MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (FOLGE 54) Kein Recht auf Asyl für russische Wehrdienstverweigerer
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17. Juni 2022, 10:48 Uhr
Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge von MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche. Ich bin Secilia Kloppmann und arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks. In diesem Podcast sprechen wir mit Journalistinnen und Journalisten über ihre Recherchen. Es geht um das Thema und darum, wie die Reporter und Reporterinnen zum Beispiel Protagonisten gefunden haben, sowie um persönliche Eindrücke und Erlebnisse während der Dreharbeiten und der Arbeit an ihrem Bericht. In dieser Folge geht es um junge Männer aus Russland, die hier in Deutschland Zuflucht suchen, um eine Einberufung zur russischen Armee zu entgehen. Es sind junge Männer wie der 22-jährige Mark aus Kaliningrad oder Maxim, 20 Jahre, aus Smolensk.
Ich werde das Russland nicht vergeben wird Michael, der nach Russland zurückzugehen wäre, eine extrem schreckliche Alternative. Extrem schrecklich. Das ist keine Möglichkeit für mich.
Für alle meine Freunde in Russland ist es gerade eine große Frage: Wie können wir diesem Krieg entkommen? Wo können wir hingehen? Denn in Europa oder auch in anderen Ländern, da wartet niemand auf uns.
Im MDR Nachrichtenmagazin exakt am 1. Juni, da ging es darum, dass junge Russen wie Marc und Maxim hier sehr schwer Asyl bekommen. Denn ihnen wird nicht der gleiche Schutz gewährt wie zum Beispiel russischen Deserteuren, also Soldaten, die bereits in der Armee gedient haben und dann geflüchtet sind. Meine Kollegin Marion Mück-Raab hat Maxim und Mark getroffen. Mit ihr will ich über die Lage russischer Wehrdienstverweigerer sprechen, die hier in Deutschland gelandet sind. Später wird auch noch einer der Betroffenen selbst zu Wort kommen, und außerdem telefoniere ich mit Rudi Friedrich von Connection e. V. Einem Verein, der Wehrdienstverweigerer unterstützt. Aber jetzt will ich erst einmal Marion begrüßen, die am Telefon ist. Hallo Marion, ich grüße dich. Hallo
Secilia Kloppmann (SK)
Menschen, die wegen des Krieges in der Ukraine Asyl suchen. Da denken die meisten vermutlich erst mal nicht an Geflüchtete aus Russland, also an Russen. Wann ist für dich das Thema aufgeploppt?
Marion Mück-Raab (MMR)
Asylpolitik ist ein Thema, mit dem ich mich eigentlich schon seit vielen Jahren, also seit den Achtzigern, beschäftigt habe. Ich habe da immer wieder was dazu gemacht, und von daher weiß ich, dass es Kriegsdienstverweigerer in Deutschland schwer haben, Asyl zu finden. Es gab ja immer wieder Fälle, in denen syrische Kriegsdienstverweigerer abgelehnt wurden. Und das wusste ich und habe mich gefragt, was passiert jetzt eigentlich mit den jungen Russen, die den Kriegsdienst verweigern wollen. So kam ich auf das Thema.
SK
Und dabei hast du dich richtig auf die Suche begeben? Oder hattest du da vorher schon Kontakte?
MMR
Ich habe gute Kontakte zu Pro Asyl. Da habe ich mich erst einmal noch einmal informiert über die genaue Rechtslage, wie das jetzt genau aussieht. Und die haben den Kontakt zu Connection e.V. hergestellt und nachgefragt, ob sich denn da schon viele gemeldet haben, weil die bieten ja Beratung an für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure und arbeiten international. Und Rudi Friedrich sagte mir dann, dass er Fälle kennt und danach fragen will, ob die bereit sind, vor die Kamera zu gehen. So kam der Kontakt zu Maxim und Marc dann auch letztendlich zustande.
SK
Und war das jetzt einfach die vor die Kamera zu bringen hattest du auch Absagen?
