Die schöne bunte Welt Influencer: Was kann man noch glauben?
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01. Oktober 2021, 15:30 Uhr
Ob in den sozialen Netzwerken oder in Boulevard- und Promi-Medien: Influencerinnen und Influencer sind scheinbar allgegenwärtig. Ihre Motivation ist dabei ganz unterschiedlich. Doch weil das schnelle Geld durch Werbedeals lockt, gerät die Branche in Verruf - und ins Visier der Medienaufsicht.
Beim Frühstück, in der kurzen Pause oder auf dem Weg zur Arbeit: Influencerinnen und Influencer sind für viele Menschen zu Alltagsbegleitern geworden. Sie informieren und berichten über Themen, auf die sie sich spezialisiert haben oder gewähren unterhaltsame bis intime Einblicke in das eigene Leben. Beim Publikum erfreuen sich dabei besonders die Themen Essen, Mode und Fitness, aber auch Technik und Games großer Beliebtheit. Gleichzeitig steht diese Form der direkten Ansprache aber auch unter dem Verdacht, eigentlich nur verkappte Werbung oder sogar verbotene Schleichwerbung zu sein. Schließlich ist Influencing für die etablierten Influencerinnen und Influencer auch eine lukrative Einnahmequelle. Und für viele Unternehmen heute die Werbemasche, wenn es darum geht, vor allem jüngere Menschen zu erreichen.
Knapp ein Drittel aller unter 30-Jährigen in Deutschland folgen laut der ARD-ZDF-Onlinestudie 2020 "Influencern, Stars und Prominenten" allein im Netzwerk Instagram. Doch Instagram ist nicht der einzige Ort, an dem Influencerinnen und Influencer unterwegs sind: Das Phänomen ist mit YouTube groß geworden. Dort sind auch viele Content-Produzenten und -Produzentinnen unterwegs, die mit großem Aufwand und hoher Professionalität Videos erstellen und darüber Bekanntheit und vor allem eine große Zahl von Abonnentinnen und Abonnenten gesammelt haben. Inzwischen aber sind die Netzwerke Instagram, TikTok und die Videoplattform Twitch weitere Wettbewerber ums Einfluss-Nehmen. Dort müssen die Influencerinnen und Influencer nur ihr Gesicht in die Kamera halten und irgendwie Aufmerksamkeit generieren, so scheint es, um Erfolg zu haben. Inzwischen berichten auch Boulevard- und Klatschmedien regelmäßig über die Stars und Sternchen aus dem Netz.
Allen gemeinsam ist: Sie verfügen über ein großes Publikum, haben also Follower-, View- oder auch Like-Zahlen im Zehntausender- oder sogar Millionenbereich.
Unterschiedliche Beweggründe
Tatsächlich ist die Motivation der Influencerinnen und Influencer für ihr Tun ganz unterschiedlich. Eine Studie der Hochschule Macromedia in München hat unterschiedliche Typen ausgemacht: Die Palette reicht von den Rationalistinnen und Rationalisten, denen es primär ums Geld geht, über Expertinnen und Experten, die einfach nur über ihr Thema berichten wollen, bis zu den Weltverbesserinnen und Weltverbesserern, die komplett selbstlos unterwegs sind. Dazu zählt etwa Louisa Dellert mit ihren fast 500.000 Followerinnen und Followern. Sie wurde als Fitness-Influencerin bekannt, greift aber inzwischen überwiegend politische Themen auf und veröffentlicht Wahlaufrufe.
Für ein schlechtes Image der Branche des Einfluss-Nehmens sorgen jene, denen es vor allem ums Geld geht: Denn wer in dem Bereich erfolgreich ist, kann über Werbedeals mitunter leichtes Geld verdienen. Rund 740 Millionen Euro sind im Jahr 2020 laut einer Erhebung der Unternehmensberatung Schickler (€) in das sogenannte Influencer-Marketing geflossen - Tendenz: steigend. Von 30.000 Euro pro Posting ist in der Branche die Rede, sofern man eine halbe Million Follower mitbringt. Knapp über 400 solcher Profile in Deutschland wirft die deutsche Branchensuchmaschine Likeometer.de aus, knapp über 150 Influencerinnen und Influencer bringen sogar über eine Million auf die Waagschale. Den Thron besetzen aktuell die 19-jährigen Zwillinge Lisa und Lena aus Stuttgart mit über 16 Millionen Followern. Sie sind mit sogenannten Lip-Sync-Videos bekannt geworden und vor allem auf TikTok aktiv. Schätzungen zufolge bringen zwischen 500.000 und 4,6 Millionen Profile in den verschiedenen Netzwerken 15.000 bis eine halbe Million Fans mit.
