MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche (Folge 73) Kohleabbau - ist Mühlrose das neue Lützerath?
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Mühlrose in Sachsen soll dem Braunkohletagebau weichen. Aber ob tatsächlich gebaggert werden darf, steht noch nicht fest. Dabei wurden viele Bewohner bereits umgesiedelt. Warum?
ES (Esther Stephan): Der Kampf um die Braunkohle hat sich im Januar im nordrhein-westfälischen Lützerath zugespitzt. Die Aktivist*innen vor Ort fürchteten: Wenn Lützerath abgebaggert wird, dann wird das nichts mehr mit dem 1,5-Grad-Ziel für Deutschland. Und während in Lützerath Tausende von überall her kamen, um zu demonstrieren, ist es im sächsischen Mühlrose überraschend leise. Dabei mussten auch hier Menschen ihr Dorf für die Kohle verlassen. Sie hören "MDR Investigativ - Hinter der Recherche" und hier sprechen wir mit Journalist*innen über ihre Recherchen. Dazu schauen wir uns das Thema an, aber eben auch, was die Journalist*innen während ihrer Arbeit erlebt oder gelernt haben. Ich bin Esther Stephan, und ich arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks.
Friederike Rohmann war in Mühlrose, und wir sprechen heute über Braunkohleabbau in Ostdeutschland. Hi!
FR (Friederike Rohmann): Hallo Esther!
ES: Als wir ausgemacht haben, miteinander zu sprechen, habe ich als Allererstes auf so einen Notizzettel aufgeschrieben "Mühlrose, Lützerath?". Ist Mühlrose das neue Lützerath?
FR: Ja, so sind wir ja so ein bisschen auf die Recherche gekommen. Oder ich bin auf die Recherche so gekommen, dass ich am Anfang des Jahres dachte: Na in Lützerath ist es, wie du gerade schon sagtest, so laut. Aber das ist ja nicht das letzte Dorf, was wegen der Kohle abgebaggert werden soll. Auch wir haben ja hier bei uns in Sachsen riesige Braunkohlegebiete. Wie sieht eigentlich bei uns aus? Und bin dann auf Mühlrose gekommen, weil es da immer heißt dass das eines der Dörfer, wenn nicht sogar das letzte Dorf sein soll, in Deutschland, das der Kohle weichen muss. Und um auf deinen Frage zu antworten, ist Mühlrose das neue Lützerath, muss sich von vornherein sagen: Nein, ist es nicht. Denn der entscheidende Unterschied zwischen Lützerath und Mühlrose ist der, dass es in Lützerath tatsächlich eine Genehmigung gibt zum Abbaggern der Kohle unter Lützerath. In Mühlrose gibt es diese Genehmigung noch nicht.
ES: Diesen Konflikt, den schauen wir uns nachher auch noch einmal an. Ist es denn vergleichbar mit dem rheinischen Braunkohlegebiet? Ich weiß, ich war selber mal da, das ist diese unfassbar große Fläche, wenn man da an der Kante steht, das kann man eigentlich gar nicht vorstellen. Ist es in Sachsen auch so, dass es wirklich so riesengroß ist? Also in der Fläche auch?
FR: Ja, Mühlrose liegt am Tagebau Nochten. Das ist auch so ein riesiger Tagebau. Also ein Loch in der Erde. Wir standen auch dort und haben dort auch gedreht, und das war jetzt für mich das erste Mal, dass ich an so einem Braunkohletagebau stand. Aber trotzdem ist es total überwältigend. Und ich denke schon, dass es vergleichbar ist. Das Lausitzer Kohlerevier ist nach dem rheinischen Kohlerevier das zweitgrößte Deutschland. Und die Lausitz erstreckt sich über Brandenburg und Sachsen. Und in Sachsen gibt es zwei Tagebauen, die zum Lausitzer Revier gehören, und in Brandenburg auch noch einmal zwei. Und Mühlrose liegt halt am Tagebau Nochten. Das ist so im nördlichen Sachsen, ganz nah an der Grenze zu Brandenburg.
