MEDIEN360G im Gespräch mit... Dr. Peter Ulrich Weiß
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22. November 2019, 14:38 Uhr
"Die Medien spielten eine große Rolle für den Zusammenbruch der kommunistischen Regime; in der DDR, aber auch in ganz Osteuropa", sagt Historiker Dr. Peter Ulrich Weiß vom Leipniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung.
Dagmar Weitbrecht: Welche Rolle spielte die Medien in der Friedlichen Revolution?
Dr. Peter Ulrich Weiß: Also die Medien spielten eine sehr große Rolle für den Zusammenbruch der kommunistischen Regime in der DDR, aber auch in ganz Osteuropa. Wobei die Gewichtung unterschiedlich ausfällt, wenn wir zuerst mal uns einen Vogelblick erlauben wollen. Also die Medienrevolutionen, wie sie in Polen oder Ungarn stattgefunden haben, haben einen anderen Charakter. Denn sie haben schon sehr früh dort die Umbrüche begleitet und die Transformation allmählich hingeführt über die ganzen Achtzigerjahre bis hin zu '89 / '90. In der DDR und in Rumänien zum Beispiel war das ganz anders. Dort waren letztlich bis kurz vor Ausbruch der Revolution, die Medien stark auf Linie und veränderten sich dann, dass sie im Prinzip einen kurzen, aber heftigen Impuls gaben zu dieser Entwicklung, die dann sozusagen diese Umbrüche begleitet. Also, so haben wir eigentlich sehr unterschiedliche zeitliche Phasen. Was die DDR jetzt speziell anbetrifft können wir sagen, dass bis zum 18. Oktober, also bis zur Absetzung von Erich Honecker, im Prinzip die Leitmedien, bis auf einzelne Sendungen, die Leitmedien der DDR, eigentlich sehr parteitreu und staatstreu berichtet haben und erst mit dem Machtantritt von Egon Krenz ein Wandel stattfand.
Dagmar Weitbrecht: Der 18. Oktober 1989 markiert ein wichtiges Datum. Was zeichnet diesen Tag aus?
Dr. Peter Ulrich Weiß: Also zum Einen veränderte sich natürlich das Machtgefüge an der Spitze. Erich Honecker wird gedrängt, zurückzutreten, und an seine Stelle tritt jetzt Egon Krenz, mit dem eigenen Anspruch, ein Reformer zu sein. Aber es ist nicht die einzige Veränderung, die stattfindet. Auch im Sekretariat für Agitation und Propaganda mit (Joachim) Hermann an der Spitze findet eine Ablösung statt, womit am Ende auch erstmal die Medien-Lenkung, die Medien-Steuerung aus dem Politbüro heraus beendet wird. Das hat natürlich auch Folgen für das Fernsehen, für den Rundfunk allgemein. Also die Programme beginnen, sich etwas freier zu entwickeln. Wir sehen das im Fernsehen bereits schon am Folgetag. Die Berichterstattung in der Aktuellen Kamera (ist) etwas informativer, weniger belehrend, mehr auf Informationen ausgelegt. Das bemerken natürlich die hochsensibilisierten Zuschauer in der DDR schon. Es braucht dann allerdings auch noch einige Zeit, also wir schätzen so etwa zwei, drei Wochen, bis sich dann doch die Erkenntnis für die Rezipienten, also für die Zuschauer auch durchsetzt: „Okay, die Medien begleiten offensiv die Reformveränderungen, die Revolution, und sie berichten darüber. Für das Fernsehen ist da natürlich ganz zentral einmal die Absetzung der Sendung Schwarzer Kanal am 30. Oktober. Aber dann natürlich auch die Liveübertragung der großen Demonstrationen am 4. November auf dem Alexanderplatz, womit dann quasi über ein offizielles Medienorgan die Revolution bis in die letzten Winkel der DDR getragen wird. Im Rundfunk ist das durchaus schon etwas früher passiert. Das war etwas beweglicher.
Dagmar Weitbrecht: Im Artikel 36 des Einigungsvertrags wurde festgelegt, dass die Zukunft des Rundfunks Ländersache werden sollte. Was löste das aus?