MMR
Sagen wir mal so: Meine Russischkenntnisse sind quasi nicht vorhanden, und insofern bist du bei solchen Recherchen natürlich darauf angewiesen, auf so ein Netzwerk wie Connection e.V. dass die mit dir zusammen arbeiten. Also ich hatte keine Absagen. Ob Rudi Friedrich Absagen hatte, das weiß ich nicht. Es war nur so, dass es erst hieß, dass die beiden nur unerkannt vor die Kamera gehen wollen, also dass wir quasi verdeckt drehen müssen. Und das hat sich aber dann, als sich die beiden getroffen habe, ganz schnell geändert. Also Maxim war sofort bereit und Mark auch, zumal er ja auch in Greifswald öffentlich für die Ukraine aktiv ist. Die haben dann das große Problem nicht mehr gehabt. Also ich weiß nicht, ob das so anfangs Bedenken waren. Aber sie sind dann vor die Kamera gegangen. Das war jetzt das einzige, was ich mir anfangs ein bisschen schwierig vor.
SK
Was du auch angesprochen hast: Sprache. Du sprichst kein Russisch, aber wir haben es ja am Anfang gehört, die beiden sprechen sehr gut Englisch. Mark spricht auch sehr, sehr gut Deutsch. Der hat auch eine Weile in Deutschland gelebt. Wir wollen die ein bisschen kennenlernen. Ich würde ganz gerne mit Maxim anfangen, Marion. Der ist 20, stammt aus Smolensk. Warum ist er nach Deutschland gekommen? Und wann?
MMR
Der kam Anfang Februar. Ich glaube, dass die Familie sehr vorausschauend war. Der Vater von Maxim hat einen Cousin, der schon seit Jahrzehnten in Deutschland lebt. Und nachdem ,was mir Maxim erzählt hat, war der Kontakt ein bisschen verloren. Die Familie von Maxim hat dann den Kontakt wieder gesucht, und im Prinzip um Hilfe gebeten. Dass Maxim eben nach Deutschland kommen kann. Und die haben ihn dann nach Deutschland geholt. Also der junge Mann, der im Film zu sehen ist, in der Wohngemeinschaft in Berlin, dass ist auch ein Verwandter, das ist der Sohn von diesem Großonkel. Und der hat dann gesagt ja, natürlich, ich habe ein Zimmer in meiner WG frei, natürlich stelle ich das zur Verfügung. Also Maxim hat diese familiäre Unterstützung gehabt. Und im Prinzip kann ich das verstehen. Ich habe selbst einen Sohn, der 18 Jahre alt ist. Ich würde auch alles daran setzen, um zu verhindern, dass mein Kind in so einen Krieg geschickt wird.
SK
Die haben das schon geahnt, Anfang Februar? Da haben andere Leute noch nicht mal geahnt, dass ein Krieg tatsächlich ausbrechen wird....
MMR
Das hat Mark erzählt, also, dass die Gerüchte, dass es zum Krieg kommen könnte, dass die da waren, dass diese Angst da war. Dass viele wussten, dass das passieren könnte. Das kam, glaube ich nicht so aus heiterem Himmel, wie wir uns das vorstellen. Und Maxim hat mir erzählt, dass es seinen Eltern ganz wichtig war, ihn in Sicherheit zu wissen, also ihn nicht der Gefahr auszusetzen, vom Militär eingezogen zu werden. Zumal er ist jung, er ist gesund, er hat ja auch kaum Grund, zu sagen, er geht da nicht hin.
SK
So ähnlich ist es ja bei Mark. Der ist zwei Jahre älter. Der ist auch Anfang Februar gekommen, weil er seine Freundin besucht hat. Richtig?
MMR
Der kam im Prinzip eine Woche, bevor der Krieg los ging nach Greifswald. Und er hat wohl vorher schon mal in Greifswald studiert. Und dann war er wieder in Russland. Und dann konnten sich die beiden wegen Corona ewig nicht sehen, und er ist dann nach Greifswald zu ihr gefahren. Also die Idee war, sie zu besuchen, sie nach langer Zeit wieder zu sehen. Und die hat dann die Nachricht vom Krieg - nun nicht aus heiterem Himmel getroffen - aber eben doch erst mal ziemlich hart getroffen. Mark sagt auch, dass es diese Gerüchte gegeben hätte, dass man immer wieder gehört hätte, es könnte dazu kommen, aber er hätte immer nur gedacht Nein, das möchte ich, das kann ich und will ich mir gar nicht vorstellen. Ich glaube es nicht. Das sind sicher nur Gerüchte. Und deswegen war Mark wohl total schockiert, als dann die Nachricht kam. Und das war natürlich insofern noch einmal dramatische für die als Paar, weil die Eltern von ihr in Kiew leben. Sie stammt aus der Ukraine, die Familie ist dort und Mark sagte, sie haben sofort in Kiew angerufen. Sie hat geweint. Sie hat Angst um die Familie. Er war sehr aufgewühlt, auch als er mir das erzählt hat und dass es für ihn in dem Moment auch total klar war, dass er bei ihr bleibt, dass er auf gar keinen Fall nach Russland zurückgeht. Er ist auch sehr politischer Mensch. Also er hat sich auch in Russland - ich weiß jetzt nicht, ob es sich wirklich sehr aktiv engagiert hat, - aber er ist immerhin schon zu Demonstrationen gegangen. Hat Nawalny gehört, hat sich also für das politische System sehr stark interessiert. Er hat zum Beispiel erzählt, in der Schule habe er gelernt, dass Russland und nie noch niemals in der Geschichte einen Krieg angefangen hätte. Und dann hat er das hinterfragt. Er hat studiert, er hat sich damit beschäftigt und hat dann immer klarer gesehen in welchem Land er lebt und dass er das System eben nicht gut findet, um es mal so zu formulieren.
