MDR Investigativ - Turonen
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MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche (Folge 57) Das Drogenkartell der Neonazis

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Drogenkonsum und Neonazis, das passt eigentlich nicht zusammen. In Thüringen allerdings haben Rechtsextremisten ihre eigene Struktur zum Dealen von Crystal Meth und anderen Drogen genutzt. Die rechtsextreme „Bruderschaft Thüringen“ hat sich zu einem Drogenkartell entwickelt.

Esther Stephan (ES): Sie hören den Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". In diesem Podcast sprechen wir mit Journalist*innen über ihre Recherchen. Es geht um das Thema, und es geht darum, wie die Reporter*innen zum Beispiel Menschen gefunden haben, die mit ihnen reden. Außerdem wollen wir von den Reportern mehr wissen: Zum Beispiel ihre persönlichen Eindrücke und Erlebnisse während der Dreharbeiten. Ich bin Esther Stephan und ich arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks

In Erfurt findet derzeit ein großer Prozess gegen Angehörige der rechtsextremistischen Szene statt. Es geht um Drogenhandel im großen Stil, Erpressung und Zwangsprostitution. Vor Gericht stehen Mitglieder der rechtsextremen sogenannten Turonen. Der Journalist Axel Hemmerling beobachtet die rechtsextremistische Szene in Thüringen schon lange, und er hat für "Exakt - die Story" den Film "Braunes Gift" gemacht, der sich damit beschäftigt, wie aus einer rechtsextremen Kameradschaft ein Drogenkartell werden konnte.

Hallo Axel!

Axel Hemmerling (AH): Hallo!

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MDR Investigativ - Turonen 25 min
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MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE Das Drogenkartell der Neonazis

Das Drogenkartell der Neonazis

Drogenkonsum und Neonazis, das passt eigentlich nicht zusammen. In Thüringen allerdings haben Rechtsextremisten ihre eigene Struktur zum Dealen von Crystal Meth und anderen Drogen genutzt.

MDR AKTUELL Fr 29.07.2022 10:00Uhr 25:03 min

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ES: Lass uns doch mal einmal bei den Begriffen anfangen. Wer sind eigentlich die Turonen?

AH: Ganz einfach gesagt: Rechtsextremisten. Knallharte Rechtsextremisten, muss man sagen. Und weil immer wieder andere Begrifflichkeiten auftauchen, vielleicht so als Einordnung: Insgesamt bezeichnen die sich "Bruderschaft Thüringen", was nichts anderes ist, sinngemäß wie eine Kameradschaft. Also das, was wir vorher mal als Kameradschaft bezeichnet haben, heißt jetzt eben Bruderschaft. In dem Fall "Bruderschaft Thüringen". Und die splittet sich auf in eine, ich sage jetzt mal Führungsriege, die nennen sich selbst Turonen. Das ist wohl der germanisch-heidnischen Geschichte entlehnt, so die Ur-Thüringer. Und die haben, ähnlich wie auch die organisierten Rockerclubs, eine Unterstützer-Mannschaft, die sich wiederum Garde 20 nennt. Die 20 rührt einfach daher: der zwanzigste Buchstabe im Alphabet das T, und damit wären haben wir schon wieder bei den Turonen. Also letztendlich sind sie alle die Bruderschaft Thüringen, unterteilt unter die sogenannten Führer, die Turonen und eben die Unterstützer, die Garde 20.

ES: Weißt du, wie viele Personen da Mitglieder sind? Wie viele Leute sind in dieser Bruderschaft?

AH: Da gibt es unterschiedliche Angaben, also auch von den Sicherheitsbehörden. Aber im Kern muss man sagen, dass sich round about so vielleicht an die 30, vielleicht auch 40 Leute in dieser Bruderschaft tummeln. Wobei echte Turonen, also echte Führer dieser Bruderschaft, es wohl nur sieben gibt. Also sieben Neonazis dürfen sich Turonen nennen. Dürfen auch entsprechend auf ihren Kutten das so vermerkt haben, also auch wieder Anlehnung an die Rockerclubs. Ja, das heißt sieben Turonen. Und an die 30 bis 40, die insgesamt in diese Bruderschaft gehören.

