierte, als die Kamera aus war und um ihre persönlichen Eindrücke.

Ich bin Secilia Kloppmann. Und bei mir ist Tom Fugmann.

  

SK

Tom. Ich habe es gerade gesagt. Es hat wirklich sehr lange gedauert, bis überhaupt an das Leid tausender Frauen in Hoheneck mit einer Gedenkstätte erinnert wird. Hoheneck war ein Frauengefängnis. Neben Straftäterinnen saßen hier zu DDR-Zeiten auch rund 8000 Frauen aus politischen Gründen so wie die Karin Leberwurst. Die mussten Zwangsarbeit leisten. Die waren unter schrecklichsten Umständen, über die dann auch noch sprechen, untergebracht. Wir haben übrigens für alle die es interessiert, auch in diesem Podcast bei MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche schon vor zweieinhalb Jahren in Folge 47 im März 2022 über diesen Streit um die Gedenkstätte und den Ort. Und das Erinnern an dieses Unrecht gesprochen. Im Juli n diesem Jahr ist die Gedenkstätte nun von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eingeweiht worden. Aber Ruhe ist trotzdem nicht, oder?

 

Tom Fugmann (TF)

Zeitzeugin Konstanze Helber spricht in der Gedenkstätte Hoheneck
Zeitzeugin Konstanze Helber spricht in der Gedenkstätte Hoheneck mit Bundespräsident Steinmeier Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Willnow

Nein. Also Ruhe ist nicht eingekehrt. Ich meine, es war zum einen eine sehr würdige und feierliche Eröffnung im Beisein des Bundespräsidenten, vieler Frauen, die dort inhaftiert waren, und natürlich allerlei Politiker aus den enstrechenden Orten. Erst am Sonntag (Anm. der Red.: 25.8.24) aber fand dort eine Veranstaltung statt, die bei den allermeisten der ehemaligen Hoheneckerinnen, also der Frauen, die dort eingesperrt waren und sich dieser Gedenkstätte heute noch verbunden vielen fühlen - das sind natürlich vor allem die Frauen oder eigentlich nur die Frauen, die aus politischen Gründen eingesperrt waren - also diese Veranstaltung vom letzten Sonntag, stieß auf absolutes Missfallen der meisten Frauen, und zwar hat dort Peter Hahne, der ehemalige ZDF-Moderator, der inzwischen als Buchautor und Redner durch die Lande tingelt, eben dort auch auf Einladung der AfD gesprochen, und zwar im ehemaligen Gefängnisinnenhof. Und er hat sich auch nicht davon abhalten lassen, obwohl viele der Frauen an ihn appelliert haben, das nicht zu tun.

 

SK

Das war am 25. August, also vor wenigen Tagen. Die Form war ein Gottesdienst, so wurde es zumindest angemeldet. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe…

 

TF

Feierliche Eröffnung der Gedenkstätte Hoheneck mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Stollbergs OBM Marcel Schmidt bei der Eröffnung der Gedenkstätte Bildrechte: picture alliance / ZB

Also es wurde als Gottesdienst angemeldet. Was übrigens interessanterweise natürlich dann auch die, sagen wir mal Einflussmöglichkeiten begrenzt, wenn es darum geht, Auflagen für diese Veranstaltung, sagen wir mal, zu etablieren, weil Gottesdienste natürlich versammlungsrechtlich freier sind. Und interessanterweise ist er auf diese Schreiben dieser Frauen, die ihn eigentlich gebeten haben, dort nicht aufzutreten, gar nicht inhaltlich konkret eingegangen. Er hat zwar gesagt, es hätte ihn beeindruckt, was die Frauen ihm geschrieben haben. Ich könnte auch mal aus einigen dieser Schreiben zitieren: Ja, also zum Beispiel das schrieben mehrere Frauen explizit an Peter Hahne gerichtet: ‚Im Erdgeschoss und im Keller des Zellen-Hauses befinden sich auf der Seite zum Innenhof die Arrestzellen, wo Frauen bei Kälte und Essenentzug total isoliert, zum Teil in Dunkelheit und fixiert Tage, Wochen oder monatelang leiden mussten. Auf diesem Innenhof mussten Frauen unter permanenter Ansage links links, links zwei, drei, vier im Kreis marschieren. Das nannte sich Freigang. Wir würden und sehr freuen, wenn wir ihnen das während einer Besichtigung der Gedenkstätte zeigen könnte und laden sie ein. Und dann kommt aus Respekt vor diesen Frauen ist es unser Anliegen, dass an diesem Ort keine Veranstaltung stattfinden.‘ ‚Denkstätten sind Orte der Ruhe und Besinnung. Wir sehen darin keinerlei Problem für die Meinungsfreiheit, können sie doch jeder Veranstaltung problemlos an jedem öffentlichen Ort ausüben. Für uns ist es ein Thema der Würde. Deshalb bitten wir Sie, den Versammlungsort zu ändern. Wir hoffen auf Ihr Verständnis. Ein ähnliches Schreiben gibt es auch an den Oberbürgermeister, auch einer ehemaligen politischen, einer Frau, die dort aus politischen Gründen inhaftiert war, zwei Jahre lang, die dort auch im Gleichschritt marschieren musste, den Oberbürgermeister auch Bart davon, Abstand zu nehmen.