ES: Und auch in Mühlrose mussten jetzt Leute umziehen, obwohl ich das Gefühl hatte, die meisten Leute, die man so bei dir ihr im Film sieht, die scheinen eigentlich ganz glücklich zu sein, dass sie jetzt ein neues Haus bekommen, bei dir ist zum Beispiel Ernst-Gerd Paufler und seine Frau Claudia. Und die leben mittlerweile in Neumühlrose.
Neu ist neu. Wir hatten ja einen alten Kindergarten im Altmühlrose gehabt. Den haben wir auch umgebaut, 1996 richtig. Wurde auch als Neubau gewertet. Aber ich hätte jetzt wieder so viel Geld reinstecken müssen nach 26 Jahren. Der Tagebau ist immer näher gerückt.
Wir konnten uns die Nachbarn aussuchen, wen wir gerne haben möchten, wen wir nicht haben möchten. Aber komischerweise sind sie alle wieder fast zusammengeblieben, kann man sagen und noch enger zusammengerückt. Das ist das Schöne hier in Neumühlrose sage ich mal, dass wir alle enger zusammen sind.
ES: Wie funktioniert das denn eigentlich mit so einer Umsiedlung?
FR: Erstmal zu dem ersten Punkt, dass die meisten Menschen eigentlich ganz happy damit sind, dass sie umziehen konnten, so muss man das formulieren. Das ist auch so meine Wahrnehmung gewesen. Also man muss als Hintergrund dazu wissen, dass diese Diskussion um Mühlrose, was passiert mit dem Dorf? Wird es womöglich abgebaggert oder nicht? Diese Diskussion, die gibt es schon seit Ewigkeiten. Jetzt hole ich mal ein bisschen weiter aus. Seit den 60er-Jahren wird dort in der Gegend Braunkohle abgebaut. Also wirklich noch zu DDR-Zeiten. Und Mühlrose liegt wirklich ganz nah an der Kante vom Tagebau, und der Tagebau ist immer größer geworden. So wie bei vielen anderen Tagebauen eben auch. Dass die sich immer mehr in die Landschaft gefressen haben. Und immer schon stand in Mühlrose zur Diskussion, wird dieses Dorf eines Tages weichen müssen? Dann war es so, dass in den 70er-Jahren tatsächlich schon Teile von Mühlrose abgerissen wurden wegen des Tagebaus. Die Menschen dort, vor allen Dingen die älteren Menschen, die kennen das schon, dass das Dorf zumindest stückweise weichen muss. Und Anfang der 2000er wurde dann diese Diskussion darum: Was passiert in Müllrose, muss dieses Dorf tatsächlich ganz der Kohle weichen, immer lauter und konkreter. Aber es gab nie eine Antwort darauf. Was passiert jetzt tatsächlich? Also es waberte immer so in diesem Dorf herum. Also wir sind direkt an der Abbruchkante. Mühlrose liegt tatsächlich wie so eine Landzunge im Tagebau. Das ist total krass. Also von drei Seiten ist das Dorf umgeben vom Tagebau. Und dann wurde diese Diskussion eben mal lauter und 2014 wurde, im sogenannten Braunkohlenplan, das ist ein Raumordnungsplan, der vom sächsischen Innenministerium genehmigt wird. Und in diesem Plan von 2014, dem Braunkohlenplan, wurde dann festgelegt: Ja tatsächlich: diese Fläche von Mühlrose, da darf prinzipiell gebaggert werden. Was noch lange keine Genehmigung zum Baggern ist. Aber das ist erst mal so. Diese Aussage von: Die Fläche kann prinzipiell ganz grundsätzlich dafür genutzt werden. Das ist, wie wenn man sagen würde: Eine Fläche XY darf prinzipiell für einen landwirtschaftlichen Acker genutzt werden. Oder da darf prinzipiell ein See entstehen, darf prinzipiell auf der Fläche von Mühlrose gebaggert werden. Das wurde 2014 beschlossen. Aber auch dann war noch nicht klar: passiert das jetzt tatsächlich, dass gebaggert wird? Also gibt es irgendwann eine Genehmigung? Und auch wann passiert das? Also die Menschen dort in diesem Dorf, die leben wirklich schon sehr, sehr lange mit dieser Ungewissheit. Und als dann 2019, das Kohleunternehmen, also die LEAG ankam und gesagt hat: Liebe Leute von Mühlrose, wir machen jetzt einen Umsiedlungsvertrag. Und dieser Umsiedlungsvertrag bedeutet, dass wir euch eure Häuser und Grundstücke abkaufen, war das für viele dort im Ort tatsächlich ein Aufatmen, weil die wussten: Jetzt gibt es dann Unternehmen, die geben uns Geld. Wir können mit diesem Geld uns neue Häuser kaufen, ein paar Kilometer weiter entfernt. Und für uns ist unsere Zukunft jetzt erstmal gewiss. Wir haben ein Zuhause, und wir haben so einen Haken dran gemacht. Das muss man, glaube ich, immer so im Hintergrund behalten, dass diese Menschen wirklich sehr, sehr lange im Ungewissen gelebt haben.
