Thüringen will Medien als Schulfach einführen Was würde Napoleon auf Insta posten?
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06. Mai 2022, 10:21 Uhr
Wenn Napoleon heute leben würde - was würde er wohl auf seinem Instagram-Account posten? Auf den ersten Blick mag die Frage irritieren, "aber sie kam bei den Schülerinnen und Schülern sehr gut an", sagt Lisa Zimmermann vom Marie-Curie-Gymnasium in Bad Berka. Unter "therealnapoleonbonaparte" trendeten auch die Hashtags #emporer für Kaiser und #revolution sehr gut.
Denn wie in allen Thüringer Schulen gehört auch in Bad Berka der Kurs Medienkunde zum Unterrichtsalltag - angedockt in diesem Fall an das Fach Geschichte. Durch ihn sollen sich die Schülerinnen und Schüler die digitale Medienwelt erschließen, selbst anwenden und kritisch zu reflektieren lernen. Nach ihrer Meinung hätte Napoleon vermutlich "Bilder seiner Siege und Schlachten hochgeladen", berichtet Zimmermann weiter. An Begeisterung der Klasse für diese Verquickung von historischem Stoff und modernem Social-Media-Alltag "wird klar, dass das voll ihr Medium ist", so Zimmermann. Das Projekt habe den Schülerinnen und Schülern "aber auch gezeigt, wie einfach es ist, etwas im Netz zu faken".
Ein Medienbildungskonzept für alle Schulen
Der Kurs Medienkunde hat laut Thüringer Bildungsministerium (TMBJS) dabei den Anspruch "alle Aspekte der Medienkompetenzentwicklung von Kindern und Jugendlichen in den Blick zu nehmen". Daher wurde in den letzten Jahren schrittweise ein durchgängiges Medienbildungskonzept an allen allgemeinbildenden Schulen entwickelt. "Der Begriff Medien ist schon immer eng mit dem Bereich Bildung verbunden", so TMBJS-Sprecher Felix Knothe: "Besonders in der Zeit der digitalen Medien ist es wichtig, den Überblick über die Vielzahl von Nutzungsmöglichkeiten, aber auch über die Gefahren und Grenzen von Medien zu behalten. Schüler, Eltern und Lehrer müssen sich den neuen Problemen stellen, die mit dem massiven Einfluss digitaler Medien auf die Unterrichtsgestaltung einhergehen."
Seit 2001 gibt es den Kurs bereits an allen allgemeinbildenden Schulen des Freistaats. Damit hat Thüringen im Vergleich zu anderen Bundesländern eine Vorreiterrolle. Zunächst waren die Klassen 5 bis 7 am Start, ab 2009 wurde Medienkunde auch für die Klassenstufen 8 bis 10 zur Pflicht. Und seit 2017 wird der Kurs auch in angepasster Form in der Grundschule angeboten.
TU Ilmenau empfahl eigenes Schulfach
Der Kurs im Umfang von zwei Wochenstunden ist an ein klassisches Schulfach angebunden, und zum Zeugnis gibt es einen als "Zertifikat Medienkompetenz" bezeichneten Medienpass. Doch das war erst der Anfang. 2016 und 2017 hat die TU Ilmenau die Erfahrungen in Sachen Medienkunde wissenschaftlich evaluiert. Die Studie empfahl, das integrierte Medienkunde-Konzept weiterzuführen, den fächerübergreifenden Kurs aber zusätzlich um ein eigenes Fach Medienkunde zu ergänzen. "In diesem Fach sollten zum einen praktische Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien und Programmen vermittelt werden", so das Resümee. "Zum anderen sollten dort aber auch grundlegende Aspekte behandelt werden, um die Schülerinnen und Schüler in die Lage zu versetzen, bewusst und selbstbestimmt Medien zu nutzen." Um dieses Ziel zu erreichen, müsse es zudem zwingend "eine systematische, grundlegende Vorbereitung von Lehrerinnen und Lehrern für diese Aufgaben geben", so die 2018 veröffentlichte Studie.