 

SK

Ich hab mir - kann man auf YouTube anschauen und anhören diese Rede- habe ich auch in Teilen gemacht. Und es war schon auffällig, dass er diese ganze Diskussion um diese Veranstaltung sehr aufgenommen hat in dieser Rede von dem, was ich dort mitgenommen habe. Das unterscheidet sich jetzt fundamental von dem, was du mir erzählst, weil er hat ja die ganze Zeit gesagt ‚Ich verbeuge mich vor diesen Frauen‘, und sie hätten ihre Schicksale mit ihm geteilt. Und dann hat er auch noch als eine Art Zeugin, eine frühere Insassinnen aufgerufen, die auch vor Ort war, Tatjana Sterneberg, die ihn da unterstützt hatte. Das Gefängnis Hoheneck muss dann vielleicht noch einmal sagen, ist in der Stadt Stollberg im Erzgebirge in Sachsen, und der dortige Oberbürgermeister Marcel Schmidt ist von den Freien Wählern. Er ist  schon sehr lange Oberbürgermeister, und auch der hat diese Veranstaltung unterstützt.

 

TF

Tatjana Sterneberg - in der Tat war in Hoheneck auch inhaftiert. Aber es ist so, dass diese Frauen, die dort inhaftiert waren aus politischen Gründen und quasi sich um das Andenken oder um die Gedenkstätte bemühen, die sprechen natürlich alle nicht mit einer Stimme. Der überwiegende Teil der Frauen wollte das dort nicht. Ich habe extra mit Dieter Dombrowski noch mal Kontakt aufgenommen. Das ist der Vorsitzende der Union der Opferverbände der kommunistischen Gewaltherrschaft. Dort sind also quasi, wie der Name schon sagt, die Opferverbände der DDR organisiert. Und er hat mir explizit noch einmal gesagt, dass bei allen 50 Opferverbänden, die bei ihm in der Organisation organisiert sind, die Meinung vorherrscht, man solle in Gedenkstätten keine politischen parteipolitischen Veranstaltungen abhalten, die die Würde dieses Ortes in irgendeiner Weise beschädigen können. Und Dieter Dombrowski hat es dann doch etwas drastisch ausgedrückt. Das wäre so, als wenn man in der Gedenkstätte Sachsenhausen jetzt auf die Idee käme, da öffentlich Bratwurstgrillen oder was auch immer zu machen. Denn es ist auch so, dass an den Gedenkstein, der an die Frauen erinnert, die in Hoheneck inhaftiert waren, von denen nicht alle die Haft überlebt haben. An dem Gedenkstein hatte auch bei der Eröffnung Bundespräsident Steinmeier einen Kranz niedergelegt, zusammen mit ehemaligen inhaftierten Frauen. Dort wurde einfach Bratwurst gegrillt. Dann schmissen irgendwelche Leute ihre Jacken über diesen Gedenkstein. Also die Würde dieses Ortes ist dort nicht gewahrt gewesen.