ES: Dann lass uns noch einmal auf diesen Gerichtsprozess schauen, der gerade in Erfurt läuft. Wer steht da eigentlich gerade vor Gericht? Und warum?

AH: Es ist eine Mischung. Also wenn man sagen würde dort stehen nur Neonazis oder Rechtsextremisten vor Gericht, wäre das falsch. Es sind tatsächlich Turonen dabei, einer der Chefs, um ganz genau zu sein sogar. Also die Bruderschaft hat sich zwei Chefs gegeben, einmal Thomas W. und einmal Steffen R. Den sie dann im Juni diesen Jahres sich geholt haben, also das Landeskriminalamt. Es stehen dort aber auch Menschen vor Gericht, die ich sage jetzt mal, eher in das Drogenmilieu gehören, die sozusagen an diesem Drogenkartell, was dort errichtet worden ist, beteiligt waren. Handlangerdienste, Kurierfahrten für die Rechtsextremisten übernommen haben. Was aber nicht heißt, dass die Rechtsextremisten selbst nicht auch Drogen rumgefahren haben sollen oder eben auch oben Deals eingefädelt haben sollen.

ES: Okay, lass uns nochmal auch auf diese Drogengeschichte schauen. Ich fand es eigentlich total interessant, weil in meinem Kopf jetzt erstmal Nazis und Drogen gar nicht so zusammenpasst. Also man assoziiert jetzt Drogen, eher vielleicht mit anderen kriminellen Gruppen. Wie passt das zusammen?

AH: Per se oder eigentlich passt es überhaupt nicht zusammen, weil die Ideologie, wie du es gerade schon angesprochen hast, verbietet ja eigentlich den Handel mit Drogen. Und auch das Nehmen von Drogen. Weil, und so die Ideologie, hier ja der deutsche Körper ja erhalten werden soll. Dafür steht ja auch diese rechtsextreme Ideologie, dass man eben gestählt und sportlich aktiv ist. Und das ist auch ein riesengroßes Problem für die Bruderschaft, weil gerade in der rechtsextremistischen Szene dieser Drogenhandel, der jetzt offenkundig geworden ist. Oder man muss ja sagen, der mutmaßliche Drogenhandel, es ist ja noch niemand verurteilt worden dafür, äußerst kritisch gesehen wird. Das heißt, viele Rechtsextremisten diskutieren heftig in den internen Netzwerken von denen, wo man sagt: ja, das passt nicht, das darf nicht sein. Was sind das für Verbrecher? Die sind nicht viel besser als die - Zitat -  kriminellen Ausländer. Die Bruderschaft selbst hat sich das so hingebogen, also um diese Ideologie nicht ganz zu verraten. Die haben einfach argumentiert: ja, Drogen braucht das Volk, so schlimm, wie es klingt. Und dann machen wir das doch lieber, bevor es der - Zitat - kriminelle Ausländer macht. Also die drehen das sozusagen um, sie reden sich das schön und versuchen, das so mit ihrer Ideologie in Einklang zu bringen. Das ist abstrus, das ist hanebüchen. Logischerweise. Führt aber auch dazu, dass die Turonen oder die Bruderschaft Thüringen in der rechtsextremen Szene kein gutes Standing mehr hat. Also so wie so üblich, Solidaritätsbekundungen, wie es zum Beispiel beim NSU war, bei dem verurteilten NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben, wo immer wieder zu Solidaritätskonzerten aufgerufen wurde, damit die ihre Anwälte bezahlen können. Das wird es bei dieser Bruderschaft schlicht nicht geben. Und es gibt auch in den sozialen Netzwerken einschlägiger Rechtsextremer oder rechtsextremer Gruppen, wo ganz klar auch mit lustigen kleinen Bildchen thematisiert wird, dass die Droge der Rechtsextremen halt Deutschland heißt und eben nicht Crystal Meth oder Marihuana oder Geld oder Geldwäsche, sondern eben die Droge, unsere Droge - Zitat - heißt Deutschland. Da sieht man schon, dass die Bruderschaft da sich mehr oder weniger auch nicht mehr auf ihr Umfeld, auf ihre rechtsextreme Szene, auf ihr rechtsextremen Milieu ja zurückrudern kann oder auf Unterstützung hoffen kann.