SK
Deswegen wollen ja beide auch nicht in dieser Armee dienen. Der Wehrdienst in Russland geht ein Jahr lang Ist verpflichtend für junge Männer zwischen 18 und 27 Jahre. Das beginnt mit einer mehrmonatigen Grundausbildung. Wladimir Putin hat immer wieder gesagt, dass Wehrpflichtige nicht in diesen Krieg - es heißt ja nicht Krieg, sondern in diese Sonderoperation - geschickt werden sollen. Aber da gibt es ja auch begründete Zweifel daran, das, dass das dann eben nicht passiert. Und das hat ja Maxim zum Beispiel auch erzählt
Wir haben von einigen Fällen gehört, Leute haben das auf Facebook gepostet, das zum Beispiel 30 Jahre alte Männer solche Briefe bekommen haben. Sie sind zum Militärbüro gegangen und sind dann verschwunden, weil man sie die Ukraine geschickt hat. Ohne Zustimmung dieser Person. Ich kann mir das vorstellen, dass mein Land mich so betrügt. Für mich ist es unmöglich zurückzugehen.
SK
Im Gespräch mit Maxim was hast du für ein Gefühl? Welche Rolle spielen solches solche Meldungen in den sozialen Medien wie die, von denen Maxim uns gerade erzählt hat?
MMR
Ja, also, ich denke mal, sowohl Mark als auch Maxim verfolgen natürlich noch sehr viel intensiver die News, die Medien, als wir das jetzt auch tun in solchen Zeiten. Und natürlich guckt dann Maxim auch, er hört was, bei Facebook oder sonst so. Und natürlich verunsichert das. Und ich finde ich, man kann natürlich sagen, die Rechtslage ist so und eigentlich dürfen die das nicht .. aber erstens mal ist Angst immer etwas Subjektives, und diese Angst ist meiner Meinung nach auch sehr berechtigt. Ich meine was, was soll man denn Putin noch glauben? Wie kann man sich denn darauf verlassen, dass nach Recht und Gesetz gehandelt wird? Oder dass ein Gesetz geändert wird oder das gar nicht dran hält? Also ich kann die Angst verstehen, dass Maxim sagt, ich gehe gar nicht erst hin. Insbesondere wenn er dann noch Geschichten hört, von Leuten, die dann quasi einfach eingezogen wurden. Also das wär mir auch zu riskant, kann ich nachvollziehen.
SK
Weil man ja auch immer wieder hört oder liest, das Wehrdienstpflichtige, obwohl sie eigentlich nicht Oder ist jetzt tatsächlich auch gegen mehrere Offiziere der russischen Armee ermittelt worden, weil die 600 Wehrdienstleistende zu dieser militärischen Operation herangezogen haben. Und die wurden dann zurückgepfiffen. Also das ist auch alles eine sehr, sehr unsichere Lage. Es gibt aber eigentlich doch auch in Russland zumindest auf dem Papier die Möglichkeit, dem Wehrdienst zu verweigern. Oder?
MMR
Die gibt es sehr eingeschränkt. Ja, aber man weiß ja gar nicht, wie sich das alles so weiterentwickelt. Wie lange dieser Krieg geht, wie hoch der Bedarf sein wird an Kanonenfutter sage ich jetzt mal, an Soldaten. Wie hoch wird das sein? Wie hoch ist der Einsatz, den Russland da hat? Weiß man das oder eben nicht. Inwieweit am Ende einfach jeder in den Krieg geschickt wird, ob er will oder nicht. Und dann gibt es dieses Recht auf Kriegsdienstverweigerung (nicht mehr). Da würde ich mich nicht darauf verlassen wollen, wenn ich Maxim wäre.
