Junge Frau mit geschlossenen Augen, relaxend.
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MDRfragt Viele empfinden Einsamkeit als psychische Belastung

10. Oktober 2023, 05:00 Uhr

Mehr als ein Viertel der MDRfragt-Teilnehmenden, die auf ihre mentale Gesundheit achten, empfindet das Gefühl der Einsamkeit als psychische Belastung. Insbesondere bei den jüngsten Befragten ist dies der Fall. Den größten Einfluss auf die mentale Gesundheit haben aus Sicht der Befragungsteilnehmenden vor allem Stress, Ängste und ein hoher Erwartungsdruck. Das zeigt eine nicht repräsentative, aber gewichtete Befragung von MDRfragt unter mehr als 20.000 Menschen in Mitteldeutschland.

MDR-Redakteurin Anna Siebenhaar
MDR-Redakteurin Anna Siebenhaar Bildrechte: MDR / David Sievers

Am Welttag für mentale Gesundheit (10. Oktober) wird immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass das allgemeine Wohlbefinden nicht nur durch die körperliche, sondern auch durch die seelische Gesundheit beeinflusst wird. In der MDRfragt-Gemeinschaft spielt das Thema mentale Gesundheit bereits eine große Rolle. So gaben zwei Drittel der Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer an, dass sie persönlich auf diese achten. Für 30 Prozent ist das hingegen nicht der Fall.

Stress, Ängste und Einsamkeit belasten die Psyche Vieler

Die MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer, welche sich mit ihrer mentalen Gesundheit auseinandersetzen, sehen diese vor allem durch Stress negativ beeinflusst. Auch Ängste und ein hoher Erwartungsdruck werden mehrheitlich als negative Einflussfaktoren genannt. Darüber hinaus spielt die Einsamkeit für mehr als jeden Vierten eine Rolle.
Dabei ist der Anteil derjenigen, die die Einsamkeit als negativen Faktor angeben, bei den Unter-30-Jährigen mit 35 Prozent am höchsten. Zudem gab diese Altersgruppe deutlich häufiger an, derzeit einen hohen Erwartungsdruck mit negativen Auswirkungen auf die mentale Gesundheit zu spüren – für 73 Prozent ist dies der Fall.

Vor allem die Arbeit sorgt für Stress

In den Kommentaren schreiben viele MDRfragt-Mitglieder darüber, dass sie insbesondere der Stress in der Arbeit belastet. Für Tina (59) aus Mittelsachsen ist der Stress so groß, dass sie ihn "in der Freizeit kaum kompensieren kann". Auch MDRfragt-Mitglied Stefan (44) aus Bautzen schreibt: "Negative Auswirkungen hat meine Arbeitssituation, die mit hohem Zeitdruck und nicht erfüllbaren Erwartungen einhergeht".

Für Constanze (61) aus Dresden stellt das ganze eine Abwärtsspirale dar. Sie ist der Ansicht: "Der Erwartungsdruck führt zu Stress, der Stress zu Ängsten und die Ängste wiederum zu Einsamkeit." Was dann folgen kann, erzählt Dietmar (69) aus dem Erzgebirgskreis und berichtet: "Wer aufgrund psychischer oder mentaler Probleme seine Leistung in der Arbeitswelt nicht erbringt, wird sehr schnell zum Mobbingopfer. Ein Gegensteuern des Arbeitgebers durch eine Veränderung der Arbeitsaufgaben habe ich noch nicht erlebt."

Der Erwartungsdruck führt zu Stress, der Stress zu Ängsten und die Ängste wiederum zu Einsamkeit.

Constanze, 61 Jahre, Dresden

Darüber hinaus sehen sich einige MDRfragt-Mitglieder aber auch schon vor ihrem Arbeitsleben mit Stress konfrontiert. So schreibt Julia (24) aus Halle an der Saale zum Beispiel: "Im Moment fällt es schwer, auf seine mentale Gesundheit zu achten. Regelstudienzeit in der Pharmazie ist purer Stress."

Auch private Situationen werden als psychisch belastend empfunden

Neben dem Stress werden in der MDRfragt-Gemeinschaft noch viele weitere Faktoren beschrieben, welche die mentale Gesundheit belasten. Aus langer Erfahrung stellt Helga (82) aus Erfurt fest: "Gestörte Familienverhältnisse, auch wenn nur teilweise, sind sehr belastend. Sie bedingen negative Emotionen und Einsamkeit" und merkt zudem an: "Wehe dem, der keinen funktionierenden Freundeskreis hat". Heike (44) aus dem Weimarer Land findet: "Echte Freunde, mit denen man über alles reden kann und die zuhören, gibt es heute meiner Meinung nach zu wenig. Es wird sehr oberflächlich und viel zu bewertend miteinander umgegangen. Daraus entsteht mentaler Stress und Einsamkeit."

