Einfluss der Politik Wie staatsnah ist unser Rundfunk?
Hauptinhalt
12. November 2020, 17:27 Uhr
Ein Vorwurf an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk lautet, er sei zu staatsnah. Als Beleg wird dann häufig auf die Zahl aktiver oder ehemaliger Politikerinnen und Politiker in den Aufsichtsgremien von ARD, ZDF und Deutschlandradio verwiesen. Tatsächlich sitzen in den Rundfunk- und Fernsehräten zahlreiche Menschen mit Parteibuch.
Die Diskussion, ob das heute noch zeitgemäß ist, läuft seit Jahren. Die Gremienvertreter haben viel Einfluss: Sie wählen die Intendantinnen und Intendanten, bestimmen bei der Auswahl von Programm- und Chefredaktionen mit und beschließen über den Anstaltshaushalt, welche Bereiche im Unternehmen wie viel Geld bekommen.
Direkter Einfluss der Politik wird überschätzt
Seit einiger Zeit hält sich in manchen Kreisen auch die Vorstellung, Politikerinnen und Politiker wie zum Beispiel die Bundeskanzlerin würden sich aktiv ins Programmgeschehen einmischen. "Mit staatsnah wird ja auch gemeint, dass zum Beispiel Politiker in den Sendern anrufen oder mit den Sendern sowieso unter einer Decke stecken. Diese gesellschaftliche Elite bestimmt dann, was gesendet wird und was nicht gesendet wird", umreißt die Medienwissenschaftlerin Christine Horz von der Technischen Hochschule Köln das Vorurteil. "Ich denke, in der Vergangenheit haben die Sender auch einzelne Anrufe aus der Politik bekommen", sagt sie. Aber die Redaktionen verwahren sich nach ihrer Erfahrung dagegen und hätten solche versuchte Einflussnahme "gewöhnlich öffentlich gemacht" und auf die Rundfunkfreiheit gepocht, so Horz.
Von Forderungen, Politikerinnen und Politiker ganz aus den Gremien des öffentlich-rechtliche Rundfunks auszuschließen, hält sie nichts: Schließlich seien sie gewählt und so "Repräsentanten der Bevölkerung. Natürlich sind sie gleichzeitig auch Zuschauer und Zuhörer. Aber ich denke, es wäre sehr hilfreich und würde dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gut zu Gesicht stehen, wenn die Gremien etwas vielfältiger aufgestellt würden, wenn mehr Wechsel stattfinden würde", so Horz. Vor allem die normalen Nutzerinnen und Nutzer müssten auch in den Gremien der Sender vertreten und "in medienpolitische Entscheidungen mit eingebunden" sein.
Es gibt kein rotes Telefon, auf dem Merkel anruft.
Auch Medienkolumnistin Samira El Ouassil verneint aus eigener Erfahrung, dass es hier direkten politischen Einfluss oder zu viel Staatsnähe gäbe. "Alle Redakteure, alle Journalisten, mit denen ich zu tun hatte, arbeiten nach bestem Wissen und Gewissen. Alle Folgen medienethischen, journalistischen Standards und Statuten. Sie befolgen den Pressekodex und machen ihre Arbeit als gute Journalisten, gute Unterhalter, gute Moderatoren und gute Abbilder der Wirklichkeit." Es gebe "kein rotes Telefon", auf dem "Angela Merkel anruft und sagt nein, diesen Beitrag bringt ihr jetzt nicht", so El Ouassil.
2009 sägte die Politik den ZDF-Chefredakteur ab
ZDF-Intendant Thomas Bellut kennt den Konflikt schon lange. Im Jahr 2009 – Bellut war damals ZDF-Programmdirektor – verhinderten Politiker im ZDF-Verwaltungsrat die Vertragsverlängerung des langjährigen ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender. Der Fall landete vor dem Bundesverfassungsgericht, dass als höchstes deutsches Gericht 2014 ein wegweisendes Urteil fällte und den Einfluss der Politik beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk deutlich begrenzte.
Politik gehört dazu, es darf nur nicht überhand nehmen.
"Das Verfassungsgericht hat reagiert, als nach Personalentscheidungen im ZDF geklagt worden ist und hat festgelegt, dass nur ein Drittel der uns kontrollierenden Gremien staatsnah sein dürfen, also Abgeordnete, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesregierung und ähnliches", so Bellut im Interview mit MDR MEDIEN360G. "Und das, finde ich, ist eine saubere Regel." Bellut hält nichts von einer kompletten Ausgrenzung von Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik in den Gremien. "Die gehören zur Demokratie dazu", sagt er. "Es darf nur nicht überhand nehmen. Und am Ende ist es die Aufgabe des Intendanten, Versuchen der politischen Einflussnahme klare Grenzen zu setzen." Es gebe aber kaum direkten Kontakt zum Beispiel zur Bundeskanzlerin. "Es ist in der deutschen Politik einfach nicht üblich. Es gibt natürlich Kritik nach Sendungen. Das muss auch sein. Wir machen Fehler, dann muss man darüber diskutieren." Aber sich vorab beeinflussen zu lassen sei ein NoGo, so Bellut, "und ich kann nur jedem raten, der in meiner Funktion ist, sich da nicht reinreden zu lassen".
Dafür zu sorgen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht von außen beeinflusst wird, ist auch Aufgabe der übrigen Gremien-Mitglieder. Sie sollen die Gesellschaft in ihrer ganzen Breite repräsentieren und werden von den so genannten "gesellschaftlich relevanten Gruppen" entsandt. Dazu gehören beispielsweise Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen, Sport- und Jugendverbände, Umweltorganisationen und Hilfswerke wie das Rote Kreuz. Welche gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen genau Mitglieder in die Gremien entsenden, ist von Anstalt zu Anstalt unterschiedlich. Denn Herrin über die Zusammensetzung der Gremien ist die Politik. Genauer gesagt die Bundesländer, die festlegen, welche "gesellschaftlich relevanten Gruppen" jeweils in den Rundfunk- und Fernsehräten vertreten sind. "Das entscheiden die Landesregierungen, da haben wir keine Chance, mitzureden", so Bellut.
Dabei wichtig: Die Landesregierungen bestimmen zwar die Institutionen, die Mitglieder in die Gremien entsenden dürfen, aber wählen nicht die einzelnen Personen aus, die letztendlich entsandt werden. Diese bestimmen die gesellschaftlichen Gruppen selbst. Dabei ist aber natürlich nicht auszuschließen, dass da auch jemand ein Parteibuch besitzt oder Nähe zu einer politischen Richtung hat. Das lässt sich schlicht nicht vermeiden. Wenn so eine ausgewählte Person allerdings wichtige politische Ämter bekleidet, zählt sie damit wieder in die Gruppe der staatsnahen Gremienmitglieder – die bekanntlich insgesamt nur ein Drittel des Gremiums ausmachen dürfen.