ES: In deinem Film kommt Katharina König-Preuss von der Linken zu Wort, und die betont da noch mal dieses Geschäftsmodell Drogen zu verkaufen, Geld zu verdienen, dass die Turonen aus Österreich kopiert haben.

Die Turonen haben ein sehr erfolgreiches Geschäftsmodell aus Österreich kopiert, indem sie selber schon Anteile hatten, und haben dieses kriminelle Geschäftsmodell auf Thüringen übertragen. Und haben so über dieses Geschäftsmodell am Ende ihre Ideologie gefördert, ihr persönliches Leben natürlich auch finanziert, sich bereichert und gleichzeitig aber auch Mittel in die Szene mit reingesteckt.

Katharina König-Preuss

ES: Ich verstehe noch nicht so ganz, wieso dann ausgerechnet Drogenverkauf.

AH: Ja, weil es ganz einfach, schnell verdientes Geld ist. Um es jetzt mal ganz einfach zu machen. Was die persönlich geritten hat, auf Drogen zu setzen, das kann man nur mutmaßen. Also auch vom Prozess oder auch in den Vernehmungen beim Landeskriminalamt, als sozusagen diese Bruderschaft zerschlagen worden ist, haben die ja keine Angaben gemacht. Also da kann man eben tatsächlich nur spekulieren. Es gibt ja einen aus dem ultimativen Kern der Bruderschaft, der ja zum Kronzeugen geworden ist, der natürlich auch tief in diese Struktur hat Einblick gehabt und dann eben auch den Polizisten entsprechendes erzielt hat. Es ist ganz einfach so: die Bruderschaft war ursprünglich ausgelegt, oder da hat sie sich gesehen, in der Organisation von großen Nazi-Events. Also Rechtsrock-Konzerte, wie in Themar 2017, wo 6.000 Neonazis kamen oder kurz davor im Schweizer Unterwasser, wo auch 6.000 Neonazis kamen. Das ist eine Geldmaschine. Da verdienen sich einzelne Menschen eine goldene Nase. Muss man einfach so sagen. Es werden Merchandise-Artikel verkauft, es wird Bier konsumiert, es wird was gegessen. Es wird gefeiert. Das ist eine wahre Gelddruckmaschine in dieser rechtsextremen Szene. Zumal ja auch die T-Shirts nicht billig sind. Das kostet richtig viel Geld. Also, das lief gut an. Und dann kamen eben die ersten Einbrüche in diesem Geschäft, in dem zum Beispiel die Polizei hier in Thüringen Konzerte verboten hat oder aufgelöst hat. Das ist schlecht, das ist geschäftsschädigend und das Schlimmste, was natürlich uns allen passiert ist und natürlich auch den Rechtsextremisten, war dann die Corona-Pandemie, das heißt Groß-Konzerte waren schlicht und ergreifend nicht möglich. Konzerte waren nicht möglich. Da mussten sie sich logischerweise dran halten, weil sie dann natürlich sofort mit einer Auflösung rechnen mussten und dort in dieser Zeit irgendwo so 2019, 2020 so mit Übergleiten in die Corona-Pandemie muss wohl diese Idee entstanden sein: Mensch, man kann noch viel schneller Geld verdienen. Und dadurch, dass die von Gotha aus oder auch in Gotha sehr gut mit dem ich sage, jetzt mal Kleinkriminellenmilieu und auch mit der Drogenszene verwoben waren, also Kontakte hatten. Gotha ist jetzt natürlich keine riesengroße Stadt. Man kennt sich, natürlich. Also ging das relativ flott, dass man dort angedockt hat. Man kennt dann natürlich auch noch übergeordnete Lieferanten aus alten Tagen. Das müssen jetzt nicht unbedingt Rechtsextremisten sein. Aber das kriminelle Milieu kennt sich halt einfach. Und so lief das an. Und warum sie das machen, das ist so schlimm wie es ist, schnell verdientes Geld. Mit Drogen und gerade mit Crystal Meth, was leicht verfügbar ist, was in der Herstellung wenig Geld kostet, was aber eine irre dramatische Wirkung entfaltet, kann man wirklich recht schnell, recht einfach Geld verdienen. Dieses Kartell war ausgerichtet auf Wachsen, und die Richtung war mehr oder weniger klar, das ging Richtung Sachsen-Anhalt und Richtung Sachsen.

