MEDIEN360G im Gespräch mit... Manuel Nolte
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17. Februar 2020, 18:00 Uhr
Nicht alles, was man im Darknet findet, ist automatisch illegal. Unser Autor Markus Hoffmann sprach mit Kriminaldirektor Manuel Nolte vom Landeskriminalamt Thüringen über Waffen, Drogen und Meinungsfreiheit im Darknet.
Markus Hoffmann: Wir suchen die Antwort auf die Frage: "Wie dunkel ist das Darknet?" Besteht es nur aus Marktplätzen für Waffen oder Kinderpornografie oder gibt es auch eine helle Seite am Darknet? Dazu sprechen wir mit dem Kriminaldirektor Manuel Nolte in Erfurt. Herr Nolte, was haben Sie mit dem Darknet zu tun?
Manuel Nolte: Die Polizei oder das Landeskriminalamt Thüringen hat insofern mit dem Darknet etwas zu tun, wenn es um Straftaten geht: das heißt tatsächlich, um die dunkle Seite des Darknets.
Markus Hoffmann: Das Darknet ist für viele ein Synonym für die Unterwelt des Internets. Wo beginnt der illegale Teil des Darknets?
Manuel Nolte: Das Darknet ist ja nur ein Teil des gesamten Internets. Das, was wir kennen, das Clearnet, ist ja über Suchmaschinen erreichbar. Und das Darknet ist also ein Bereich, der nicht ganz so einfach zugänglich ist und nicht alles, was im Darknet ist, ist illegal. Es gibt viele Sachen, die illegal sind. Und das, wo es beginnt, ist wie im normalen Internet auch: Das, was im Internet strafbar ist, ist auch im Darknet oder auch im Freeweb oder im Clearweb strafbar. Das geht von Beleidigungen, die auch bei Facebook ganz normal laufen können, bis hin zum Handel, wie Sie es angesprochen haben, mit Drogen mit Waffen.
Markus Hoffmann: Aus Sicht des Cyber-Kriminalisten, was findet man denn im Darknet?
Manuel Nolte: Sie finden dort alles. Sie finden dort jegliche Art von illegalen Betäubungsmitteln. Sie finden dort Daten, die Leuten gestohlen wurden. Das sind Kreditkartendaten, Zugangsdaten zu E-Mail-Programmen, Zugangsdaten zu Online-Shops, Paketshop-Daten. Sie kriegen dort Falschgeld. Sie bekommen dort Kinderpornografie. Sie bekommen Dienstleistungen, die zum Beispiel genutzt werden für Cybercrime-Angriffe. Eigentlich bekommen sie dort alles, was es sonst im Internet auch gibt, nur eben verstärkt auch illegale Handelsgüter.
Markus Hoffmann: Gibt es Arten von Verbrechen, wo das Darknet am meisten für genutzt wird oder werden andere Sachen weniger im Darknet angeboten? Gibt es eine Priorisierung?
Manuel Nolte: Eine Priorisierung gibt es nicht. Schaut man aber ins Darknet, findet man natürlich vor allem illegale Drogen. Das ist so das Handelsgut im Darknet, was am meisten verbreitet ist. Es ist natürlich auch, das ist ja landläufig klar, dass Waffen gehandelt werden. Es gab ja Fälle wie den Amoklauf in München, wo der Attentäter die Waffe sich im Darknet besorgt hatte, dass man eben hört, dass man Waffen sich dort besorgen kann. Das ist aber etwas rückläufig, weil natürlich die, die solche Verkaufsplätze betreiben, auch wissen, wenn sie mit Waffen dort handeln oder Waffen dort gehandelt werden, dass sie dann unter Beobachtung der Strafverfolgungsbehörden stehen. Das gilt genauso für Kinderpornografie. Natürlich bekommt man Kinderpornografie im Freeweb - auch im Darknet. Aber das ist im Vergleich zu den Betäubungsmitteln verschwindend gering.
Markus Hoffmann: Kriminalität im Internet findet nicht nur im Darknet statt. Wie ist das Verhältnis zwischen der Kriminalität im sichtbaren Internet, im sogenannten Clearweb und dem unsichtbaren Teil, dem Darknet?