Und dann zu der Frage: Wie funktioniert dann eigentlich so eine Umsiedlung? Konkret sieht es eben so aus, dass es diesen Umsiedlungsvertrag gab, 2019. Da hat die LEAG den Einwohnerinnen und Einwohnern von Mühlrose gesagt: Wenn ihr wollt, kaufen wir euch eure Häuser und Grundstücke ab. Wir bieten euch einen Preis dafür. Und so sind dann die Einwohnerinnen und Einwohner einzeln mit dem Bergbauunternehmen in Verhandlungen getreten. Das ist erstmal genau das Gleiche, als würdest du jetzt durch die Stadt laufen und dir würde ein Haus gut gefallen. Und du klopfst an dem Haus an und sagst: wie sieht es aus? Kann ich vielleicht euer Haus kaufen? Und wenn die Menschen, die in diesem Haus wohnen, sagen: ja, okay, warum nicht? Lass uns mal verhandeln über den Preis, dann ist es erstmal okay. Und genau das Gleiche hat letzten Endes, die LEAG auch gemacht. Die hat bei den Menschen gefragt: Können wir euch euer Haus und Grund abkaufen? Dann haben die meisten Menschen dort gesagt: Ja, das könnt ihr. Dann wurde dieses Grundstück und das Haus geschätzt. Und daraufhin wurde eine Kaufsumme vereinbart, und diese Summe hat dann die LEAG den Menschen überwiesen, auf ein sogenanntes Baukonto. Mit dieser Summe konnten sich dann die Menschen entweder im neuen Mühlrose, das ist ein Ort, der ist ein paar Kilometer vom alten Mühlrose entfernt, eine Neubausiedlung, ein neues Haus bauen lassen. Oder manche sind doch in einen anderen Ort gezogen. Aber mit diesem Geld, was die dann von der LEAG bekommen haben, konnten die sich ein Haus so bauen, wie sie es gerne wollten. Also dieses Geld ist schon gebunden an einen Hausbau. Die können mit diesem Geld jetzt nicht einfach sagen: Ich fliege jetzt ein Jahr in den Süden und mache davon Urlaub oder kaufe mir ein tolles Auto oder so. Das war schon gebunden an ein Haus. Aber wie dieses Haus dann aussehen soll und wie das gestaltet ist und wie groß und wie groß der Garten und so, das war dann immer den Menschen selbst überlassen. Und die haben es dennoch gekümmert um eine Architektin und Umbauunternehmen und so.
ES: Ja, aber das ist total gut zu wissen. Weil ich mir das vorgestellt habe, dass die LEAG hinkommt und sagt: Hier wir haben dir hier schon mal ein neues Haus hingestellt, und da kannst du dann jetzt einziehen. Für mich klingt Umsiedlung eigentlich genau nach dem. Aber die hatten da schon sehr viel Mitsprachrecht.