ES: Interessant ist jetzt in diesem Prozess, dass die ja eben nicht wegen der rechtsextremistischen Aktivitäten, also der Konzerte, die du eben schon erwähnt hast, der Musik überführt wurden, sondern tatsächlich über diese Drogenkartell-Geschichte, die ist ihnen so ein bisschen zum Verhängnis geworden. Das Land, der Verfassungsschutz hat dann die Sonderkommission Gewinne eingeschaltet. Wie hat diese Sonderkommission gearbeitet? Sind das Steuerfahnder?

AH: Nein, das ist hochspannend, was die Sicherheitsbehörden Thüringens in erster Linie dort gemacht haben, das war beispiellos. Sieht man auch an der Reaktion der jetzt Angeklagten und der zweiten Reihe dann der demnächst Angeklagten. Dass die damit auch gar nicht gerechnet haben. Weil du die Konzerte angesprochen hast, da sind den Kommunen oder eben den Ordnungsbehörden, jetzt mal ganz einfach formuliert, gibt immer natürlich einen Ausweg, in der Regel die Hände gebunden. Ja, also, wir wissen alle diese Festival, sind Festivals. So werden die auch verstanden.

ES: Aber dort gibt es ja auch strafbare Handlungen. Also es gibt ja von diesen Konzerten auch Videos, wo zum Beispiel der Hitlergruß gezeigt wird.