Manuel Nolte: Dazu gibt es leider keine statistische Erhebung. Es ist ja auch schwer zu überblicken. Wenn man versucht, das zu quantifizieren, müsste man ja einen Gesamtüberblick über das Freeweb oder das frei zugängliche Internet haben. Und über das, was eben unter Darknet beziehungsweise auch Deepweb fällt, das was wir unter diese Begriffe packen. Da haben wir keine statistischen Grundlagen. Es gibt Erhebungen von einer britischen Organisation, die mal festgestellt hat, dass 57 Prozent der Inhalte im Darknet kriminell sind (Update: Diese Studie wird u.a. von der Stiftung Wissenschaft und Politik kritisch betrachtet., Anmerk. der Redaktion). Aber auf welcher Grundlage diese Erhebung fußt, das weiß ich nicht. Das kann ich nicht nachvollziehen. Natürlich spricht viel kriminalistischer Sachverstand dafür, dass da, wo ich anonym handeln kann, das heißt mit einem geringen Entdeckungsrisiko handeln kann, mehr im kriminellen Bereich mich bewegen kann als im normalen Netz. Wir haben aber auch die Fälle, dass Drogenhandel im ganz normalen Internet auch passiert.
Markus Hoffmann: Unsere Recherchen haben ergeben, dass das Darknet aus mehreren Netzwerken besteht. Das Tor-Netzwerk als das bekannteste, wird aber auch immer wieder gerne in den Medien zitiert. Wobei es tatsächlich viele andere Systeme dort gibt. Ist das auch ein Bereich, wo Sie da reingehen, was Darknet ist? Oder ist es für Sie in Ihrer Ermittlungsarbeit auch eher das Tor-Netzwerk?
Manuel Nolte: Das kommt ganz auf den Fall an. Denn das Darknet ist ja, wie schon gesagt habe, kein Teil des Internets. Das ist ja nur eine Beschreibung von Seiten, die über eine bestimmte Zugangssoftware nur besucht werden können. Also der Tor-Browser ist ja nur eine von mehreren Möglichkeiten. Wo diese illegalen Inhalte gelistet sind, wo sie sind, wo jemand darauf zugreift, das ist für uns nicht der entscheidende Punkt, sondern für uns geht es in dem Fall darum: Ist das strafbar? Ja oder Nein. Und dann ist es egal, wie man auf diese Inhalte zugreift.
Markus Hoffmann: Wir haben bei unseren Recherchen festgestellt, dass für Journalisten oder auch für Freiheitskämpfer oder Menschen, die in Ländern mit Zensur leben, das Tor-Netzwerk, um einfach an Information ranzukommen, sehr wichtig ist, ohne dass irgendwelche Inhalte geladen werden, die tatsächlich illegal sind. Wenn wir die Menschen in Deutschland fragen, ist aber das Bild vom Darknet erstmal eines, das ist alles illegal. Und selbst wenn ich da schon rein gehe, bin ich schon quasi auf der illegalen Seite. Wie ist Ihre Einschätzung dazu? Und wo beginnt die Illegalität?
Manuel Nolte: Das Tor-Netzwerk ist ja geschaffen worden, eben gerade um legale Inhalte eben zu sehen, beziehungsweise Menschen die Möglichkeit zu geben, auf Inhalte zuzugreifen, auf die sie in ihren Ländern nicht zugreifen können, weil beispielsweise Facebook in dem einem autoritären Staat gesperrt ist. Dafür ist das Tor-Netzwerk geschaffen worden. Es zeigt ja auch diese britische Studie, die ich erwähnt habe, dass es ganz, ganz viele legale Inhalte gibt. Den Pfad der Illegalität betritt man ja nicht automatisch in dem Moment, in dem man eine Seite aufruft, wo Drogen angeboten werden. Ich beschreibe es mal mit dem lockeren Spruch: „Anschauen ist okay, anfassen nicht“. Das funktioniert bei Kinderpornografie natürlich nicht. Da ist auch Anschauen schon strafbar. Aus gutem Grund natürlich. Und so kann man vielleicht auch eine Grenze ziehen. Also natürlich gibt es sehr viele illegale Angebote. Man stößt auch relativ schnell da drauf, wenn man in das Tor-Netzwerk hineingeht.
Markus Hoffmann: Der Herr von Amnesty International, mit dem ich gesprochen habe, hat zu mir gesagt das es tatsächlich so ist, dass jeder, jedes Land quasi eine Technologie so aufnimmt und nutzt, wie das Verlangen in dem Land danach ist. Ist es tatsächlich eine Art Werkzeug für die Freiheit? Hier in Deutschland ist es, wenn man die Bevölkerung fragt, erst mal mit illegalen Dingen besetzt. Was sagt das über unsere Gesellschaft? Einschätzung von Ihnen.