SK
Dieser Satz von Maxim, wo er sagt: Ich weiß, wie sehr mein Land mich betrügen kann. Da spricht ja auch so ein ganz, ganz tiefes Misstrauen, aber auch eine eine Enttäuschung raus über das eigene Land. Hast du das auch so wahrgenommen?
MMR
Ja, ich habe das auch so wahrgenommen. Vor allem diese Enttäuschung habe ich auch wahrgenommen. Das hatte fast so etwas heimatloses, fand ich. Wie er da sagtee ja, also so ja, mein Land, ja, was mich so betrügt, also das, das fand es schon ein bisschen verzweifelt, muss ich sagen.
SK
So habe ich das auch wahrgenommen. Für alle, die jetzt zuhören. Der Beitrag von Marion Mück-Raab ist noch zu sehen in der ARD-Mediathek, und zwar in der Sendung exakt vom 1. Juni
Interview Rudi Friedrich connection e.V:
Wie viele junge russische Männer in der gleichen Situation wie Mark und Maxim sind und warum es für sie so schwierig ist, Asyl zu bekommen. Das will ich jetzt von Rudi Friedrich wissen. Er arbeitet bei Connection e. V., einem internationalen Netzwerk, was Kriegsdienstverweigerer betreut.
SK
Guten Tag, Herr Friedrich, ich freue mich, dass Sie sich Zeit genommen haben. Ja, einen schönen guten Tag. Herr Friedrich, gibt es eigentlich Zahlen zu Deserteuren beziehungsweise Kriegsdienstverweigerern aus Russland, die sich jetzt gerade hier in Deutschland befinden?
Rudi Friedrich (RF)
Also es ist so, dass die meisten russischen Militärdienstentzieher und Deserteure, also alle, die sich irgendwie nicht am Krieg beteiligen wollen, die kommen gar nicht nach Deutschland. Für Deutschland brauchen sie ein Visum. Das ist relativ schwierig zu bekommen. Und es gibt andere Länder, wo das viel einfacher für sie ist. Deswegen sind viele in Georgien, in Armenien, in der Türkei, in Serbien, Montenegro und ein paar anderen Ländern. Da können Sie einfach so hingehen. Und dann stellt sich natürlich die Frage wie viel sind es denn insgesamt? Es wird davon ausgegangen, dass 300.000 aus Russland sich aufgrund des Krieges ins Ausland abgesetzt haben. Darunter sind aber auch alle Oppositionellen. Darunter sind Journalisten. Darunter sind Kulturschaffende, und darunter sind eben auch Militärdienstentzieher und Deserteure. Aber niemand weiß die genaue Zahl Aber wir müssen also von ausgehen, dass es einige tausend sind, die das gemacht haben, die sich dem Kriegsdienst entzogen haben. Aber wie gesagt, eine wirklich klare Zahl dazu haben wir nicht.
SK
Es gibt eine europäische Richtlinie, die besagt, wer Verfolgung befürchten muss, weil er sich einem völkerrechtswidrigen Krieg, also einem Angriffskrieg, entzieht, der soll einen flüchtlingsrechtlichen Schutz erhalten. Wo liegt denn das Problem? Zum Beispiel für Maxim und Mark?
RF
Das Problem liegt in der nicht unbedingt in der Richtlinie, aber in der Auslegung der Richtlinie. Es gab verschiedene Urteile, auch beim Europäischen Gerichtshof. Und da wurde dann diskutiert, was heißt denn das, wenn da konkret ein Soldat ist, der sich am völkerrechtswidrigen Einsatz entzieht oder einen völkerrechtswidrigen Krieg entzieht, welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit der einen flüchtlingsrechtlichen Schutz bekommt. Und eine Bedingung war, er müsste einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen, soweit das möglich ist. Eine andere Bedingung war: Er müsste aufzeigen, dass er tatsächlich in diesem Krieg eingesetzt wird, dass er rekrutiert wird und dort eingesetzt wird. Da ist es natürlich klar, wenn sich jemand die Militärdienst entzieht, wenn er also klugerweise und richtigerweise schon vorher geht und sagt ich will da ja gar nicht hin. Ich will ja gar nicht zum Militär, sondern ich will vorher klarmachen, dass ich gegen den Krieg bin. Und dann kann er aber nicht nachweisen, dass er wirklich mit seiner Einheit, die er ja nicht kennt, in der Ukraine eingesetzt wird. Und so gibt es viele Hürden, die über die Rechtsprechung aufgebaut worden sind, die dazu führen, dass ganz viele Menschen, die jetzt aus Russland fliehen, vor dem Kriegsdienst, dass die praktisch keine Chance haben, Asyl zu bekommen. Und das finde ich wirklich dramatisch. Dass das so ist.