AH: Korrekt, völlig richtig. Da laufen auch die Ermittlungen in Sachen Themar. Das war ja der große Fall, wo dann eben Hunderte bis Tausende dann den Hitlergruß gezeigt haben. Ja, aber das ist halt irre schwierig. Ja, das ist aus der Masse heraus. Da muss man eben natürlich einzeln feststellen: Du warst in diesem Zelt drin. Du hast den Hitlergruß gezeigt, das muss denen ja nachgewiesen werden. Also, dass das so eskaliert, da hat damals die Polizei auch nicht mit gerechnet. Auf einmal stehen da, ich sage mal jetzt knapp tausend Leute in so einem riesengroßen Zelt und zeigen den Hitlergruß. Es gibt natürlich dann auch Rechtsextremisten, die sagen: "Wieso der Hitlergruß? Ich habe einfach meine Faust in die Luft gehoben, weil ich so begeistert war von der Musik!" Also da sieht man auch, wie problematisch das ist. Und auch diese Festivals, die werden halt auch als politische Veranstaltung markiert, und damit ist es irre schwierig, da überhaupt mit einem Verbot heranzutreten. Jeder weiß, jeder sieht, das ist ein Nazi-Konzert. Aber natürlich kommen dann auch drei Redner, für die sich in der Regel sowieso kein Mensch interessiert. Und der feierwütige Skinhead oder Neonazi sowieso nicht. Aber damit genießen die auch den Schutz dieser politischen Veranstaltung. Und was ist jetzt hier in Thüringen passiert, in den Sicherheitsbehörden? Die sind eben diesmal gegen diese Bruderschaft, auch wenn dieser Rechtsextremismus immer noch Rolle spielt, das muss man ausdrücklich sagen, also der wird dort nicht weg subtrahiert. Der spielt auch in der Anklageschrift, die ja fast hundert Seiten stark ist und auch gute drei Stunden brauchte um verlesen zu werden im Prozess, das spielt immer wieder noch Rolle, weil diese Ideologie, dieser Rechtsextremismus das Bindeglied war. Der hat die Gruppe zusammengehalten, da hat man sich sozusagen drunter verstanden. Und da konnte man eben auch an Kameraden, wenn man so nennen möchte, andocken, die dann eben Kuriere wurden. Die wurden rekrutiert für die Garde oder vielleicht auch für die Turonen, die haben ihre Konten zur Verfügung gestellt. Ja, also das, was sich in den Konzerten eingespielt hat, ist dann im Drogenkartell mutmaßlich, weil wie gesagt noch keiner ist verurteilt, umgesetzt worden, benutzt worden. Es wurde sozusagen umgeswip, wenn man es so ausdrücken möchte. Also von einer Kameradschaft, Bruderschaft hin zu einem Kartell. Und das Landeskriminalamt hat eben schlauerweise nicht nur auf die Hinweise des Verfassungsschutzes hier in Thüringen entsprechend reagiert, sondern hat dann auch gleich, nicht den Staatsschutz angesetzt, der so abgerichtet, wenn man das so sagen darf, der zumindest orientiert ist auf §86a also die verbotenen Symbole. Die suchen halt Hakenkreuze, die suchen halt den Hitlergruß. Und die suchen halt noch irgendwelche verbotenen Schriften. Nein, die haben die OK-Fahnder, also die Fahnder, die spezialisiert sind auf die Bekämpfung der schweren und organisierten Kriminalität explizit ausgebildet, angesetzt. Das war die Soko Gewinne, die Soko Gewinne hat, auch natürlich aus dem Staatsschutzbereich Leute hinzugezogen. Die haben aber auch Leute von der Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Rauschgift hinzugezogen. Die haben Leute vom Zoll hinzugezogen, die haben Finanzexperten hinzugezogen. Das heißt, der Rechtsstaat hat gezeigt, wenn er es kann, kann er gegen solche Strukturen vorgehen, und zwar nachhaltig.

ES: Könnte man diese Methode, eben sich verschiedener Möglichkeiten zu bedienen und eben nicht nur auf eine Sache zu schauen, nicht nur einzelne Vergehen zu verfolgen, sondern eben diese großangelegte Aktion, könnte man das übertragen auf andere Kameradschaften, auf andere kriminelle Vereinigungen?