FR: Ich war ja dann auch bei diesem Ehepaar zuhause, weil ich auch neugierig darauf war, wie sieht denn jetzt so ein Haus aus, was dann nach einer Umsiedlung gebaut wird. Und die haben mir wirklich auch mit leuchtenden Augen jetzt erzählt, wie glücklich sie jetzt darüber sind, in diesem neuen Haus zu leben. Das war erstmal ein sehr großes Haus. Das ist ein Rentnerehepaar. Die wohnen da zu zweit auf 150 qm Wohnfläche, knapp 1000 Quadratmeter Grundstück. Ich glaube, die hatten insgesamt fünf Räume, in denen man schlafen kann, inklusive Arbeitszimmer, Kinderzimmer für die Enkel, extra Wohnzimmer, neues Badezimmer oder zwei neue Badezimmer. Also alles neu, alles schick und die ganze untere Ebene, also das Erdgeschoss ist auch so gebaut, dass wenn die Pauflers mal eines Tages alt sind und vielleicht mit einem Rollator oder mit einem Rollstuhl sich in dem Haus bewegen müssen, dass das auch alles in der unteren Ebene möglich ist. Also alles altengerecht, alles auf einem sehr modernen Stand. Als ich dann dort war, konnte ich auch nachvollziehen, wenn man so jahrelang in so einer Unsicherheit lebt und dann bekommt man dieses Angebot: Du kannst jetzt umziehen, und zwar mit wirklich ausreichend Geld kannst du dir hier ein schönes neues Haus hinbauen lassen, in dem du wirklich alt werden kannst, kann ich verstehen, dass die Menschen das zum größten Teil angenommen haben.
ES: Klingt nach einem eigentlich ganz guten Deal. Jetzt ging es in Lützerath aber ganz viel um die Frage, abgesehen von dem Verlust einer Heimat: Schaffen wir eigentlich das 1,5-Grad-Ziel noch, wenn wir in Lützerath abbaggern? Ist den Leuten in Mühlrose das Klima egal? Oder kannst du einschätzen, warum man da nicht solche Proteste sieht?
FR: Mein Eindruck ist: Den Leuten vor Ort ist es nicht egal, was mit dem Klima passiert. Und auch die Leute vor Ort bekommen mit, dass wir in einer Klimakrise sind, dass die Diskussion über Klimaziele, Klimaschutz sehr, sehr laut sind. Und das geht auch an denen nicht vorbei. Was man aber bedenken muss, wenn man über diese Region dort spricht: Die Menschen dort sind sehr verwurzelt mit der Braunkohle. Mir wurde von mehreren Seiten gesagt: Jeder kennt jemanden, der in der Kohle arbeitet oder arbeitet selbst dort oder hat selbst dort gearbeitet. Also man sagt so jeder Dritte hat da irgendetwas mit der Kohle beruflich zu tun. Die Kohle sorgte dort jahrzehntelang für Wohlstand. In einer Region, die ansonsten nicht so wahnsinnig viel hat. Das ist auch ein Unterschied zum Rheinland, wo ja doch die Infrastruktur ein bisschen anders aussieht. Das heißt, die Leute haben da womöglich eine andere Verbindung zur Kohle. Und auch einige, mit denen ich dort gesprochen habe, die sagen zwar: Ja, es ist schon klar, dass wir aus der Kohle irgendwann aussteigen müssen. Und wir finden das ja auch gut, dass es den Ausstieg 2038 gibt. Aber bis dahin brauchen wir eben noch die Kohle. Auf die Frage, warum sich die Leute vor Ort nicht dafür einsetzen, das nicht abgebaggert wird: Das liegt viel an dieser Unsicherheit, die ich gerade geschildert habe, dass die Menschen dort, oder viele der Menschen dort, es nicht mehr ausgehalten haben, nicht zu wissen, was mit ihnen wird und was mit ihren Häusern wird, was mit ihrem Zuhause wird. Und viele dann froh waren, als sie dann die Gewissheit hatten: ja, wir bekommen eben neue Häuser. Wir haben eine Zukunft, auf die wir uns verlassen können. Wir haben einen neuen Ort und müssten nicht noch weiter jahrelang in Ungewissheit leben. