Medienpsychologie Warum wir so oft zum Smartphone greifen
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14. August 2020, 10:29 Uhr
Viele Menschen schauen morgens als erstes und abends als letztes auf ihr Smartphone. Während des Tages geht der Blick nochmals 50 bis 80 Mal am Tag auf den Handybildschirm – je nach Studie und untersuchter Altersgruppe. Doch woran liegt es, dass wir beinahe süchtig sind nach unseren Smartphones? Psychologisch gibt es dafür eine Reihe von Faktoren.
Sozialer Zusammenhalt
Ein zentraler Grund für die Nutzung des Smartphones ist die Tatsache, dass wir mit den Geräten soziale Bindungen herstellen, erklärt der Medienpsychologe Ricardo Münch, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Mensch-Computer-Medien der Universität Würzburg: „Der Mensch ist ein soziales Wesen. Es ist deshalb sehr wichtig für uns, zusammen mit anderen Menschen zu sein, oder diesen Zusammenhalt zu spüren – das Smartphone ermöglicht uns das unabhängig von Zeit und Ort.“ Unser Nutzungsverhalten unterstreicht das. Denn der Großteil unserer Zeit am Handy entfällt auf soziale Plattformen wie Facebook und auf Messenger wie WhatsApp. Das belegen zahlreiche Studien, etwa die Online-Studie von ARD und ZDF.
Sozialer Druck
Das menschliche Bedürfnis nach sozialen Bindungen hat allerdings eine Kehrseite. Den meisten von uns sind die Erwartungen anderer sehr wichtig. Das führt bei der Smartphone-Nutzung zu sozialem Druck, sagt Experte Ricardo Münch: „Es herrscht das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen und das wird vielfach ja auch tatsächlich erwartet.“
Ein Beispiel für die Folgen dieses sozialen Drucks ist das Schreiben einer Textnachricht, während man sich gerade mit einer anderen Person persönlich trifft. Münch erklärt das psychologische Dilemma: „Man möchte eine Nachricht sofort beantworten, um nicht zu enttäuschen. Andererseits muss man sich dafür von einer realen Person abwenden. Das Absurde ist, dass viele sich inzwischen fragen, was nun unhöflicher ist.“
Angst etwas zu verpassen
Die Sorge, etwas zu verpassen, ist eine weitere wichtige Triebfeder für Smartphone-Nutzung. Fachleute sprechen von Fear of Missing Out. „Wir Menschen wollen wissen, was andere machen. Oder anders formuliert: Wir haben das Bedürfnis, soziale Informationen zu sammeln“, erklärt Medienpsychologe Münch.
Dabei geht es nicht nur um Informationen aus dem eigenen Bekanntenkreis, sondern ebenso um Neuigkeiten von fremden Personen, zum Beispiel Prominenten. Dieses Klatsch-und-Tratsch-Phänomen habe es schon lange vor der Erfindung des Smartphones gegeben. „Das Bedürfnis ist so groß, dass wir auf keinen Fall etwas verpassen möchten. Außerdem möchten wir auch nicht von irgendeiner lohnenden sozialen Erfahrung ausgeschlossen sein, die jemand anders macht“, erläutert Münch.
Wenn unsere Smartphones blinken, piepen und vibrieren, nutzen sie diese Schwäche.
Nicht zuletzt ist der Mensch eben von Natur aus neugierig.
Gewohnheit
Oft genug braucht es keinen äußeren Anlass, damit wir zum Handy greifen. Dieses Verhalten ist zum Teil mit Gewohnheit zu erklären. „Das liegt daran, dass wir das Smartphone zu unserem ständigen Begleiter gemacht haben. Die Abläufe sind fest abgespeichert. Nutzer führen dann die gleichen Abläufe immer wieder unbewusst aus“, sagt Ricardo Münch. Dieses rituelle Handeln gebe aus psychologischer Sicht Sicherheit – wiederum ein Grundbedürfnis des Menschen.
Ablenkung und Unterhaltung
Menschen mögen keine Langeweile, suchen lieber Unterhaltung. Auch dieses Bedürfnis stillt das Handy. Medienpsychologe Münch: „Typischerweise greifen wir in einer Wartesituation auf diese Funktion des Smartphones zurück, statt einfach mal gar nichts zu tun.“
Grundsätzlich sei das nicht schlimm. Allerdings könne im Extremfall aus der Ablenkung eine Realitätsflucht werden, sagt der Experte: „Unsichere Personen können sich mit dem Smartphone allzu einfach aus unangenehmen Situationen flüchten“.
Übrigens stellen zum Beispiel soziale Netzwerke auch die idealen Funktionen für die Flucht zur Verfügung. Wer im Netz mit jemandem nicht auskommt, blockiert ihn einfach.
Fazit: Bildschirmzeit für Bedürfnisse
Wohl kein anderes technisches Gerät vermag so viele menschliche Bedürfnisse zu erfüllen wie das Smartphone. Die Mini-Computer verbinden uns mit anderen Menschen, befriedigen die Neugierde, spenden Unterhaltung und geben Sicherheit. Überdies sind sie unser Multifunktionswerkzeug im Alltag, von A wie Auto leihen bis Z wie Zahlung tätigen. Sie sind Fernseher, Radio, Zeitung, Buch, Kalender, Straßenatlas, Videokamera und vieles mehr.
Vor diesem Hintergrund teilt Medienpsychologe Münch Sorgen vor einer möglicherweise zu exzessiven Nutzung der Geräte nicht. „Das Smartphone hat so viele Geräte ersetzt und bietet so viele Funktionen. Bevor man von einer problematischen Nutzung spricht, muss man sich genau ansehen, was ein Mensch mit seinem Handy macht.“
Bildschirmzeit ist nicht gleich Bildschirmzeit.
Wie bei anderen Süchten gelte auch bei vermeintlicher Handysucht: Ein Problem ist es dann, wenn man selbst oder das eigene Umfeld es als Problem sehen.