 

Stollberg und die Gedenkstätte Hoheneck
Der Gefängnishof in Hoheneck Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Was ist jetzt eigentlich das Problem mit Peter Hahne?  Peter Hahne war viele Jahre lang als Nachrichtenmoderator beim ZDF. Der hat sich einen Namen als kritischer Kommentator gesellschaftlicher und politischer Themen gemacht.  In seinen aktuellen Büchern thematisiert der 71-Jährige unter anderem die seiner Meinung nach übertriebene politische Korrektheit - insbesondere zum Thema Gendern,  "Bürokraten-Terror" oder die Corona-Politik. Kritiker werfen dem 71-Jährigen mittleweile Rechtspopulismus vor. Leute, die uns vielleicht nicht nur zuhören, sondern vielleicht auch manchmal im Fernsehen schauen, wissen, vor kurzem war der auch im MDR Riverboat zu Gast und hat dort den Verfassungsschutz als „Haldenwangs Stasi“ bezeichnet. Und eben das, was du Politikerschelte nennst - alles sind ja eigentlich Idioten. Das hat er dann mit einetr seltsamen Erklärung erklärt, warum man Idioten sagen darf ...Wo ist jetzt das Problem bei ihm deiner Meinung nach?

 

TF

Ja, zum einen finde ich es generell ist schwierig, Politiker als Idioten hinzustellen,   weil da letztendlich eine Demokratieverachtung draus da wird sozusagen Demokratieverdrossenheit gefördert. Von jemandem, dem ich genügend Intelligenz zutraue, es eigentlich besser zu wissen und es aber trotzdem zu praktiziert.

SK

Jetzt war die Veranstaltung mit Peter Hahne nicht die erste Veranstaltung, die den früheren Insassinnen sauer aufgestoßen ist . Anfang des Jahres, wir erinnern uns, gab es überall im Land Bauernproteste. So auch dort. In Stollberg, im Erzgebirge. Und auch die waren nicht zum Beispiel auf dem Marktplatz von Stollberg, wo man die hätte auch machen können, sondern auch die waren in diesem Gefängnis-Innenhof in Hoheneck. Wie wie erklärt sich das, Tom?

 

TF

Es ist bei beiden Veranstaltungen so gewesen, wie mir von sozusagen interessierter Seite zugetragen wurde, dass diese Veranstaltungen ursprünglich für den Markt in Stollberg angemeldet worden waren. Sowohl die Veranstaltung der AfD als auch der Bauernprotest. Und der Bürgermeister Marcel Schmidt von den Freien Wählern hat aber den Leuten gesagt, sowohl von der AfD als auch den Bauern, geht doch hoch nach Hoheneck, macht es doch auf dem Areal der Gedenkstätte, wo Frauen der DDR gelitten haben, und übelst drangsaliert worden sind, wenn dort solche Veranstaltungen stattfinden, man sich auch mit diesen Veranstaltungen quasi in eine Traditionslinie stellt, nahe zu diesen Frauen.

SK

Es gibt ja die Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Da gehören zum Beispiel auch ehemalige Gefängnisse wie Torgau und Bautzen dazu. Was sagen die denn eigentlich zu diesen Veranstaltungen in Hoheneck? Und jetzt mal platt gesagt, können die denn da gar nichts dagegen machen?

 

TF

Die Leute von der Gedenkstättenstiftung finden das empörend. Ihnen sind aber die Hände gebunden, weil das Areal gehört, der Stadt. Die Stadt hatte ein Modell gefunden, eine gGmbH, die die Trägerschaft hat für dieses Areal dort und damit hat sie die Hoheit, solche Veranstaltungen dort stattfinden zu lassen oder eben auch nicht. Alle anderen, die Stiftung Sächsische Gedenkstätten oder auch die ehemaligen Insassinnen können nur appellieren. Wenn aber der Bürgermeister und der Stadtrat der Meinung sind, davon lassen wir uns nicht beeindrucken, dann kann das alles dort stattfinden.

 

SK

Für Hörerinnen und Hörer, die noch nie was gehört haben von diesem Gefängnis... Wir haben gesagt, das ist in Sachsen, in einer Stadt namens Stollberg im Erzgebirge. Wie muss man sich diesen Gefängniskomplex, den es ja schon seit dem neunzehnten Jahrhundert gibt vorstellen? Ist das was, was das Ortsbild auch beherrscht?

