Künstliche Intelligenz Ein weites Feld
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29. März 2023, 12:04 Uhr
Künstliche Intelligenz ist in vielen Medien heute bereits allgegenwärtig. Corona-Fallzahlen, Börsenkurse, Wetterberichte und Sportergebnisse: Überall dort, wo regelmäßig ähnliche Daten anfallen, werden sie schon oft von Algorithmen verarbeitet, aufbereitet und beispielsweise in Texte oder Tabellen gegossen.
"Im journalistischen Bereich wird automatische Textgenerierung genutzt, um datengetriebene Formate zu automatisieren", sagt Johannes Sommer, Geschäftsführer der auf solche Anwendungen spezialisierten Firma Retresco im Interview mit MDR MEDIEN360G. "Überall da, wo ich homogene Daten als Input habe und eine von der Struktur her immer gleiche Textart herauskommen soll", kommen solche Verfahren zum Einsatz. Aber ist das wirklich schon Künstliche Intelligenz?
Menschenähnliches Verhalten
Nach der offiziellen Definition des Branchenverbands Bitkom, in dem sich viele Unternehmen der Informations- und Technologiewirtschaft zusammengeschlossen haben ist Künstliche Intelligenz "die Eigenschaft eines IT-Systems, menschenähnliche, intelligente Verhaltensweisen zu zeigen".
Davon kann bei den meisten Fällen, in denen aktuell Kollege Computer bei der Herstellung medialer Angebote hilft, allerdings längst noch nicht die Rede sein, sagt Bertold Meyer, Professor für Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Technischen Universität Chemnitz. Deswegen sprächen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch nicht mehr von "KI", sondern von "Maschinenlernen". Denn KI sei heute "schwache künstliche Intelligenz", so Meyer. Es handle sich um algorithmusgestützte Rechercheleistungen, um aus verfügbaren Daten unbekannte Dinge zu klassifizieren und zu erkennen. Dabei könnten schon heute durchaus auch vermeintlich sehr menschliche Eigenschaften wie zum Beispiel Grundemotionen aus Gesichtsausdrücken abgeleitet werden. "Wir wissen nicht, warum die Maschine denkt, der Mensch ist traurig - aber es stimmt. Also glauben wir das." Ob man aber jemals dazu in der Lage sein werde, "starke KI zu bauen", die auch einen eigenen, freien Willen beinhaltet, "ist vollkommen unklar", sagt Meyer: "Wir wissen in Wirklichkeit ja eigentlich gar nicht, wie freier Wille funktioniert oder was Intelligenz wirklich ist". In Meyers Sicht hat die Maschine keinen freien Willen und ist auch nicht intelligent - die Krux sei aber: "Wenn sie sich nach außen so verhält, als ob sie intelligent wäre, ist sie für uns intelligent."
Unterstützung bei der Recherche
Wenn von KI bei Medien die Rede ist, sind damit meistens drei Anwendungsgebiete gemeint. Am längsten etabliert ist die von Johannes Sommer beschriebene Nutzung regelbasierter Systeme zum Verfassen von Texten, mit der bereits seit den 1990er Jahren experimentiert wurde. Heute nutzen viele Zeitungen und vor allem Nachrichtenagenturen solche automatischen Verfahren. Der Vorteil: Der Computer arbeitet schneller, macht bei richtiger Programmierung keine Fehler und erspart den Journalistinnen und Journalisten in den Redaktionen zeitraubende und oft nicht sonderlich spannenden Fleißarbeit.
Beim maschinellen Lernen geht es beispielsweise um das Vorsortieren und Erkennen von Daten und Informationen. Große Rechercheprojekte wie die Panama- oder die Paradise-Papers wären ohne eine solche Auswertung per Algorithmus schlicht nicht möglich, sagt Hannes Munzinger vom Rechercheteam der Süddeutschen Zeitung im Interview mit MDR MEDIEN360G. Bei den beiden Projekten ging es um Schwarzgeldkonten und Steueroasen, anonyme Informanten hatten den Recherchierenden zig Terrabyte an Daten zugespielt. "Allein hätte die Auswertung selbst mit einem Riesenteam viel zu lange gedauert", so Munzinger.
Das Deep Learning, eine lernende KI die wie ein künstliches, neuronales Netz funktioniert und tatsächlich der Funktion eines menschlichen Hirns nahezukommen versucht, steckt im Vergleich dazu aber noch in den Kinderschuhen.
Einsatz von KI umstritten
Der Einsatz solch schwacher KI im Journalismus wird heiß debattiert. Medienhäuser sehen in der KI-Anwendung die Möglichkeit, effizienter und kostensparender zu arbeiten. Mehr als drei Viertel aller befragten Verlage sagten 2021 in einer Umfrage des Verbands Deutscher Zeitungsverleger und Digitalpublisher (BDZV), das Arbeiten mit Daten, Algorithmen und Künstlicher Intelligenz sei für sie "hoch relevant oder existenziell relevant". "Technologie als Treiber der Transformation" sei für den Journalismus der Zukunft unerlässlich, sagte BDZV-Geschäftsführerin Katrin Tischer bei der Präsentation der von der Beratungsfirma Schickler verfassten Studie. Andererseits stellen sich viele Journalistinnen und Journalisten besorgt die Frage, ob Teile ihrer Arbeit durch KI-Systeme überflüssig werden könnten und die Medienhäuser KI in erster Linie als weitere Sparmaßnahme einsetzen würden.
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) betont in einer Resolution vom November 2021 ausdrücklich den "herausragenden Stellenwert des menschengemachten Journalismus", dem Medienunternehmen Rechnung tragen müssten, "die den Einsatz Künstlicher Intelligenz im Journalismus oder in Journalismus-nahen Bereichen erproben. Der DJV begrüßt sinnvolle Ergänzungen, lehnt aber jegliche Gedankenspiele über den Ersatz journalistischer Leistungen durch KI strikt ab", heißt es darin. Durch den Einsatz von KI freiwerdende Ressourcen in den Redaktionen müssten Recherche und anderen journalistischen Aufgaben zugutekommen, "auf keinen Fall dürfen technische Lösungen zu einem weiteren Personalabbau in den Redaktionen missbraucht werden", so der DJV.
Von repetitiven zu kreativen Aufgaben
Uli Köppen, die beim Bayerischen Rundfunk (BR) den Bereich BR Data und das AI + Automation Lab leitet, sieht in KI-Anwendungen die Chance, dass sich Redaktionen stärker auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. "Jede Technologie kann mit positiven oder negativen Folgen eingesetzt werden", so Köppen. Natürlich müsse auch hier am Ende mehr Effektivität herauskommen, die mehr Zeit und Raum für nur vom Menschen leistbare Recherche schaffe."Idealerweise geht es um eine Umverteilung von repetitiven zu kreativen Aufgaben."
Ohnehin empfiehlt es sich bei dieser Debatte, die Kirche im Dorf zu lassen. Automatisiertes Verfassen von Standardtexten, Tabellen-Aktualisierungsfunktionen und Algorithmus gesteuerte Recherche-Unterstützung sind keine Raketentechnik, ondern noch meilenweit entfernt von selbstlernenden Systemen, die am Ende Journalistinnen und Journalisten aus Fleisch und Blut überflüssig machen könnten. Oder, wie Uli Köppen vom BR formuliert: "Wenn der Hype mal abflaut, können wir mit der Technologie richtig gut arbeiten."