Eine Hauswand im Zentrum von Halle/Saale zieren Wörter aus der deutschen Sprache, die inzwischen eher selten benutzt werden. Der Verein „Pro Halle“ setzt sich dafür ein, dass diese Wörter nicht in Vergessenheit geraten.
Eine Hauswand im Zentrum von Halle/Saale zieren Wörter aus der deutschen Sprache, die inzwischen eher selten benutzt werden. Der Verein „Pro Halle“ setzt sich dafür ein, dass diese Wörter nicht in Vergessenheit geraten. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Hendrik Schmidt

MDRfragt Mehr Jüngere sprechen Dialekt als Ältere

21. Februar 2024, 05:00 Uhr

Knapp neun von zehn Befragten unter 30 sprechen wenigstens ab und zu Dialekt. Das machen in der Altersgruppe über 65 nur sieben von zehn Befragten. Das zeigt eine Umfrage zum Welttag der Mundart, an der mehr als 23.000 Menschen aus Mitteldeutschland teilgenommen haben. Danach ist Dialekt vor allem etwas für Familie und Freundeskreis und weniger für den Arbeitsplatz. Eine deutliche Mehrheit erfährt nach eigener Aussage keine negativen Reaktionen, wenn sie nicht Hochdeutsch spricht.

"Naufzu" bedeutet im Erzgebirge, dass es den Berg hinauf geht. Wer in Halle zum Rosenmontag "Schnongse" verteilt, bringt Bonbons unters Volk. Liegt in Thüringen ein "Krawenzmann" in der Baugrube, muss ein sehr großer Stein entfernt werden. Mindestens einmal im Jahr wird deutlich, wie bunt und abwechslungsreich die deutsche Sprache bei uns ist. Mit dem Tag der Muttersprache am 21. Februar will die UNESCO auch das Vergessen von Dialekten verhindern. Die werden offenbar von sehr vielen Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen weiterhin gesprochen. Das zeigt eine aktuelle nicht-repräsentative, aber gewichtete Befragung in der MDRfragt-Gemeinschaft, an der mehr als 23.000 Menschen teilgenommen haben. Danach sprechen acht von zehn Befragten wenigstens hin und wieder Dialekt. Damit ist gemeint, dass die Aussprache wenigstens etwas vom Hochdeutschen abweicht und ortsübliche Begriffe oder Bezeichnungen benutzt werden.

"Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit"

Laut der aktuellen Umfrage nutzen Jüngere offenbar häufiger den ihnen vertrauten Dialekt als Ältere.

  • Bei Befragten bis 29 sprechen 85 Prozent nach eigenen Angaben wenigstens manchmal Dialekt.
  • Bei allen unter 50 sind es sogar 87 Prozent.
  • Bei Menschen ab 65 sprechen dagegen nur 71 Prozent Dialekt.

Auch zwischen den Bundesländern gibt es deutliche Unterschiede. In Sachsen sprechen neun von zehn Befragten (89 Prozent) mit Dialekt. In Thüringen sind es etwas weniger (75 Prozent). In Sachsen-Anhalt geben nur sechs von zehn Teilnehmenden an, Dialekt zu sprechen.

Dialekt sprechen
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die deutliche Mehrheit – 86 Prozent – möchte nach eigener Aussage Dialekte und Mundarten der Region erhalten. Annett (34) aus Dresden begründet das so: "Es gibt ein Gefühl von Heimat, wenn man den gewohnten Dialekt spricht und andere sprechen hört." Ähnlich sieht das auch Marius (35) aus Leipzig: "Dialekte prägen Regionen, ermöglichen eine Atmosphäre des 'Verstandenwerdens' und ein Gefühl der Zugehörigkeit". Gleichzeitig könnten es aber Dialekte Zugewanderten auch erschweren, in der Region anzukommen.

Es gibt ein Gefühl von Heimat, wenn man den gewohnten Dialekt spricht und andere sprechen hört.

MDRfragt-Teilnehmerin Annett (34) aus Dresden

Auch für Benjamin (33) aus Erfurt sind Dialekte ein Teil seines Heimatgefühls und daher für wichtig: "Man erinnert sich im Laufe seines Lebens gern auch an die Großeltern und wie die gesprochen haben. Somit bleiben bestimmte Wörter, Weisheiten in Mundart und Sprachmelodien erhalten und werden von Generation zu Generation weitergegeben."