Mentale Gesundheit – ein Tabuthema? Die Meinung ist geteilt.

Die mentale Gesundheit galt lange Zeit als Tabuthema. Bei der Frage, ob dies aktuell noch immer noch der Fall ist, sind die Meinungen geteilt. 46 Prozent der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer haben den Eindruck, dass die Thematisierung der mentalen Gesundheit tatsächlich noch immer ein Tabu ist. 42 Prozent teilen diese Ansicht hingegen nicht.

Knappe Hälfte findet, es wird zu wenig über mentale Gesundheit gesprochen

Parallel dazu, dass die Mehrheit der Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer die mentale Gesundheit noch immer als Tabuthema wahrnimmt, sind 44 Prozent der Ansicht, dass diese zu wenig thematisiert wird. Für mehr als ein Fünftel wird hingegen ausreichend viel darüber gesprochen – für mehr als ein Viertel sogar zu viel.

MDRfragt-Mitglied Oliver (39) denkt, dass es in Deutschland "historisch gewachsen ist, dass man der mentalen Gesundheit wenig Beachtung schenkt." Er hat den Eindruck: "Über Gefühle reden, Bedürfnisse kommunizieren oder sich sogar Hilfe suchen, scheint noch mit Schwäche und Versagen assoziiert zu werden, vor allem bei Männern."

Wenn dann doch einmal über psychische Erkrankungen gesprochen wird, nimmt Luise (27) aus dem Landkreis Görlitz wahr, dass diese "oft klein geredet oder nicht so ernst genommen werden". Der Grund dafür liegt ihrer Ansicht nach darin, dass "diese Art der Krankheit nicht greifbar ist", denn "einen gebrochenen Arm sieht man, eine Depression steht einem aber nicht auf der Stirn geschrieben."

Auch Lothar (66), ebenfalls aus dem ostsächsischen Landkreis Görlitz, denkt: "Viele können sich nicht in so einen Zustand hineinversetzen und meinen, der Betroffene braucht sich nur etwas mehr bemühen, um den Zustand zu verbessern".

Über Gefühle reden, Bedürfnisse kommunizieren oder sich sogar Hilfe suchen, scheint noch mit Schwäche und Versagen assoziiert zu werden.

Oliver, 39 Jahre, Dresden

Für Antje (50) aus dem Erzgebirgskreis spielt die mentale Gesundheit mittlerweile eine große Rolle. Sie schreibt, sie habe erst in den vergangenen Jahren gelernt, dass es mentale Gesundheit "überhaupt gibt, dass man darüber nachdenken und sprechen darf und dass man Dinge für sich selbst tun darf, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben". Darüber hinaus berichtet die 50-Jährige: "Als Kind habe ich das nicht gelernt – über solche Dinge wurde nicht gesprochen und mein Vater versteht bis heute nicht, dass ich mich damit beschäftige."

Knapp drei Viertel sehen Stigmatisierung psychischer Erkrankungen

Knapp drei Viertel der Befragten haben den Eindruck, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen mitunter stigmatisiert – also herabgewürdigt und ausgegrenzt – werden. Etwa ein Fünftel beobachtet das hingegen nicht.

Ihre persönlichen Erfahrungen dazu teilt Tanja (66) aus Nordsachsen in den Kommentaren und erzählt: "Obwohl es Bemühungen gibt, psychische Erkrankungen aus der 'Schmuddelecke' zu holen, ist es schwer, damit zu leben. Begriffe wie 'Klapse' oder 'verrückt' sind normal." Sie denkt: "Menschen fürchten sich davor, weil diese Krankheiten weitgehend unbekannt sind".

Aus ihrer Sicht ruft ein gebrochenes Bein Hilfsbereitschaft hervor, während jemand, der wegen einer Depression tagelang nicht aus dem Bett kommt, als faul bezeichnet wird. Auch Burghard (65) aus Magdeburg, der in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen gearbeitet hat, machte mehrfach negative Erfahrungen. Er schreibt: "Bei Aktivitäten außerhalb der Einrichtung sind uns dabei alle Arten von Diskriminierungen begegnet."

Es gibt immer noch Menschen, die ein Lügengebilde aufbauen, um nicht sagen zu müssen, dass sie psychisch erkrankt sind.