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt gewesen. Mühlrose ist ein wirklich jahrhunderte altes, sehr, sehr hübsches Dorf. Man sieht diesem Dorf an, dass es, wie es immer so schön heißt, historisch gewachsen ist. Viele Vierseit-, oder Dreiseithöfe in Backstein, da sind Dorfplätze. Wirklich sehr hübsch, sehr gepflegt. Wenn man da jetzt durchfährt, durch Mühlrose oder durchläuft, was wir gemacht haben, weil wir hatten wirklich Pech mit dem Wetter. Es war schweinekalt und Schneeregen, und auch deswegen war wenig los auf den Straßen. Vor der Umsiedlung haben da 200 Menschen gelebt. Jetzt leben da noch so ungefähr 90, wurde mir gesagt. Und auch von denen, wenn die allermeisten gehen. Und man sieht in diesem Dorf, wenn man da rumläuft an vielen Stellen Freiflächen. Wo wirklich ein großes Grundstück komplett frei ist. Das liegt daran, dass die LEAG, also das Bergbauunternehmen dort, sobald die die Häuser abkauft von den Menschen, die ziemlich schnell abreißt. Auch, das ist zumindest eine Theorie, die dort vor Ort gehört habe, auch um zu vermeiden, dass dort Hausbesetzungen stattfinden. Also man läuft durch dieses Dorf und man sieht überall freie Flächen, das ist schon auffällig. Und man sieht natürlich auch ein paar leere Häuser. Also, wir hatten ein Haus, da waren diese klassischen blauen Planen und ein Baugerüst dran. Aber das Dorf sieht jetzt nicht nach Abriss aus. Es ist nur irgendwie leer und an vielen Stellen, wie gesagt, diese Freiflächen. Auch manchmal, wenn man so in Fenster reinguckt, dann sieht man, hier lebt wahrscheinlich niemand mehr. Es sieht sehr verlassen aus. Es ist eine ruhige, vielleicht ein bisschen gespenstische Atmosphäre. Aber man kann sich vorstellen, dass dieses Dorf mal sehr, sehr lebendig war. Und es ist, finde ich, ein sehr hübsches Dorf.
ES: Von diesen rund 90 Leuten, die da noch wohnen, hast du zwei getroffen. Und zwar Else und Günther Zech, die wohnen weiterhin in Müllrose, während viele der anderen mittlerweile weggezogen sind. Auch das scheint für die ziemlich belastend zu sein.
Wir sind hier geboren, mit meiner Frau. Und wir wollen auch hier bleiben. Und wir wollen auch in Mühlrose auf unserem Friedhof unter die Erde kommen. Alle halbe Stunde fähren sie hier mit einem Radlader mit dem Schrott vorbei. Hinten haben sie Container stehen, da wird das reingeschmissen, was sie nicht gebrauchen können. Und das ist schon ganz schön belastend.
ES: Warum schließen die sich nicht an und gehen auch nach Neumühlrose, wenn das so ein guter Deal ist?
FR: Else und Günther Zech sind zum einen sehr alt. Nochmal deutlich älter als die Pauflers, die jetzt schon im neuen Mühlrose sind. Die sind beide Mitte 80. Und beide wohnen schon immer in Mühlrose. Die wohnen auf einem Hof, den der Großvater von Günther Zech selbst gebaut hat. In dritter Generation wohnen die in diesem Hof. Das ist für die einfach die Heimat. Die waren nie woanders, die sind wahnsinnig verwurzelt in diesem Ort, und das ist deren Zuhause. Und die können sich auch nicht mehr vorstellen, jetzt da wegzuziehen. Und für die spielt es auch eine sehr, sehr große Rolle, dass die unbedingt auch in ihrer Heimat, in ihrem Zuhause, begraben werden wollen. Also mehrfach haben die wirklich gesagt: Die möchten auf dem Friedhof von Mühlrose begraben werden. Unter ihrer Heimaterde. Da haben die eine wahnsinnige Verbindung zu. Und für die kommt es überhaupt nicht in Frage, ihre Heimat zu verlassen, für etwas, von dem noch gar nicht klar ist, dass es dort passiert. Also noch gar nicht klar ist, was mit dieser Kohle unter Mühlrose passiert. Die sehen für sich überhaupt keine Zukunft in einem neuen Ort und erst recht nicht in so einer Neubausiedlung, die ja das neue Mühlrose ist. Und die hängen einfach an ihrer Heimat, das ist so der wichtigste Punkt.
