MEDIEN360G im Gespräch mit... Prof. Dr. Markus Ziener

22. November 2019, 13:39 Uhr

Seit 2014 ist Markus Ziener Professor für Journalismus an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Berlin. Zuvor war er Korrespondent u.a. für das Handelsblatt und die Financial Times Deutschland in Moskau und Washington. Als Autor schreibt er regelmäßig für die Neue Zürcher Zeitung und The Straits Times aus Singapur.

Porträt von Prof. Dr. Markus Ziener 9 min
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"Es ist einfacher geworden, das zu lesen und zu finden, das meine Meinung stützt. Man liest lieber das, was einem gefällt, als das, was zu kritischem Hinterfragen der eigenen Meinung zwingt", so Prof. Markus Ziener.

MDR FERNSEHEN Fr 13.12.2019 15:16Uhr 09:24 min

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MEDIEN360G: Bei MEDIEN360G sprechen wir heute über eines der größten Spannungsfelder im Journalismus – nämlich Schnelligkeit versus Genauigkeit in der Berichterstattung. Dazu im Telefoninterview: Prof. Dr. Markus Ziener, Fachbereichsleiter für Journalismus und Kommunikation an der Hochschule für Medienkommunikation und Wirtschaft in Berlin. Herr Ziener, Schnelligkeit versus Genauigkeit: Ist der Fokus im Journalismus verrutscht?

Prof. Dr. Markus Ziener: Ich denke mir, dass die Schnelligkeit der Medien natürlich zugenommen hat und das hat dazu geführt, dass die Schnelligkeit häufig zu Lasten der Genauigkeit geht. Da gibt es mehrere Entwicklungen, die das befördert haben: Das eine ist sicherlich die Tatsache, dass man einfach viel schneller reagieren muss als früher durch die Onlinemedien und der andere Umstand ist, dass die Redaktionen häufig schlechter ausgestattet sind als früher und dadurch die Recherche zu kurz kommt. Zudem bietet das Internet die angenehme Möglichkeit, über Google sozusagen zu recherchieren und dann zu glauben, man hätte ein Thema auch schon komplett erfasst.

MEDIEN360G: Sie sprechen es gerade schon an: Die Problematik hängt nicht nur an den einzelnen Journalisten. Welche Veränderungen bräuchten wir denn in der Medienbranche?

Prof. Dr. Markus Ziener: Naja, im Grunde bräuchte man eine Bewusstseinsschärfung bei denen, die die Medien konsumieren. Man kann auch sagen: Glücklicherweise hat die ganze Fake-News-Diskussion auch schon jetzt dazu geführt, dass man gründlicher hinschaut und dass man die Informationen, die man geliefert bekommt, hinterfragt, dass man sich anschaut: Kann das stimmen? Dass man sogenannte Plausibilitätsüberlegungen anstellt, dass man sich die Quelle genauer ansieht: Wo kommen eigentlich die Informationen her, die ich da gerade konsumiere und dass man möglicherweise auch dann wieder stärker zurückkehrt zu etablierten Medien, die eine solidere Grundlage dessen haben, was sie machen. Das kann zu dieser Entwicklung führen, muss es aber nicht. Das hängt wirklich auch davon ab, wie sehr der Konsument kritisch hinterfragt, was er da geliefert bekommt.

MEDIEN360G: Wie kann ich denn als Nutzer zeigen, dass mir Genauigkeit wichtiger ist als Schnelligkeit?

Prof. Dr. Markus Ziener: Zum Beispiel indem ich bereit bin, Abonnements abzuschließen. Indem ich mich eben nicht nur darauf verlasse, Push-Nachrichten auf mein Handy gespielt zu bekommen, sondern dass ich sage: „Dann abonniere ich eben das E-Paper oder den Onlinezugang zu einer guten, seriösen Quelle." Das ist ja durchaus alles möglich. Wir sind natürlich alle ein bisschen bequem geworden dadurch, dass seit vielen Jahren inzwischen die Informationen frei verfügbar sind und kein Mensch zahlen will. Das ist vielleicht auch eine deutsche Besonderheit, weil in anderen Ländern – wie der Schweiz beispielsweise – elektronische Abonnements viel besser funktionieren als bei uns.