Dr. Peter Ulrich Weiß: Also unter den Medienmachern löste das zum Teil Freude aus, zum Teil aber auch Bestürzung, Verunsicherung. Weil natürlich klar war, das Ganze geht einher mit einer Auflösung der alten Medienstrukturen und einer Neusortierung, und das war mit Entlassungen verbunden, mit Auflösung alter Strukturen, Aufbau neuer Strukturen, wovon man sich noch nicht genau vorstellen konnte, wie das ablaufen wird. Es war klar, es sollen föderale Strukturen eingeführt werden, also nach dem bundesdeutschen Prinzip. Aber wie das halt in concreta aussieht war noch etwas unklar. Es wurde ja dann der Medienbeauftragte Rudolf Mühlfenzl eingesetzt, der quasi von außen mit einem Team auch aus dem Westen in die ostdeutsche Institutionenlandschaft hineinging und dort ausgestattet mit einem Auftrag, innerhalb von 15 Monaten dieses alte DDR-Mediensystem abzuwickeln - also Stichpunkt war ja dann der 31. Dezember 1991. Er ging dort auch mit großer Verve hinein.
Dagmar Weitbrecht: Wie beurteilen Sie die Arbeit von Rudolf Mühlfenzl und seinem Team?
Dr. Peter Ulrich Weiß: Rudolf Mühlfenzl ist während seiner Arbeit schon stark kritisiert worden, sowohl von Ostmedien als auch von Westmedien, im Nachhinein auch. Also das ist sozusagen eigentlich schon ein Kanon, ein gewisses Mühlfenzl-Bashing. Und das natürlich in gewisser Weise auch zu Recht, weil er relativ radikal vorging. Bestimmte reformerische Bestrebungen, die es auch gab, eher skeptisch betrachtet hat, also eher auch abgewürgt hat, sondern eigentlich alles einem Ziel unterworfen hat, nämlich seinen Auftrag zu erfüllen, bis zum 31. Dezember 1991 das abzuwickeln. Wir müssen uns aber auch in die andere Lage versetzen: Er hatte einen politischen Auftrag. Das muss man im Hinterkopf behalten. Dieser politische Auftrag basierte auf dem Wahlergebnis vom 18. März 1990. Damals gewann die Allianz für Deutschland mit der Ost-CDU an der Spitze. Damit war klar, dass eine schnellstmögliche Einigung passieren würde, ein Beitritt zur Bundesrepublik und eine Übernahme der Strukturen. Das wurde von der Mehrheit der Parteien, die zunächst auch demokratisch gewählt worden sind, getragen. Mit diesem Auftrag, mit dieser Legitimation, agierte er dort auch. Das ist natürlich eine andere Sicht als die Binnenperspektive, die dann natürlich Journalisten von hatten. Das gab ihm natürlich auch eine andere Motivation, auch eine andere Grundhaltung, dort so vorzugehen. Also er fühlte sich in gewisser Weise auch demokratisch legitimiert. Wahrscheinlich nicht von den DDR-Journalisten aber von der DDR-Bevölkerung. Also das, denke ich, sollte man immer noch ein bisschen im Hinterkopf behalten, dass die Auflösung des DDR-Rundfunks am Ende auch ein Ergebnis des Wahlentscheides der ostdeutschen Bürger war.
Dagmar Weitbrecht: Welche politischen Interessen verfolgte die Regierung der damaligen BRD in Bonn dabei?
Dr. Peter Ulrich Weiß: Da müssen wir natürlich sehen, dass das Bild, der äußere Eindruck, den das DDR-Mediensystem als Ganzes hatte, natürlich ein sehr negativer war. Also es herrschten einfach auch die stereotypen Vorstellungen vor, es handelt sich eigentlich um einen Propagandaapparat, den es so in den Strukturen nicht zu erhalten galt. Das war eigentlich ein klarer politischer Auftrag und auch eine klare Einstellung, die im Prinzip eigentlich auch von Bonn reingetragen wurde, aber auch Unterstützer hatte, zum Beispiel auf (Seiten) der DDR-Bürgerbewegung. Die Auflösung des SED-Medienmonopols gehörte zu den Grundforderungen. Die Frage, wer jetzt eigentlich die Informationsfreiheit, den unabhängigen Journalismus gewährleisten soll, das war eine grundsätzliche Frage. Das bettet sich ein in Diskussionen, die DDR-weit geführt wurden bei der Auflösung von staatlichen Institutionen oder auch von hochsubventionierten Einrichtungen, weil es ja nach wie vor auch ein großes, als ein großes Wunder galt, dass dieser ganze Umbruch friedlich verlief. Man erwartete immer noch ein Zurückschlagen der ehemaligen Machthaber, der Seilschaften, und dazu zählte man natürlich auch in gewisser Weise den großen Medienapparat. Wir dürfen auch nicht vergessen, die Zahlen sprechen auch etwas für sich. Beim Fernsehen war jeder dritte Mitarbeiter Mitglied der SED. Später hat man rausbekommen, hunderte IM waren dort tätig, dutzende Offiziere im besonderen Einsatz (OibE). Das waren ja trotzdem Zahlen, die auch für sich gesprochen haben. Die Frage, wie löst man auch personell die Strukturen auf, die aus dieser Zahl kamen, die waren natürlich virulent und führten natürlich aber dann zu ganz großen Konflikten und auch zu Ungerechtigkeiten.