AH: Ja, natürlich. Machen kann man das natürlich. Man darf aber bei der ganzen Diskussion dann nicht vergessen: Das ist natürlich wahnsinnig personalaufwendig also die Soko Gewinne hatte ja dann bis zu 20 Beamte gebunden, die nur dieses eine Thema bearbeitet haben. Nein, das ist irre, das ist ein riesengroßer personeller Aufwand, denn man darf ja nicht vergessen, dass da nebenher die organisierte Kriminalität ja weiterarbeitet. Es ist ja nicht so, dass die dann so lange warten, bis das LKA fertig ist mit der Nazimafia und dann flockig weitermacht. Das ist enorm aufwendig. Ja, und da braucht man natürlich viel Kraft. Da wird viel Manpower oder Womanpower reingesteckt, sodass es eigentlich schwierig ist, das überall auf, ich sage jetzt mal frech, auf jede kleine Kameradschaft anzuwenden. Aber wenn wir die angreifen wollen, wenn wir die zerschlagen wollen, was ja Sinn einer polizeilichen Ermittlung ist, die sich gegen so eine kriminelle Struktur richtet, dass man da alle Instrumente nutzen sollte, die man hat, das liegt ja auf der Hand. Nur leider wird es halt immer zu selten gemacht. Eben weil viele, auch Staatsanwälte, vor so einem großen Verfahren zurückschrecken. Die dann sagen: "Ahja, komm. Nur weil die jetzt, da alle, jetzt wieder frech formuliert, alle einen Hitlergruß gezeigt haben. Ja, versuchen wir mal da ein oder zwei Fälle rauszuziehen, und die Gerichte sind sowieso überlastet, also schon gar keine Großverfahren." Das wirft ein trauriges Bild auch auf die Justiz. Ja also, die sich auch hier mit dieser Bruderschaft äußerst schwer getan haben, da überhaupt erst mal den Prozess zu eröffnen. Dass sie dann keinen Raum hatten, der groß genug ist. Dann mussten sie sich in die Messe einmieten, das hat wieder Geld gekostet. Das wollten sie eigentlich nicht. Und dann wird ja immer gerne über Deals gesprochen. Einfach weil die Justiz auch, ja ich sage, jetzt mal personell äußerst dünn besetzt ist und eben vor solchen Großverfahren zurückschrecken. Und darum schrecken auch Staatsanwälte zurück. Polizisten sagen dann ja, das lohnt sich doch alles gar nicht. Der riesengroße Aufwand wird am Ende sowieso eingestellt. Oder es kommt nichts rum. Das ist so eine schlimme Spirale, die gilt es zu durchbrechen. Und vielleicht gelingt es ja mit diesem Verfahren zu zeigen: Liebe Polizei, liebe Staatsanwaltschaft, liebe Gerichte, wenn man wirklich jemanden nachhaltig bekämpfen will, der sich gegen unsere Gesellschaft richtet, der nicht nur mit seiner Ideologie sich gegen unsere Gesellschaft richtet, sondern wie in dem Fall vermutlich auch unsere Gesellschaft vergiftet, nicht nur mit der Ideologie, sondern mit echten Drogen. Dann müssen wir uns alle mal hinsetzen und überlegen: wie bekämpfen wir die? Und wir haben die Instrumente, und wir müssen sie halt einfach nur nutzen und dann eben nicht vor Arbeit zurückschrecken. Also wenn man das nachhaltig machen will, kann man das machen. Man muss es aber auch machen.

ES: Jetzt ist das nicht deine erste Recherche zu Kriminellen, explizit auch extremistische Strukturen. Du schaust dir das Ganze schon seit einiger Zeit an. Kennst du die Protagonisten eigentlich mittlerweile persönlich?

AH: Ich kenne die halt arbeitstechnisch, schon seit fast 20 Jahren. Also der Turone, der jetzt auf der Anklagebank sitzt, den hab ich schon wahrgenommen bei Durchsuchungen, 2004, 2005 in Gotha. Also, das sind alles keine Unbekannten und auch seine rechte Hand, wenn man es so nennen darf, Steffen R., der ist auch schon seit Jahrzehnten am Start. Für die NPD ist er schon angetreten, der hat Konzerte organisiert. Das sind ja keine Unbekannten. Die sind ja nicht von jetzt auf gleich aufgetaucht, sondern die sind seit fast 30 Jahren in Thüringen aktiv, als Rechtsextremisten.

ES: Heißt aber auch, du kannst die Leute schon zum Teil seit Beginn der 2000er. Kennen die dich auch muss so vielleicht da auch Angst haben, dass die dich mal zu Hause besuchen, oder so?