SK
Inwieweit ist es denn eigentlich ein auch für die Leute, wie zum Beispiel Mark und Maxim ein Problem also für junge Russen, die von vornherein den Wehrdienst verweigern wollen, mit der Begründung, dass sie auch Angst haben, in diesen Krieg geschickt zu werden, das ja Wladimir Putin immer wieder betont hat, dass die nicht an die Front geschickt werden. Also da fehlt er dann auch so ein bisschen der der Beweis, dass man dort eingesetzt wird. Oder hierzulande in Deutschland zum Beispiel zu beweisen oder Gründe für das Asyl zu bringen, wenn das Land, aus dem ich geflüchtet bin, sagt na ja, du musst doch eigentlich gar nicht an die Front gehen.
RF
In der Tat ist das ein großes Problem. Weil sie können natürlich nicht nachweisen, dass ihre Einheit, die sie gar nicht kennen, weil sie sind ja auch gar keiner Einheit zugewiesen, dass die in der Ukraine eingesetzt wird. Und das ist in der Tat ein großes Problem. Aber das, finde ich, ist ein Problem der Regelung des Asylverfahrens und der hohen Hürden, die da aufgebaut worden sind, weil nicht verstanden worden ist, wie Krieg und wie Militär funktioniert. Denn ein Soldat kann nicht entscheiden, wo er eingesetzt wird. Er hat niemals die Entscheidungsfreiheit, wo er eingesetzt wird. Ein Soldat hat nicht die Entscheidungsfreiheit, einfach zu kündigen. Ein Soldat kann nicht einfach gehen. Und bei den Gerichtsurteilen haben wir manchmal einen Eindruck, irgendwie haben die Richter die Vorstellung das hat ein bisschen was mit einem normalen Arbeitsverhältnis zu tun. Das ist eigentlich unglaublich. Natürlich ist es kein normales Arbeitsverhältnis, sie sind verpflichtet, auch wenn sie sich freiwillig gemeldet haben, wer unterschrieben hat, ist verpflichtet, im Militär zu sein und den Befehlen der Vorgesetzten zu folgen. Und das bedeutet eben, dorthin zu gehen, wo die sagen, dass man hingehen muss.
SK
Ihr Verein hat gerade mit anderen Akteuren auch ganz aktuell einen Aufruf veröffentlicht, wo es um einheitliche Regelungen zum Schutz und Asyl für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Russland, Belarus und der Ukraine geht. Also wo das gefordert wird. Daraus ließe ich es gibt noch gar keine einheitliche europäische Regelung diesbezüglich?
RF
Also im Grundsatz ist es so, dass Krieg sind, die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerung nicht als Asylgrund gilt. Das ist der Grundsatz in der Rechtssprechung. Da braucht es unbedingt eine Änderung. Das eine ist, wir betonen Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht. Jeder muss zur jeder Zeit die Möglichkeit haben, das auch kundzutun und umsetzen zu können. Und das gilt für alle Länder. Das gilt nicht nur für Russland oder auch Belarus, das gilt auch für die Ukraine. Auch dort muss es die Möglichkeit geben, den Kriegsdienst zu verweigern. Das ist ein Punkt, den wir dort benennen und der zweite Punkt, den wir benennen ist: Natürlich muss der Schutz für diejenigen, die sich einem Angriffskrieg entziehen, also konkret dem russischen Militärdienst entziehen, der russischen Deserteure, die sich dem Angriffskrieg entziehen. Natürlich müssen die Schutz bekommen, und zwar nicht nur die Deserteure, sondern alle, die sich diesem Krieg entziehen. Das ist der zweite Punkt, den wir dort benennen. Und und das ist überhaupt nicht klar, wie das in den europäischen Ländern gehandelt wird. Es gibt teilweise Duldungen oder eine Art von humanitärem Status. Deutschland hat gesagt, wir geben Deserteuren aus Russland möglicherweise Asyl. Aber es ist erstens im Umfang nicht klar und insofern dann auch kein echtes Angebot für die Leute, sich dem Krieg zu entziehen. Und das ist auch in den Regelungen überhaupt nicht klar. Und mit unserer europäischen Initiative wollen wir darauf hinweisen, dass das so ist, und wollen das natürlich auch ändern.