Manuel Nolte: Es sagt einfach nur, dass es eine freie Gesellschaft ist. Das heißt, wir haben eine gewisse Freiheit. Wir müssen nicht den Umweg über das Tor-Netzwerk wählen, um auf Informationen in der Presse zugreifen zu können oder soziale Medien zu nutzen. Wenn es das in Deutschland auch gäbe, dann wäre vielleicht der Weg über das Tor-Netzwerk auf normale Seiten, die wir in ganz normalen Web-Browser aufrufen, vielleicht dann für uns auch notwendig. Dann wäre das Bild ein anderes. Da das bei uns nicht notwendig ist, ist in der Wahrnehmung natürlich nachvollziehbar, dass man mit dem Darknet etwas Dunkles verbindet. Was dunkel ist, kann immer nur schlecht sein, weil es halt im Dunkeln passiert.
Markus Hoffmann: Kommen wir jetzt zum Ende noch wirklich auf die Polizeiarbeit im Darknet. Das ist ja eine Art von Kriminalität, die innerhalb der letzten 15 - 20 Jahre gewachsen ist und auch verhältnismäßig neues Phänomen darstellt. Wie schließt sich das an die klassische Polizeiarbeit an? Wie weit muss Polizei dazulernen? Ändert sich das Prozedere? Die Arbeit, wie man da Verbrechen findet?
Manuel Nolte: Die Polizei hat den Auftrag, das Ermittlungsverfahren zu führen und die strafrechtlichen Ermittlungen voranzutreiben, damit dem Täter oder den Beschuldigten vom Gericht diese Tat nachgewiesen werden kann, damit er verurteilt wird. Von diesem Ausgangspunkt her hat sich die polizeiliche Arbeit im Grunde gar nicht verändert. Es ist gleich geblieben. Was dazugetreten ist, ist natürlich ein technisches Know-How. Das heißt, wir haben ja hier eine Technologie, die genutzt wird von den Straftätern und da muss die Polizei mithalten. Das heißt, die Polizei muss in der Lage sein, Beweise, die der Richter am Ende ja braucht, zu erheben und zwar so zu erheben, dass sie gerichtsfest sind. Und das ist natürlich bei digitalen Beweismitteln insofern auch schwierig, weil Daten im Internet flüchtig sind. Das heißt IP-Adressen, welcher Server hat mit wem kommuniziert? Die werden nicht ewig gespeichert. Wenn dann auch noch das Tor-Netzwerk genutzt wird, das heißt eine Zwischenschaltung von einer Vielzahl von Servern, die irgendwo auf der Welt stehen. Dann kann man sich vorstellen, wenn man klassisch ermittelt, dann kriegt man die Mitteilung der Server stand in Russland. Man geht an Russland und Russland sagt, der hat aber mit dem Server in China kommuniziert. Und China sagt, der hat mit dem Server in Belgien kommuniziert. Das heißt, man muss dann diese Wege hinterherlaufen, und das kostet Zeit und bis dahin sind die Daten, die Beweismittel, natürlich dann irgendwann weg. Das ist die Veränderungen in der polizeilichen Arbeit. Es ist es wesentlich schnelllebiger als früher. Führt dazu, dass wir auch technisch aufrüsten müssen. Und natürlich die Polizeibeamten, die diese Ermittlungen durchführen sollen, auch fachlich auf diese Ebene heben. Es wird ja immer gefragt, ob das Sinn macht, eben tatsächlich eine Informatiker vielleicht an die Stelle zu setzen. Technisch gesehen, nachvollziehbar die Forderungen. Praktisch ist es natürlich so, der müsste er dann das Ermittlungsverfahren führen. Er bräuchte also dieses kriminalistisches Gespür, diese Ausbildung auch, dass er ein Verfahren entsprechend führen kann. Und wir haben die Erfahrung gemacht, dass mit Unterstützung aus dem IT- Bereich, der Ermittler wesentlich effektiver wird und die Ermittlungen nicht automatisch dadurch besser werden, dass wir ein IT-ler zum Ermittler machen.
Markus Hoffmann: Waffen, Drogen, Meinungsfreiheit wie dunkel ist das Darknet. Wir haben mit Herrn Nolte gesprochen vom LKA hier in Thüringen. Ich bedanke mich für das Gespräch. Es war sehr interessant und wünsche viel Erfolg bei der Jagd im Darknet oder im Internet nach den Verbrechern.
* Das Gespräch wurde am 09.01.2020 im Landeskriminalamt Thüringen in Erfurt aufgezeichnet.