Zum Ausklappen:
Diese Wörter liebt die MDRfragt-Gemeinschaft in verschiedenen Dialekten

  • "Des gedd fei net" - Das geht nicht (Lutz, 74, Vogtlandkreis)
  • "runger" - runter (Irina, 63, Jena)
  • "Was schmust der Lubbert?" für "Was sagt die Uhr?" (Stephanie, 32, Landkreis Wittenberg)
  • "Steller" – Fernbedienung, "off de Kasse" - auf der Straße, "simmerda oder seiterda" - Sind wir da oder seid ihr da?, "Mocksbonne" - nervige Dorftratschtante (Ramona, 32, Erfurt)
  • "Gakel oder Gelumpe" (gesprochen: Jelumpe) aus dem Nordhäuserischen (Lisa, 28, Magdeburg)
  • Im Alphabet des "Machdeburjischen" gibt es einen Buchstaben nicht, das ‚G‘! (Olaf, 60, "Machdeburch")
  • Ich bin vor einigen Jahren von Leipzig in das Erzgebirge gezogen. In der Familie meiner Bekannten bin ich seitdem ein "Uhiesiger (Unhiesiger)", was mich sehr belustigt. (Reinhardt, 74, Erzgebirgskreis)
  • "Aahst" - kann man an jeden Satz dran hängen, "Kleeche" - Arbeit, "Nüschel" – Kopf sind "Hallisch" (Frank, 62, Halle/Saale)

Dialekte sind offenbar vor allem etwas für die Familie und den Freundeskreis: Im Freundes- und Bekanntenkreis sprechen 73 Prozent und in der Familie 70 Prozent mit regionaler Färbung oder nutzen bestimmte Wörter. Deutlich weniger Dialekt gesprochen wird dagegen am Arbeitsplatz (44 Prozent). Für Martin (33) aus Jena ist der Dialekt bei seiner Arbeit wichtig: "In meinem Bekanntenkreis spricht jeder seine Mundart. Auf Arbeit beim Kundenkontakt ist dies teils wichtig, um eine Vertrauensebene aufzubauen." Im Freizeitbereich sprechen offenbar mehr Befragte mit Absicht Hochdeutsch: Nur 46 Prozent der Teilnehmenden geben an, bei Sport, Kultur oder im Vereinsleben Dialekt zu sprechen.

Dialekt sprechen
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Wörter in hallescher Mundart, initiiert durch den Verein Pro Halle, an einer Hausfassade am Hallmarkt in Halle 6 min
Bildrechte: MDR/Oliver Leiste

Positive Reaktion im Freundeskreis, negative eher auf Reisen

Vor allem aus dem Freundes- und Bekanntenkreis gibt es auch am ehesten positive Reaktionen, wenn jemand mit Dialekt spricht. Davon berichtet etwas weniger als die Hälfte der Befragten (45 Prozent), die nach eigener Aussage wenigstens ab und an Deutsch mit regionaler Färbung sprechen. Reisen (27 Prozent) und Arbeit (25 Prozent) sind weitere Bereiche, in denen diese Teilnehmenden zuletzt positive Reaktionen bekommen haben. Dagegen gibt es positive Reaktionen beim Dating und der Partnersuche dagegen nur sehr selten. Das ist aber offenbar auch vom Alter abhängig.

Es ist lustig, wenn jemand anderes Ausdrücke, die man für ganz normal hält, nicht kennt und eher als süß empfindet.

MDRfragt-Teilnehmerin Emma (20) aus Magdeburg

So berichtet jede und jeder achte Befragte (13 Prozent) unter 29 von positiven Reaktionen auf Dialekt bei der Partnersuche – und damit immerhin mehr als bei den älteren Befragten. Emma (20) aus Magdeburg gehört dazu: "Als ich meine Freundin kennengelernt habe, sind uns einige Unterschiede in der jeweiligen Sprachfärbung aufgefallen. Es ist lustig, wenn jemand anderes Ausdrücke, die man für ganz normal hält, nicht kennt und eher als süß empfindet."