SK
Sie hatten es gerade schon mal angesprochen, dass es einfacher ist, für Deserteure aus der russischen Armee in Deutschland Asyl zu bekommen. Im Vergleich zum Beispiel zu Verweigerern, wie Mark und Maxim. Wie kann man denn überhaupt sicherstellen, dass hier nicht Menschen Asyl bekommen, die sich zum Beispiel Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben, also sie zum Beispiel in Butscha dabei gewesen sein könnten und dann erst desertiert sind?
RF
Im Strafrecht muss es nachgewiesen werden und aufgezeigt werden, dass jemand sich an Kriegsverbrechen beteiligt hat. Und dann es soll ein Gerichtsverfahren stattfinden, und da findet sich dann auch an mir eine Strafzumessung. Das ist ja bei Syrern passiert, die, wo bekannt geworden ist, dass die in Syrien Kriegsverbrechen begangen haben und dass sie sich hier in Deutschland aufhalten und dass es entsprechende Verfahren gegeben hat. Das ist ja ganz richtig, dass das so läuft. Im Asylverfahren ist es so, dass allein die Vermutung, dass jemand sich an solchen Kriegsverbrechen beteiligt hat, dann dazu führen würde, dass er keinen Flüchtlingsschutz bekommt. Die Vermutung heißt zum Beispiel könnte zum Beispiel heißen wenn jemand in einer Einheit stationiert war, die bekanntermaßen in Bucha war, dann könnte ja angenommen werden, dass er sich an diesen Verbrechen beteiligt hat. Und wenn das vermutet wird, kann das Gericht sagen dann gibt es kein Flüchtlingsschutz. Und im Grunde muss man daraus folgern, dass es umso wichtiger ist, dass die Leute, die erst gar nicht zum Militär, die das gar nicht wollen, dass die Schutz bekommen. Denn man kann doch den Leuten nicht sagen, ihr müsst zum Militär gehen, dann desertiert ihr. Und dann geben wir euch einen Flüchtlingsschutz. Sondern es muss doch schon vorher einen Schutz geben, damit die Leute gar nicht erst in die Situation kommen. Und es ist fatal zu denken, dass ein Soldat einfach so desertieren kann. Nein, das geht nicht. Er ist im Kriegsgebiet möglicherweise, und die Truppen sind drumherum. Er macht das unter größtem Risiko, verlässt er die Truppe. Das ist nicht einfach easy going, dass man einfach mal abhaut. Nein.
SK
Das wissen Sie denn, was Deserteuren und oder auch Verweigerern wie Maxim und Mark in Russland droht, wenn der Antrag abgelehnt wird und sie abgeschoben werden?
RF
Das hängt natürlich immer ein bisschen von der persönlichen Situationen ab. Wenn Leute rekrutiert worden sind, dann drohen ihnen mehrere Jahre Haft. Das gilt für alle diese Länder, also Belarus, Ukraine und Russland. Wenn sie desertiert sind aus dem Militär, kann die Strafe noch höher ausfallen. Also sicher sind Strafzumessungen um fünf Jahre oder mehr möglich. Ich habe das gesehen für die Ukraine. Da sind zweieinhalbtausend Strafverfahren in den ersten vier Monaten eröffnet worden. Und da sind allein zehn mögliche Vergehen aufgeführt, die von Selbstverstümmelung über Militärdienstentziehung, nicht Folgen der Erfassung reichen. Also ganz viele verschiedene Varianten, die zu ganz unterschiedlichen Strafzumessungen folgen würden. Aber man muss davon ausgehen, dass es da um mehrere Jahre Haft geht.
SK
Ich danke Ihnen sehr. Rudi Friedrich von Connection e. V. Vielen Dank,
RF
Ja, ich danke auch sehr herzlich für das Gespräch. Danke schön.
SK
Marion, Rudi Friedrich hat uns jetzt gerade noch mal erklärt, dass es da einen großen Unterschied gibt zwischen den Deserteuren und zwischen den Wehrdienstpflichtigen, die sich eine Einberufung entziehen, inwieweit sie asylberechtigt sind. In Deutschland verantwortlich ist das Bundesministerium des innen. Hast du da mit denen Kontakt aufgenommen? Hast du rauskriegen können, warum dieser Unterschied gemacht wird?