Dagmar Weitbrecht: Welche Auswirkungen hatte die Gründung der neuen öffentlich-rechtlichen Sender auf die Medienmacher und Zuschauer?
Dr. Peter Ulrich Weiß: Zunächst einmal war das natürlich eine hoch aufregende Phase. Die Mitarbeiter der neuen Anstalten waren hochmotiviert. Es war natürlich ein Bruchteil derjenigen, die vorher in Berlin-Adlershof oder anderswo tätig waren. Aber es war eine Aufbruchstimmung bei denen, die dabei waren. Gleichzeitig hatten sie natürlich auch mit ungeheuren Unwägbarkeiten zu kämpfen. Also angefangen von der Technik, die zum Teil veraltet war, von der Infrastruktur. Man musste umziehen. Hier beim ORB zog man in alte DEFA-Baracken ein, wo die Technik erst mal noch nicht stimmte. Das galt es erstmal auf der einen Seite technisch zu bewältigen. Zum anderen musste natürlich auch ein neues Programmgefüge her. Es ging natürlich auch am Ende darum, einerseits den Programmauftrag zu erfüllen, also am Ende auch so etwas wie ein Länder-Bewusstsein, eine Heimat-Identität zu pflegen, sein eigenes Publikum zu erreichen, aber auch im Programm gewisse Innovationen vielleicht auszuprobieren. Da sind dann eigentlich ORB und MDR zunächst unterschiedliche Wege gegangen. So wie das auch damals Intendant Udo Reiter formuliert hat, man eher im Bereich Politik und Information einen Neuanfang gestartet hat, hat man im Unterhaltungssektor eher geschaut, dass man auch bestimmte Sendeformate aus der DDR oder die '89 entstanden sind übernimmt und so etwas wie eine Art Anschlusskommunikation herstellt. Also wo man die Zuschauer abholt dort, wo sie stehen, wo sie sind. Für ihn war das ein sehr wichtiges Diktum und auch ein erfolgreiches Diktum zu sagen: Um die Menschen herum passieren so viele starke gesellschaftliche Veränderungen, dass sie im Fernsehen eine Art Haltepunkt suchen. Einen etwas anderen Weg ist der ORB gegangen, der durchaus auch versuchte, die Strukturen etwas von den üblichen Sehgewohnheiten zu verändern. Also auch zum Beispiel, die Uhrzeiten etwas zu verschieben oder auch neue Formate zu probieren. Und man muss sagen, im Großen und Ganzen ging das etwas schief. Der ORB schrieb lange Zeit rote Zahlen, hatte auch nicht die gewünschten Einschaltquoten und musste sich eigentlich im Verlauf der 90er Jahre erst mal neu justieren. Da war der MDR deutlich erfolgreicher.
Dagmar Weitbrecht: Sie sagten, dass nur ein Teil der Medienmacher aus der ehemaligen DDR mit dem Aufbau eines neuen Rundfunks beauftragt wurde. Gab es Diskrepanzen in der neuen Personalstruktur?
Dr. Peter Ulrich Weiß: Dass im Prinzip in den Führungspositionen des Fernsehens mehrheitlich westdeutsche Kollegen waren, das stand irgendwie relativ fest. Das war auch ein Problem, natürlich ein Kommunikationsproblem untereinander, hat aber auch insgesamt mit der Frage, warum, wieso, weshalb etwas, denke ich, mit Vertrauen zu tun. Es waren im Prinzip ja westliche Intendanten, die angefragt worden sind, diese föderalen Strukturen umzusetzen, MDR und ORB sozusagen zum Laufen zu bringen. Da denke ich, dass es trotz der Erfahrung und der Beobachtung der Umbruchjahre, (bei) Journalisten ein gewisses Misstrauen trotzdem herrschte, gegenüber alteingesessenen ostdeutschen Journalisten, ob sie in der Lage sind, diesen neuen Umbruch tatsächlich auch mitzugestalten. Das führt dann dazu, wie es in anderen Bereichen auch ist, dass oftmals die Führungsmannschaft aus dem Westen zusammen rekrutiert worden ist. Das hat natürlich schon etwas dauerhafter auch zu einer Missstimmung und auch zu einer Diskrepanz geführt, weil natürlich die Kenntnisse wiederum vor Ort, waren natürlich deutlich geringer für den Westen. Das hat natürlich auch zu Frustrationen geführt und zu Missstimmungen innerhalb des Betriebes. Inwiefern sich das dann wiederum nach außen ins Programm übersetzte, ist unterschiedlich. Weil natürlich schon eine ganze Reihe auch von Moderatoren auch aus der DDR übernommen wurden, die sozusagen im Prinzip auch als eine Art personifiziertes Identifikationsmoment erstmal am Bildschirm zu sehen waren: im MDR vielleicht noch etwas stärker als beim ORB, aber im Prinzip eigentlich auf beiden, an beiden Seiten. So und im Radio, würde ich sagen, ist das vielleicht sogar noch einen Tick stärker, scheint mir, also dass dort auch stärker ostdeutsche Radiomoderatoren dort agiert haben.