MEDIEN360G: Wenn die Schnelligkeit immer mehr den Vorzug gegenüber der Genauigkeit im Journalismus erhält, sehen Sie dann die Glaubwürdigkeit in Gefahr, auch der etablierten Medien?

Prof. Dr. Markus Ziener: Sicherlich, die Glaubwürdigkeit steht und fällt mit der Genauigkeit der Informationen, zumindest bei denjenigen, die darauf Wert legen und die dann eben auch gegenrecherchieren und auch mal andere Quellen lesen und feststellen: „Moment mal, andere berichten ja ganz anders über bestimmte Ereignisse.“ Ich denke mir, das Grundproblem ist, wenn sie ihre Informationen über Social Media beziehen – dann wissen sie natürlich nicht so genau, wer ihnen die Informationen liefert. Wenn sie direkt auf die Webseiten von den einzelnen Anbietern gehen, können Sie immer noch relativ sicher sein, dass da gründlich gearbeitet worden ist, wobei wir natürlich den Fall Relotius vom Spiegel kennen - auch da passieren große Fehler, das darf man nicht verkennen. Nur die sind immer schon passiert, auch schon vor dem digitalen Zeitalter, das muss man glaube ich auch sehen.

MEDIEN360G: Ist der Zeitdruck einer der Gründe, dass so etwas wie im Fall Relotius passieren konnte?

Prof. Dr. Markus Ziener: Es ist sicherlich eine veränderte Art des Journalismus, die wir erleben. In den früheren Jahren, wenn man eine Geschichte geschrieben hat, dann hat man da beispielsweise eben sehr viel Zeit darauf verwendet, einen szenischen Einstieg zu schreiben und bis man zum Kern der Geschichte vorgedrungen ist, hat man sich sehr viel Zeit gelassen. Das können sie heute im Grunde nicht mehr, weil sie diese Zeit nicht mehr haben. Der Leser springt ihnen viel schneller ab von der Geschichte, der quält sich nicht mehr durch sehr viele Zeilen, bis er die Relevanz eines Textes erkennt. Das heißt, sie müssen anders schreiben, man schreibt anders für das Netz als sie früher für die reine Printzeitung geschrieben haben. Das erklärt aber noch nicht so ganz, was eigentlich in dem Fall Relotius passiert ist. Ich glaube, da haben wir es mehr zu tun mit der Vorstellung, dass man Geschichten schreiben muss, die süffig geschrieben sind, die einem gefallen, die den Leser packen und auch bei der Stange halten und dass die natürlich dann auch immer wieder mal zu Lasten der Genauigkeit gehen. Ich war selbst lange Jahre Reporter und bin es zuweilen noch immer und diese Protagonisten, die man braucht, um eine gute Geschichte zu schreiben, fallen einem nicht in dem Schoß, da muss man lange buddeln und recherchieren bis man die hat – deswegen hätte es eigentlich auffallen müssen, was da passiert ist.

MEDIEN360G: Sie sagen gerade: „Das hätte auffallen müssen.“ Was müsste sich denn auf Ebene der Redaktionen ändern, damit diese Versuchung, dem Schnelligkeitsrausch zu verfallen, nachlässt.

Prof. Dr. Markus Ziener: Die Redaktion muss Wert legen auf Gründlichkeit und Genauigkeit. Ich weiß, das klingt irgendwie wie so eine alte Tugend aus dem letzten Jahrhundert, aber ich denke, sie ist wichtiger denn je. Das heißt, der Redakteur, der einen Text auf den Tisch bekommt, muss den gut gegenchecken und er muss ihn im Zweifel zurückgeben und sagen: „Hier müssen die Fakten genauer geprüft werden, sie müssen belegt werden.“ Man muss wissen, wo die Informationen eigentlich herkommen, die im Text stehen oder sind die nur abgeschrieben oder sind das einfach nur Vermutungen und keine wirklichen Tatsachen. Das erfordert natürlich die Manpower, die sie brauchen in der Redaktion, damit man auch gründlich einen Texte redigieren kann. Redigatur ist eine mühsame Angelegenheit, da braucht man schon mal ein, zwei, drei Stunden, bis ein Text wirklich gut geworden ist.