 

TF

Ja, also das liegt oberhalb der Stadt, dieses Areal, das ist sozusagen eine ehemalige Ritterburg. Aus dem dreizehnten Jahrhundert, war im sechzehnten Jahrhundert das Jagdschloss des sächsischen Kurfürsten und dann zuerst Zuchthaus für Frauen. Dann kamen auch Männer dazu. Im Dritten Reich war es ein Zuchthaus für Jugendliche und Männer - und auch mit wirklich üblen Aspekten, die dort stattgefunden haben. Das ist ein großer Gebäudekomplex mit einem großen Innenhof. Es ist schon ein sehr beeindruckendes Areal. Also das war eben zu DDR-Zeiten, dann eben nur Gefängnis.

 

Eine Tafel mit Namen und Zahlen 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

SK

Zu DDR-Zeiten war das ein reines Frauengefängnis. Man sagt, in der gesamten Zeit bis 1989 haben dort rund 24.000 Frauen eingesessen, 8.000 aus politischen Gründen wie Karin Leberwurst, über die wir gleich auch noch sprechen... politische Gründe - Tom, was konnte das sein in der DDR? Was war das?

 

TF

Naja, da gab's ja Umschreibungen für diese Art von Vergehen, die den Frauen dann vorgeworfen worden sind. Also ich kann da auch mal zitieren, wie man das dann so genannt hat, also zum Beispiel landesverräterische Agententätigkeit, natürlich versuchte Republikflucht war, glaube ich, der häufigste Grund, illegale Verbindungsaufnahme ähnliche Delikte, der also, das heißt Fluchtversuch in den Westen oder auch nur das Stellen eines Ausreiseantrags. Das konnte schon bedeuten, dass man dort eingesperrt wurde.

 

SK

Wie gesagt, insgesamt waren es 24.000 Frauen, die saßen wegen Mord, betrug, Totschlag und so weiter. Ich habe auch gelesen, dass es besonders perfide war, dass man auch gerade die politischen Gefangenen dann vermischt hat, zum Beispiel mit Schwerverbrecherinnen, um die auch zu quälen. Und ich habe gelesen, 1990, also kurz nach dem Fall der Mauer, saßen in Hoheneck noch drei Frauen, die während der NS-Zeit KZ-Aufseherin waren. Die waren lebenslang verurteilt.

 

TF

Stollberg und die Gedenkstätte Hoheneck
Eine Zelle in der Frauen zur Bestrafung eingesperrt wurden. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Es sind in den ersten Jahren von Hoheneck dort Frauen eingesperrt worden, die noch von der sowjetischen Militäradministration verurteilt worden sind. Also 1949 ist ja bekanntlich die DDR gegründet worden, danach war das ein DDR-Gefängnis. Wahrscheinlich saßen dann auch Frauen ein, die Wärterin im Konzentrationslager waren. Der überwiegende Teil dort, aber auch, der dort von der sowjetischen Militäradministration verurteilt wurde. Das waren politische Gründe, die eigentlich nichtig waren, also zum Beispiel nicht selten wurden diese Frauen dann bis zu 25 Jahren verurteilt und aus völlig willkürlichen Gründen zum Beispiel Spionageverdacht, antisowjetische Propaganda oder Beihilfe zum Landesverrat. Das war eine Art Gummiparagraf - das konnte alles bedeuten.

 

SK

Und eine dieser Frauen. Wir haben sie schon gehört und auch immer schon mal angesprochen, die heißt Karin Leberwurst, die hast du begleitet bei ihrem Besuch in Hoheneck, bevor wir auch noch einmal länger reinhören, was sie uns erzählt über ihren Aufenthalt … Was ist die Geschichte von Karin Leberwurst? Warum war die dort eingesperrt? In Hoheneck?