AH: Also ich will jetzt nichts beschreien. Also Angst haben. Ich sage mal, man sollte Respekt haben vor solchen gewaltbereiten Menschen. Aber Angst ist, glaube ich, der falsche Weg. Das klingt jetzt irgendwie alles so pathetisch. Aber das ist ja genau das, was sie erreichen wollen, auch mit ihrem Auftreten, jetzt auch als Bruderschaft mit diesen Kutten. Ja, hier, wir sind ganz stark und Lederkutten, gestählte Arme, volltätowierte Arme. Das ist ja genau, was sie wollen. Sie wollen Angst erzeugen, Angsträume schaffen. Das geht los bei alternativen Jugendlichen. Das geht dann weiter bei politischen Gegnern. Das geht dann weiter bei Journalisten. Aber Angst ist das Falsche. Damit arbeiten die ja. Das ist wie mit so einem verfluchten Kampfhund. Der knurrt und vor dem soll man Angst haben, da rennt man weg und dann hat der sein Revier verteidigt. Das ist falsch. Aber ich spiele auch immer mit offenen Karten. Also, die bei uns eine Rolle spielen, werden von uns grundsätzlich angefragt. Grundsätzlich, ob das jetzt die armenische Mafia ist, ob das jetzt albanische Mafia ist oder die mutmaßlichen Mafiosi der ’Ndrangheta aus Italien, die hier in Erfurt ihr Unwesen treiben, die werden grundsätzlich angefragt. Ja, das klingt jetzt blöd. Es ist selbstverständlich für Journalisten, aber das ist ganz, ganz, ganz wichtig. Weil man natürlich auch so, wenn die einen dann halt mal zur Rede stellen, was auch schon mal passiert ist, "was soll den das sein, warum behauptest du das?", dann kann ich immer sagen: "Leute, ich habe mit offenen Karten gespielt. Ich habe euch gefragt wir haben eure Anwälte gefragt. Dort kam nichts zurück. Was sollen wir denn machen, wenn wir euch das Angebot geben? Ihr könnt eure Sicht der Dinge darstellen, auch wenn es manchmal schwerfällt, dann müsst ihr von diesem Angebot Gebrauch machen. Oder wenn ihr es nicht tut, braucht ihr mir das nicht zum Vorwurf zu machen." Und man muss fair berichten. Das heißt sich nichts ausdenken, nicht alle irgendwie als kranke Alkoholiker hinzustellen oder ähnliche Floskeln, die war ganz schnell bei Rechtsextremisten gezogen werden, weil das greift viel zu kurz. Die sind dumm, die können nichts. Und darum machen die Drogen. Also man muss in der Berichterstattung natürlich auch fair bleiben. Und dann haben die wenig Berührungspunkte, um dich zu attackieren. Das ist ja klar, dass die mich blöd finden, ja logisch. Oder Leute wie Tommy Frenck, die da ja offiziell in Themar das Konzert organisiert haben, auch von der Bühne sagen: "Ah, da ist der Axel Hemmerling vom MDR wieder, seid vorsichtig." Ja, das ist fies, gebe ich zu. Das macht auch in mir was. Aber so richtig Angst darf man nicht haben.

ES: Ist dieser Prozess, der jetzt gerade in Erfurt läuft, denn das Ende dieser Bruderschaft?

AH: Also, da sind wir jetzt natürlich wieder in der Spekulation. Aber wenn man sich so anschaut, wen das Landeskriminalamt verhaftet hat oder zumindest erst mal in die Untersuchungshaft gesteckt hat, könnte man, wenn man Optimist ist, sagen: Die haben sich Ende Februar letzten Jahres und Mitte Juni diesen Jahres die wichtigen Organisatoren, Logistiker, Unterstützer und Kontakthaltenden geschnappt. Die haben sie in Untersuchungshaft gesteckt. Also so, wie es aussieht, haben sie die Köpfe, also die wichtigen Menschen in dieser Bruderschaft, tatsächlich von der Straße genommen. Das heißt aber nicht, dass es die Bruderschaft nicht mehr gibt. Es rennen noch genug Leute von der Garde rum, es rennen auch noch eins, zwei bis drei Turonen rum. Aber, und das hat ja auch die ultimative Szene-Kennerin der rechtsextremen Szene, Katharina König-Preuss im Film gesagt: wir können davon ausgehen, dass die Bruderschaft erstmal, was jetzt auch den Drogenhandel angeht und auch diese strukturierte Organisiertheit, verloren hat. Ja, und weil wir alle Optimisten sind, sagen wir jetzt einfach mal, dass die Bruderschaft zerschlagen worden ist, zumindest als Drogenkartell. Was aber nicht heißt, dass die Ideologie dort in Gotha oder auch in Ballstädt weiter Raum hat, also weiter existiert, logischerweise aber jetzt nicht mehr als aktiv agierendes Drogenkartell.