Negative Reaktionen auf Dialekt gibt es
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die Mehrheit der Befragten (65 Prozent) hat in den letzten Monaten in keinem Lebensbereich negative Reaktionen bekommen, wenn kein Hochdeutsch gesprochen wurde. Auf Reisen hat aber jeder und jede Zehnte (11 Prozent) schlechte Erfahrungen gemacht, wenn mit Dialekt gesprochen wurde. Dazu gehört Siegfried (82) aus dem Landkreis Meißen: "Das Sächsische sollte man auf Reisen nicht gebrauchen. Man wird belächelt oder auch verachtet." Auch Benedikt (22) aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt musste mit negativen Reaktionen auf seinen Dialekt umgehen: "Durch mein Studium lebe ich zur Zeit an unterschiedlichen Orten von Bayern bis Schleswig-Holstein. Häufig machen sich Freunde und Kollegen lustig über meine Aussprache und äffen mich nach." Katrin (57) aus Leipzig berichtet: "Beim Dating wurde darauf geachtet, dass kein 'schlimmer' Dialekt gesprochen wird. Allein diese Aussage hat mich sehr gewundert."

Sowohl vertraute als auch fremde Dialekte findet eine Mehrheit sympathisch

Acht von zehn Befragungsteilnehmenden finden es nach eigenen Angaben sympathisch, wenn andere mit einem vertrauten Dialekt sprechen. Aber auch fremde Dialekte werden von einer Mehrheit (69 Prozent) positiv aufgenommen. Gottfried (69) aus dem Landkreis Görlitz begründet das so: "Jede Mundart hat ihre sprachgeschichtliche Berechtigung. Sie ist wärmer als die Standardsprache und macht Deutschland interessanter." Christoph (29) aus dem Landkreis Wittenberg trifft in seinem Beruf sehr viele Menschen aus unterschiedlichen Regionen: "Ich mag es, wenn man hört, wo jemand herkommt. Dialekt bedeutet Heimatverbundenheit und das ist gut und schön so." Anne (32) aus Erfurt schreibt: "Ich liebe Dialekte und Mundarten. Sowas kann man nicht verhindern."

Jede Mundart hat ihre sprachgeschichtliche Berechtigung. Sie ist wärmer als die Standardsprache und macht Deutschland interessanter.

MDRfragt-Teilnehmer Gottfried (69), Landkreis Görlitz

In zahlreichen Kommentaren geben MDRfragt-Teilnehmer aber an, ihre Sympathie für andere hänge immer auch etwas von deren Dialekt ab. In der Befragung wurden die Teilnehmenden darum gebeten, den Dialekt zu benennen, den sie am sympathischsten finden. Laut den Ergebnissen sind Sächsisch und Norddeutsch für die Befragten aus Mitteldeutschland die Favoriten. Dagegen kommen Bayrisch und Schwäbisch vergleichsweise oft vor, wenn MDRfragt-Teilnehmer die ihnen unsympathischsten Dialekte benennen.

Wer im Alltag Hochdeutsch ohne regionale Färbung spricht, hat damit aus Sicht jeder und jedes zweiten Befragten Vorteile (47 Prozent). Die andere Hälfte der Teilnehmenden sieht diesen Vorteil nicht beziehungsweise nur für bestimmte Situationen.

Hochdeutsch sprechen bringt je nach Situation
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Axel (65) aus dem Burgenlandkreis schreibt dazu: "Es mag von Fall zu Fall unterschiedlich sein, aber Hochdeutsch vermittelt oftmals so etwas wie Arroganz und Sterilität. Dialekte hingegen sind herzlich und vermitteln Nähe."

Dialekte sind herzlich und vermitteln Nähe.

MDRfragt-Teilnehmer Axel (65) aus dem Burgenlandkreis

Hochdeutsch werde von Menschen aus allen Bundesländern als offiziell und professionell angesehen, findet Anna (41) aus dem Landkreis Zwickau: "Auf Hochdeutsch spricht man auch automatisch höflicher mit einer Person. Im Dialekt, egal welcher Coleur, lässt es sich eben leichter beleidigen." Michael (54) aus Magdeburg schreibt: "Oft wirken Dialekte selbst nicht so streng, dann reagiert man wahrscheinlich auch nicht so streng darauf."

Damit "hammer" das Ende dieses Artikels erreicht. Wir wünschen eine "bonfortionöse" Zeit!

Mehr zum Thema Dialekte

Zur Einordnung der Ergebnisse Die Befragung vom 5. bis 9. Februar 2024 stand unter der Überschrift: "Dialekte - liebenswert oder lächerlich?"

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.

Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 23.306 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.

Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemographischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein durchaus belastbares Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.

MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.

Dieses Thema im Programm: MDR JUMP | MDR JUMP - Die Themen des Tages | 21. Februar 2024 | 19:00 Uhr