MMR
Ich hatte beim Bundesministerium des Innern um ein Interview gebeten oder um eine Stellungnahme. Dazu also mehrere Fragen natürlich gestellt und unter anderem eben auch diese Frage gestellt, wieso dieser Unterschied gemacht wird zwischen Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren. Weil, das habe ich bis jetzt auch noch nicht wirklich begriffen, muss ich sagen. Aber leider habe ich da auch keine Auskunft bekommen. Also das BMI hat tatsächlich nichts weiter gemacht als in einer schriftlichen Stellungnahme auf die Rechtslage verwiesen. Die im Übrigen auch beinhaltet, dass diese Drittland-Regelung greift, das heißt, zum Beispiel junge Russen, die über Finnland oder was weiß ich welche Länder, nach Deutschland kommen, waren schon im sicheren Drittland ja und das ist auch schon ein Grund, kein Asyl zu bekommen. Das gilt ja auch immer wieder in anderen Fällen. Das ist uns leider nicht erklärt worden. Ich habe zwar jetzt schon mal gehört, ja, wir können ja nicht alle Russen aufnehmen. Na klar, das Land ist groß .. aber jetzt mal im Ernst: Es stellt sich ja auch die Frage, so viele sind das nun wieder mal nicht? Und ich finde es schon richtig. Also die Idee, die ja auch hinter dem Bundestagsbeschluss steht äh, dass man sagt wir wollen die Armee schwächen. Und das können wir eben, indem wir Soldaten sagen, legt die Waffen nieder oder geht gar nicht erst dahin. Führt diesen Krieg nicht für Putin. Und wir bieten euch Schutz an. Das ist eine Möglichkeit.
SK
Wie sich das anfühlt , so in der Schwebe zu sein, das wird uns jetzt auch gleich noch Mark erzählen. Mmit dem habe ich noch mal telefoniert.
Hallo, Mark. Schön, dass du Zeit hast für uns und schön dich zu hören
Mark
Moin moin
SK
Mark, wir haben am Anfang des Podcasts schon einiges gehört über dich. Marion hat dich in Greifswald getroffen. Jetzt sind schon wieder ein paar Tage vergangen, seit dem ihr die Aufnahmen gemacht habt. Wo bist du jetzt? Und wie ist der Stand der Dinge?
Mark
Ich bin zurzeit in Horst, in einer Aufnahmeeinrichtung.
SK
Wo ist das? Horst ?
Mark
Das ist in Mecklenburg-Vorpommern nicht weit vom Hamburg, uns nicht weit vom Schwerin.
SK
Warum bist du in Horst ?
Mark
Ich muss hier mein Asylantrag stellen.
SK
Deine Freundin wohnt in Greifswald, da bist du auch bis jetzt gewesen. Warum musst du jetzt in dieses Heim? Warum kannst du denn nicht von Greifswald ausstellen, dass Du bei deiner Freundin wohnen kannst?
Mark
Ich habe versucht, den Asylantrag zu stellen. Aber ich habe eine Antwort von BAMF erhalten, dass ich in meinem Fall einen Asylantragstellung nur persönlich stellen kann.
SK
Jetzt ist es ja ein bisschen eine spezielle Problematik. Du bist Russe, du willst wegen des Angriffskriegs nicht zurück nach Russland. Es gibt einige, die in der gleichen Situation sind wie du, wie zum Beispiel auch Maxim. Aber es sind relativ wenige, also laut dem Verein Connection e. V. sind es so ein paar tausend. Hast du das Gefühl, dass die Behörden in Deutschland mit diesem doch eher speziellen Problem umgehen können? Also dass die auf Leute wie dich vorbereitet sind?
Mark
Ich würde sagen, ich habe das Gefühl, dass das Bundesamt nicht weiß, was zu tun ist. Also ich habe dieses Gefühl, das ist ein neuer Fall. Es gibt zwar Leute aus Russland, aber nicht so viel. Also es gibt im Moment keine Lösung. Das ist wie ein unmöglicher Fall: Russen verlassen Russland präventiv.
SK
Wie konkret ist denn eigentlich für dich die Gefahr, dass du, wenn du zurück musst nach Russland dann zum Militär musst?
Mark
Es ist gefährlich. Deswegen habe ich die Entscheidung getroffen, nicht zurück nach Hause gehen. Und das Problem auch liegt darin, dass viele Leute in Russland diesen Krieg unterstützen. Und dort wird man dann als Verräter bezeichnet. Das ist kein freies Land.