 

TF

Ja, vielleicht noch. Ich habe sie auch zu Hause besucht, vorher. Karin Leberwurst war 19 Jahre alt, als ihre Freundin in den Westen wollte. Wohlgemerkt nicht sie selbst, sondern ihre Freundin. Und das ist aufgeflogen, wurde verraten. Und daraufhin wurde Karin Leberwurst wegen, ich glaube, wenn ich das jetzt richtig Erinnerung habe, „Beihilfe zum Landesverrat“ nannte man das damals,verurteilt. Und kommt jemand aus Dresden, mit 19 Jahren, ein junges Mädchen dahin, in ein Zuchthaus und trifft dort auf Frauen, die wegen Mordes verurteilt worden waren, dort einsaßen. Das war für sie ein Schock, hat sie mir erzählt. Und sie hat mir auch gesagt, besonders beeindruckend war, dass sie oder auch im Nachhinein dachte, da gibt es noch eine Art von politischer Indoktrination, und die Leute werden quasi auf DDR-Linie gebracht. Aber es hat alles überhaupt nicht stattgefunden. Man hat die Leute dort verwaltet, eingesperrt. Die mussten harte Zwangsarbeit leisten, die hygienischen Bedingungen und alles andere Wahlen wirklich übel.

 

SK

Wir hören jetzt noch mal rein in das Gespräch mit Karin Leberwurst.

 

Dann kam Hoheneck und da war Hoheneck wirklich ein Schock. Also in meiner Zeit war es halt total überfüllt. Totale Enge. Überall wo man hintreten wollte, stand schon eine Frau. Ich kam in die erste Zelle und war Bodenschläfer. Das war eigentlich das der erste Moment, wo man gedacht hat, Das ist jetzt hier nicht wahr, das gibt's nicht. Ich sage immer, ich hatte bestimmt kein gutes Bild von der DDR, aber das hätte ich nicht für möglich gehalten, wie die Frauen da untergebracht wurden. Es ging in erster Linie darum, dass wir gearbeitet haben, sechs Tage die Woche im Dreischicht-System, und ansonsten sind wir verwahrt worden. Es war alles grau, trist. Trist. Schlechte Ernährung und natürlich Schikane.

Karin Leberwurst MDR exakt, 17.07.2024

 

SK

Ich habe gelesen, da waren zeitweise bis zu 1100 Frauen inhaftiert. Ausgelegt ist das Gebäude wohl für 600 Häftlinge. Also kann man sich vorstellen, was Karin Leberwurst da erlebt hat. Und sie hat ja auch erzählt sie hat Zwangsarbeit leisten müssten im Drei-Schicht-System. Sechs Tage die Woche. Was mussten die Frauen machen? Tom in Hoheneck

 

TF

Die haben vor allen Dingen Bettwäsche und Strumpfhosen genäht. Und das sind natürlich Dinge gewesen, die dann in den Westen exportiert worden sind. Also die Frauen, die dann irgendwann durch Freikauf in Westen gelangt sind, haben dann dort zum Teil in den Supermärkten und Kaufhäusern, bei Woolworth oder bei was es da alles gab Karstadt und Quelle haben die die Strumpfhosen gesehen, die sie in Hoheneck zusammengenäht haben. Und für den Westen war das natürlich ein super Geschäft - und für die DDR natürlich auch. Weil der Arbeitslohn für die Frauen war quasi... Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt welchen gab, wenn ja, dann minimal. Also das war sozusagen dann noch mal so eine besondere Perfidie.

 

SK

Für alle, die sich das auch noch mal anschauen wollen, neben natürlich dem Beitrag den Tom Fugmann gemacht hat - den kann man finden in der ARD-Mediathek. Aber ich habe noch einen anderen Hinweis: Es gibt eine Web Doku auf MDR DE, die heißt „ Der Hoheneck-Komplex“ und ist sehr sehenswert. Diese Gedenkstätte, die jetzt eröffnet hat, um die gab es sehr, sehr lange Uneinigkeit und Streit. Wo lag denn jetzt eigentlich das Problem bei dieser Gedenkstätte, Tom?

