Das Darknet in den Medien Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten
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17. Februar 2020, 18:13 Uhr
Wenn Medien über das Darknet berichten, geht es meistens um Straftaten. Demokratie und Freiheit spielen nur selten eine Rolle. So ergibt sich ein einseitiges Bild. Die Ursachen dafür sind teilweise banal, aber die Folgen sind erheblich. Denn das Bild in den Medien beeinflusst sehr stark, wie das Publikum über das Darknet denkt.
In der Berichterstattung über das Darknet fing das neue Jahr so an, wie das alte geendet hatte: mit schlechten Nachrichten. Das Hamburger Abendblatt veröffentlichte am 6. Januar einen Artikel mit dem Titel: "Tatort Internet: Darknet-Pate aus Uetersen vor Gericht." Das Nachrichtenportal ntv berichtete am 10. Januar über einen Elektriker aus Schleswig-Holstein, der im Darknet versucht hatte, ein Kind zu finden, um es zu missbrauchen und zu töten. Drogenhandel, Waffenhandel, Kindesmissbrauch. Diese Themen erscheinen, wenn man Google News oder die Mediatheken von ARD oder ZDF nach dem Wort "Darknet" durchsucht. Die Bilder zu den Beiträgen transportieren eine düstere Atmosphäre. Doch diese Sicht ist unvollständig, denn das Darknet hat auch eine andere Seite, eine helle.
Für Menschen in autoritär geführten Ländern ohne Meinungsfreiheit ist dieser Teil des Internets ein sonniges Fenster in die freie Welt. Zeitungen wie die New York Times, die Süddeutsche Zeitung oder die taz haben dort eine Adresse. Auch Özgürüz, das vom Recherchebüro Correctiv betriebene und in der Türkei gesperrte türkische Online-Medium, ist dort zu finden. Das Darknet ist auch ein Ort der Freiheit.
Der Buchautor und Darknet-Experte Stefan Mey hat im Oktober 2019 in einem Interview gesagt:
Das Darknet hat ein Imageproblem.
Einen der Hauptgründe dafür sieht er in der Tatsache, dass es für Journalisten sehr viel einfacher sei, über Straftaten und Kriminaliät zu berichten als über Entwicklungen mit einer politischen Dimension. "Die Polizeibehörden liefern regelmäßig Stoff. Ein Waffen- oder Drogenhändler wurde festgenommen, ein kinderpornografisches Forum wurde hochgenommen. Dann gibt es eine Pressemeldung der Polizei, und darauf kann man als Medium sehr gut aufsatteln", sagt Mey.
Recherchen im Darknet brauchen Zeit
Das Wissen über das politische Darknet dagegen sei lange sehr vage gewesen. Das liegt in der Natur der Sache, denn wer das Darknet nutzt, möchte möglichst nicht erkannt werden. Berichten können Journalisten jedoch nur über das, was an die Öffentlichkeit gelangt.
Schon Inhalte im Darknet zu finden, ist nicht ganz leicht. Er sei anfangs ein bisschen enttäuscht gewesen, sagt Stefan Mey, weil er viel weniger gefunden habe, als er gedacht hatte. Recherchen im Darknet brauchen Zeit. Auch das ist ein möglicher Grund dafür, dass Berichte über aufgedeckte Straftaten dominieren. Dadurch ergibt sich ein verzerrtes Bild.
Ein solches Phänomen beschreibt der sogenannte "Survivorship Bias", auf Deutsch: Überlebensirrtum. Dabei handelt es sich um einen typischen Fehlschluss, der Menschen in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder unterläuft. Entdeckt hat ihn der Mathematiker Abraham Wald, als die Alliierten im Zweiten Weltkrieg versuchten, ihre Flugzeuge besser zu panzern, um die Überlebenschancen ihrer Piloten zu erhöhen. Dazu untersuchten sie die zurückgekehrten Flugzeuge und verstärkten die Stellen, an denen sie die meisten Einschusslöcher fanden. Doch auch danach gingen ebenso viele Maschinen verloren – bis Wald auf die Idee kam, dass es sinnvoller gewesen wäre, die abgeschossenen Flieger zu untersuchen. Sie waren von der falschen Stichprobe ausgegangen.