ES: Das ist ja jetzt noch alles gar nicht in Sack und Tüten. Der Herr Zech, der hofft ja noch, dass er und seine Frau bleiben dürfen.
FR: Also das ist wirklich deren allerallergrößte Hoffnung. Und diese Hoffnung ist aus meiner Sicht auch gar nicht unbegründet. Denn es ist zwar so, dass umgesiedelt wird, schon seit mehr als zwei Jahren, auf Grundlage dieses Umsiedlungsvertrags, den die LEAG mit den meisten Einwohnerinnen und Einwohnern dort beschlossen hat. Aber es gibt noch gar keine Genehmigung dafür, dass die Kohle unter Mühlrose abgebaggert werden darf, und die Genehmigung ist auch noch nicht beantragt. Die LEAG muss beim Oberbergamt in Freiberg, das ist die zuständige Behörde, erstmal eine Genehmigung dafür beantragen, diese Kohle tatsächlich auch abbaggern zu dürfen. Und das hat die LEAG noch nicht gemacht. Die LEAG hat mir darauf geantwortet, dass sie planen, das rechtzeitig zu tun. Das Oberbergamt in Freiberg hat mir geschrieben, dass der Antrag auf Genehmigung zum Abbaggern für Ende dieses Jahres, Anfang nächsten Jahres geplant ist. Aber wann und ob das kommen wird, dazu gibt es noch keine konkrete Aussage.
ES: Wir wollen aber auch in den nächsten 15 Jahren raus aus der Kohleverstromung. Brauchen wir die Kohle unter Mühlrose überhaupt noch? Gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, ob das überhaupt notwendig ist?
FR: Die Frage danach, ob die Kohle unter Mühlrose überhaupt noch gebraucht wird, ist eine sehr entscheidende Frage. Das war ja auch im Kontext von Lützerath die großen Diskussionen. Brauchen wir die Kohle überhaupt noch? Um dieser Frage nachzugehen, habe ich unter anderem mit Forscherinnen und Forschern von der Forschungsgruppe Fossil Exit gesprochen. Das ist eine Forschungsgruppe, die angegliedert ist an das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, die TU Berlin und die Universität Flensburg. Und die haben in ihrer Studie, die sie 2021 gemacht haben, herausgefunden, dass die Kohle unter Mühlrose nicht nötig ist, um Energiesicherheit gewährleisten zu können. Jetzt kann man sagen: Das war 2021, in der Zwischenzeit hat sich ja leider einiges verändert. Das war ja auch meine Frage an den Forscher, mit dem ich dann gesprochen habe, den Leiter dieser Forschungsgruppe. Auch der hat gesagt, auch angesichts der Energiekrise, die wir jetzt durch den Angriffskrieg in der Ukraine haben, hat sich an diesem Ergebnis, dem Ergebnis, dass wir die Kohle unter Mühlrose nicht brauchen, nichts geändert. Für die steht fest: ein Abbaggern, um Energiesicherheit gewährleisten zu können, ist nicht nötig, auch nicht unter aktuellen Bedingungen.
ES: Und wie sieht die Politik das? Sehen die das ähnlich wie die Wissenschaft?
FR: Da muss man jetzt zweiteilig darauf antworten. Das sächsische Wirtschaftsministerium rechnet mit der Kohle unter Mühlrose bei einem Ausstieg 2038 aus der Kohle. Das Umweltministerium, was von den Grünen geführt ist, rechnet nicht damit, dass es eine Genehmigung dafür geben wird, die Kohle unter Mühlrose abzubaggern. Auch aus dem Grund, dass man die Kohle nicht benötigt. Also es gibt in der Koalition Uneinigkeit darüber, was eigentlich mit diesem Dorf und vor allen Dingen, was mit der Kohle unter Mühlrose passiert.
ES: Wenn das jetzt alle Seiten so unterschiedlich einschätzen, warum siedelt die LEAG dann ein ganzes Dorf um? Warum nehmen Sie die Kohle in die Hand und sagen: Wir kaufen eure Häuser?