 

Ein hoher Zaun mit Stacheldraht. 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

TF

Naja, ich glaube, es sind für mich in der Wahrnehmung zwei Aspekte: Zum einen, die konkreten, dass sozusagen man lange nicht wusste, was man mit diesem Areal machen soll. Zwischendurch gab es jemand, der das gekauft hatte, der so eine Art Erlebnishotel dort einrichten wollte. So nach dem Motto „Hotelzimmer wie Zellen und Grusel“. Das zerschlug sich zum Glück. Und dann natürlich als klar war, dass der Weg zur der Gedenkstätte irgendwann geebnet war, musste das Geld aufgetrieben werden. Es gab wohl auch noch Personalveränderungen, dass der jetzige Leiter der Gedenkstätte, der das auch erst seit einer Weile macht. Davor war das jemand anderes und da musste eben wirklich geguckt werden, wie macht man das, den Ort würdig zu gestalten? mit dem Mitteln und so weiter und so fort. Also, kurzum, das sind so die konkreten Sachen. Naja, gut, und generell kann man natürlich so ein bisschen darüber spekulieren, ob es etwas auch aussagt über den Umgang der Gesellschaft mit dem Erbe und auch dem unguten Erbe der DDR, das eben es so lange gebraucht hat, bis diese Frauen, die dort inhaftiert waren, einen würdigen Ort für das Gedenken bekommen haben, der daran erinnert, was dort war. Ich meine, es gibt einige Gedenkstätten, die daran erinnern, also die Gedenkstätte Hohenschönhausen in Berlin, das ehemalige Stasi-Gefängnis Gedenkstätte Torgau. Aber jetzt haben die Frauen auch einen Ort.

 

SK:

Liegt es eigentlich daran, dass es Frauen waren, die inhaftiert werden?

 

TF

Das denke ich nicht. Also ich denke einfach, es ist ja ein riesen Areal, muss man auch sagen. Ich denke einfach, da sind die Kosten noch mal anders gewesen. Es liegt etwas abseits, auch an der Peripherie. Ich glaube nicht, dass es etwas damit zu tun hat, dass dort Frauen inhaftiert waren.

 

SK

Stollberg ist ein kleiner Ort, hat 12.000 Einwohner. Es ist natürlich für so eine Gemeinde auch eine große Aufgabe. Jetzt ist es so, wir haben es gerade gesagt, es gibt jetzt endlich eine Gedenkstätte seit diesem Sommer. Was kann man da jetzt sehen, wenn man da hinkommt?

TF

Ja, das ist schon sehr eindrucksvoll. Man kann die ehemaligen Zellen besichtigen, die sind quasi ja rekonstruiert. Klingt jetzt natürlich so ein bisschen komisch, aber es sind ja seit dem Mauerfall 35 Jahre vergangen. Da ist natürlich einiges verfallen. Also bekommt man einen Eindruck, unter welchen Bedingungen die Frauen dort eingesperrt waren. Und dann gibt es auch eine sehr, wie ich finde, eindrucksvolle Ausstellung, die auch zum einen anhand von Ausstellungsstücken eben illustriert, wie das zuging. Die Zwangsarbeit, welche Produkte dort erzeugt gezeugt worden sind, mit welchen Geräten und primitiven Geräten dort die Frauen in Hoheneck arbeiten mussten. Und dann gibt es aber auch so multimediale Installation, wo man zum Beispiel die Geschichte der betroffenen Frauen sieht. Da sind die Fotos der Frauen, von Karin Leberwurst ist dort ein Foto, welches angefertigt wurde, als sie verhaftet wurde, wo sie da mit 19 Jahren einem entgegen blickt. Und dann werden die Schicksale dieser Frauen erzählt. Das ist insgesamt eine sehr eindrucksvolle Ausstellung, die einfach sozusagen erzählt, was dort stattgefunden hat.

 

SK

Jetzt ist es also eingeweiht worden. Heißt das, jetzt die Gedenkstätte normal geöffnet? Kann ich die morgen besuchen?

 

TF

Nein. Es ist so, dass es auch kurz vor der Eröffnung noch Streit ums Geld gab. Der Oberbürgermeister von Stollberg, der vorhin schon erwähnte Marcel Schmidt hatte ein Konzept miterarbeitet für die Gedenkstätte. Und da sind hohe Kosten aufgerufen worden, die nötig wären, um diese Gedenkstätte auskömmlich zu betreiben. Letztendlich bekam die Gedenkstätte 700.000 Euro für das erste Jahr anteilig vom Land und vom Bund. Damit wurden Stellen finanziert. Aber jetzt ist es eben so, die Gedenkstätte wird erst demnächst öffnen. Auf der Homepage heißt es etwas wolkig, Mitte/ Ende August voraussichtlich also. Das heißt, die müsste eigentlich wieder offen sein. Aber hier stehen keine Öffnungszeiten. Und die Vorstellung, die uns der Oberbürgermeister im Interview gesagt hat, war, dass man sich dannbei der Stadt Stollberg anmelden müsse. Und dann würde man Führungen organisieren. Also es ist wohl nicht so, dass man dort hingehen kann und kann sich die Gedenkstätte anschauen. Die ist also nicht ständig geöffnet, scheinbar. Andere Gedenkstätten kriegen das ja auch hin. Warum es in Stolberg nicht geht, entzieht sich so ein bisschen meiner Kenntnis.