Harte Arbeit, permanenter Druck
Der Webvideo-Spezialist und Autor Wolfgang M. Schmitt ist gemeinsam mit Ole Nymoen über mehrere Monate zahlreichen Influencerinnen und Influencern wie ein normaler Follower gefolgt, hat sie beobachtet und das Buch "Influencer. Die Ideologie der Werbekörper" verfasst. "Irgendwann bekommt man so ein Gefühl, dass man denkt okay, hier werde ich aber jetzt gerade offensichtlich belogen. Und dann denkt man: 'Herr, sie meint das wirklich so! Das scheint das beste Haarshampoo der Welt zu sein!'", berichtet Schmitt.
Laut Schmitt verfügen die Influencerinnen und Influencer über eine hohe Glaubwürdigkeit, weil sie sich tatsächlich so darstellen, wie sie im richtigen Leben sind. "Ich denke, generell ist die Glaubwürdigkeit bei sehr vielen Dingen, die die Influencer machen, zu Recht hoch. Denn ich glaube nicht, dass es dort ein großes, anderes Leben abseits von Smartphones oder so gibt." Und doch sieht Schmitt das Business ausgesprochen kritisch, ist doch der Druck groß, permanent das Publikum zu unterhalten und die Followerzahlen weiter nach oben zu treiben.
Was uns aufgefallen ist bei der Auseinandersetzung mit den Influencern: Es gibt wohl sehr viele einsame Influencer, die irgendwo in Berlin Mitte zwar in einer schönen möblierten Wohnung leben, aber doch außer den eigenen Assistenten wenig zwischenmenschliche Kontakte haben.
"Dadurch ist auch zum Beispiel das Thema Depressionen inzwischen so dominant geworden bei Influencern. Die natürlich auch daraus wieder ein Business entwickeln können und einen Ratgeber schreiben oder den großen Seelenstriptease in einem Podcast für Spotify machen. All das gibt es ja dann auch wieder. Sofort ist wieder ein Geschäftsmodell mit da.", sagt Schmitt.
Das große Geld lockt
Das Geldverdienen als Influencerin und Influencer funktioniert vor allem darüber, dass einerseits eine große Nähe zu den eigenen Followerinnen und Followern simuliert, andererseits ein leichtes und schönes Leben im Luxus gezeigt wird, das mitunter hart erarbeitet werden muss, wenn man den Durchbruch noch nicht geschafft hat: "Influencer sind in der Regel Leute, die sieben Tage die Woche Inhalte posten. Manches produzieren sie vielleicht vor, aber sie sind da schon fast jeden Tag dabei, und sie machen das jahrelang ohne Unterbrechung. Das heißt, wir haben es da mit Workaholics zu tun. So banal uns dieses Leben oft erscheint, ist es ja auch mit einer gewissen Anstrengung und Disziplin verbunden. Und das ist es, was leicht unterschätzt wird", sagt Buchautor Schmitt.
Finanziert wird der Beruf des Dauer-Posters dann meist über Werbung für Produkte. Weil aber nur wenige wirklich davon leben können, wuchert der Wildwuchs der indirekten Werbung, auch Schleichwerbung genannt. 43 verschiedene Werbeformate hat eine im August 2021 veröffentlichte Studie der Kommission für Jugendmedienschutz in den verschiedenen sozialen Netzwerken identifiziert. "Viele der in dieser Studie untersuchten Influencer-Beiträge enthalten subtile Produktwerbung und transportieren Markenbotschaften indirekt, im Hintergrund, eingebettet in vermeintlich alltagsnahe Berichte über das Leben als Influencer. Darin sind viele Beiträge ohne Werbekennzeichnung zu finden, auch wenn indirekte und direkte Kaufappelle zu sehen sind", schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrem Ergebnisbericht. Und kommen zu dem Schluss: "Das erschwert die visuellen Erkennungsmöglichkeiten von Werbung für viele Kinder, insbesondere auf TikTok und Twitch."
"Auch die Regulierer und Aufsichtsorgane stehen damit vor großen Herausforderungen", schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die für die Werbeaufsicht im Netz zuständigen Landesmedienanstalten nehmen die Influencerinnen und Influencer dabei schon länger mit Untersuchungen und Studien ins Visier und schauen in Zukunft noch stärker hin, um schwarze Schafe zu entdecken.
Doch was ist überhaupt erlaubt und was nicht? Bislang kamen hier auch Gerichte zu teilweise sehr unterschiedlichen Bewertungen. Einige Klarheit schafft jetzt ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von Anfang September. Der BGH hatte dabei zwar drei Influencerinnen Recht gegeben, dass sie Postings mit Nennungen der Produkte ihres eigenen Unternehmens nicht als Werbung kenntlich machen müssen. Allerdings heißt es im Urteil auch: Sobald eine Gegenleistung durch ein fremdes Unternehmen mit kommerziellen Interessen erfolgt, müssen die Beiträge klar als Werbung erkennbar sein.
Und damit sollten alle leben können. Influencerinnen und Influencer, die hauptsächlich bezahlte Werbung machen, müssen das künftig angeben. Wer dagegen ohne finanzielle Hintergedanken und für die Sache unterwegs ist, bleibt weiter ohne größere Auflagen und Kennzeichnungspflichten.