Das könnte auch im Falle des Darknets so sein. Vielleicht sehen wir in der Berichterstattung eine Stichprobe, die gar nicht das abbildet, was wirklich vor sich geht. Möglicherweise spielen der Drogen- und Waffenhandel gar keine so große Rolle, wie es den Eindruck weckt, wenn wir die Nachrichten verfolgen. Vielleicht ist aber auch alles noch viel schlimmer, weil wir nur von einem winzigen Bruchteil der Straftaten erfahren. Letztlich können wir nur eines sagen: Das, was wir erkennen, lässt keine zuverlässigen Schlüsse zu.
Nachrichten formen Meinungen
Die sichtbare Stichprobe formt das Bild, das Medien transportieren. Und dieses Bild hat Einfluss darauf, wie das Publikum den Inhalt der Berichterstattung bewertet. Seit Mitte der 80er-Jahre untersuchen Wissenschaftler das sogenannte "Medien-Priming". Priming, auf Deutsch "Vorbereiten" oder "Anbahnen", ist ein Begriff aus der Psychologie, der beschreibt, wie bestimmte Reize unser Denken beeinflussen. Stark vereinfacht erklärt: Eine Nachricht über eine Straftat im Darknet ist ein Reiz. Hören wir ständig Nachrichten über Straftaten im Darknet, müssen wir irgendwann nur noch das Wort Darknet hören, um an Straftaten zu denken.
Neben dem Medien-Priming kennt die Wissenschaft noch zwei weitere Effekte: Zum einen das Agenda-Setting. Das bedeutet: Mit ihrer Entscheidung darüber, welche Themen in den Nachrichten vorkommen, beeinflussen Journalisten, welche Themen Zuschauer für wichtig halten.
Zum anderen das Framing (auf Deutsch: Einrahmung), auch dabei geht es wieder um Reize. Verkürzt bedeutet Framing: Die Formulierung beeinflusst die Botschaft.
Ein düsteres Gesamtbild
Durch die Wahl von Formulierungen rahmen wir Inhalte in Bedeutungszusammenhänge ein. Schon der Ausdruck "Darknet" selbst transportiert das Bild von etwas Dunklem, und vor Dunkelheit fürchten sich viele Menschen. Taucht dieses Wort dann noch regelmäßig zusammen mit Begriffen aus der Sphäre der Kriminalität auf, verschwimmt diese Wolke aus Wörtern zu einem düsteren Gesamtbild.
Wissenschaftler sind sich nicht einig darin, wie groß der Einfluss von Framing auf unser Denken ist. Auch die genaue Wirkungsweise des Medien-Primings ist nicht erforscht. Doch beide Erklärungsversuche deuten darauf hin, dass die Berichterstattung über das Darknet zu einem negativen Image beiträgt.
Hinzu kommt, dass klassische journalistische Kriterien wie Nachrichtenfaktoren die Dominanz von Negativmeldungen begünstigen. Diese Faktoren bestimmen den Wert einer Nachricht, und dieser entscheidet darüber, wie berichtenswert eine Neuigkeit ist und welche Priorität Redaktionen ihr geben.
Wenn jemand etwas Gutes tut, also zum Beispiel Informationen bereitstellt, ist das für die Berichterstattung lange nicht so interessant wie, wenn ein Millionenraub passiert oder Drogen und Waffen verkauft werden.
Einen Schritt weiter
Aber sind wirklich nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten? Nicht unbedingt. Das hängt auch davon ab, welches Journalismus-Verständnis Redaktionen haben. Vertreter des konstruktiven Journalismus etwa sind der Auffassung, dass Medien den Nachrichtenfaktoren nicht hilflos ausgeliefert sind. Ihre Überzeung ist: Wie die Welt sich darstellt, hängt davon ab, wohin Menschen ihre Aufmerksamkeit richten. Das bedeutet nicht, wie oft unterstellt wird, dass Journalisten über Negatives hinwegsehen sollten. Aber sie können das Bild vervollständigen, indem sie nicht nur über Probleme berichten, sondern auch einen Schritt weiter denken und aufzeigen, welche Lösungsansätze oder positiven Aspekte es gibt.
Im Zusammenhang mit dem Darknet könnte das bedeuten, dass Journalisten bei Berichten über Kriminalität dort auch transparent machen, warum das Gesamtbild unter Umständen verzerrt sein könnte – oder zumindest erwähnen, dass dieser dem Wort nach so düstere Teil des Internets auch eine sehr helle und gute Seite hat.