MEDIEN360G im Gespräch mit... Cornelia Berger

22. November 2019, 13:39 Uhr

Bevor sie in Oldenburg das journalistische Handwerk lernte und für den NDR, Radio Bremen und mehrere Tageszeitungen als Freie arbeitete, absolvierte Cornelia Berger ein Studium in Philosophie, Literaturwissenschaft und Staatsrecht. Seit 2001 ist sie bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) beschäftigt. Seit 2015 ist sie Bereichsleiterin Medien in der ver.di-Bundesverwaltung und zuständig für rund 40.000 Mitglieder aus allen Berufen, die „was mit Medien“ zu tun haben.

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"Es ist wichtig, dass die Medien auch bei ihrem Publikum immer wieder transparent machen, wie sie journalistisch arbeiten und was die handwerklichen Grundsätze journalistischer Arbeit sind", betont Cornelia Berger.

MDR FERNSEHEN Fr 13.12.2019 15:14Uhr 06:33 min

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MEDIEN360G: Bei MEDIEN360G sprechen wir heute über eine der Kernproblematiken im Journalismus - nämlich Schnelligkeit versus Genauigkeit in der Berichterstattung. Dazu im Telefoninterview: Cornelia Berger, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union bei Verdi. Schönen guten Tag, Frau Berger.

Cornelia Berger: Guten Tag, Herr Kehr.

MEDIEN360G: Frau Berger, wie ordnen Sie die aktuelle Situation in der Medienbranche ein? Sind wir da zu schnell beziehungsweise liegt der Fokus zu sehr auf Schnelligkeit?

Cornelia Berger: Ich habe schon Beispiele gesehen, wo die Schnelligkeit gegenüber der Genauigkeit und auch einer besonneneren Berichterstattung den Vorrang eingenommen hat. Generell würde ich aber sagen, dass wir eine gut aufgestellte Branche haben, die sehr wohl abwägen kann und nicht aus der hohlen Hand Dinge verbreitet, die unwahr wären oder nicht genau genug recherchiert. Also generell würde ich dem Journalismus eine gute Note ausstellen, aber es gibt leider auch immer Getriebene, denn die Branche steht insgesamt natürlich sehr unter Druck und manchmal geht dann doch die Schnelligkeit ein bisschen durch mit den Kolleginnen und Kollegen.

MEDIEN360G: Wenn so etwas passiert, sehen Sie da die Gefahr, dass man damit eben auch Glaubwürdigkeit verspielt?

Cornelia Berger: Das ist die ganz große Gefahr und da findet natürlich ein Wettlauf statt mit Informationen, die über die digitalen Plattformen oder - wie viele sagen - sozialen Medien stattfindet, dass da ungeprüfte und nicht nachrecherchierte Informationen rausgepustet werden. Damit müssen dann die Medien irgendwie umgehen. Ich rate in solchen Fällen immer, die journalistische Ethik nicht außer Acht zu lassen und erstmal zu gucken, was denn genau los ist, dann zu berichten und sich nicht über Gebühr treiben zu lassen von dem, was an Schnelligkeit in den digitalen Plattformen passiert.

MEDIEN360G: Wie beurteilen Sie denn die Forderungen nach einer sogenannten Entschleunigung des Journalismus?

Cornelia Berger: Es ist sicher hilfreich, sich immer wieder dessen bewusst zu werden, was man für handwerkliche Tugenden irgendwann mal gelernt hat und eben keine ungeprüften Informationen als journalistische Angebote zu verbreiten. Das sind eigentlich ganz klassische Handwerksmethoden und diese sollten angewandt werden – auch wenn Facebook und Twitter sich überschlagen und den Journalismus rechts und links überholen. Denn das ist ein Qualitätsmerkmal journalistischer Arbeit und das sollten wir trotz des ganzen Drucks nicht über Bord werfen.

MEDIEN360G: Welche Veränderungen bräuchten wir denn in der Medienbranche, damit der Fokus etwas weg von der Schnelligkeit hin zur Genauigkeit gehen würde?