SK
Und hast Du schon eine Einberufung bekommen?
Mark
Das Problem ist, sie können mich nicht erreichen. Ich wohne nicht mehr in Russland unter der Adresse. Aber ich bekomme immer wieder Anrufe auf meiner russischen Sim-Card. Aber ich habe keine Ahnung, ob das das Militärbüro ist.
SK
Solltest du Asyl bekommen, ist es für dich eine Option, wenn der Krieg zu Ende sein sollte, wieder nach Russland zu gehen?
Mark
Nein. Ich will keine Verbindung mehr haben. Ich kann Russland diese warcrimes (Kriegsverbrechen) nicht verzeihen. ich glaube nicht mehr an eine gute Zukunft in Russlands. Aber meine Familie zum Beispiel lebt dort. Aber es gibt viele andere Orte, wo wir uns treffen könnten.
SK
Du bist jetzt in Deutschland, deine Familie ist nach wie vor in Russland. Können Sie verstehen, dass du nicht mehr zurück möchtest nach Russland?
Mark
Ja, sie verstehen das. Aber es ist ein schwieriges Thema. Aber sie haben mir gesagt du kannst machen, was du willst. Und so mache ich das.
SK
Jetzt haben wir ja auch schon gehört, dass es oft passiert, gerade bei Wehrdienstverweigerern, dass diese Asylanträge abgelehnt werden. Das heißt dann für dich auch konkret du müsstest zurück nach Russland, richtig?
Mark
Ja und nein. Ich habe Angst darüber nachzudenken. Es beginnt ja erst einmal eine lange Zeit mit verschiedenen Gerichten und Duldungen. In der Zeitz ist kein normales Leben möglich. Ich hoffe, es geht gut.
SK
Wenn es eine Abschiebung geben würde, was wäre deine größte Angst?
Mark
Das ich zurück nach Russland muss und nicht weiß, was dort passiert. Ich kann mir vorstellen, dass die fragen, wo warst Du? was hast du dort gemacht? Ohne Visum? Und ich habe meinen Pass weg gegeben beim Bundesamt (BAMF). Was muss ich denen sagen? Das ich nach Asyl gesucht habe? In einem unfreundlichen Land, wie man in Russland denkt? Ich hoffe, es geht weiter gut.
SK
Mark, ich drück ganz, sehr die Daumen. Ganz, ganz vielen Dank für das Telefonat.
Mark
Vielen Dank
SK
Von Mark, haben wir jetzt gehört, wie die Lage ist. Weißt du Marion, wie es jetzt bei Maxim aussieht?
MMR
Also bei Maxim ist mein aktueller Stand, dass er arbeitet. Er arbeitet ja als Model in der Modebranche und er hat auch Aufträge. Im Moment hat er ja auch noch einen legalen Aufenthalt. Der kommt im Prinzip auch klar, er kann bei seinem Großcousin in der Wohngemeinschaft bleiben und er hat diese familiäre Unterstützung. Aber er hat halt eben auch diese Unsicherheit, dass er so gar nichts wirklich planen kann. Er träumt davon zu studieren, in Europa, wie er sagt, und zu bleiben. Aber ob das alles so sein wird, das weiß er eben nicht.
SK
Marion, bleibst du jetzt mit mit denen noch in Kontakt? Verfolgst Du weiter das Schicksal der beiden?
MMR
Ja, also, mit Mark habe ich jetzt schon ein paar Mal telefoniert. Mit Maxim habe ich nur einmal gesprochen, aber mit beiden habe ich verabredet, dass wir in Kontakt bleiben und dass sie mich auch weiter auf dem Laufenden halten, was mit ihnen wird, was mit dem Verfahren wird. Das wird natürlich auch nicht so schnell gehen. Also, das wird sicher doch nur Zeit dauern, bis bis dann mal was passiert. Bei Asylverfahren sowieso. Und bei Maxim hoffen wir jetzt einfach mal, dass er ein Visum bekommt und er erstmal hier bleiben kann.
Marion ich danke dir, dass du dir Zeit genommen hast für unser Gespräch
Danke, sehr gern
Das war MDR INVESTIGATIV – Hinter der Recherche. Dieser Podcast erscheint alle 14 Tage, immer freitags. Wenn Sie uns abonnieren, dann können Sie sicher sein, keine Folge zu verpassen. Wir sind in der ARD Audiothek, bei Apple, Spotify und Youtube und freuen uns über Bewertungen und Feedback (investigativ@mdr.de)
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