Erprobung läuft an 23 Projektschulen
Diese Weiterentwicklung des Kurses zu einem eigenen Schulfach wurde dann ab 2018 vom TMBJS strategisch und inhaltlich auf den Weg gebracht. "Die Einführung eines Pflichtfaches 'Informatik/Medienbildung' für die Klassenstufen 5 bis 10 aller Schularten ist in Vorbereitung, um die Kompetenzen für das Lernen in der digitalen Welt auszubilden", heißt es jetzt aus dem Erfurter Bildungsministerium. Seit Beginn des Schuljahres 2021/2022 erproben daher 23 Thüringer Schulen die geplanten Lehrplaninhalte in allen fünften Klassen in einem Pilotprojekt und werden dabei wissenschaftlich begleitet. "Für das nächste Schuljahr 2022/2023 soll die Erprobung weitergeführt und auf die Klassenstufe 6 ausgeweitet werden, um mit den Erfahrungen eine flächendeckende Einführung in allen allgemeinbildenden Schulen Thüringens vorzubereiten", so Knothe. Die Evaluation übernehmen wie beim Kurs Medienkunde Prof. Jens Wolling und sein Team der Fakultät Wirtschaftswissenschaften und Medien an der TU Ilmenau. Für die entsprechende Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte ist das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien in Bad Berka zuständig.
Bei der technischen Ausstattung haperts
Am Johann-Heinrich-Pestalozzi-Gymnasium Stadtroda wird in den 5. und 6. Klassen vor allem Basiswissen mit Blick auf Funktionen und Anwendungen vermittelt. "Das war gerade in den letzten zwei Jahren wegen der Pandemie besonders relevant", sagt Lisa Keßler. In diesen Jahrgangsstufen gebe es "sehr viel Interesse an Medienkunde und Lernfortschritte sind schnell erkennbar - das sind schließlich alle Digital Natives, die ihre eigenen Wünsche einbringen." Das Konzept der Schule: Das so vermittelte Basiswissen kann auch in anderen Unterrichtsfächern angewendet werden. Ein Hemmschuh ist dabei aber die technische Ausstattung der Schulen und ihrer Lehrkräfte. "Wir sind dabei, uns heranzutasten", sagt Steffi Xylander, Schulleiterin des Pestalozzi-Gymnasiums. "Vieles läuft über das persönliche Engagement unserer Lehrerinnen und Lehrer, die ihre eigenen privaten Geräte einsetzen. Vieles wird erst möglich, wenn der Digitalpakt Schule wirklich greift."
TLM lobt Konzept der Medienschulen
Der Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM) Jochen Fasco stellt dieser "Medienbildungspolitik" ein gutes Zeugnis aus. Thüringen sei "da sehr konsequent, mit dem ans Zeugnis angedockten Medienpass und jetzt den Pilotprojekten an den Medienschulen", so Fasco. "Die allgemeinbildenden Schulen sind für die Vermittlung von Medienkompetenz enorm wichtig, weil wir dort alle Zielgruppen erreichen: prekäre, aber auch die wohlhabenden Familien; Menschen mit, aber auch ohne Migrationshintergrund; Stadt und Land." Fasco hofft, dass sich diese schulische Medienbildung auch auf weitere Generationen ausstrahlt: "Wenn Medienkunde in der Schule eine wichtige Rolle spielt, gehen die Schülerinnen und Schüler nach Hause und sprechen mit ihren Eltern und hoffentlich auch mit ihren Großeltern über diese Themen."
James Bond wäre in Stadtroda gescheitert
Dabei kann dann auch schon mal Unerwartetes für alle Beteiligten herauskommen. In Stadtroda stand für die 8. Klassen bei Medienkunde auch das Thema Jugendmedienschutz auf dem Programm. "Wir haben uns den Trailer zum neuen James-Bond-Film angeschaut und überlegt, ab wann wir den Film freigeben würden", erzählt Christine Kaltenpoth, die ebenfalls am Pestalozzi-Gymnasium Medienkunde unterrichtet: "Die hätten den alle nicht ab 12 Jahren freigegeben." Und für die Schülerinnen und Schüler blieb die spannende Erkenntnis, dass sie vieles, was sie im Netz tun, eigentlich für diese Altersgruppe nicht vorgesehen ist - und wie viel sie eigentlich dürften, woran sie aber gar kein Interesse haben.