Dagmar Weitbrecht: In der Wissenschaft gibt es die These, dass die damalige Installation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu Spätfolgen in der Mediennutzung und der Glaubwürdigkeit geführt haben. Teilen Sie diese These?
Dr. Peter Ulrich Weiß: Wir müssen vielleicht historisch von einem grundsätzlich anderen Medienverhalten zunächst einmal ausgehen. Dieses Medienverhalten ist natürlich ganz stark entstanden auch durch eine politische Sozialisation in der DDR und durch einen jahrzehntelangen Umgang, ein Medienkompetenz-Verhalten auch am Ende, dass sich schulte an den Gegebenheiten in der DDR. Das sieht man zum Beispiel schon daran, das haben bestimmte Befragungen auch ergeben, dass sich viele ostdeutsche Mediennutzer eher als Konsumenten zweiter Klasse betrachten, eher dem Unterschichten-Publikum zuordnen, also denjenigen, die vermeintliches Unterschichten-Fernsehen sehen. Das ist das Eine. Dass sie zum Beispiel Mühe haben oder hatten - ich rede jetzt vor allen Dingen von den Neunzigerjahren - mit Streit umzugehen. Also mit im Prinzip mit Meinungsvielfalt, die auch ausgetragen wurde im Fernsehen, in Gesprächsrunden, das lässt sich nachweisen, wo am Ende das Prinzip von vielen Sendungen eher war: Ich lade fünf oder sechs Leute ein, habe am Ende trotzdem fünf oder sechs Meinungen. Der ostdeutsche Betrachter eher das Gefühl hatte, was kommt denn nun endlich hinten raus? Was ist denn das Ergebnis des Ganzen? Worum es aber vielleicht in der Sendung gar nicht geht. Das ist ein gewisses Harmoniebedürfnis zum Beispiel, und das sind so ganz kleine Teile, die dann zu Entfremdungserscheinungen auch führten, weil es ein anderes Medienprinzip war. Hinzu kam ein grundsätzlicher Unterschied auch in den 90er Jahren mit dem Aufkommen des privat-kommerziellen Fernsehens, das im Osten deutlich stärker konsumiert worden ist als im Westen. Wobei da eben auch interessant ist, wenn wir das prozentual betrachten: Da steigt zunächst erstmal der Fernsehkonsum in Ost wie in West. Insgesamt ist er aber im Osten deutlich höher. Prozentual aufgerechnet verlieren die Öffentlich-Rechtlichen, die Privat-Kommerziellen gewinnen. Wenn wir das in Minuten aufrechnen, stellen wir fest, dass das so nicht hinhaut. Nämlich, es ist über die ganzen '90er relativ konstant, bleibt die Minutenzahl, die der Zuschauer oder auch der Zuhörer pro Tag öffentlich-öechtlich hört, konstant. Nur die hinzugewonnene Zeit geht dann zugunsten der Privaten. Das heißt, auf der einen Seite ist das eigentlich eher auch ein konstantes Verhalten. Worauf ich aber – um auf ihre Frage noch einmal zurückzukommen - hinaus will ist, dass natürlich schon in den '90 Jahren, und das ist eine Entwicklung, die bis heute anhält, stark das Gefühl aufkam, in den bundesdeutschen Leitmedien nicht angemessen repräsentiert worden zu sein. Das macht schon einen gewissen Unterschied aus, weil wir doch heute auch eine starke Medienskepsis auch in Ostdeutschland feststellen können, dass die eigentlich weniger die dritten Programme oder auch die Regionalzeitungen betreffen, als vielmehr diese überregionalen Zeitungen, die etablierten Sender und ihre etablierten Medien.