MEDIEN360G: Da wären wir dann wieder beim ökonomischen Druck.

Prof. Dr. Markus Ziener: Ganz genau, der ökonomische Druck ist da. Sie sehen es gerade insbesondere bei Regionalzeitungen, die enormen Druck erleben und die gar nicht mehr die Zeit haben, die Texte eigentlich genau gegenzuprüfen. Die müssen sich darauf verlassen, dass es stimmt, was sie da drucken.

MEDIEN360G: In welchem Rahmen ist Schnelligkeit im Journalismus denn auch sinnvoll? Welche Chancen bietet der Echtzeitjournalismus?

Prof. Dr. Markus Ziener: Na gut, ich meine, sie haben natürlich durch die Schnelligkeit heute die Möglichkeit, auch schneller zu reagieren auf bestimmte Entwicklungen. Nehmen Sie mal den Wirtschaftsjournalismus oder die Berichterstattung über Finanzen: Da ist es natürlich schon gut, wenn man schnell weiß, was eigentlich passiert – dann kann weniger verschleiert werden und es kann einfach schneller reagiert werden. Das ist gerade bei den Finanzmärkten, glaube ich, ganz, ganz wichtig. Andererseits, auch hier gilt das Gleiche, was sich gerade eben schon gesagt habe: Wenn ein Unternehmen eine Gewinnwarnung aussendet, dann kann man die natürlich einerseits nur berichten, man kann aber gleichzeitig mit ein bisschen Zeit auch hinterfragen, ob sie stimmt und was möglicherweise die Gründe für eine bestimmte Entwicklung sind. Und da kommt meiner Ansicht nach so ein bisschen dieses Schwarmdenken ins Spiel: Man will immer der Erste sein, man geht mit dem Mainstream mit, man will auch mit den Kollegen sozusagen mithalten und auch schnell mit einer Nachricht auf dem Markt sein, aber das heißt nicht unbedingt, dass man es richtig macht. Lassen Sie mich noch ein anderes Beispiel nennen: Wenn sie Korrespondent im Ausland sind und sie werden konfrontiert von ihrer Redaktion mit dem Hinweis – zum Beispiel: „Spiegel Online hat die und die Geschichte, kannst du die auch machen“, oder „Warum haben wir sie nicht“, und da muss man schon ein gewisses Rückgrat besitzen, um zu sagen: „Nee, die Geschichte mache ich nicht“, weil ich sie nicht für richtig halte oder weil ich sie nicht für relevant halte oder weil meine Recherche eben anderes ergeben hat. Und das ist, glaube ich, gerade für einen jungen Journalisten gar nicht so einfach, der Redaktion da zu sagen: „Nee, ich weiß es besser als Spiegel Online“ oder irgendein anderes Online-Medium.

MEDIEN360G: Wo wird Ihrer Meinung nach die Reise denn hingehen? Wird der Journalismus immer noch schneller werden oder wird man sich wieder auf mehr Genauigkeit im Journalismus besinnen?

Prof. Dr. Markus Ziener: Ich hoffe natürlich auf letzteres. Klar, ich hoffe, dass die Genauigkeit wieder eine stärkere Rolle spielt und dass sich die Menschen, die Konsumenten, auch eher darauf besinnen, dass es auf die Genauigkeit am Ende ankommt. Ich bin mir nicht sicher, wie weit verbreitet das sein wird. Es ist natürlich sehr praktisch, sich im Internet immer das auszusuchen, was die eigene Meinung bestätigt. Ich will jetzt gar nicht von dieser Filter Bubble reden, das ist ja ein Konzept, von dem ich nicht mehr so ganz sicher bin, ob es tatsächlich stimmt, weil wir eigentlich früher alle mehr oder weniger in Filterblasen gelebt haben, auch schon vor der Digitalisierung. Aber es ist natürlich einfacher geworden, insbesondere das zu lesen und zu finden, was meine Meinung stützt, und wir wissen aus der Psychologie alle, dass man lieber das liest, was einem gefällt, als das, was einen möglicherweise zu kritischem Hinterfragen der eigenen Meinung zwingt.

MEDIEN360G: Professor Ziener, vielen Dank für das Interview.

Prof. Dr. Markus Ziener: Ich danke Ihnen.