Antje, 50 Jahre, Erzgebirgskreis


Was daraus folgen kann, schildert Antje (50) aus dem Erzgebirgskreis und kommentiert: "Es gibt immer noch Menschen, die ein Lügengebilde aufbauen, um nicht sagen zu müssen, dass sie psychisch erkrankt sind, weil sie Angst vor Stigmatisierung haben." Welche negativen Erfahrungen man sammelt, wenn man doch über seine psychische Erkrankung spricht, erzählt uns ein MDRfragt-Mitglied (57) aus Chemnitz. Sie geht seit vielen Jahren zur Psychotherapie, in ihrem "Arbeitsumfeld gibt es dazu jedoch keine positiven Kommentare."

Ein weiteres MDRfragt-Mitglied (60) aus Bautzen hat aufgrund traumatischer Erfahrungen mit Angst- und Panikattacken zu kämpfen und stößt im Umfeld ebenfalls auf Unverständnis. Von dort heißt es oft, "dass man sich das nur einbildet und viele sagen, die Ereignisse liegen doch schon so lange zurück, da muss man doch endlich mit abschließen können und sich nicht so haben."

Mentale Gesundheit als Thema im Schulunterricht: Knapp zwei Drittel sind dafür

Sollte die mentale Gesundheit bereits im Schulunterricht thematisiert werden? Knapp zwei Drittel der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer sprechen sich dafür aus. Etwa ein Viertel lehnt das jedoch ab.

Auch in den Kommentaren sprechen sich viele für die Thematisierung der mentalen Gesundheit im Schulunterricht aus. Es gibt jedoch auch durchaus kritische Stimmen. So findet beispielsweise H. (61) aus dem Vogtlandkreis das Thema mentale Gesundheit im Schulunterricht zu früh platziert, da es sich seiner "Meinung nach eher negativ auswirken könnte". Er denkt, dass die Schule "nicht mit solchen Themen zusätzlich belasten, aber ein Umfeld schaffen sollte, das beobachtet und notfalls Hilfe bietet." Analog dazu kommentiert Knut (63) aus Dresden: "Schule kann nicht alle gesellschaftlichen Probleme thematisieren, dieser Trend ist gegenwärtig schon viel zu ausgeprägt". Seiner Ansicht nach sei die Thematisierung der mentalen Gesundheit Sache der Eltern.

Zumindest sollten auch Schulkinder bzw. Jugendliche über mögliche Symptome informiert werden, um eventuell rechtzeitig reagieren zu können.

Markus, 32 Jahre, Leipzig

Oliver (39) aus dem Landkreis Meißen sieht das ganz anders und fordert: "Wir brauchen in der Schule dringend das Fach 'Selbsterfahrung'. Dort sollen junge Menschen etwas über den Körper und die Psyche lernen und zwar konkret, wie sie funktionieren, was sie brauchen und vor allem, was man tun kann, wenn es einem schlecht geht."

Auch Iris (60) aus dem Unstrut-Hainich-Kreis findet, bereits "Kinder sollten lernen, mit Stress und negativen Situationen umzugehen". Ähnlich sieht es Markus (32) aus Leipzig und schreibt: "Zumindest sollten auch Schulkinder bzw. Jugendliche über mögliche Symptome informiert werden, um eventuell rechtzeitig reagieren zu können". Clara (24) aus Greiz denkt, das "hätte vielen Mitschülern und Mitschülerinnen damals sehr geholfen, um einen vernünftigen Umgang mit diesen Themen zu finden."


Über diese Befragung Die Befragung vom 28. Juli bis 01. August 2023 stand unter der Überschrift:
Schlank und schön – ein Muss? Diese enthielt auch Fragen zur mentalen Gesundheit.

Insgesamt sind bei MDRfragt 65.755 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet (Stand 02. August 2023, 12:00 Uhr).

20.648 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben online an dieser Befragung teilgenommen.

Verteilung nach Altersgruppen:
16 bis 29 Jahre: 269 Teilnehmende
30 bis 49 Jahre: 2.785 Teilnehmende
50 bis 64 Jahre: 8.452 Teilnehmende
65+: 9.142 Teilnehmende

Verteilung nach Bundesländern:
Sachsen: 10.567 (51 Prozent)
Sachsen-Anhalt: 4.923 (24 Prozent)
Thüringen: 5.158 (25 Prozent)

Verteilung nach Geschlecht:
Weiblich: 10.080 (48,8 Prozent)
Männlich: 10.510 (50,9 Prozent)
Divers: 58 ( 0,3 Prozent)

Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat nach den statistischen Merkmalen Bildung, Geschlecht und Alter gewichtet. Das heißt, dass wir die Daten der an der Befragung beteiligten MDRfragt-Mitglieder mit den Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgeglichen haben.

Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass die Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 10. Oktober 2023 | 21:45 Uhr