 

SK

Du hast grad gesagt 700.000, Euro. Ich habe gar keine Ahnung. Ist es jetzt viel oder ist es wenig?

TF

Wir hatten ja dazu auch bei der Stiftung Sächsische Gedenkstätten nachgefragt. Und dort hieß es, das wäre die zweithöchste Summe an Förderung, die eine Gedenkstätte bekommen würde, in Sachsen. In Sachsen gibt es noch Torgau, habe ich schon genannt, die Gedenkstätte, es gibt Bautzen, das ehemalige Gefängnis, es gibt Kasberg, das ist in Chemnitz. Dort waren die Leute untergebracht, das ehemalige Stasi-Untersuchungsgefängnis, kurz vor der Ausreise in den Westen. Das heißt, es gibt mehrere Gedenkstätten, und Hoheneck kommt eine vergleichsweise hohe Summe, mit der man eigentlich eine Gedenkstätte betreiben könnte. Und auch so, dass sie ständig für den Besucherverkehr geöffnet ist. Warum das nicht möglich ist, ob die Stadt niemanden abstellt oder so, das wie gesagt, weiß ich nicht.

 

SK

Auf dem Gelände ist ja nicht nur die Gedenkstätte, da sind ja noch zwei andere Veranstaltungsbereiche, die werden von der Stadt betrieben. Oder sind die privat?

 

TF

Die sind städtisch soweit ich weiß. Es gibt da ein Kindertheater und Jugendtheater und ein Museum. Und der Gedanke, der, sagen wir mal durchaus, ja auch richtig ist, scheint jetzt zu sein, wenn man einmal an einem solchen Ort ist, dass man sich dann da vielleicht verschiedene Sachen schaut, dass die Stadt das vielleicht auch so ein bisschen etablieren will. Das finde ich durchaus in Ordnung. Ob das dann am Ende so aufgeht, muss man sehen.

 

SK

Und die Frauen, die Opfer, die zu Unrecht eingesperrten Frauen, sind, die da okay mit dem Kindertheater und dem Museum?

 

TF

Die Frauen haben das zum Teil etwas kritisch gesehen. Zum Beispiel, dass das Kindertheater und das Museum noch vor der Gedenkstätte eröffnet wurden. Aber ich finde, das würde ich jetzt nicht so sehr bewerten. Weil am Ende spielt es keine Rolle. Und wie gesagt, ist es ein sehr großes Areal. Alles hat dort Platz, und es sind ja auch keine Einrichtungen, ein Kindertheater und ein Museum, die dem Gedanken einer Gedenkstätte zuwiderlaufen. Also ich finde, das kann alles nebeneinander existieren.

 

SK

Natürlich sind diejenigen, die, die das überhaupt noch erleben, froh. Das sieht das überhaupt noch erleben. Deswegen spielen wir zum Schluss noch mal einen Ton von Karin Leberwurst und der sage ich ein herzliches Dankeschön.

Dankeschön. Secilia

 

O-Ton Karin Leberwurst, ehem. Inhaftierte

Das bedrückt mich auch, dass vor allen Dingen die Frauen, die 1950 da aus Sachsenhausen hingebracht wurden, die vom SMT, also sowjetischen Militärtribunal verurteilte Frauen, dass die das ja zum allergrößten Teil gar nicht mehr erleben, wenn. Wenn alles gut geht, haben wir da zwei Frauen jetzt, die das noch erleben. Und sie waren eigentlich die großen Kämpferinnen dafür.

Eine Frau auf einer Wiese. 3 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

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