FR: Da kann man jetzt wirklich nur mutmaßen. Eine Mutmaßung ist, die kommt unter anderem von der Grünen Liga, das ist ein Umweltverband in Ostdeutschland, die mutmaßen, das es ja so ist, dass das Bundeswirtschaftsministerium, in Persona Robert Habeck, möchte, dass auch der Osten wie der Westen von Deutschland schon 2030 aus der Kohle aussteigt anstatt 2038. Wenn dann jetzt die Bundesregierung auf die zukommen würde und fragen würde – jetzt mal wirklich ganz platt gesagt - wie sieht es aus? Können wir das nicht auch irgendwie schaffen, dass wir schon 2030 aus der Kohle aussteigen und nicht erst acht Jahre später wie eigentlich geplant? Dass dann die LEAG sagen könnte: ja, okay, können wir machen. Dafür baggern wir auch nicht mehr die Kohle unter Mühlrose ab. Aber dafür wollen sie dann Entschädigungszahlungen haben. Die Spekulation auf Entschädigungszahlungen für ein Dorf, was dann doch nicht abgebaggert werden soll wegen eines vorgezogenen Kohleausstiegs. Diesen spekulativen Vorwurf, damit habe ich auch die LEAG schriftlich - anders ging es nicht - konfrontiert. Aber auf diese ganz spezielle Nachfrage ist das Unternehmen da nicht eingegangen. Also das ist diese eine Theorie von Spekulationen auf Entschädigungszahlungen. Und dann ist es so, dass sich in der Region, in der Lausitz, konkret in der Region um Mühlrose gerade das Gerücht herumspricht, dass auf der Fläche von Mühlrose ein Windpark entstehen soll. Dass gar nicht gebaggert werden soll, sondern das dort auf dem Dorf, wenn es denn mal eines Tages komplett leer ist, ein Windpark entstehen soll. Auf dieses Gerücht hat mich auch die Grüne Liga gebracht. Es gibt dazu auch in der Lokalzeitung schon ein paar Artikel. Dann habe ich mal im Handelsregister nachgeschaut. Da kann jeder nachschauen. Es ist öffentlich zugänglich.
Tatsächlich findet man dann dort einen Handelsregistereintrag mit dem Namen "Windpark Mühlrose Beteiligungs GmbH". Wie ich finde, es ist ein ganz schön sprechender Name. Auch damit habe ich natürlich die LEAG konfrontiert und sie gefragt, was sie zu diesem Handelsregistereintrag sagen und zu dem Gerücht, dass auf Mühlrose ein Windpark entstehen sollte. Die LEAG hat darauf in einem Satz geantwortet, dass die Windpark Mühlrose Beteiligungs GmbH keines ihrer Unternehmen sei und sie sich deswegen nicht dazu äußern können. Also keine Aussage von der LEAG. Jetzt muss man aber dazu wissen, dass die Liga ganz öffentlich damit plant, bis 2030 in der Lausitz ihre sogenannte Gigawatt Factory aufzubauen. Das soll ein riesiger Wind- und Solarpark sein, der auf ehemaligen Bergbauflächen entstehen soll. Das ist Fakt. Was genau aber mit Mühlrose jetzt tatsächlich passieren soll, darauf gibt es leider noch keine abschließende Antwort.
ES: Würde das Gerücht stimmen, wären die Leute ja für den Windpark umgesiedelt worden. Wäre das erlaubt?