Cornelia Berger: Ich glaube, es ist wichtig, dass die Medien auch bei ihrem Publikum immer wieder transparent machen, wie sie journalistisch arbeiten und was die handwerklichen Grundsätze journalistischer Arbeit sind. Wer das macht, kann auch mit Verständnis dafür rechnen, dass Informationen nicht ungeprüft weiterverbreitet werden. Wichtig ist einfach, immer wieder darauf hinzuweisen, dass hier journalistisch gearbeitet wird, dass man Gerüchte erst prüft, bevor man sie als Nachricht weiter verbreitet. Ich glaube, das kann dem Ansehen und der Qualität und damit auch der Legitimität von Medien nur helfen, immer mal wieder einen Schritt zurückzutreten und zu sagen: „Wir arbeiten hier nach handwerklichen, journalistischen Grundsätzen. Dazu gehört, dass wir erst über zwei unabhängige Quellen prüfen, wenn uns eine Information erreicht, was da dran ist und gegebenenfalls dann nicht ganz so schnell sind wie diejenigen, die sich nicht an journalistischen Standards orientieren und irgendwelche Informationen direkt und ganz schnell in die Welt pusten."

MEDIEN360G: Was kann denn in den Redaktionen – auch von Führungskräften – getan werden, um dem Schnelligkeitsrausch nicht zu verfallen?

Cornelia Berger: Ich glaube, da kommt den Führungskräften und auch den Geschäftsführungen in den Medienhäusern eine große Verantwortung zu - nämlich den Redaktionen diesen Raum, ihr Handwerk tatsächlich auch anzuwenden, zu geben und zu sagen: „Ich stehe hinter meiner Redaktion, auch wenn sie zwei, drei Schritte mehr braucht, denn das ist das Qualitätsmerkmal." Ich glaube, da muss in den Köpfen noch einiges stattfinden, dass es eher ein Qualitätsmerkmal ist, nicht so schnell zu sein wie irgendwelche Gerüchte in den digitalen Plattformen und auch immer wieder die Ermunterung, die Abläufe transparent zu machen. Da würde ich mir wünschen, dass Geschäftsführung und Redaktionsleitung geschlossen hinter den Redaktionen stehen und den Druck nicht in Richtung „mehr Schnelligkeit“, sondern in die Frage „Genauigkeit, Qualität und Handwerk“ aufmachen und da den Fokus drauflegen.

MEDIEN360G: Jetzt haben Sie durchaus eher negativ über das Thema Schnelligkeit gesprochen. Welche Chancen ergeben sich denn durch etwas wie Echtzeitjournalismus?

Cornelia Berger: Dadurch ergeben sich Riesenchancen. Wir können ja im Prinzip an allem was auf der ganzen Welt stattfindet ohne Zeitverzögerung teilnehmen. Das gilt natürlich auch für Journalistinnen und Journalisten und darin liegen ganz, ganz große Chancen und die gilt es auch zu nutzen.

MEDIEN360G: Wie kann ich denn als Nutzerin oder Nutzer prüfen, ob die verbreiteten Informationen, die ich erhalte, am Ende richtig sind?

Cornelia Berger: Naja, das ist eben das, was ich mit Transparenz meine – generell würde ich sagen: Überall da, wo „Medienhaus“ draufsteht, da sind auch Medien drin. Das unterscheidet dann eben ein klassisches Medium, sei es von den Zeitungen, sei es vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ganz wesentlich von irgendwelchen Kommunikationsabteilungen oder Stabstellen. Da kann man schon an der Quelle vielfach einen Unterschied sehen und dafür sollten auch die Leserinnen und Leser sich die Zeit nehmen, zu gucken: Wo nehme ich eigentlich meine Informationen her.

MEDIEN360G: Wie kann ich als Nutzerin oder Nutzer zeigen, dass mir Genauigkeit wichtiger ist als Schnelligkeit?

Cornelia Berger: Ich finde es wichtig, dass Leserinnen und Leser mit Redaktionen im Dialog sind, Fragen stellen, das Prozedere in den Redaktionen auch kritisch hinterfragen, aber dann auch ein Stück weit dem Vertrauen, was die Medien ihnen als Inhalte anbieten. Das ist eher ein Miteinander und ein Dialogprozess. Es wird immer deutlicher sichtbar, dass gerade im Internet sehr viel vom Dialog der Medienhäuser mit ihrem Publikum lebt und das stellen auch die, ich sage mal, neuen Generationen der Journalistinnen und Journalisten fest, dass da eine große Bereicherung drin liegt.

MEDIEN360G: Frau Berger, vielen Dank für das Interview.