ES: Jetzt sind es ja, das hast du auch schon gesagt, auch häufig die gleichen Leute, die dann immer wieder in anderen Kontexten auftauchen. Was bedeutet diese Zerschlagung denn dann für die thüringische Neonazi-Szene?

AH: Zumindest hat die thüringische Neonazi-Szene jetzt eine ihrer wichtigsten, gefährlichsten Strukturen verloren. Das war die Bruderschaft. Also auch schon damals, als sie noch Hausgemeinschaft Jonastal hieß, konnte man sie als ultragefährliche einstufen. Aber wie gesagt, jetzt die wichtige Struktur, die ist weg, das ist gut. Aber das heißt nicht, dass es irgendwie auch nur grob eine Entwarnung in Thüringen geben kann oder geben soll. Das wäre das falsche Signal. Wir haben jetzt, wieder optimistisch formuliert, die Nazi-Mafia weggenommen, die ist weg. Aber die Ideologie ist noch da. Das ist das, was ich eben schon angedeutet habe oder erklärt habe, die existiert weiter. Also ich habe jetzt in Südthüringen festgestellt, da existiert auch wieder eine Kameradschaft, die auch mit Kutten rumrennen, die auch sich wieder an diesen Rockerclubs orientiert. Ja, und die einen direkten Draht in die Musikszene da unten in Sonneberg-Suhl hat. Das heißt also, wir haben die Ideologie nicht wirklich dahingehend eingedämmt, dass es jetzt hier von einer allgemeinen Entwarnung sprechen kann. Die Soko Gewinne hat definitiv der rechtsextremen Szene geschadet. Definitiv. Die hat auch einen massiven Schlag gekriegt. Aber es gibt so viele Akteure, auch was jetzt in diesem Spektrum sogenannter Spaziergänger oder sogenannter besorgter Bürger oder AfD. Da sind ja auch alles Becken, die existieren da weiter. Sie haben sich das angehört und damit ist gut. Und wir machen weiter und tragen die rechtsextreme, staatszersetzende demokratiefeindliche Ideologie weiter in die Gesellschaft rein. Das heißt eine Entwarnung ist das nicht.

ES: Axel Hemmerling, danke, dass du dir die Zeit genommen hast.

AH: Gerne doch!

ES: Das war der Podcast MDR Investigativ – Hinter der Recherche. Den Film "Braunes Gift: Das Drogenkartell der Neonazis" finden Sie noch immer in der ARD Mediathek.

In zwei Wochen gibt es hier dann wieder eine neue Folge dieses Podcast, dann wieder mit Secilia Kloppmann.

Bis dahin kann ich Ihnen möchte ich Ihnen noch zwei ältere Folgen unseres Podcasts ans Herz legen. In Folge 22 hat Secilia Kloppmann mit Axel Hemmerling über eine Recherche gesprochen, in der es um die Machenschaften der Mafia ’Ndrangheta in Erfurt ging. Die Folge heißt "Mafiakolonie Ostdeutschland". Sie finden Sie überall da, wo es Podcasts gibt.

Genauso, wie auch Folge 25 über Neonazi-Anwälte. In der habe ich mit Axel über die Anwälte gesprochen, die Neonazis vor Gericht vertreten. Unter anderem sprechen wir in der Folge über Dirk W., der jetzt auch in Erfurt vor Gericht steht.

Ich verabschiede mich an dieser Stelle und ich hoffe Sie bleiben gesund. Machen Sie’s gut. Tschüss!

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exakt - die Story | 29. Juni 2022 | 20:45 Uhr

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