FR: Nein, in Deutschland darf man nicht für einen Windpark oder auch nicht für einen Solarpark umgesiedelt werden. Aber es ist ja so, dass die Menschen aus Mühlrose, die schon gegangen sind, oder die gehen werden, was ja die allermeisten dort sind, freiwillig gehen. Weil sie keine Lust mehr haben auf diese Unsicherheit, weil sie jetzt neue Häuser bezahlt bekommen von der LEAG. Ich habe dann auch mal die Pauflers, bei denen ich war, die Menschen, die jetzt schon umgesiedelt sind, gefragt, ob sie auch von diesem Gerücht gehört hätten und ob sie das beschäftigen würde, ob sie jetzt wegen der Kohle oder wegen der Windkraft umgesiedelt sind. Und denen war das am Ende des Tages…egal hört sich jetzt drastisch an, aber die sind froh, dass sie Sicherheit haben und ob da am Ende ein Windpark hinkommt und doch Kohle abgebaggert wird... Ja, das schien bei denen nicht so eine große Rolle zu spielen. Zumal die aber davon ausgehen, dass Kohle abgebaggert wird. Und auch mit dem Ehepaar Zech, also die bleiben wollen, habe ich auch gefragt, ob es für sie einen Unterschied machen würde, ob sie jetzt wegen der Kohle gehen oder wegen einem Windpark. Und auch denen war das nicht wichtig, warum sie gehen sollen. Sondern für die ist klar: wir wollen bleiben. Und wir werden auch bleiben. Wir werden uns weigern zu gehen.
ES: Was meinst du denn, wie es jetzt weitergeht mit Mühlrose?
FR: Im Zuge der Recherche jetzt zu Mühlrose habe ich wirklich mit einigen Menschen gesprochen, die sich mit der Braunkohle und dem Braunkohleausstieg in der Lausitz beschäftigen. Das waren Juristinnen und Juristen, aber auch Menschen, die in Umweltverbänden aktiv sind. Von denen haben mir alle gesagt, dass eigentlich keiner davon ausgeht, dass diese Genehmigung zum Abbaggern der Kohle tatsächlich vergeben wird. Weil momentan alles dagegenspricht. Also zum einen dieser Grund, dass wir die Kohle laut einigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern überhaupt nicht brauchen. Dann natürlich ist es auch klimaschädlich und nicht vereinbar mit unserem Klimazielen, die Kohle dann nach dem Abbauen zu verfeuern. Und dann ist es eben auch so, dass ab 2030 es für Kohleunternehmen sich gar nicht mehr lohnen wird, wirtschaftlich die Kohle tatsächlich abzubauen und zu verfeuern, weil ab dann die CO2-Zertifikate so teuer sein werden, dass sich das gar nicht mehr gegengerechnet. Also spricht einiges dagegen, dass diese Genehmigung überhaupt vergeben wird an die LEAG. Nach meiner Recherche würde mich das jetzt irgendwie auch wundern, wenn die tatsächlich die Genehmigung bekommen. Andererseits haben wir ein Wirtschaftsministerium, was mit der Kohle unter Mühlrose zum jetzigen Zeitpunkt plant. Dann haben wir auch einen Ministerpräsidenten, Herrn Kretschmer, der auch ganz klar gegen einen Ausstieg aus der Kohle im Osten schon 2030 ist und für einen Ausstieg 2038 ist. Das ist so die andere Seite. Ob da jetzt wirklich ich ein Windpark entstehen wird, da bin ich sehr gespannt. Da weiß ich jetzt nicht so wirklich, wie es da in Zukunft weitergehen wird. Aber wie gesagt: ich würde mich wundern, wenn tatsächlich eine Genehmigung zum Abbaggern gegeben werden würde. Und das, was ich auf jeden Fall mit Interesse beobachten werde, ist, ob sich jetzt in Mühlrose, vielleicht ähnlich wie Lützerath, doch noch irgendwie eine Art von Protest von Klimaaktivistinnen etablieren wird. Das finde ich jetzt eben sehr spannend, ob und was sich da in den kommenden Monaten entwickeln wird.
ES: Friederike Rohmann, danke dir!
FR: Sehr gerne!
ES: Das war der Podcast „MDR Investigativ - Hinter der Recherche“. Der Film mit dem Titel "Mühlrose in Sachsen – muss der Ort der Kohle weichen?", der lief bei exakt am 1. März. Sie finden die Sendung und auch den Beitrag aber noch immer in der ARD Mediathek.
Die nächste Folge dieses Podcast erscheint dann in zwei Wochen, dann wieder mit meiner Kollegin Secilia Kloppmann. Machen Sie es bis dahin gut und bleiben Sie gesund!
Dieses Thema im Programm: MDR+ | Exakt | 10. März 2023 | 12:00 Uhr